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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2008
9. Jahrgang
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Von Regierungsdirektor Dr. Stefan Sinner, Berlin *
Die zu besprechende Entscheidung des Bundesgerichtshofs fügt für den Problembereich der Aufgabenprivatisierung im Bereich der öffentlichen Verwaltung weitere Facetten in den ohnehin recht schillernden Amtsträgerbegriff (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB) ein. Diese sind genauer unter die Lupe zu nehmen. Zudem klärt das Urteil die Anforderungen an die von § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) vorausgesetzte Wettbewerbslage für den Fall, dass ein Täter Scheinrechnungen gegenüber einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft ausstellt und einreicht.
Der Angeklagte B war seit 1996 bei der H-GmbH, einem kommunalen Wohnungsunternehmen, als technischer Bestandsbetreuer für die Unterhaltung des Wohnungsbestandes verantwortlich und hatte Renovierungs- und Reparaturarbeiten zu vergeben. Die Stadt Hannover hielt fast 90 % der Gesellschaftsanteile an der H-GmbH, im Übrigen war die Stadtsparkasse Anteilseignerin. Die Stadt Hannover stellte zwölf der 15 Aufsichtsratsmitglieder, deren Amtszeit sich gemäß der Satzung nach der Wahlperiode des Stadtrates bestimmte. Bei den ihr zugewiesenen Geschäften hatte die H-GmbH nach ihrer Satzung den "Grundsatz sozialer Verantwortung für die sozial schwachen Schichten der Bevölkerung" zu beachten. Um den Satzungszweck – "sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung der Bevölkerung Hannovers mit dem Schwerpunkt öffentlich geförderter Wohnungsbau" – zu erfüllen, besaß die Stadt im Tatzeitraum zwischen 1992 und 2002 ein Belegungsrecht an 10.000 Wohnungen von einem von der H-GmbH verwalteten Gesamtbestand von 14.000 Wohnungen, die mit öffentlichen Fördermitteln errichtet worden waren. Daneben hatte die Stadt Hannover Belegungsrechte bei etwa 100 anderen privaten Vermietern oder Wohnungsbaugesellschaften. Soweit die mit einem Belegungsrecht belasteten Wohnungen nicht gegen einen von der Stadtverwaltung ausgebenen Wohnberechtigungsschein vergeben wurden, verwaltete die H-GmbH den Wohnungsbestand nach erwerbswirtschaftlichen Gesichtspunkten unter Beachtung des Mietspiegels, um zur Konsolidierung des Haushalts der Stadt Hannover beizutragen.
Der Angeklagte B war zunächst städtischer Angestellter. Nach Umstrukturierung der H-GmbH wurde er als Bezirksleiter Technik und stellvertretender Geschäftsstellenleiter des Stadtbereichs S. nach einem Haustarif bezahlt. Aus privater Geldnot vereinbarte er ab 1999 mit dem ihm bekannten Angeklagten G, einem Malermeister, Rechnungen über tatsächlich nicht erbrachte Werkleistungen bei der Kasse der H-GmbH einzureichen, um anschließend den ausgezahlten Werklohn unter sich aufzuteilen. Der Angeklagte B gab insgesamt 89 von G ausgestellte Scheinrechnungen zur Kasse, nachdem er diese abgezeichnet und die erforderliche Unterschrift eines weiteren Mitarbeiters eingeholt hatte, von dem er wusste, dass er als Vertreter des eigentlich zuständigen, aber verhinderten Kollegen die Rechnung nicht sachlich prüfen konnte. Auf die gleiche Weise erhielt der Angeklagte B von den Mitangeklagten D und W elf bzw. acht Scheinrechnungen, deren Beträge sich die Angeklagten nach Auszahlung durch die H-GmbH teilten. Insgesamt verursachte der Angeklagte B einen Schaden von 440.000 Euro zu Lasten der H-GmbH.
