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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2008
9. Jahrgang
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Von Prof. Dr. Werner Beulke und RA Wiss. Mit. Dr. Felix Ruhmannseder, Univ. Passau
Der vorliegende Beschluss des OLG München vom 22. Januar 2008 betrifft das Strafverfahren gegen eine Lehrkraft an einer bayerischen Freien Waldorfschule wegen Körperverletzung im Amt. Die Entscheidung behandelt im Schwerpunkt die Problematik der Amtsträgereigenschaft eines Lehrers, der an einer privaten Schule tätig ist. Bevor hierauf im Rahmen dieses Beitrags näher eingegangen wird, soll eingangs die Frage nach dem Bestehen eines Züchtigungsrechts von Lehrern behandelt werden. Sofern dies nämlich zu bejahen wäre, würde eine Körperverletzung und damit auch eine solche im Amt nach § 340 StGB ausscheiden.
Die Züchtigung von Schülern als Erziehungsmethode hat eine lange Tradition. Das Züchtigungsrecht von Lehrern wandelte sich in seiner konkreten Ausgestaltung im Laufe der Zeit immer wieder. Dabei orientierte es sich, ebenso wie das der Eltern, an der jeweiligen gesellschaftlichen und rechtlichen Einstellung, weshalb es mehr und
mehr an Stärke verlor. Während das Züchtigungsrecht der Eltern spätestens im Jahre 2000 deutlich eingeschränkt wurde[1], kamen Zweifel an der Legitimation des Züchtigungsrechts der Lehrer deutlich früher auf.
Rechtsprechung und Literatur sind allerdings lange Zeit vor der Kodifikation des BGB und auch noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein von dem Bestehen eines Züchtigungsrechts ausgegangen[2]. So wurde noch in den 1970er Jahren ein Züchtigungsrecht von Lehrkörpern überwiegend als erforderlich angesehen, um eine für den Schulunterricht positive Disziplin unter den Schülern gewährleisten zu können. Ungeachtet der Einigkeit über das grundsätzliche Bestehen eines Züchtigungsrechts der Lehrer, existierten allerdings seit jeher unterschiedliche Ansätze zur Begründung bzw. Herleitung dieses Rechts. Anders als beim Erziehungsrecht der Eltern war nämlich keine ausdrückliche Gesetzesgrundlage vorhanden, aus der die Zulässigkeit von körperlichen Züchtigungshandlungen der Lehrer gegenüber ihren Schülern hätte hergeleitet werden können. Einige Rechtswissenschaftler griffen daher als Grundlage auf die im 20. Jahrhundert flächendeckend eingeführten Landesschulgesetze zurück[3], während andere das Züchtigungsrecht der Lehrkraft aus dem Erziehungsrecht des Staates herleiteten[4]. Teilweise wurde die Rechtsgrundlage auch in der (Teil-)Übertragung der elterlichen Gewalt durch die Eltern auf die Lehrer erblickt[5]. Überwiegend war jedoch das Züchtigungsrecht der Lehrer an den Grund- und Hauptschulen (und auch an den weiterführenden Schulen gegenüber entsprechenden Altersstufen) als Gewohnheitsrecht anerkannt[6].
Der hieraus resultierenden Züchtigungsbefugnis waren jedoch gewohnheitsrechtlich Grenzen nach Anlass, Zweck und Maß gesetzt. So waren die vom Lehrer vorgenommenen Züchtigungen durch das ihm grundsätzlich zustehende Züchtigungsrecht lediglich dann gerechtfertigt, wenn im konkreten Fall ein hinreichender Anlass zur Züchtigung bestand und die Lehrkraft in der Absicht richtig verstandener Erziehung gehandelt sowie die rechtlichen Grenzen des Züchtigungsrechts eingehalten hat[7]. Hierzu gehörte, dass die Züchtigung angemessen war. Nach Ansicht des RG[8] deuteten Folgen der Züchtigung, wie z. B. Gehirnerschütterungen, blaue Flecken oder rote Striemen nicht unbedingt auf eine Überschreitung der Angemessenheit hin. Darüber hinaus wurde dem Lehrer zugestanden, auch außerhalb der Schule bzw. Schüler, die eine andere Schule besuchten, für außerschulisches Fehlverhalten zu bestrafen[9]. Diese großzügige Auslegung zugunsten des Lehrers wurde in der Folgezeit allerdings mehr und mehr zurückgenommen.
