Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2008
9. Jahrgang
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Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
die Juli-Ausgabe publiziert unter anderem zwei Beiträge, die sich im Schwerpunkt mit dem Amtsträgerbegriff befassen. Beulke/Ruhmannseder gehen anhand einer Entscheidung des OLG München der Frage nach, ob sich Lehrer einer Privatschule gemäß § 340 StGB strafbar machen können. Sinner bespricht in seinem Aufsatz "Aufgabenprivatisierung und Amtsträgerbegriff" eine Entscheidung des 5. Strafsenats, in welcher der Senat die Amtsträgerschaft eines Mitarbeiters eines kommunalen Wohnungsunternehmens ablehnt.
Die Ausgabe umfasst eine ganze Reihe bedeutsamer Entscheidungen des BGH, die für BGHSt vorgesehen sind. Aufgenommen ist auch die Entscheidung des EGMR im Fall Gäfgen, die insbesondere bekräftigt, dass es in Europa keine legitime "Rettungsfolter" geben darf.
Mit freundlichen Grüßen für die Redaktion
Dr. Karsten Gaede, Schriftleiter
1. Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK kann – unabhängig vom Verhalten des Betroffenen – auch zur Rettung von Leben und selbst im Fall eines Notstand für den gesamten Staat nicht gerechtfertigt werden.
2. Wird eine Person unmittelbar und realistisch mit Folter bedroht, stellt dies (wie hier im „Fall Gäfgen“) einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK mindestens in Form der unmenschlichen Behandlung dar.
3. Zu den Bedingungen, in denen im Einzelfall die Opferstellung wegen einer Verletzung des Art. 3 EMRK wegen einer hinreichenden Kompensation durch den verletzenden Vertragsstaat entfallen kann.
4. Nur die Verwertung von Beweismitteln, die unmittelbar unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK erlangt worden sind, führt stets zur Unfairness des Verfahrens, in dem die Beweise verwertet worden sind.
5. Der Verwertung von Beweisen, die mittelbar auf Grund eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK erlangt worden sind, steht eine Vermutung entgegen, dass auch diese Verwertung die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens zerstört. Zu einem Einzelfall, in dem eine solche Fern-
wirkung hinsichtlich mittelbar erlangter Beweismittel insbesondere wegen eines späteren, äußerlich von Reue getragenen weiteren Geständnisses nach einer qualifizierten Belehrung verneint worden ist und in dem diese Beweismittel lediglich ergänzend verwertet worden sind.
1. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen.
2. Für Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist bereits für den Veranlagungszeitraum 1999 ein dem Gesetzgeber zuzurechnendes strukturelles Vollzugsdefizit nicht mehr festzustellen ist, das zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen könnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Januar 2008 - 2 BvR 294/06 -, www.bverfg.de). Dies gilt auch für die nachfolgenden Zeiträume.
3. Art. 103 Abs. 2 GG schützt nicht das Vertrauen darauf, dass eine gesetzliche Anordnung der Steuerpflicht wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nichtig sei. Der Normadressat darf bis zu einer entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. § 31 BVerfGG) grundsätzlich nicht darauf vertrauen, dass ein eindeutiger Normbefehl von Verfassungs wegen gleichwohl keine normative Geltung für ihn entfalte. Genauso wenig ist das Vertrauen darauf geschützt, dass bei der Bewertung ob ein strukturelles Vollzugsdefizit in einem bestimmten Zeitraum vorlag, Umstände (hier das Kontenabrufverfahren) nicht einbezogen werden, die erst nach Abschluss des Veranlagungszeitraumes geschaffen worden sind.
4. Abweichendes mag allenfalls dann anzunehmen sein, wenn durch die Rechtsprechung der mögliche Wortlaut einer Strafnorm insoweit einschränkend ausgelegt wurde, dass eine Änderung der Rechtsprechung sich hier nicht nur als andere tatsächliche Beurteilung darstellen würde, sondern als eine Änderung des strafrechtlichen Unwerturteils insgesamt.
5. Eine Verfassungsbeschwerde gegen einen Revisionsverwerfungsbeschluss mit der Rüge der Verfassungswidrigkeit einer angewendeten Norm kann trotz Nichtvorlage der Revisionsrechtfertigung und der Gegenerklärung des Generalbundesanwalts zulässig sein, wenn sich aus den Gründen der Revisionsentscheidung ergibt, dass der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung genügt hat, die Verfassungswidrigkeit der Norm im Revisionsverfahren ausreichend zu rügen.
Von Verfassungs wegen ergibt sich für einen früheren Mandanten in dem gegen seinen vormaligen Strafverteidiger geführten Strafverfahren kein Zeugnisverweigerungsrecht, wenn Verteidigungsinteressen deswegen nicht mehr berührt sein können, weil der frühere Mandant in dem gegen ihn geführte Strafverfahren verurteilt wurde und dieses rechtskräftig abgeschlossen ist.