HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2008
9. Jahrgang
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Schrifttum

Werner Baumeister : Ehrenmorde - Blutrache und ähnliche Delinquenz in der Praxis bundesdeutscher Strafjustiz; Reihe Kriminologie und Kriminalsoziologie - Band 2, 186 Seiten, Verlag Waxmann, Münster 2007.

Das Thema der Ehrenmorde ist der deutschen Justiz durch Migrationsbewegungen vor allem aus der Türkei zugewachsen. Damit ist - historisch betrachtet - ein Verhalten nach Deutschland zurückgekehrt, das vor dem Ewigen Landfrieden von 1495 in Zeiten schwacher Staatlichkeit auch im heutigen Gebiet Deutschlands verbreitet war (S. 24 f.) und das folglich nicht allein etwa als "Ausprägung des Islam" abgetan werden kann. Durch die Migration ereignen sich unter "deutschen Dächern" fremde Lebenswelten, von denen sich "der typische Deutsche" allenfalls durch die Filme des Hamburger Regisseurs Fatih Akin eine annähernd realistische Vorstellung machen kann. Tiefe Kontakte etwa zu türkischen Familien dürften eher selten bestehen. Die Justiz steht heute vor fremd und archaisch erscheinenden Tatmotivationen, die besonders in ihrer Diskrepanz zum Selbstbestimmungsrecht der Frau allgemein Empörung auslösen. Vor allem für die Anwendung des Mordparagraphen werfen diese Fälle grundsätzliche Fragen auf, die in verschiedenen Formen ihren Weg bis zum Großen Senat für Strafsachen (vgl. BGHSt 30, 105 ff.) und zum Bundesverfassungsgericht gefunden haben (vgl. in diesem Heft BVerfG HRRS 2008 Nr. 159: keine Übertragung des Sorgerechts auf den Vater nach einem unaufgeklärten Ehrenmord an der Mutter). Besonderes Augenmerk gilt hier der Frage, ob und wie abweichende fremde kulturelle Maßstäbe, denen Tatbeteiligte möglicherweise noch verhaftet waren, die Beurteilung nach deutschem Recht mitprägen sollten.

Vor diesem Hintergrund widmet sich die zu besprechende Dissertation von Baumeister den Ehrenmorden und ihrer Aufarbeitung durch die bundesdeutsche Justiz. Baumeister, der als Schwurgerichtsvorsitzender selbst in einer Reihe von Ehrenmordverfahren gewirkt hat, stellt sich die Aufgabe, verfahrensrechtliche Besonderheiten und materiell-rechtliche Probleme der Ehrenmorde zu bearbeiten. Hierbei beschränkt er sich materiell-rechtlich auf die Tötungsdelikte. Sein Hauptanliegen besteht darin, das Phänomen der Ehrenmorde zunächst interdisziplinär zu erklären, bevor die nötige rechtliche Verarbeitung nach Maßgabe der Tötungsdelikte überhaupt einsetzen kann. Denn, wie Baumeister in seiner Einführung schreibt: "Der west- und mitteleuropäisch geschulte Blick fällt primär auf Gesichtspunkte, welche die eigene Kultur vorgegeben hat. Fremdartiges droht deshalb leicht übersehen zu werden oder zum Schaden einer sachgerechten Beurteilung unberücksichtigt zu bleiben." (S. 14).

Nachdem Baumeister zunächst in seiner Einführung (I) Thema und Gang der Arbeit umrissen hat, definiert er insbesondere die für seine Untersuchung wesentlichen Blutrache (II), die den Antrieb zu den Ehrenmorden gibt. Die Blutrache stellt danach einen Brauch dar, nach dem "eine durch Tötung oder auf andere Weise herbeigeführte Ehrverletzung eines Einzelnen oder einer sozialen Einheit[z.B. die Familie](…) nur dadurch beseitigt werden kann, dass ein Mitglied dieser Einheit durch eine der Ehrverletzung angemessene Bluttat, sei es eine Tötung oder eine Körperverletzung, am Täter oder an einem seiner Angehörigen Rache nimmt (…), falls es nicht zu einem Racheverzicht oder einvernehmlichen Sühneausgleich kommt" (S. 19). Dies bringt vor allem zum Ausdruck, dass bei der eigentlichen Blutrache stets ein Bezug zur Familienehre vorhanden ist, dass sich typisch Fa-

milien gegenüberstehen und dass die "Regeln der Blutrache" unabhängig von der staatlichen Sanktionierbarkeit der Anlasstat gelten.