Gleichwohl wurde zunächst auch vom BGH ein schulisches Züchtigungsrecht anerkannt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung war insoweit jedoch uneinheitlich. So hat etwa der 5. Strafsenat in deutlicher, auf pädagogische Gründe gestützter Ablehnung lediglich eingeräumt, dass "in seltenen Ausnahmefällen eine maßvolle körperliche Züchtigung durch den Lehrer am Platze sein mag"[10]. Diese Einschränkung hat der 2. Strafsenat in einer späteren Entscheidung dagegen fallen gelassen. Das bisher bestehende Gewohnheitsrecht sei nicht durch entgegenwirkende Gewohnheitsrechte aufgehoben oder eingeschränkt worden. Eine einheitliche, das bisherige Gewohnheitsrecht abändernde Auffassung habe sich nicht gebildet. Vielmehr sei eine Entwicklung eingeleitet worden, die zur gewohnheitsrechtlichen Aufhebung des Züchtigungsrechtes führen könne. Von dem Ende einer solchen Entwicklung könne hingegen nicht die Rede sein[11].
In der Folge fielen die gerichtlichen Einzelfallentscheidungen dennoch zunehmend strenger aus[12]. Dies betraf insbesondere die Frage der Verhältnismäßigkeit einer körperlichen Züchtigung durch den Lehrer. Sowohl aus pädagogischer, als auch aus juristischer Sicht kam vermehrte Kritik am Einsatz von Zuchtmitteln in der Schule auf[13]. Die Erkenntnis, dass Züchtigungen die Kreativität eines Kindes hemmen und der Einsatz von Zuchtmitteln durch den Lehrer ein negatives Vorbild bei der Konfliktbewältigung darstellt, setzte sich immer mehr durch[14]. Zahlreiche Bundesländer gingen daher dazu über, die schulische körperliche Züchtigung ausdrücklich durch Gesetz zu verbieten[15], während andere Bundesländer die Untersagung durch Verordnungen und Erlasse herbeigeführt haben. So unter anderem auch Bayern mit der Vorschrift des § 39 Abs. 2 S. 4 ASchO[16]. Zwar wurde durch die entsprechenden Verordnungen und Erlasse das damalige Gewohnheitsrecht nicht unmittelbar beseitigt. Vielmehr traten lediglich innerdienstliche, vor allem disziplinarrechtliche Wirkungen ein. Gleichwohl wurde aufgrund dieser Entwicklung angenommen, dass das gewohnheitsrechtliche Züchtigungsrecht derogiert wurde. Als Folge solcher ministeriellen Anordnungen, die sich in
den einzelnen Bundesländern zumeist schon über längere Zeit zurückverfolgen lassen, werde eine schulische körperliche Züchtigung nämlich tatsächlich nicht mehr praktiziert. Dem entspreche eine Wandlung in der Rechtsüberzeugung. In den Bundesländern habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass körperliche Züchtigung nicht mehr zu den schulischen Erziehungsmaßregeln gehöre. In Bayern ist die körperliche Züchtigung als Ordnungsmaßnahme heute ausdrücklich gesetzlich untersagt [17]. Dies ist allerdings eine schulrechtliche und keine strafrechtliche Regelung.