Der Bundesgerichtshof hat die landgerichtliche Verurteilung der Angeklagten wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr aufgehoben. Seine Ausführungen zu § 299 StGB können nur als kreuzvernünftig bezeichnet werden. Dass die Tatbestandsmerkmale "Bevorzugung" und "Wettbewerb" mindestens zwei Konkurrenten voraussetzen, von denen einer, nämlich der Vorteilsgeber oder ein von diesem bestimmter Dritter, nach der mit dem Bestochenen getroffenen Unrechtsvereinbarung gegenüber dem Mitbewerber besser gestellt werden soll, [1] ergibt sich schon aus dem Rechtsgut des § 299 StGB. Die Vorschrift schützt das Allgemeininteresse an einem freien und lauteren (fairen) Wettbewerb [2] und damit ein abstraktes, bestimmte Vorstellungen über eine funktionierende Marktwirtschaft aufnehmendes Rechtsgut. Primär schützt § 299 StGB die Chancengleichheit sowie das Vermögensinteresse der inländischen und ausländischen Mitbewerber, vor denen sich der Vorteilsgeber einen Vorsprung verschaffen möchte, sekundär auch den Geschäftsherrn vor Benachteiligung [3] sowie die Allgemeinheit vor einem Preisanstieg, Erhalt schlechter Ware oder unrichtiger Beratung. [4] Der benachteiligte Mitbewerber muss nicht der Person nach bestimmt sein, solange nur feststeht, dass es überhaupt wenigstens einen Konkurrenten gibt. [5]
Dass eine (lautere) Wettbewerbslage, die durch die Handlungen der Angeklagten hätte gefährdet werden können, zu keiner Zeit bestand, liegt hier auf der Hand, denn es sollten gar keine Werkleistungen erbracht werden. Die "Geschäftsbeziehung" der Angeklagten bestand allein in deren Vortäuschung durch die Ausstellung fingierter Rechnungen. Eine Wettbewerbssituation, in der der Angeklagte B die Mitangeklagten gegenüber Angeboten anderer Handwerker hätte bevorzugen können, war damit aber von vornherein ausgeschlossen.
Mit dieser Argumentation unterstreicht das Urteil zugleich, dass die Strafbarkeit aus § 299 StGB – zumindest nach gegenwärtiger Rechtslage [6] – nicht an einen Pflichtverstoß gegenüber dem Geschäftsherrn – hier also des B gegenüber der H-GmbH – anknüpft, sondern dass es auf eine sachwidrige Beeinflussung geschäftlicher Entscheidungen im Wettbewerb durch die im Rahmen der Unrechtsbeziehung ausgetauschten Vorteile ankommt. Nur konsequent ist es deshalb, dass der Senat in den Fällen, in denen der Angeklagte W davon ausging, weitere tatsächlich zu erfüllende Werkaufträge nur dann zu erhalten, wenn er dem Angeklagten B das Ausstellen der Scheinrechnungen zusagte, gleichfalls keine Strafbarkeit aus § 299 StGB annimmt. [7] Ein "Fordern" der fingierten Rechnungen, das "Sichversprechenlassen" durch Entgegennahme der Zusage und das "Annehmen" bei Aufteilung des Taterlöses reichen für die Erfüllung der spezifischen Merkmale des § 299 StGB nicht aus, denn eine zustande gekommene oder zumindest erstrebte Unrechtsvereinbarung lässt sich hierin gerade nicht erkennen. Insoweit ist den Feststellungen in der Tat nur zu entnehmen, dass der Angeklagte B den Angeklagten W zum Nutznießer von Betrugs- und Untreuehandlungen machen wollte. Eine solche Motivlage – neben der Täterschaft des Angeklagten B ohne strafrechtsdogmatische Bedeutung, sondern allenfalls von Strafzumessungsrelevanz – erfüllt nicht die Voraussetzungen einer Unrechtsvereinbarung im Sinne des § 299 StGB und der §§ 331 ff. StGB.