Im nachfolgenden III. Kapitel, dem umfangreichsten der Arbeit (S. 21 - 77), beschreibt Baumeister das Phänomen der Blutrache, das er zunächst in seinen historischen Ursprüngen untersucht (S. 23 ff.). Vor allem wird hier geschildert, welche Bedeutung die (Familien-)Ehre in den Herkunftsländern hat, in denen die Blutrache noch häufig praktiziert wird (S. 46 ff.). Hier wird zum Beispiel erläutert, wie sehr die Blutrache vom Fehlen einer funktionierenden Staatlichkeit und von rauen Lebensbedingungen abhängt, die in den betreffenden Herkunftsländern oft noch heute vorherrschen. So wird neben der Bedeutung als "Ehrenrestitution" auch die abschreckende und damit präventive Bedeutung des Ehrenmordes hervorgehoben (S. 23 f., 33 f., 146). Auch der denkbare, aber praktisch schwierige Ersatz durch einen Sühneausgleich oder eine Verzeihung wird dargestellt. Baumeister vermittelt dem Leser eine Vorstellung davon, wie die animistische Vorstellung eines "Familienblutes" Täter beherrschen kann und wie diese Vorstellung dazu führt, dass die Rache auch an Personen vollzogen werden kann, welche die vermeintlich zu rächende Tat gar nicht selbst begangen haben. Noch Jahre nach der Anlasstat kann eine solche Rache erfolgen (S. 56 ff.). Baumeister zeigt auch, wie sehr die solidarische Zugehörigkeit zur Großfamilie in den Vorstellungen der Migranten auch nach ihrer Migration verwurzelt bleibt und wie sie auch auf Grund von Versäumnissen der Integrationspolitik ("Gastarbeiter") weiter fortgetragen werden kann. Macht man sich all die Unterschiede und wechselseitigen Fremdheiten klar, die in einem Migranten in diesem Kontext wirken, wird deutlich, dass ein Täter mit diesem Migrationshintergrund gleichsam mehrere Jahrhunderte gesellschaftlicher Entwicklung überspringen muss, um dem deutschen Recht genügen zu können. Die zurückgesetzte Rolle der Frau in dem noch weitgehend gelebten Patriarchat wird bei alledem mitsamt seiner "Männerinseln" klar benannt und eingehend beschrieben (S. 26 ff., 52!, 53 ff.). Ebenso wird beschrieben, dass sich gerade (ältere) Frauen für das Festhalten an der Tradition der Blutrache und damit für Ehrenmorde - auch an Frauen - einsetzen (S. 35 ff.).

Baumeister arbeitet aus der berichteten Phänomenologie der Blutrache fünf Typen heraus (S. 43 ff.). Er unterscheidet die klassische Blutrache, bei der sich zwei soziale Einheiten wie etwa Großfamilien gegenüberstehen (Typ A). Als eingeschränkte Blutrache sieht er Fälle, auf denen auf einer Seite die kollektive Komponente fehlt (Typ B/C). Hinzu kommt die Rachetat ohne kollektive Komponente, bei der die Ehre das Motiv bildet, jedoch nur eine blutracheähnliche Tat vorliegt (Typ D). Schließlich grenzt er von diesen Fällen die Bestrafung eines Mitglieds der eigenen sozialen Gemeinschaft wegen Verstoßes gegen eigene interne Normen ab (Typ E).

Baumeister analysiert auch das aus dem Koran abgeleitete islamische Recht (S. 63 ff.). Hiermit zeigt er, dass die Scharia die Blutrache nicht ohne weiteres vorgibt, wohl aber auch nicht abschafft, sondern allein einzugrenzen versucht. Baumeister stellt weiter dar, welche mystischen Glaubensvorstellungen einer ohne Blutrache "keine Ruhe findenden Opferseele" bis heute tradiert sind (S. 71 ff.).