Auch die Bundesregierung vertritt in Übereinstimmung mit den Kultusministern aller Bundesländer die Auffassung, dass die körperliche Züchtigung von Schülern durch Lehrer nach heutigen pädagogischen und psychologischen Erkenntnissen kein geeignetes Erziehungsmittel mehr darstellt. Ferner haben die Kultusministerien der Länder darauf hingewiesen, dass die körperliche Züchtigung durch den Lehrer weder als Disziplinarstrafe noch allgemein als pädagogische Maßnahme vertretbar erscheint und als ein unzulässiges und überholtes Erziehungsmittel betrachtet werden müsse [18]. Aufgrund dessen wird gegenwärtig im Schrifttum[19] aber auch in der Rechtsprechung[20] ganz überwiegend davon ausgegangen, dass ein Züchtigungsrecht des Lehrers gegenüber seinen Schülern nicht mehr besteht. Letztmals wurde ein Züchtigungsrecht in der Judikatur – soweit ersichtlich – im Jahre 1978 vom BayObLG gegenüber Volksschülern anerkannt[21]. Diese Rechtsprechung hat das OLG München nunmehr konkludent aufgegeben, denn es setzt sich in der vorliegenden Entscheidung mit der Anerkennung eines Züchtigungsrechts des betroffenen Lehrers nicht auseinander, sondern problematisiert lediglich die Amtsträgereigenschaft der Lehrkraft. Vor dem Hintergrund der Eindeutigkeit des Schulrechts ist dem im Ergebnis zuzustimmen. Zwar kann sich ein im Strafrecht anerkannter Rechtfertigungsgrund in Ausnahmefällen auch vom Schulrecht abkoppeln. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung spricht aber doch entscheidend gegen ein "generelles Züchtigungsrecht des Lehrers", auch sofern es um Grund- und Hauptschüler geht. Das schließt allerdings partielle "strafrechtliche Reduktionen" nicht aus, worauf an dieser Stelle aber nicht näher eingegangen werden soll, da die in Frage stehenden Misshandlungen des angeklagten Lehrers im konkreten Fall einer einschränkenden Auslegung nicht zugänglich sind.
Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass ein als Rechtfertigungsgrund verstandenes "Züchtigungsrecht des Lehrers" nach zutreffender herrschender Ansicht heute nicht mehr besteht. Lehrkräfte haben zwar das Recht und die Pflicht zur Erziehung der Schüler. Ihnen stehen aber andere Erziehungsmittel zur Verfügung als die körperliche Züchtigung, nämlich Ordnungsmaßnahmen wie etwa der Verweis, die Mitteilung, Strafarbeiten oder Drohen mit Entlassung aus der Schule. Damit kann hinreichend auf den Willen der Schüler eingewirkt werden[22]. Werden nicht diese pädagogischen Maßnahmen, sondern Gewalt zur Erziehung der Schüler eingesetzt, so läuft der Lehrer Gefahr, sich wegen Körperverletzung nach § 223 StGB oder – sofern er als Amtsträger zu qualifizieren ist – nach § 340 StGB strafbar zu machen.
Begehen Amtsträger Straftaten, so wiegt das besonders schwer, weil sie damit nicht nur allgemeine strafrechtliche Belange verletzen, sondern weil sie durch den Missbrauch ihrer Amtsgewalt auch das Vertrauen der Bürger in die Rechtmäßigkeit der Amtsführung erschüttern. Allerdings gilt dies nur, wenn die Straftat in einem "amtlichen Zusammenhang" steht. Für diese Fälle hat der Gesetzgeber im letzten Abschnitt des Strafgesetzbuches unter der Überschrift "Straftaten im Amt" insbesondere den Tatbestand der "Körperverletzung im Amt" (§ 340 StGB) erlassen. Gemäß § 340 Abs. 1 S. 1 StGB wird "ein Amtsträger, der während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst eine Körperverletzung begeht oder begehen lässt mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft". Damit droht die Vorschrift eine wesentlich schärfere Mindeststrafe an, als § 223 StGB. Bei der Körperverletzung im Amt handelt es sich folglich um einen Qualifikationstatbestand zu § 223 StGB. Die Vorschrift enthält ein sog. unechtes Amtsdelikt[23].
