Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2008
9. Jahrgang
PDF-Download
1. Die bloße Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft begründet noch keine gegenseitigen Hilfspflichten. Dafür ist vielmehr die Übernahme einer Schutzfunktion gegenüber einem Hilfsbedürftigen aus dieser Gruppe vonnöten (vgl. BGHSt 48, 77, 91; BGH NJW 1987, 850 f.).
2. Eine über die Erfüllung der allgemeinen Hilfspflicht gemäß § 323c StGB hinausgehend übernommene Hilfspflicht begründet eine Garantenstellung jedenfalls dann nicht, wenn sie aufschiebend bedingt für das Eingreifen eines weiteren Hilfswilligen gegeben wurde. War diese Bedingung nicht mehr erfüllbar, ergibt sich aus der einmal zugesagten Hilfe auch keine fortwirkende Pflicht zur Vornahme weiterer Hilfsmaßnahmen.
3. Ein gegen die Rechtsordnung verstoßendes Vorverhalten genügt zur Annahme einer Garantenstellung allein noch nicht, weil es zu vermeiden gilt, durch eine zu weite Ausdehnung der an das vorangegangene Vorverhalten anknüpfenden Handlungspflicht die von der Rechtsordnung – gemäß Art. 2 Abs. 1 GG – geschützte Handlungsfreiheit in größerem Umfang aufzuheben. Zur Annahme einer Garantenstellung ist es deshalb darüber hinausgehend im Sinne einer Eingrenzung erforderlich, dass der Täter durch sein Vorverhalten über die bloße Erfolgsursächlichkeit und Pflichtwidrigkeit hinaus die nahe Gefahr für den Schadenseintritt geschaffen hat (vgl. BGHSt 37, 106, 115 f.; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7), was bei der Missachtung einer Vorschrift angenommen wird, die dem Schutz des betroffenen Rechtsguts dient (vgl. BGHSt aaO). Dazu zählt der Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG i.V.m. § 27 Abs. 1 StGB nicht.
1. Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch ist ausgeschlossen, wenn der Versuch fehlgeschlagen ist. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Täter nach der letzten Ausführungshandlung erkennt, dass seine Tat nicht vollendet und sein Tatplan daher noch nicht verwirklicht ist. Fehlgeschlagen ist der Versuch vielmehr dann, wenn der Erfolgseintritt nach der letzten Ausführungshandlung im unmittelbaren Handlungsfortgang und mit nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr möglich ist und der Täter dies erkennt oder wenn der Täter den Erfolg subjektiv nicht mehr für möglich hält.
2. Für die Feststellung eines Fehlschlags ist auf den Erkenntnishorizont des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung abzustellen. Der ursprüngliche Tatplan spielt nur insoweit eine Rolle, als die Annahme eines Fehlschlags nahe liegt, wenn der Täter nach dem Scheitern seiner bisherigen Bemühungen die Notwendigkeit erkennt, Tathandlung und -ablauf grundlegend zu ändern oder ein ganz anderes als das bisher verwendete Tatmittel einzusetzen.
3. Maßgeblich für die Abgrenzung der Anwendungsbereiche des § 218 StGB einerseits und der Tötungsdelikte andererseits ist der Zeitpunkt, zu dem die auf die Herbeiführung des Erfolgs gerichtete Handlung des Täters auf das ungeborene Leben einwirkt. Erfolgt also eine Einwirkung auf das Kind bereits vor der Geburt, tritt aber der Tod der Leibesfrucht erst nach der Geburt des Kindes ein, so kommt allein eine Strafbarkeit gemäß § 218 StGB in Betracht.
4. Zwar ist der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Fall der Verwirklichung des Abtreibungstatbestands durch die Herbeiführung der Ausstoßung aus dem Mutterleib die Einschränkung zu entnehmen, die Tatbestandsverwirklichung setze hier voraus, dass das Kind in Folge des verfrühten Fruchtabgangs „alsbald“ nach dem Austritt aus dem Mutterleib stirbt (BGHSt 13, 21, 24). Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, dass der Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB nur bis zu dem Zeitpunkt verwirklicht werden könne, zu dem das ungeborene Kind bereits genügend ausgereift ist, um im Falle seiner Ausstoßung aus dem Mutterleib bereits selbständig weiterleben zu können. Vielmehr erfasst der Tatbestand gerade auch diejenigen Fälle, in denen die Einwirkung des Täters auf eine bereits selbständig lebensfähige Leibesfrucht zunächst zu einer Lebendgeburt geführt, das Kind jedoch die Verletzungen, die es durch die auf den verfrühten Abgang gerichteten Handlungen erlitten hatte, nicht überlebt.