Im IV. Kapitel wird ein Überblick über die demographischen, topographischen, historischen und soziokulturellen Ausgangsbedingungen in der Türkei mit Blick auf die Blutrache gegeben (S. 78 ff.), was angesichts erheblicher Einwanderungszahlen aus diesem Land sinnvoll erscheint. Hier erfährt der Leser, dass die Blutrache auch in der Türkei insbesondere seit Kemal uneingeschränkt strafbar ist und sogar einmal die Zwangsumsiedelung von Familien vorgesehen war, um der Blutrache Herr zu werden. Der Leser erfährt aber auch, dass die Verfolgungs- und Aufklärungsanstrengungen oftmals noch wenig erfolgreich sind. Mehr noch lassen die Darstellungen der Lebensbedingungen insbesondere in Ostanatolien erahnen, welchen anforderungsreichen Quantensprung sich die Personen aussetzen, die - allerdings typisch freiwillig - aus der Türkei in das Leben in Deutschland übersiedeln. Hier wird verständlich, wie nachvollziehbar es ist, in der Fremde den Schulterschluss mit anderen Migranten gleicher Herkunft zu suchen und gemeinsame Traditionen zu pflegen, obwohl diese in der deutschen Lebenswelt kein Pendant finden.

Ein praktisch sehr interessantes "Ausblickskapitel" (V) widmet sich dann dem "Fortbestand der Blutrache-Delinquenz in Deutschland. Baumeister schildert in ihm, dass die Zuwanderung aus Herkunftsländern, in denen die Blutrache noch existiert und nach seiner begründeten Einschätzung Baumeisters auch weiter existieren wird, andauern dürfte. Sie begünstigt damit auch weitere Fälle von Ehrenmorden. Hinsichtlich der Eingewanderten in Deutschland erwartet Baumeister, dass die Zahl drohender Delikte trotz gravierender Integrationshindernisse zumindest abnehmen dürfte: Die für die Tradierung der Blutrache entscheidende Großfamilie werde in Deutschland unter dem Eindruck westlicher Lebens- und Arbeitsbedingungen gerade mit Blick auf die Rolle der Frau verstärkten Auflösungstendenzen unterliegen.

Für die nach dieser Prognose wahrscheinlichen künftigen Strafverfahren wegen Ehrenmorden erörtert der Autor sodann zunächst spezifische prozessuale Fragen jener Verfahren (vgl. Kapitel VII). Baumeister plädiert darin zum Beispiel dafür, dass in Ehrenmordverfahren ethnologische Sachverständige hinzugezogen werden, um die typisch nicht vorhandene eigene Sachkunde des Gerichts auszugleichen. Hinsichtlich der Vereidigung von Zeugen tritt er dafür ein, das Schwören auf den Koran zu gestatten, der - zur Wahrung seiner Reinheit - in ein Tuch eingewickelt bereitgestellt werden sollte. Eindringlich weist Baumeister darauf hin, dass in Fällen von Ehrenmorden ganz regelmäßige besondere und geeignete Sicherheitsmaßnahmen zu erwägen und Aussagen nur schwer zu erlangen sind.

Schließlich kommt Baumeister noch zu den wesentlichen materiell-rechtlichen Fragen der Tötungsdelikte (Kapitel VIII). Er konzentriert sich hier vertretbar auf die Frage nach einer etwaigen Einschränkung der Heimtücke (S. 127 ff.) und auf die Auslegung der "niedrigen Beweggründe" (S. 140 ff.). Zur Heimtücke weist Baumeister eingangs auf den durchaus erstaunlichen Befund hin,

dass eine hinterhältige Tötung nach den tradierten Regeln der Blutrache genau so "ehrenvoll" ist wie eine offene Tötung (S. 128 f.). Er orientiert sich vor allem an dem BGHSt GS 30, 105 ff. zugrunde liegenden Fall und folgt der Auffassung des Großen Senats, der bekanntlich den Bedenken an der Verfassungskonformität der lebenslangen Freiheitsstrafe beim Mord über seine Rechtsfolgenlösung analog § 49 Abs. 1 StGB Rechnung tragen will. Dies hat auch im Licht der alternativen Ansätze im Schrifttum Gründe für sich. Allerdings erstaunt es etwas, dass die hiesige Arbeit nicht mindestens ergänzend in die rechtspolitische Kritik einstimmt, nach der die Tötungsdelikte insbesondere zum Mordparagraphen reformbedürftig sind (vgl. etwa NK-Neumann, StGB, 2. Aufl.[2006], Vor § 211 Rn. 149, 156). Die Rechtsfolgenlösung des BGH, die nur für "außergewöhnliche Fälle" gilt, verhindert nämlich weiter in großem Umfang, dass die kulturellen Besonderheiten bei der Blutrache, für deren Berücksichtigung auch Baumeister eintritt, stets ausgewogen berücksichtigt werden. Wenn nämlich Gründe, die sonst eine Abstufung zu einem minder schweren Fall des Totschlages begründen, die Abkehr vom Mordtatbestand nicht begründen können und damit keine Differenzierung auslösen (so aber BGH NJW 1983, 54 f.), erscheint der status quo alles andere als stimmig. Er nivelliert wesentliche Fallunterschiede.