Durch klare Begriffsbestimmungen und gründliche Auswertung des vom Landgericht festgestellten Sachverhalts gelangt der Senat zu einem Ergebnis, das über den entschiedenen Einzelfall hinaus zur Konturierung des § 299 StGB beiträgt.
Mit der Feststellung, der Angeklagte B habe den Angeklagten W zum Nutznießer von Betrugs- und Untreuehandlungen machen wollen, benennt der Senat zutreffend den Unrechtskern der Handlungen. Die Täuschung des Kassenmitarbeiters und die pflichtwidrige Einreichung der von den mit dem Angeklagten B kollusiv zusammenwirkenden Mitangeklagten ausgestellten Rechnungen bilden das strafwürdige Unrecht. Gegen die Bejahung
eines Irrtums des Angestellten der H-GmbH und des Kassenmitarbeiters, die – zumindest in der Form des sachgedanklichen Mitbewusstseins – davon ausgingen, dass es sich bei den vom Angeklagten B eingereichten Rechnungen um begründete, also nicht bloß um Scheinrechnungen handelte, ist nichts zu erinnern. [8] Auch die Annahme von Tateinheit zwischen Betrug und Untreue ist mit der Erwägung wohlbegründet, dass der Angeklagte B schon bei Vornahme der Täuschungshandlungen in einem Treueverhältnis zur H-GmbH stand und der Tat deshalb ein zusätzlicher Unrechtsgehalt zukam. Gleiches gilt für die Annahme von Tatmehrheit hinsichtlich der Einreichung von 108 Scheinrechnungen, die der Angeklagte B einzeln bei der Kasse der H-GmbH einreichte. [9]
1. Den Schwerpunkt der Entscheidungsgründe bilden die Ausführungen zu § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB. Die Staatsanwaltschaft hatte mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision eine Verurteilung der Angeklagten wegen Bestechung bzw. Bestechlichkeit eines Amtsträgers nach §§ 332, 334 StGB erstrebt, die im Übrigen wegen des Vorrangs und der Exklusivität der Amtsdelikte auch die Anwendung des § 299 StGB ausgeschlossen hätte. [10] Hierfür wäre allerdings die Bejahung der Amtsträgereigenschaft des B Voraussetzung gewesen, die wiederum maßgeblich an die Beantwortung der Frage anknüpft, ob die H-GmbH eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Die Revision der Staatsanwaltschaft blieb ohne Erfolg, was der Senat in drei Schritten begründet:
a) Der Senat referiert zunächst die an die Amtsträgereigenschaft zu stellenden Anforderungen gem. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB. Hiernach ist Amtsträger, wer dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen, und zwar unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform. Der erste Teil der Definition knüpft dabei an den "Amtsträger im strafrechtlichen Sinne" des § 359 StGB aF an; der zweite Teil geht auf das Korruptionsbekämpfungsgesetz (KorrBekG vom 13. August 1997 [11]) zurück und sollte der "Abwahl des Strafrechts" [12] entgegenwirken. Weil es sich bei der H-GmbH nicht um eine Behörde handelt, kommt nur die Tatbestandsvariante der "sonstigen Stelle" in Betracht. Das sind behördenähnliche Institutionen, die zwar keine Behörden, aber rechtlich befugt sind, bei der Ausführung von Gesetzen und bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben mitzuwirken. [13] Auch als juristische Personen des Privatrechts organisierte Einrichtungen und Unternehmen der öffentlichen Hand können "sonstige Stellen" sein, allerdings nur, wenn sie derart staatlicher bzw. kommunaler Steuerung unterliegen, dass sie bei einer Gesamtbewertung der sie kennzeichnenden Merkmale als "verlängerter Arm" des Staates erscheinen. [14] Wie lang allerdings dieser verlängerte Arm des Staates ist, ist eine Wertungsfrage, deren Beantwortung zudem von außer(straf)rechtlichen Strukturentscheidungen abhängt. Das entsprechende Vorverständnis fließt – zumindest implizit – auch in die Schlüsse des Senats für den Fall der H-GmbH ein.