Die Tathandlung des § 340 Abs. 1 StGB besteht darin, dass ein Amtsträger während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst eine Körperverletzung begeht oder begehen lässt. Dabei muss die Körperverletzung mit der Ausübung einer bestimmten Amtshandlung nicht bloß in einer äußeren gelegentlichen Beziehung, sondern in einem inneren Zusammenhang stehen. Demzufolge muss sie durch die Amtshandlung wirklich verursacht oder – was genügt – mindestens veranlasst sein [24] .
Bei einer Lehrkraft an einer öffentlichen Schule wird dies angenommen, wenn er einen Schüler zu Erziehungszwecken körperlich züchtigt[25]. Anders verhält es sich beispielsweise bei der Erteilung einer Ohrfeige an einen Kollegen während der Dienstzeit, jedoch aus privatem Grund. Dieses Verhalten erfüllt den Tatbestand des § 340 StGB von vornherein nicht.
Da Täter des § 340 StGB nur ein Amtsträger sein kann, kommt diesem Begriff zur Beurteilung der Strafbarkeit maßgebliche Bedeutung zu. Den Kreis tauglicher Täter bei Amtsdelikten und solchen Straftatbeständen, bei denen sich die Amtsträgereigenschaft strafmodifizierend auswirkt, legt insbesondere § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB fest.
Lehrer, die an einer öffentlichen Schule Unterricht erteilen, erfüllen regelmäßig die Amtsträgereigenschaft im strafrechtlichen Sinne. Ist der Lehrer nämlich verbeamtet, sind die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB erfüllt. Als Angestellter steht eine Lehrkraft dagegen in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis, was zur Annahme einer Amtsträgereigenschaft nach lit. b der Vorschrift (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) führt.
Fraglich ist hingegen, ob auch Lehrer, die an einer privaten Schule unterrichten, als Amtsträger im Sinne des StGB anzusehen sind. Da Privatschullehrer weder Beamte noch in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehen, könnten sie lediglich Amtsträger aufgrund des § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB sein. Nach dieser Vorschrift ist Amtsträger, wer "sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen."
Als sonstige Stellen i. S. des § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB kommen insbesondere diejenigen Einrichtungen oder Zusammenschlüsse in Betracht, die neben den Behörden, Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts zur Erledigung bestimmter öffentlicher Aufgaben berufen sind[26]. Dabei verliert eine Aufgabe ihren öffentlichen Charakter nicht bereits dadurch, dass für ihre Erledigung eine privatrechtliche Organisationsform gewählt wird[27]. Allein der Umstand, dass eine Schule wie die hier betroffene Freie Waldorfschule K. in privatrechtlicher Form betrieben wird, steht daher der Annahme, der Erfüllung einer Aufgabe von hoheitlicher Natur grundsätzlich nicht entgegen. Wesentliches Kriterium für die Frage, ob eine hoheitliche Aufgabe ausgeübt wird ist vielmehr das tatsächliche Nachordnungsverhältnis[28]. Die als juristische Personen des Privatrechts organisierte Einrichtung muss dabei derart staatlicher Steuerung unterliegen, dass sie bei einer Gesamtbewertung der sie kennzeichnenden Merkmale als "verlängerter Arm" des Staates erscheint[29]. Fraglich ist, ob dies – so wie es die Vorinstanzen angenommen haben – bei der Freien Waldorfschule K. als Privatschule zutrifft.