Kern der materiell-rechtlichen Ausführungen Baumeisters ist sodann das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe. Hier schildert Baumeister eingangs die wechselvolle Rechtsprechung im Anschluss an Saliger (StV 2003, 22 ff.) als eine Entwicklung in drei Phasen: Zunächst seien besondere kulturelle Hintergründe der Tätermotivation nur der subjektiven Tatseite zugeordnet worden, nämlich der Frage, ob der Täter die Niedrigkeit seiner Beweggründe habe erkennen können. Dann sei aber phasenweise eine auch objektive Berücksichtigung der Motivationen und sozialisierten Einstellungen eines "Ehrenmörders" im Rahmen der Gesamtwürdigung zur Prüfung der niedrigen Beweggründe erfolgt (vgl. so insbesondere treffend BGH NJW 1980, 537: " Der ... Gesichtspunkt, daß allgemeine sittliche Wertmaßstäbe anzulegen sind, schließt es nicht aus, daß die individuellen Bedingungen der Tat, zu denen die Bindung des Täters an die besonderen Ehrvorstellungen seines Lebenskreises gehören können, in die Bewertung einbezogen werden und den Ausschlag dafür geben, daß die Beweggründe nicht als niedrig erscheinen." ). Schließlich herrsche heute wieder eine allein subjektive Lösung vor, die eine Blutrache prinzipiell objektiv als niedrigen Beweggrund ansieht. Die besondere Motivation und Sozialisation des Täters wird danach dominierend als Frage des Vorsatzes bzw. der Schuld behandelt (vgl. m.w.N. Saliger StV 2003, 23). Nach dieser heute herrschenden Ansicht schwingt sich der Täter bei der Blutrache typisch zum "Vollstrecker eines von ihm und seiner Familie gefällten Todesurteils über die Rechtsordnung und über ein Menschenleben" auf und handelt demnach in der Regel aus niedrigen Beweggründen (vgl. etwa BGH HRRS 2006 Nr. 219).

Baumeister wendet sich gegen diese herrschende subjektive Sicht, wobei er auf mögliche Differenzierungen nach den von ihm ausgemachten Typen der Ehrenmorde hinweist, die nur teilweise tatsächlich Fälle der familiär erzwungenen Blutrache darstellen. Er macht geltend, dass die Gerichte nur unzureichend nach Vorstellungen gesucht hätten, die eher den Täter beherrscht haben dürften, als dass sie niedrige Beweggründe begründen würden. Er betont die Täterbezogenheit des Mordmerkmals und den Umstand, dass sich in der Regel gerade niemand "zum Vollstrecker aufschwinge", sondern dass der Täter durch die Familie und den Brauch zur Tat bestimmt werde und damit eine schwer auf ihm lastende Pflicht erfülle. Auch anhand von konkreten Beispielen neigt Baumeister so einer objektiven Auffassung zu, die trotz der auch von ihm uneingeschränkt geteilten Maßgeblichkeit der deutschen Wert- und Rechtsvorstellungen niedrige Beweggründe nicht automatisch bejaht: Die bei den niedrigen Beweggründen allgemein erforderliche Gesamtwürdigung müsse konsequent auch bezüglich des Täters bei der Blutrache erfolgen (vgl. auch schon Saliger StV 2003, 23 f.). Darüber hinaus tritt Baumeister mit guten Gründen im Anschluss an Köhler dafür ein, dass stets nur die tatsächlichen Beweggründe und nicht die vom Täter erwarteten Anpassungsleistungen entscheidend sein sollten (S. 150; vgl. aber auch Saliger StV 2003, 24 f.).

Das von Baumeister ermöglichte vertiefte und differenzierte Verständnis der Ehrenmorde macht plausibel, weshalb er die vorschnelle Annahme niedriger Beweggründe seitens der herrschenden Meinung zurückweist. Auch der BGH hat zwischenzeitlich (wieder) die Notwendigkeit anerkannt, bei den Blutrache-Fällen hinsichtlich der beteiligten Täter auch in der objektiven Bewertung unter Umständen zu differenzieren (vgl. BGH HRRS 2006 Nr. 219). Baumeister hat mit seiner Arbeit nun eine wichtige Grundlage dafür gelegt, dass in Zukunft eine differenziertere Diskussion geführt werden kann. Diese ist freilich auch nach der Arbeit von Baumeister noch erforderlich, zumal er mögliche verfassungsrechtliche Einwirkungen gemäß Art. 4 GG (Religions- und Gewissensfreiheit) nicht erörtert bzw. das Problem der hier denkbar anzutreffenden Gewissens- und Überzeugungstäter nicht anschneidet. Auch Auswirkungen auf die Strafzumessung etwa nach § 213 StGB verdienen weitere Überlegungen.