b) Der Senat stellt zunächst fest, die Wohnungsfürsorge sei eine öffentliche Aufgabe, deren Erfüllung einem Hoheitsträger zugewiesen sei. Diese Aufgabe nehme die Stadtverwaltung wahr, indem sie an sozial schwache Bürger Berechtigungsscheine vergebe und Wohnungen mit einem Belegungsrecht belaste. In diese Verwaltungsvorgänge sei die H-GmbH aber nicht eingebunden, vielmehr stelle sie nur Teile ihres Wohnungsbestandes für den Begünstigtenkreis zur Verfügung. Daher unterscheide sich das Handeln der H-GmbH nicht von demjenigen anderer Wohnungseigentümer, deren Wohnungen mit einem entsprechenden Belegungsrecht belastet seien. Auch wenn dies bei der H-GmbH in einer besonders hohen Größenordnung geschehe, weil etwa 70% des Wohnungsbestandes unter das Belegungsrecht der Kommune fallen, ändere das doch nichts an der grundsätzlichen Austauschbarkeit der Leistungen. Dass das angegriffene Urteil keine Ausführungen dazu enthalte, ob solche Wohnungen einer besonderen kommunalen oder staatlichen Förderung unterliegen, begründe keinen zu seiner Aufhebung nötigenden Mangel. Maßgeblich sei vor allem der Umstand, dass die Bereitstellung der Wohnungen durch die H-GmbH keine der staatlichen Sphäre zugeordnete Leistung sei. [15] Sie könne durch gleichwertige Leistungen anderer Wohnungseigentümer ersetzt werden, was dem Handeln der H-GmbH den hoheitlichen Charakter nehme. Hier bestünden Belegungsrechte bei etwa 100 anderen Wohnungsinhabern. Daher handele es sich nicht um ein für die Erledigung hoheitlicher Aufgaben typisches Aufgabenfeld der Staatsverwaltung, das lediglich in privatrechtlicher Organisationsform abgewickelt werde. Weil für die Stadt Hannover ein Markt für die Wohnraumversorgung eröffnet sei, fehle der spezifisch öffentlich-rechtliche Bezug, der eine Gleichstellung mit behördlichem Handeln rechtfertige. Vielmehr verschaffe sich die Kommune in Erfüllung ihrer Sozialverpflichtung Wohnungen, wobei sie unter mehreren Wohnungsanbietern wählen könne. Auch eine Gesellschaft in alleiniger städtischer Inhaberschaft stelle letztlich nur einen weiteren Wettbewerber auf einem Markt dar, der vom Staat eröffnet worden sei und sich um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildet habe. [16]
c) Die in der Satzung niedergelegte soziale Zielsetzung der H-GmbH rechtfertige kein anderes Ergebnis, weil diese erwerbswirtschaftlich tätig sei und erhebliche Gewinne erziele. Diese Faktoren minderten – obwohl eine Gewinnerzielungsabsicht und tatsächlich erzielte Gewinne einer Qualifizierung als öffentliche Aufgabe nicht entgegenstünden [17] – die soziale Zweckbindung. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung komme der sozialen Zielstellung alleine deshalb keine besondere Bedeutung zu, weil die H-GmbH tatsächlich beträchtliche Gewinne erwirtschaftet habe.