Ausgangspunkt für die Beantwortung der soeben aufgeworfenen Frage ist Art. 7 Abs. 4 S. 1 GG. Mit dem in dieser Vorschrift gewährleisteten Grundrecht der Privatschulfreiheit ist zugleich eine Garantie der Privatschule als Institution verbunden[30]. Demzufolge räumt das Grundgesetz nicht nur ein subjektiv öffentliches Recht auf Errichtung und Betrieb einer Privatschule ein. Es garantiert darüber hinaus der Privatschule als Institution ihren Bestand und eine ihrer Eigenart entsprechende Verwirklichung[31]. Die Schulfreiheit ist dabei nicht nur auf die Errichtung beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf den Betrieb der Privatschule. Die Privatschule hat demzufolge das Recht, ihren inneren und äußeren Schulbetrieb nach eigenem pädagogischen, religiösen oder weltanschaulichen Leitbild frei zu gestalten. Hiervon wird auch das Recht der Privatschule erfasst, ihre Schüler und Lehrer frei auszuwählen[32]. Demzufolge kann eine Privatschule grundsätzlich jede Person, die ihr geeignet erscheint, als Lehrer beschäftigen. Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit werden allerdings insbesondere durch die Genehmigungsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 GG gesetzt.
Unbeschadet der das gesamte Schulwesen umfassenden Aufsicht des Staates (vgl. Art. 7 Abs. 1 GG) besteht aber
gerade kein öffentliches oder staatliches Schulmonopol. Die Schulaufsicht selbst ist zwar ohne weiteres als hoheitliche Aufgabe zu qualifizieren. Strikt davon zu trennen ist hingegen die Frage, ob darüber hinaus die Erteilung von Unterricht an einer Schule eine hoheitliche Aufgabe darstellt. Diese Frage ist aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit der privaten Schulen grundsätzlich zu verneinen. Es fehlt insoweit nämlich an der (sowohl funktionalen, als auch organisatorischen) Eingliederung in die öffentliche Verwaltung.
Allerdings wird angenommen, dass sog. "Beliehene" als Amtsträger i.S. von § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB anzusehen sind[33]. Unter Beliehenen sind Privatpersonen zu verstehen, die aufgrund eines Beleihungsakts mit der hoheitlichen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen vertraut sind. Ihrem Status nach bleiben sie folglich Privatrechtssubjekte, sind aber funktionell in die Staatsverwaltung einbezogen.
Juristisch werden aber nur die sog. "anerkannten" Privatschulen als Beliehene qualifiziert. Die staatliche Anerkennung von Privatschulen haben alle Bundesländer bis auf Nordrhein-Westfalen in ihren Schulgesetzen geregelt. Mit der Anerkennung erhält eine Ersatzschule das Recht, nach den allgemein für öffentliche Schulen geltenden Regeln Prüfungen abzuhalten und Zeugnisse zu erteilen und damit auch die öffentlich-rechtlichen Zugangsberechtigungen wie die Hochschulreife zu vermitteln[34]. Demzufolge sind öffentlich anerkannte Privatschulen in ihren Befugnissen den öffentlichen Schulen gleichgestellt.
Im Unterschied hierzu wird in der bloßen Genehmigung einer Ersatzschule lediglich festgestellt, dass keine Bedenken gegen die Errichtung der Schule bestehen und dass der Besuch der Schule gegebenenfalls als Erfüllung der Schulpflicht gilt[35]. Privatschulen, die staatlich genehmigt sind, sind daher nicht befugt, Berechtigungen mit öffentlich-rechtlicher Außenwirkung zu erteilen[36]. Aus diesem Grund erhalten Schüler einer "nur" genehmigten Ersatzschule etwa die Zugangsberechtigung zu einer fortbildenden Schule oder Hochschule erst nach einer gleichwertigen Prüfung vor einer staatlichen Prüfungskommission an einer öffentlichen Schule[37]. Den "lediglich" genehmigten Privatschulen wird daher nicht der Status eines Beliehenen zu Teil. Dementsprechend nehmen auch die dort unterrichtenden Lehrkräfte keine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des OLG München wurde der Freien Waldorfschule K. am 15.12.1981 vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus eine Genehmigung als Ersatzschule nach Art. 92 BayEUG erteilt. Dementsprechend ist sie eine private (Ersatz-) Schule mit einem eigenständigen Schulprofil auf der Grundlage der Waldorfpädagogik. Die Lehrinhalte sind nach diesen Grundsätzen, und damit grundsätzlich unabhängig von einem staatlichen Einfluss, ausgerichtet.