Die Arbeit Baumeisters widmet sich nach alledem lesenswert einem aktuellen Thema, zu dem differenzierende Sichtweisen gerade in Mediendarstellungen schnell verloren gehen. Sie sind in einem rechtsstaatlich differenzierenden Strafrecht aber zu leisten, will man nicht selbst rückschrittlich handeln, um als archaisch identifizierte Handlungsmuster bestmöglich "bekämpfen zu können". Die Leistung des Autors besteht vor allem darin, dass er wohltuend sachlich (siehe auch S. 26) die fremde Sichtweise von Ehre und Familie dargestellt hat, die uns heute so abwegig erscheint, dass wir kaum noch verstehen können, welche Kräfte und Vorstellungen in den Tätern tatsächlich wirken. Mit einer dem Praktiker eigenen exemplarisch-anschaulichen Methode fördert Baumeister dieses Verständnis beträchtlich. Seine Arbeit leistet so besonders einen Beitrag zur Prüfung der niedrigen Beweggründe in Ehrenmordfällen. Eben diese Tötungsdelikte werden die Öffentlichkeit und die Gerichte - so die gut begründete Prognose Baumeisters - auch in den kommenden Jahrzehnten beschäf-

tigen und nur durch verstärkte Integrationsanstrengungen auf allen Seiten abnehmen.

Wiss. Ass. Dr. Karsten Gaede, Bucerius Law School Hamburg

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Wolfram Höfling/Anne Schäfer: Leben und Sterben in Richterhand? Ergebnisse einer bundesweiten Richterbefragung zur Patientenverfügung und Sterbehilfe; Mohr Siebeck, 176 Seiten, 34 €, Tübingen 2006.

1. Das Thema Sterbehilfe ist keines mehr, das allein unter Medizinern und Juristen debattiert wird. Längst hat es alle Kreise unserer Gesellschaft erreicht. Man darf vermuten, dass die breite Öffentlichkeit spätestens durch den in Medien und Politik viel beachteten amerikanischen Fall der Theresa (Terry) Marie Schiavo mit diesem Problem konfrontiert wurde. Es ist darüber hinaus beredt, dass Björn Kern für seinen Roman zur Sterbehilfe-Diskussion "Die Erlöser AG", in dem er die Situation unheilbar Kranker so gefühlvoll und mit so viel Empathie schildert, dass einem fast der Atem stockt, der angesehene Brüder-Grimm-Preis des Jahres 2007 verliehen wurde. So ist es eine wichtige, gesamtgesellschaflich bedeutsame Untersuchung, über die in diesem lesenswerten Buch berichtet wird: Wer entscheidet anhand welcher Kriterien über den Abbruch der Behandlung oder Ernährung bei solchen unheilbar kranken Patienten, die aufgrund ihres Zustandes nicht in der Lage sind, selbst zu entscheiden?

Man sollte meinen, die genannten Fragen ließen sich verhältnismäßig schnell und sicher beantworten. Doch das "Sterbehilferecht" existiert in Deutschland lediglich als Querschnittsmaterie, deren fragmentarische Orientierungslinien sich aus straf-, zivil-, arzt- und verfassungsrechtlichen Regelungen ergeben. Selbst das "Zusammenspiel" der einschlägigen Vorschriften ist unsicher. Zwar sind die Normen des Grundgesetzes selbstverständlich vorrangig. Doch sowohl das Recht auf Leben als auch das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, das im Gebot zur Achtung der Menschenwürde wurzelt, sind verfassungsrechtlich geschützt. Somit bietet nicht einmal die Verfassung eine jedem Einzelfall gerecht werdende, rechtlich verlässliche und vom subjektiven Vorverständnis des Beurteilers unabhängige Orientierung. Unsicher ist ferner das Verhältnis zwischen der strafrechtlichen Sanktionsordnung und dem Zivilrecht, mag insofern auch prinzipiell klar sein, dass die Zivilrechtsordnung nicht erlauben kann, was das Strafrecht verbietet (zutr. BGHZ 154, 205, 215). Aber: In dieser allgemeinen Formel erschöpft sich schon der Konsens.