d) Zudem werde die GmbH von der Bevölkerung auch nicht als verlängerter Arm des Staates wahrgenommen. Sie trete auf dem Markt werbend auf und handle wie jeder andere private Wohnungsanbieter. Schützten die Amtsdelikte das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität von Trägern staatlicher Institutionen und werde das privatrechtlich strukturierte Unternehmen nicht als Teil der Staatsverwaltung angesehen, weil eine Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht mehr deutlich werde, so verliere sich auch im Korruptionsfall das Bedürfnis nach einer Ahndung gem. §§ 331 ff. StGB. [18]
2. Die Ausführungen des Senats sind im Folgenden methodenkritisch zu betrachten. Dabei wird sich zeigen, dass die zugrunde gelegten Kriterien zwar im konkreten Fall zu einem plausiblen Ergebnis geführt haben mögen. Es stellt sich aber die Frage, ob sie auch einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben können, wenn das gefundene Ergebnis auf Wertungen beruht, die für alle drei Begründungsbestandteile angreifbar sind.
a) Das Argument, die H-GmbH handele in Gewinnerzielungsabsicht, weil die Stadt Hannover Gewinnerwartungen in Höhe von 4 % des Eigenkapitals der Gesellschaft zum Zwecke der Haushaltssanierung in ihre Etatplanung einstelle, widerspricht der durchaus erwähnten Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, wonach eine solche Absicht oder ein tatsächlicher Gewinn gerade nicht der Einordnung als öffentliche Aufgabe entgegenstehe. [19] Der Senat setzt sich indes – außer dem relativierenden Hinweis, es handele sich nur um einen Gesichtspunkt innerhalb einer Gesamtbetrachtung [20] – nicht mit dieser Auffassung auseinander, sondern wiederholt lediglich die bereits getroffene Feststellung, die H-GmbH habe tatsächlich beträchtliche Gewinne erwirtschaftet.
b) Die Begründung, die H-GmbH werde nicht als verlängerter Arm des Staates wahrgenommen, weil der Bevölkerung eine Erfüllung öffentlicher Aufgaben nicht mehr deutlich werde, so dass sich das Bedürfnis nach einer Ahndung gem. §§ 331 ff. StGB verliere, erweist sich ebenfalls als kaum tragfähig. Wie die Bevölkerung tatsächlich über den Allgemeinheitsbezug des öffentlichen Wohnungsbaus denkt, war nicht Gegenstand empirischer Erhebungen des Senats, sondern beruht auf einer Plausibilitätserwägung. Diese könnte auch der Wandlung unterliegen und das genaue Gegenteil ergeben. Die bloß vermutete Wahrnehmung einer Mehrheit in der Bevölkerung [21] wird aber sogleich in eine rechtliche Wertung umgemünzt, wenn das Bedürfnis nach Bestrafung wegen Bestechungsdelikten angesichts des durch diese geschützten Rechtsguts entfallen soll, weil der Bezug der Tätigkeit der H-GmbH zu einer öffentlichen Aufgabe nicht mehr deutlich werde. Der Senat liest also aus dem ohnehin problematischen Rechtsgut der §§ 331 ff. StGB [22] heraus, was im Rahmen einer Auseinandersetzung mit dem Amtsträgerbegriff erst zu begründen und dann den weiteren Ausführungen zu Grunde zu legen gewesen wäre.
c) Es verbleibt das dritte Argument, bei der H-GmbH handele es sich um einen von insgesamt über 100 Anbietern, so dass ein Bezug der Aufgabe zur staatlichen Sphäre nicht mehr zu erkennen sei. Auch hierbei handelt es sich um ein Einzelfallargument, das nur besagt, dass jedenfalls bei 100 Konkurrenten auf dem Sozialwohnungsmarkt kein Bezug zur staatlichen Sphäre mehr zu erkennen sei. Wann allerdings in diesem Zusammenhang Quantität in Qualität umschlagen könnte (zwei Konkurrenten, zehn oder 50?), so dass die Aufgabe doch der staatlichen Sphäre zuzuordnen wäre, bleibt bei dieser Argumentationsweise offen.