Eine staatliche Anerkennung als Ersatzschule, die sich in Bayern nach Art. 100 BayEUG richtet, wurde jedoch gerade nicht erteilt. Aus diesem Grund ist die Freie Waldorfschule im vorliegenden Fall nicht als Beliehene anzusehen. Infolgedessen kann sie auch nicht "als verlängerter Arm des Staates" bezeichnet werden. Damit stellt sich die Erteilung von Unterricht an dieser Privatschule durch ihre angestellten Lehrer auch nicht als Ausübung hoheitlicher Gewalt dar. Die Erteilung der Unterrichtsgenehmigung nach Art. 94 BayEUG durch die Regierung von Schwaben wiederum betrifft lediglich die Frage, ob die einzelnen Lehrer fachlich und pädagogisch geeignet sind, überhaupt Unterricht zu erteilen. Damit soll ausschließlich verhindert werden, dass durch die Verwendung ungeeigneter Lehrkräfte das Leistungsniveau der Privatschule unter das Niveau öffentlicher Schulen sinken würde. Auf diese Weise soll die Allgemeinheit vor unzureichenden Bildungseinrichtungen geschützt werden[38]. Durch die Erteilung einer entsprechenden Genehmigung werden aber keine hoheitlichen Befugnisse übertragen[39]. Vor diesem Hintergrund erfüllen die Lehrkräfte an der Freien Waldorfschule K. die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB nicht. Sie sind damit weder Amtsträger im staatsrechtlichen, noch Amtsträger im strafrechtlichen Sinne. Dies wurde vom OLG München im Ergebnis zutreffend festgestellt.
Dass dieses Ergebnis überzeugt, beweist auch ein Vergleich mit den Kirchen. Anders als die Privatschulen besitzen diese formal sogar den Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts. Kirchen sind aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten religiösen und konfessionellen Neutralitätspflicht des Staates diesem nicht organisatorisch eingegliedert. Da sie der staatlichen Hoheitsgewalt (ebenso wie die privaten Schulen) nicht
unterworfen sind, können die Kirchen und damit auch deren "Beamte" nicht als Teil der staatlichen Verwaltung angesehen werden[40]. Lehrer an privaten Schulen, deren Träger die Kirche ist, erfüllen demzufolge grundsätzlich ebenfalls nicht die Voraussetzungen eines Amtsträgers. Lediglich für den Fall, dass ein Geistlicher bzw. Religionsdiener als Lehrkraft an einer öffentlichen Schule in ein staatliches Beamtenverhältnis berufen wurde, wird völlig zu Recht eine Beamtenstellung im staats- und strafrechtlichen Sinne angenommen[41].
Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die Amtsträgereigenschaft von Lehrern, die an einer privaten, nicht staatlich anerkannten Schule Unterricht erteilen, grundsätzlich verneint werden muss. Dies wird im Übrigen auch in der strafrechtlichen Literatur als so selbstverständlich angesehen, dass die Amtsträgereigenschaft von solchen Privatlehrern dort bislang nicht einmal ansatzweise diskutiert wird[42]. Während die Amtsträgereigenschaft bei Lehrern an öffentlichen Schulen ohne weiteres anzunehmen ist, erfüllen Personen, die an einer Privatschule unterrichten diese Voraussetzungen hierfür nicht. Körperverletzungen, die von Lehrkräften an privaten Schulen im unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit verübt werden, können daher nicht unter den objektiven Tatbestand des § 340 Abs. 1 StGB subsumiert werden. Die strafrechtlichen Konsequenzen beurteilen sich allein am Straftatbestand des § 223 StGB.