So sind die "strafrechtlichen Grenzen der Sterbehilfe im weiteren Sinne" nach Auffassung des 12. Zivilsenats (BGH NJW 2005, 2385 Anm. Höfling JZ 2006, 145 ff.) "noch nicht hinreichend geklärt". Kutzer, der ehemalige Vorsitzende des 3. Strafsenats des BGH, ist dem zwar engagiert entgegengetreten (Kutzer, in: Meier/Borasio/Kutzer[Hrsg.], Patientenverfügung - Ausdruck der Selbstbestimmung, Auftrag zur Fürsorge[Stuttgart 2005], S. 102 ff.), aber man kann nicht übersehen, dass die vielfältigen Varianten des Sterbehilfebegriffs ("passive Sterbehilfe", "aktiv-indirekte Sterbehilfe", "aktiv-direkte Sterbehilfe") zu Argumentationsstrategien des fließenden Übergangs einladen und den Blick auf den fundamentalen Unterschied zwischen Töten und Sterben verunklaren lassen. Doch damit nicht genug: Abgesehen von medizinischen Fragen ist mit Ausnahme der Widerruflichkeit der Patientenverfügung rechtlich heftig umstritten, welche Anforderungen an die Wirksamkeit einer Patientenverfügung zu stellen sind. Reicht eine frühere mündliche Erklärung? Wie alt darf sie gegebenenfalls sein? Muss ihr eine medizinische Beratung vorausgegangen sein?

All diese Unsicherheiten lassen erwarten, dass auch unter den Vormundschaftsrichtern die Ansichten über die Anforderungen an die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung (weit?) auseinandergehen. Wolfram Höfling und Anne Schäfer befragten daher erstmals und bundesweit die Vormundschaftsrichter erster Instanz nach den für sie relevanten Entscheidungskriterien. Höfling/Schäfer betten die Schilderung von Methodik, Inhalt und Ergebnissen dieser Erhebung in eine - wie es die Verfasser bescheiden im Vorwort bezeichnen - "Problemskizze" ein. Das ist stark untertrieben. Denn die Autoren erläutern nicht nur den normativen Kontext der Sterbehilfediskussion und arbeiten dabei die Bedeutung der straf- wie zivilrechtlichen Rechtsprechung des BGH unter Berücksichtigung des einschlägigen Schrifttums heraus (S. 3 ff.). Vielmehr stellen Höfling/Schäfer auch den reformpolitischen Diskurs in allen maßgeblichen Facetten vor (S. 29 ff.). So werden zum Beispiel der Referentenentwurf des BMJ (S. 32), die Arbeitsergebnisse der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" einschließlich der diversen Sondervoten (S. 33 ff.) und die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates (S. 36) zuverlässig referiert. Der Gesetzesvorschlag der Deutschen Hospiz Stiftung wird vorgestellt (S. 40), gleichfalls der strafrechtliche Alternativ-Entwurf "Sterbebegleitung" (S. 41 ff.). Kurz: Höfling/Schäfer bieten in ihrer Einleitung ein ausgezeichnetes Kompendium zu den gesamtgesellschaftlich wichtigen Themen "Patiententestament und Sterbehilfe".

2. Der nächste Abschnitt (S. 45 ff.) erläutert die methodischen Grundlagen der Erhebung. Sie erfolgte durch eine Befragung in Form des standardisierten Interviews. Der Fragebogen (S. 105 ff.) wurde am Institut für Staatsrecht bzw. der Forschungsstelle für das Recht des Gesundheitswesens der Universität Köln entwickelt und legt u. a. folgenden fiktiven Fall zugrunde:

Die 82jährige A liegt nach einem schweren Verkehrsunfall und einer dabei erlittenen massiven Hirnblutung im Wachkoma (sog. apallisches Syndrom). Frau A zeigt keinerlei Reaktionen auf akustische, optische und taktile Reize (Kommunikationsunfähigkeit) und wird mittels einer Magensonde ernährt. Die Ärzte halten diesen Zustand für irreversibel. Im Gefolge einer schweren Lungenentzündung muss Frau A nunmehr auch künstlich beatmet werden. Es existiert weder eine Vorsorgevollmacht noch eine
Betreuungsverfügung oder eine Patientenverfügung im engeren Sinne. Ein Angehöriger von Frau A verlangt nun von den Ärzten, die künstliche Beatmung abzubrechen. Die Ärzte rufen das Vormundschaftsgericht an.

