Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2009
10. Jahrgang
PDF-Download
1. Eigenverantwortlich gewollte, mithin zumindest in Kauf genommene Selbsttötungen, - verletzungen und -gefährdungen unterfallen nicht dem Tatbestand eines Tötungs- oder Körperverletzungsdelikts. Wer sich daran beteiligt, nimmt an einem Vorgang teil, der - soweit es um die Strafbarkeit wegen eines solchen Delikts geht - keine Tat im Sinne der §§ 25, 26, 27 Abs. 1 StGB darstellt. Der sich vorsätzlich Beteiligende kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs infolge-
dessen nicht als Anstifter oder Gehilfe bestraft werden. Wer das zumindest selbst gefährdende, eigenverantwortliche Verhalten eines anderen fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs nicht strafbar sein, wenn er sich im Falle vorsätzlichen Handelns nicht strafbar machen würde (grundlegend BGHSt 32, 262, 263 ff.; s. auch BGH NStZ 2001, 205).
2. Die Straflosigkeit eines Beteiligten infolge dieser Grundsätze setzt aber voraus, dass der andere sich "frei und eigenverantwortlich gewollt" selbst gefährdet (vgl. BGH NStZ 1985, 25, 26; NStZ 1985, 319). Die Freiverantwortlichkeit des Selbstgefährdungsentschlusses begrenzt die Strafbarkeit. An dieser fehlt es aber nicht nur, wenn ein autonomes Handeln beispielsweise infolge einer Intoxikationspsychose ausgeschlossen ist (BGH NStZ 1983, 72), sondern auch bei einem die Selbstverantwortlichkeit betreffenden Irrtum (vgl. BGH NStZ 1986, 266, 267).
3. Ein solcher Irrtum liegt auch dann vor, wenn der Angeklagte einem Drogenkonsumenten auf Grund eines eigenen Irrtums eine andere als die gewünschte Droge überlässt, an der das sich selbst schädigende Opfer verstirbt. Dass den sich am illegalen Umgang mit Betäubungsmitteln beteiligenden Personen die Wirkstoffkonzentration und der Gehalt eventuell beigemengter Stoffe regelmäßig nicht bekannt sind und Konsumenten daher riskieren, nicht nur eine zu hohe Dosierung des von ihnen gewünschten Rauschgifts, sondern zusätzlich unbekannte, möglicherweise ebenfalls gesundheitsgefährdende Stoffe zu sich zu nehmen, hindert die Annahme eines strafbarkeitsbegründenden Irrtums nicht.
4. Heroin ist generell gefährlicher als Kokain, besonders wenn es "rein" ist.
5. Privilegierende Spezialität als besondere Form der Gesetzeskonkurrenz liegt vor, wenn ein Strafgesetz alle Merkmale einer anderen Strafvorschrift aufweist und sich nur dadurch von dieser unterscheidet, dass es wenigstens noch ein weiteres Merkmal enthält, das den in Frage kommenden Sachverhalt unter einem genaueren (spezielleren) Gesichtspunkt erfasst, und der Täter durch die Spezialvorschrift privilegiert werden soll. In diesem Fall ist ein Rückgriff auf das allgemeinere Delikt ausgeschlossen, da hierdurch die Privilegierung beseitigt würde. Ob die speziellere Vorschrift den Täter begünstigen soll, ist anhand des Zwecks dieser Vorschrift, des inneren Zusammenhangs der miteinander konkurrierenden Bestimmungen und des Willens des Gesetzgebers zu prüfen (BGHSt 49, 34, 37).
1. Ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch liegt vor, wenn der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB). Das Aufgeben der Tat setzt den Entschluss voraus, auf deren Durchführung im Ganzen und endgültig zu verzichten (BGHSt 7, 296, 297; 35, 184, 187). Nicht aufgegeben ist die Tat dagegen, so lange der Täter mit dem Versuch ihrer Begehung lediglich vorübergehend innehält.
2. Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 32, 382, 383 ff.; 39, 353, 368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2; NStZ-RR 2005, 309). Maßgebend für die Beurteilung ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz 11 geführten Angriffs (BGHSt 32, 382, 384; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13; NStZ-RR 2001, 14). Zwar kann die Arglosigkeit beseitigt sein, wenn der Tat eine offene Auseinandersetzung mit von vorneherein feindseligem Verhalten des Täters vorausgeht, das Opfer also akuten Anlass hat, mit einem tätlichen Angriff zu rechnen. Eine auf längere Zeit zurückliegenden Aggressionen und einer feindseligen Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers vermag dessen Arglosigkeit dagegen nicht zu beseitigen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21; BGH NStZ-RR 2001, 14; 2004, 14, 15 f.). Es kommt vielmehr allein darauf an, ob das Opfer im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet (BGHSt 39, 353, 368; NStZ-RR 2004, 14, 15 f.).
3. Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers genügt es, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 25, 26; NStZ 2005, 688, 689).
4. Zwar besteht grundsätzlich kein Anlass, in Fällen, in denen der Täter einzelne Menschen nacheinander angreift, um sie zu verletzen, diese Vorgänge zu einer Tat zusammenzufassen (vgl. BGHSt 2, 246, 247; 16, 397; BGHR StGB vor § 1/natürliche Handlungseinheit Entschluss, einheitlicher 9, 10; NStZ 2006, 284, 285 f.). Von diesem Grundsatz sind aber Ausnahmen in Fällen enger tatsächlicher Verflechtung der nacheinander vorgenommenen Angriffe auf verschiedene Geschädigte anerkannt (vgl. etwa BGH, Beschl. vom 13. Oktober 2004 – 3 StR 371/04). Überschneiden sich die tatbestandlichen Ausführungshandlungen der Tat ist in jedem Falle Tateinheit gegeben.
Wenn von einem erheblichen Alkoholkonsum des Angeklagten auszugehen ist, bedarf der Ausschluss einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit aussagekräftiger psychodiagnostischer Beweisanzeichen. Als solche sind nur Umstände in Betracht zu ziehen, die Hinweise darauf geben können, dass das Steuerungsvermögen des Täters trotz der erheblichen Alkoholisierung nicht in erheblichem Maße beeinträchtigt gewesen ist (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 35). Die Erzwingung von Geschlechtsverkehr als solche zählt nicht zu derartigen Umständen.
1. Der freiwillige Verzicht auf eine ohne weitere Zäsur als noch möglich erkannte Tatbestandsverwirklichung genügt zum strafbefreienden Rücktritt vom unbeendeten - dann nicht etwa fehlgeschlagenen - Versuch selbst dann, wenn die nicht umgesetzte weitere Handlungsmöglichkeit über den ursprünglichen Tatplan hinausgeht.
2. Für den Versuch des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB) gilt insoweit nichts anderes. Auch hier ist ein strafbefreiender Rücktritt möglich, wenn der Täter seine Aufforderung zur Vornahme sexueller Handlungen unter Ausnutzung seiner vom Tatopfer anerkannten Autorität mit größerem Nachdruck hätte wiederholen können.
Der Tatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB ist auch dann erfüllt, wenn das Opfer die über das Internet übermittelten sexuellen Handlungen des Täters zeitgleich am Bildschirm mitverfolgt. (BGHSt)
1. Dem das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB einschränkenden Merkmal der „besonderen Erniedrigung“ kommt in Fällen des Oral- und Analverkehrs regelmäßig keine eigenständige Bedeutung zu, weil sich hierbei der erniedrigende Charakter der sexuellen Handlung im Regelfall von selbst versteht; der Gesetzgeber wollte neben dem Beischlaf als Regelbild besonders schwerer Fälle die orale und anale Penetration erfassen (BGH NJW 2000, 672, 673). Jedenfalls in den Fällen des Anal- und Oralverkehrs ist eine ausdrückliche Erörterung der besonders erniedrigenden Wirkung im tatrichterlichen Urteil entbehrlich (vgl. BGH NStZ 2000, 254, 255).
2. Die geringe Tiefe des Eindringens, dessen kurze Dauer sowie das Ausbleiben eines Samenergusses sind allein nicht geeignet, dem Tatgeschehen die erniedrigende Wirkung für das Tatopfer gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB zu nehmen.
3. Die der Entscheidung BGH NStZ 2001, 369 zugrunde liegende Rechtsauffassung des 4. Strafsenats teilt der 2. Senat weiterhin nicht.
An einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erforderlichen „anderen“ Straftat fehlt es, wenn der Täter das Tatopfer zunächst mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und es anschließend unterlässt, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des überlebenden Opfers einzuleiten, selbst wenn zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil eine zeitliche Zäsur liegt (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 15; BGH StraFo 2007, 123, 124). Der 1. Strafsenat sieht keine durchgreifenden Gründe, um von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
Die Indizwirkung eines Regelbeispiels wie etwa der Gewerbsmäßigkeit des begangenen Betruges kann durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet werden, die für sich allein oder in ihrer Gesamtheit so schwer wiegen, dass die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle unangemessen erscheint (BGH wistra 2008, 474, 476 m.w.N.). Zur Erörterung besteht beim Betrug jedenfalls dann Anlass, wenn die vom Angeklagten erstrebte Bereicherung und der Schaden in einer Reihe von Fällen unter 100 €, teilweise sogar unter 50 € liegen und eine Vielzahl weiterer, auch gewichtiger Strafmilderungsgründe aufzuführen sind.
1. Die Nichtanwendung des Regelstrafrahmens des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB begegnet nur dann keinen rechtlichen 4Bedenken, wenn gewichtige Milderungsgründe vorliegen.
2. Bei sexuellen Nötigung ist es strafschärfend zu berücksichtigen, wenn sich drei Täter am Opfer vergangen haben, während das Regelbeispiel in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB schon beim Zusammenwirken zweier Beteiligter verwirklicht ist. Gleiches gilt für die lange Dauer der Ausführung der das Opfer schwer belastenden Tat sowie die dementsprechenden nachhaltigen Tatfolgen.
3. Es ist Sache des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von Tat und Täter gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht bestimmte Strafzumessungsfaktoren oder rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht lässt oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (BGHSt 29, 319, 320). All dies gilt namentlich auch für die Strafrahmenwahl.
4. Die Entscheidung über die Annahme eines minder schweren Falles und - entsprechend - über das Absehen von der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 StGB ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu treffen, die alle Umstände einzubeziehen hat, die für die Wertung der Tat und des Täters bedeutsam sind, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGH, Urt. vom 30. Oktober 2008 - 3 StR 275/08; BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall, Gesamtwürdigung 8). Hierbei ist eine Bewertung nur des engeren Tatgeschehens unzulässig (BGH, BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall, Gesamtwürdigung 5; Gesamtwürdigung, unvollständige 10). Einen durchgreifenden Rechtsfehler stellt es dar, wenn der Tatrichter bei der Strafrahmenwahl einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt (vgl. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) erkennbar außer Betracht lässt.
Nehmen Diebe bei der Tatausführung mehrere Sachen eines oder verschiedener Eigentümer weg, liegt regelmäßig nur ein Diebstahl vor (vgl. BGHSt 22, 350, 351). Dasselbe gilt, wenn sie nur eine Sache wegnehmen und die Wegnahme weiterer Sachen versuchen.
Eine Nötigung mit Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfordert regelmäßig, dass der Täter durch eigene Kraftentfaltung das Opfer einem körperlich wirksamen Zwang aussetzt, um damit geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden.
1. Zwar kann im Einzelfall offen bleiben, welchem der sich teilweise überschneidenden Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB ein die Schuldfähigkeit beeinträchtigender psychischer Zustand zuzurechnen ist. Dann muss jedoch zumindest feststehen, dass der Zustand einem der Merkmale unterfällt und dass deswegen die Schuldfähigkeit aufgehoben oder erheblich vermindert ist.
2. Bei Kindstötungen im Sinne des § 217 StGB a.F. kommt eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine schon unabhängig hiervon bestehenden geistig-seelischen Beeinträchtigungen festzustellen sind.
Dass die nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eindeutig sexualbezogene Handlung vorrangig dazu dient, das Opfer zu verletzen, steht der Annahme einer sexuellen Handlung nicht entgegen.
Der für die Tenorierung maßgebliche Begriff der Vergewaltigung umfasst nur die in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB genannten eigenen sexuellen Handlungen (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Mittäter 1; BGH, Beschluss vom 21. Mai 2008 2 - 2 StR 162/08; vgl. auch Fischer StGB 56. Aufl. § 177 Rdn. 75 m.w.N.).