[1] Vgl. hierzu Beulke, in: Festschrift für Hanack (1999), S. 539; ders., in: Festschrift für Schreiber (2003), S. 29; Eschelbach, in: Beck’scher Onlinekommentar (BeckOK), StGB, Edition 6 (Stand: 1.6.2008), § 223 Rn. 34.
[2] Ausführlich zur rechtlichen Entwicklung des Züchtigungsrechts BGHSt 6, 263, 265 ff.
[3] Vgl. Bruns JZ 1957, 410, 413 f.
[4] Vgl. RGSt 15, 376, 378; 40, 432, 433; 43, 277, 278 f.
[5] Maurach/Zipf, Strafrecht AT, 5. Aufl. (1977), S. 421 f.
[6] Vgl. nur BGHSt 11, 341, 347; 14, 52; BayObLG NJW 1979, 1371; OLG Schleswig NJW 1956, 1002; OLG Hamm NJW 1956, 1690; Schönke/Schröder-Eser, StGB, 27. Aufl. (2006), § 223 Rn. 17 m.w.N.
[7] BGHSt 11, 241, 257 f.
[8] So etwa RGSt 43, 281.
[9] RGSt 42, 142, 144.
[10] BGHSt 6, 263, 269.
[12] Zur diesbezüglichen Entwicklung Redelberger NJW 1952, 1158.
[13] Vgl. hierzu etwa BGH NJW 1976, 1949; Rüping/Hüsch GA 1979, 1, 6; Göbel, Vom elterlichen Züchtigungsrecht zum Gewaltverbot (2005), S. 73 ff. mit zahlreichen Nachweisen.
[14] Zu den Einzelheiten Jung, Das Züchtigungsrecht des Lehrers (1977), S. 44 ff.
[15] Vgl. Baden-Württemberg: § 89 Abs. 2 Nr. 7 S. 2 SchulG v. 23.3.1976 (GBl.410); ÄndG v. 3.5.1977 (GBl. 133); Berlin: § 55 Abs. 2 S. 2 SchulG i.d.F.v. 17.1.1979 (GVBl. 161; Sb. II 2230-1); Nordrhein-Westfahlen: § 26a Abs. 3 SchVG i.d.F.v. 16.8.1978 (GVBl. 516, 548; SGV NW 223).
[16] In der Fassung vom 7.8.1979 (GVBl. 319).
[17] Vgl. Art. 86 Abs. 3 S. 2 BayEUG. Der ausführliche Wortlaut der Vorschrift ist dem entsprechenden Auszug aus dem Gesetzestext im Anhang zu entnehmen; zu ähnlichen Regelungen in den anderen Bundesländern vgl. die Übersicht bei Lilie, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl. (Stand: 2000), § 223 Rn. 10 Fn. 19.
[18] BT-Drucks. 7/3318, S. 2. Abgesehen davon werden gegen die gewohnheitsrechtliche Züchtigungsbefugnis des Lehrers vor allem verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht. Die körperliche Züchtigung durch den Lehrer greife in das Grundrecht der Schüler auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) ein. Dieser staatliche Eingriff bedürfe gemäß Art. 2 Abs. 3 GG eines Gesetzes. Zwar gehe das BVerfG davon aus, dass auch vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht dem Vorbehalt des Gesetzes entspricht. Wesentliche Entscheidungen des Schulwesens habe der Gesetzgeber nach der Wesentlichkeitsgarantie jedoch selbst zu treffen – so etwa Jeschek/Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. (1996), S. 396; Kühl, Strafrecht AT, 5. Aufl. (2005), § 9 Rn. 80.