d) Wie stark das Ergebnis von außer(straf)rechtlichen Wertungen und Vorverständnissen abhängt, zeigt nicht zuletzt auch die Bezugnahme auf eine ältere Entscheidung, die vor der Änderung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB ergangen ist. [23] Hier hatte der Bundesgerichtshof die Amtsträgereigenschaft des Geschäftsführers einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft zwar abgelehnt, aber zugleich ausgeführt, es könne Ausnahmefälle geben, in denen der Bürger zur Befriedigung grundlegender Lebensbedürfnisse ohne Ausweichmöglichkeiten auf die Leistungen einer von einer öffentlichrechtlichen Körperschaft in privatrechtlicher Form organisierten Einrichtung angewiesen sei. Das Kriterium der Angewiesenheit ist aber wiederum nur durch eine Wertung jenseits strafrechtlicher Kategorien zu bestimmen, deren Maßstäbe alles andere als klar sind und dem gesellschaftlichen und politischen Wandel unterliegen.
3. Die Entscheidungsgründe zu § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB verdeutlichen erneut, wie schwer es für das Strafrecht ist, außerstrafrechtliche Entwicklungen und Wertungen abzubilden, die zumindest bislang von einem Rückzug des Staates und dem Glauben an die Kräfte des Marktes gekennzeichnet waren. Was eine "öffentliche Aufgabe" ist bzw. sein soll, bildet zum einen nicht weniger als den Gegenstand eines eigenen Rechtsgebiets, nämlich des Verwaltungsrechts mit seinen Bezügen zum
Verfassungsrecht. Es ist zum anderen aber auch eine gesellschaftspolitische Entscheidung, was als öffentliche Aufgabe, also als Gegenstand allgemeinen Interesses angesehen wird. Strafrechtsprechung und Strafrechtswissenschaft haben zwei Möglichkeiten, mit der Verwaltungs- und Politikakzessorietät der strafrechtlichen Begriffsbildung umzugehen: Entweder vollziehen sie die andernorts getroffenen Entscheidungen unkritisch nach oder sie bemühen sich darum, faktischen Entwicklungen rechtliche Kategorien entgegenzuhalten. Diese wären daraus abzuleiten, welche Aufgaben der Staat im Allgemeininteresse zu erfüllen hat, so dass er sich ein Unterlassen dieser Verpflichtung als Rechtsverletzung zurechnen lassen muss. Handeln Personen in diesem Bereich für den Staat, so handeln sie – wenn auch die weiteren Voraussetzungen vorliegen – als Amtsträger i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB, auf den sich die Amtsdelikte im Besonderen Teil des StGB beziehen.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs hat sich nicht zwischen diesen beiden Möglichkeiten entschieden, sondern eine weitere Einzelfallentscheidung getroffen, die einen Mittelweg zwischen der Betrachtung tatsächlicher Gegebenheiten und der rechtlichen Wertung sucht. Obwohl zu erwarten ist, dass dieser Entscheidung noch viele weitere folgen werden, bleibt zu hoffen, dass eine Konkretisierung des Begriffs der öffentlichen Aufgabe im Zusammenhang mit dem Amtsträgerbegriff gelingt. Eine solche Begriffsbestimmung wird für den Bereich der Aufgabenprivatisierung wohl nur gelingen, wenn das Spezifikum öffentlich-rechtlichen Handelns herausgearbeitet wird. Dass die in diesem Bereich tätigen Personen auch im Rechtssinne sicher sein können, ob sie als Amtsträger oder Private handeln, dient nicht allein der Unterscheidung zwischen § 299 StGB und §§ 331 ff. StGB. Es ist vielmehr auch ein Gebot des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB), der sich über die Strafvorschriften der §§ 331 ff. StGB auch auf § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB und damit in den Allgemeinen Teil des StGB erstreckt.
* Der Autor ist Referent im Sekretariat des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages.
[1] BGH NJW 2007, 2932 = HRRS 2007 Nr. 561.