5. Der Senat lässt offen, ob an dem Erfordernis eines „alsbaldigen“ Todeseintritts des lebend geborenen Kindes für die Erfüllung des Tatbestands der Abtreibung überhaupt festzuhalten ist.
Bei irriger Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts entfällt der Vorsatz wegen eines Irrtums nach § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB analog (vgl. BGHSt 45, 378, 384).
1. Gemäß § 22 StGB liegt der Versuch einer Straftat vor, sobald der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Dies ist nicht erst dann der Fall, wenn er bereits eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestandes entsprechende Handlung vornimmt oder - bei mehraktigen Delikten - ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Auch eine frühere, vorgelagerte Handlung kann bereits die Strafbarkeit wegen Versuchs begründen. Dies gilt aber nur dann, wenn sie nach der Vorstellung des Täters bei ungestörtem Fortgang ohne Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung unmittelbar einmündet oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang steht.
2. Der Tatrichter darf seinem Urteil ein Geständnis nur zugrunde legen, das er auf Stimmigkeit geprüft hat. Dies gilt insbesondere für das Geständnis eines bis dahin den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten, das abgelegt worden ist, nachdem der Amtsrichter für den Fall weiteren Leugnens die Verweisung an das Landgericht unter dem Gesichtspunkt nicht ausreichender Strafgewalt zur Debatte gestellt hatte.
1. Grundsätzlich kann ein Delikt, das sich über einen gewissen Zeitraum hinzieht, andere Straftaten zu Tateinheit verbinden, die bei isolierter Betrachtung in Tatmehrheit zueinander stünden, wenn es seinerseits mit
jeder dieser Straftaten tateinheitlich zusammentrifft („Klammerwirkung“).
2. Diese Wirkung tritt jedoch dann nicht ein, wenn das Dauerdelikt in seinem strafrechtlichen Unwert, wie er in der Strafandrohung Ausdruck findet, deutlich hinter den während seiner Begehung zusätzlich verwirklichten Gesetzesverstößen zurückbleibt. Denn eine minderschwere Dauerstraftat hat nicht die Kraft, mehrere schwerere Einzeltaten, mit denen sie ihrerseits jeweils tateinheitlich zusammentrifft, zu einer materiellrechtlichen Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen.
1. Grundsätzlich sind mehrere natürliche Handlungen auch mehrere Taten im Rechtssinne. Eine Ausnahme besteht jedoch, wenn mehrere an sich selbständige Betätigungen zeitlich, räumlich und situativ derart miteinander verbunden sind, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise eine einheitliche Handlung bilden. Unter diesen Umständen ist von einer Tat im Rechtssinne auszugehen (BGHR StGB vor § 1/natürliche Handlungseinheit, Entschluss einheitlicher 13).
2. Zwar muss nach der Neuregelung des § 64 StGB die Maßregel nicht mehr zwingend angeordnet werden. Gleichwohl soll auch weiterhin, wenn die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen, nur in besonderen Ausnahmefällen von der Unterbringung abgesehen werden.
1. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung ist nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit (BGHSt 49, 347). Für diese Annahme und die Bewertung der Erheblichkeit der darauf beruhenden Verminderung der Steuerungsfähigkeit bedarf es einer Gesamtschau, ob die Störungen beim Täter sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (BGH NStZ 2006, 154). Es ist bei dieser Gesamtschau rechtsfehlerhaft, eine entsprechende Beeinträchtigung der Gesamtheit des Lebens des Angeklagten ohne weitere Begründung abzulehnen, wenn der im Urteil festgestellte Werdegang des Angeklagten keinen Lebensbereich erkennen lässt, der von einem intakten Sozialverhalten geprägt ist.
2. Auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvermögen gegeneinander abzuwägen und danach seinen Willensentschluss zu bilden (BGH StraFo 2001, 249).
1. Einzelfall der Betrugsstrafbarkeit bei der einvernehmlichen Umgehung einer kommunalen Ablieferungspflicht bezüglich der Nebeneinnahmen eines Bürgermeisters.
2. Ein Dreiecksbetrug ist bei positiver Kenntnis des geschädigten Dritten nicht stets ausgeschlossen. Ein tatsächliches Einverständnis des Geschädigten setzt voraus, dass ihm keine wesentlichen Informationen unbekannt bleiben (hier: Fehldeklaration einer Vergütung als Aufwandsentschädigung).
1. Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen will (st. Rspr.; BGHR StGB § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Gewerbsmäßig 1 m.w.N.). Gewerbsmäßigkeit setzt daher stets – im Unterschied zu den Voraussetzungen des Betrugstatbestandes – eigennütziges Handeln und damit tätereigene Einnahmen voraus.