In Anlehnung an die fachwissenschaftliche Diskussion wurden den Richtern 7 rechtliche Kriterien zur Beurteilung vorgegeben: Schriftlichkeit, notarielle Beratung, notarielle Beurkundung, Einsichtsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit, psychosoziale Beratung, ärztliche Beratung. Von den 1.514 um Mitwirkung gebetenen Vormundschaftsrichtern - dies entspricht einer Totalerhebung aller in Deutschland tätigen Vormundschaftsrichter erster Instanz - nahmen 819 an der Befragung teil (= 54 %). Die Ergebnisse der Untersuchung sind damit auf der Basis soziologischer Forschungen ausreichend unterlegt und dürfen als repräsentativ angesehen werden.

3. Das Schlusskapitel befasst sich mit den Ergebnissen der Erhebung. Danach sind für den Ausgang eines solchen vormundschaftsgerichtlichen Verfahren zur Genehmigung eines Behandlungsabbruchs zwei Faktoren entscheidend: Das medizinische Wissen der befassten Richter über das sog. Wachkoma und die Frage, ob der Patient selbst eine Regelung in Gestalt einer Vorsorgevollmacht bzw. Patientenverfügung getroffen hat.

a.) Das Merkmal, welches den stärksten Einfluss auf die Frage nach Genehmigung eines Behandlungsabbruchs ausübt, nämlich die Meinung der Richter zur medizinischen Situation von Menschen im Wachkoma, ist indes im besonderen Maße von der medizinischen Vorbildung abhängig (S. 99). Je ungenauer die Vorstellungen der Richter über das Wachkoma waren, desto uneinheitlicher fiel das Genehmigungsverhalten aus. So erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit, dass einem Antrag auf Genehmigung eines Beatmungsabbruchs stattgegeben wird, um das neunfache, wenn der befragte Richter der Ansicht "voll und ganz zustimmte", dass Wachkomapatienten Hirntote seien. Diese Annahme aber ist höchst problematisch. Schon der Begriff des Hirntodes ist unter Medizinern umstritten. Die heute h. A. geht davon aus, dass es auf den sog. Gesamthirntod ankomme, nämlich auf das irreversible Erlöschen der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms (vgl. nur Münchener Kommentar StGB[2003]- Schneider, vor §§ 211 ff., Rdnr. 25). Zu diesem Zeitpunkt erlösche der Mensch sowohl als Bewusstseinswesen, da er keine kognitiven Leistungen mehr erbringen könne, als auch als Körperwesen, da die Selbstregulierungsfähigkeit des Körpers ein unwiederbringliches Ende finde (vgl. etwa Merkel Jura 1999, 113, 118). Im medizinischen Schrifttum wird aber auch die Auffassung vertreten, der Tod trete bereits mit dem irreversiblen Ausfall der Großhirnrinde (Cortex) ein; man spricht vom sogenannten Cortex-Hirntot (Korthen/Linke, in: Hoff/in der Schmitten[Hrsg.], Wann ist der Mensch tot?[1995], S. 82, 88). Diese Auffassung beruft sich darauf, dass der Mensch bereits zu diesem Zeitpunkt die personentypischen kognitiven Leistungen definitiv nie mehr erbringen könne.

Abgesehen also von der Problematik des Hirntod-Begriffes als solchem besteht auch Streit darüber, wie der Zustand von Wachkomapatienten treffend zu beschreiben und zu bewerten sei. Nach der traditionell medizinischen Perspektive ist das apallische Syndrom eine Bewusstseinsstörung, bei der nicht die Wachheit, sondern die Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt ist: Es zeigen sich keinerlei willkürliche Reaktionen auf visuelle, akustische, taktile oder Schmerz auslösende Reize. Diese Ansicht geht davon aus, dass das apallische Syndrom irreversibel sei, wenn es 12 Monate nach einer traumatischen Hirnverletzung oder 3 Monate nach einer akuten, aber nicht traumatischen Hirnläsion besteht (Nacimiento, in: W. Höfling [Hrsg.], Das sog. Wachkoma[Münster 2005], S. 29, 39). Aus Sicht dieser traditionellen Auffassung korrespondiert fehlendes Bewusstsein mit fehlender Kommunikationsfähigkeit. Dem steht jedoch ein beziehungsmedizinischer Forschungsansatz gegenüber, der auf der Grundlage neuerer Erkenntnisse der Neuro-Medizin auf ein inneres Wahrnehmen und Erleben von Wachkomapatienten zu schließen versucht. Diese Auffassung begreift den Zustand des Wachkomas als extrem zurückgenommenes individuelles Leben (Zieger, in: W. Höfling[Hrsg.], Das sog. Wachkoma[Münster 2005], S. 49, 51). Die Chancen zur Verbesserung dieses Zustandes hängen danach erheblich von einer qualitativ hochwertigen Pflege und möglichst frühzeitig einsetzenden therapeutisch-rehabilitativen Maßnahmen ab.