[19] Vgl. nur Avenarius/Heckel, Schulrechtskunde, 7. Aufl. (2000), S. 568; Schönke/Schröder-Eser, a.a.O. (Fn. 6), § 223 Rn. 24; Fischer, StGB, 55. Aufl. (2008), § 223 Rn. 19; Jung, a.a.O. (Fn. 14), S. 36 ff.; Niehues/Rux, Schul- und Prüfungsrecht, Band 1 Schulrecht, 4. Aufl. (2006), Rn. 379; Wessels/Beulke, 38. Aufl. (2008), Rn. 390a.
[20] BGH NStZ 1993, 592 für das Bundesland Baden-Württemberg, in dem nach § 90 Abs. 3 S. 2 SchulG Bad.-Württ. die körperliche Züchtigung von Schülern (ebenfalls) ausgeschlossen ist.
[21] Vgl. BayObLG NJW 1979, 1372.
[22] So schon BGHSt 12, 62, 65.
[23] BeckOK/StGB-Eschelbach, a.a.O. (Fn. 1), § 340 Rn. 6.
[24] Statt aller BeckOK/StGB-Eschelbach, a.a.O. (Fn. 1), § 340 Rn. 15.
[25] Vgl. BGH NStZ 1993, 591; Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, a.a.O. (Fn. 6), § 340 Rn. 7a; BeckOK/StGB-Eschelbach, a.a.O. (Fn. 1), § 340 Rn. 15.1.
[26] Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. (2007), § 11 Rn. 8; BeckOK/StGB-Trüg, a.a.O. (Fn. 1), § 11 Rn. 17 m.w.N.
[27] Vgl. BGHSt 50, 299; BGH NStZ 2007, 461; Lemke, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, Band 1, 2. Aufl. (2005), § 11 Rn. 29.
[28] Haft NJW 1995, 1113, 1115; Heinrich, Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht (2001), S. 662.
[29] Vgl. BeckOK/StGB-Trüg, a.a.O. (Fn. 1), § 11 Rn. 17 mit zahlreichen Nachweisen und Beispielen (Rn. 17.1).
[30] Avenarius/Heckel, a.a.O. (Fn. 19), S. 203.
[31] BVerfGE 75, 40, 61 f.
[32] Näher hierzu Avenarius, Einführung in das Schulrecht (2001), S. 61.
[33] Vgl. Heinrich, (Fn. 28), S. 385 f.
[34] Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Stark, GG, Kommentar, Band 1, 5. Aufl. (2005), Art. 7 Rn. 202.
[35] Avenarius/Heckel, (Fn. 19), S. 216.
[36] Oppermann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band VI Freiheitsrechte (1989), S. 339.
[37] Umbach, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Band I (2002), Art. 7 Rn. 191.
[38] Vgl. hierzu BVerfGE 27, 195, 203.
[39] Dementsprechend würde es eine Verkennung der erwähnten Grundsätze darstellen, wenn man in der Genehmigungserteilung eine Bestellung des einzelnen Lehrers zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben sehen würde. Im Übrigen kommt es auf einen förmlichen Bestellakt nach zutreffender und ganz herrschender Auffassung nicht an (vgl. hierzu BGH NStZ 2008, 87, 88 m.w.N.). Ein Bestellakt wird daher auch in Form eines konkludenten Handelns für möglich gehalten. Entscheidend ist ausschließlich, ob eine Person eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Dies ist aus den dargelegten Gründen hier aber gerade nicht der Fall.
[40] Vgl. nur Heinrich, a.a.O. (Fn. 28), S. 662.
[41] Hierzu Radtke, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 1 (2003), § 11 Rn. 22.
[42] Stets werden in der Diskussion um den Amtsträgerbegriff ausschließlich die unterrichtenden Lehrer an öffentlichen Schulen genannt, vgl. nur Heinrich, (Fn. 28), S. 665; Radtke, (Fn. 41), § 11 Rn. 22; Rudolphi/Stein, in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 40. Lieferung, 7. Aufl. (2005), § 11 Rn. 29a.