2. Betrügerisch erlangte Betriebseinnahmen für den Arbeitgeber reichen nur dann aus, wenn diese dem Täter mittelbar – etwa über das Gehalt oder Beteiligung an Betriebsgewinnen – zufließen sollen (BGH NStZ 1998, 622, 623). Liegt die Eigennützigkeit vor, ist bereits die erste Tat als gewerbsmäßig begangen einzustufen, auch wenn es entgegen den ursprünglichen Intentionen des Täters zu weiteren Taten nicht kommt (BGHR aaO).
3. Wenn der Täter nur ein einziges, wenngleich für ihn auskömmliches Betrugsgeschäft plant, fehlt es an der Absicht wiederholter Tatbegehung. Das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit wird nicht schon dann verwirklicht, wenn die vereinbarte Vergütung für ein einziges Geschäft in Teilbeträgen gezahlt werden soll (BGH, Urteil vom 4. April 1989 – 1 StR 87/89).
1. Auch Straftaten, die in wechselnder Beteiligung ohne vorherige Tatplanung spontan aus der Situation heraus begangen werden, kann eine Bandenabrede zugrunde liegen, etwa wenn unter der Tätergruppe eine grundsätzliche Übereinkunft dahin besteht, in Zukunft sich ergebende Gelegenheiten entsprechend auszunutzen.
2. Der Umstand, dass eine Tätergruppe außer den gesetzlich umschriebenen Bandentaten weitere Straftaten anderer Art begeht, steht einer Bandenabrede nicht entgegen, sondern kann im Gegenteil eher ein Indiz für einen bandenmäßigen Zusammenschluss darstellen.
3. Werden in einem relativ kurzen Zeitraum zahlreiche schwere Straftaten begangen, drängt sich das Vorhandensein schädlicher Neigungen auf.
4. Schwere und besonders schwere Brandstiftung sowie schwerer Raub sind Verbrechen, deren Begehung im Regelfall die Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld rechtfertigt.
Eine sexuelle Handlung im Sinne des § 179 Abs. 1 i.V.m. § 184 f Nr. 1 StGB liegt immer dann vor, wenn die Handlung objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist. Ist dies der Fall, kommt es auf die Motivation des Täters nicht an. Es ist deshalb gleichgültig, ob die Handlung etwa aus Wut, Sadismus, Scherz oder Aberglaube vorgenommen wird. Auch eine sexuelle Absicht des Täters ist in diesem Fall - anders als bei äußerlich ambivalenten Handlungen - nicht erforderlich (vgl. BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 6). Auch ein „dummer Jungenstreich“ verdrängt einen objektiv vorhandenen sexuellen Bezug nicht.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es erforderlich, dass zwischen der Entführung eines Opfers und einer beabsichtigten Nötigung ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang derart besteht, dass der Täter das Opfer während der Dauer der Entführung nötigen will (vgl. BGHSt 40, 350, 355, 359) und die abgenötigte Handlung auch während der Dauer der Zwangslage vorgenommen werden soll (BGHR StGB § 239b Entführen 4).
2. Eine vollendete Nötigung liegt bereits dann vor, wenn der Täter mehrere Verhaltensweisen des Opfers erstrebt, aber nur eine davon realisiert wird (BGH bei Dallinger MDR 1972, 386 f.), wobei auch das Erreichen eines Teilerfolges des Täters, der mit Blick auf ein weitergehendes Ziel jedenfalls vorbereitend wirkt, für eine Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) ausreichend sein kann.
3. Ebenso kann eine beliebige Handlung, Duldung oder Unterlassung einen Nötigungserfolg im Sinne des § 239b StGB darstellen (BGH, Beschl. vom 2. Oktober 1996 - 3 StR 378/96). Jedenfalls solche Handlungen des Opfers, die eine nach der Vorstellung des Täters eigenständig bedeutsame Vorstufe des gewollten Enderfolgs darstellen, führen zur Vollendung der mit der qualifizierten Drohung erstrebten Nötigung (BGHR StGB § 239b Nötigungserfolg 1).
Der ärztliche Heileingriff stellt jedenfalls dann eine Körperverletzungshandlung dar, wenn es an einer wirksamen Einwilligung des Patienten bzw. bei minderjährigen Patienten von deren Eltern (Sorgeberechtigten) fehlt. Liegt eine Einwilligung vor, ist diese nur dann wirksam erteilt, sofern der Patient vor dem Eingriff in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist (vgl. BGHSt 16, 309; BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 4 m.w.N.).