[2] BGH NJW 2006, 3290, 3298; Fischer, StGB, 55. Aufl. (2008), § 299 Rn. 2; LK/Tiedemann, StGB, 11. Aufl., § 299 Rn. 5 ff. (Rn. 8); NK/Dannecker, StGB, 2. Aufl., § 299 Rn. 4; Schönke/Schröder/Heine, StGB, 27. Aufl., § 299 Rn. 2; Wolters JuS 1998, 1100, 1101.
[3] BGHSt 2, 396, 402; BGH NJW 1983, 1919, 1920; RGSt 48, 291, 293 ff.; RGSt 66, 16, 17; LK/Tiedemann, a.a.O, Rn. 6; NK/Dannecker, a.a.O., Rn. 6.
[4] BGH NJW 1968, 1572, 1574.
[5] NJW 2004, 3129, 3133 = HRRS 2004 Nr. 800; BGH NJW 2003, 2996, 2997.
[6] S. hierzu jedoch § 299 StGB idF des GesE der BReg auf BT-Drucks. 16/6558 (Begründung S. 13 f.); dazu Kienle/Kappel, NJW 2007, 3530, 3534; Rönnau/Golombek ZRP 2007, 193 ff.; s. auch Bürger wistra 2003, 130, 133 f.
[7] BGH NJW 2007, 2932, 2933 = HRRS 2007 Nr. 561.
[8] BGH NJW 2007, 2932, 2933 unter Bezugnahme auf BGH NJW 2007, 782 = HRRS 2007 Nr. 1 und Fischer, a.a.O.,
§ 263 Rn. 35.
[9] BGH NJW 2007, 2932, 2933, unter Bezugnahme auf BGH wistra 1991, 218, 219.
[10] BGH NJW 1997, 3034, 3037; BayObLG NJW 1996, 268, 270 f.; LK/Tiedemann, a.a.O., Rn. 52; a.A. NK/Dannecker, a.a.O., Rn. 90.
[11] BGBl. I S. 2038.
[12] So der zweite Teil des Aufsatztitels von Lenckner ZStW 106 (1994), 502 ff.
[13] BGH NJW 2004, 3129, 3130; BGH NJW 1998, 1874, 1876.
[14] Die Formulierung geht zurück auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf BT-Drucks. 7/550, S. 211; zu seiner Verwendung in st. Rspr. s. etwa BGH NStZ 2007, 211 = HRRS 2006 Nr. 985 ; BGH NJW 2006, 925, 926 = HRRS 2006 Nr. 123 ; BGH NJW 2004, 3129, 3130 = HRRS 2004 Nr. 800 .
[15] BGH NJW 2007, 2932, 2934 (Hervorhebung vom Verf.).
[16] Vgl. auch BGH NJW 2006, 925, 927; hierzu Radtke NStZ 2007, 57 ff.
[17] BGH NJW 2007, 2932, 2934 unter Bezugnahme auf BGH NJW 2004, 3129.
[18] BGH NJW 2007, 2932, 2934.
[19] BGH NJW 2001, 3062, 3064; BGH NJW 2004, 693 f.; BGH NJW 2004, 3129, 3131; für die Kommentarliteratur vgl. nur Schönke/Schröder/Eser, a.a.O., § 11 Rn. 22 mwN.
[20] BGH NJW 2001, 3062, 3064 (Hervorhebung vom Verf.), vgl. auch die Einschätzung von Dölling JR 2008, 171, 172 f.
[21] S. auch die Kritik von Dölling JR 2008, 171, 173; zu einem ähnlichen Argumentationsmuster des OLG Düsseldorf in StraFo 2008, 165, 166, s. Grube StraFo 2008, 167 f.
[22] Dölling JR 2008, 171, 173; zur Gefahr des Zirkelschlusses in der gleich gelagerten Argumentation des OLG Düsseldorf (StraFo 2008, 165, 166) treffend s. Grube StraFo 2008, 167; zum Rechtsgut der §§ 331 ff. s. Kargl ZStW 114 (2002),
763 ff.
[23] BGH NJW 1992, 847, 848.