Vor diesem Hintergrund sind ohne Weiteres unterschiedliche Bewertungen des Zustandes von Wachkomapatienten möglich; Bewertungen, die einen ebenso unterschiedlichen Umgang mit diesen Patienten implizieren können. Aus diesem Grunde scheint es, wie Höfling/Schäfer treffend feststellen (S. 13 f.), zumindest dringend geboten, die Vormundschaftsrichter, die mit solchen Fällen befasst sind, im medizinischen Bereich fortzubilden.

b.) Die Studie förderte aber auch noch einen zweiten wesentlichen Faktor für den Ausgang eines Genehmigungsverfahrens zu Tage, nämlich die Existenz einer Patientenverfügung (S. 99). Schriftlichkeit wird so gut wie nicht verlangt. Auskünfte von Angehörigen, von Ärzten oder des Pflegepersonal über die Einstellung des Patienten zum Sterben und zum Tod können in der Praxis eine ausreichende Entscheidungsgrundlage sein. Eine feststellbare Beratung des Patienten halten nur wenige Richter für eine zwingende Voraussetzung (notarielle B. = 18 Richter; psychosoziale B. = 28; ärztliche B. = 133). Die Ergebnisse zum zulässigen Höchstalter der Verfügung sind völlig uneinheitlich: 12 Monate = 54 Richter; 24 Monate = 70; 36 Monate = 27; 48 Monate = 5; 60 Monate = 24; mehr als 5 Jahre = 4; Einzelfallentscheidung = 8; keine Angabe = 627). Größer kann Rechtsunsicherheit kaum sein.

4. Das umfassend angelegte Projekt zu den rechtsdogmatischen und - vor allem - rechtstatsächlichen Aspekten der Sterbehilfe hat gezeigt, dass eine Regelung der Sterbehilfe durch den Gesetzgeber wünschenswert ist. Bezeichnenderweise wurde der in der Literatur laut gewordene und in den Komissionsvorschlägen aufgenommene Ruf nach legislatorischen Klarstellungen von 610 der mitwirkenden Vormundschaftsrichter geteilt (S. 65). Nicht zuletzt deshalb sollten sich die verantwortlichen Politiker mit der Arbeit von Wolfram Höfling und Anne Schäfer dringend befassen. Ohnehin ist die Lektüre je-

dem zu empfehlen, der sich über die Problematik der Sterbehilfe zwar kurz und knapp, aber dennoch nicht nur oberflächlich informieren möchte.

Dr. Ralf Neuhaus, Rechtsanwalt & Fachanwalt für Strafrecht, Dortmund

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Junker, Thorsten: Beweisantragsrecht im Strafprozess; 223 Seiten, broschiert, € 34,00, ZAP Verlag, Münster 2008.

Der erste Band einer neuen, von Burhoff herausgegebenen Schriftenreihe für die Strafrechtspraxis im ZAP-Verlag stammt von Rechtsanwalt Thorsten Junker. Die Zielsetzung der Reihe nach dem Geleitwort des Herausgebers: "Praktiker sollen für Praktiker schreiben und ihnen für die tägliche Arbeit Hilfestellung geben." Gedacht sei dabei "naturgemäß" an erster Linie an Verteidiger, aber auch an Richter. Wenn mit diesem Band das gesetzte Ziel erreicht wird, sollten jedoch auch Staatsanwälte von dem dort behandelten Thema "Beweisantragsrecht im Strafprozess" profitieren. Also prüfen wir das Buch daraufhin genauer.

Junker behandelt zunächst die Grundlagen der Beweisaufnahme im Strafprozess. Nach knappen Hinweisen auf den Amtsermittlungsgrundsatz skizziert er den Gegenstand der Beweisaufnahme. Es gehe um die Feststellung von Tatsachen, die sich verschieden darstellen können (z.B. als Geschehen, Erlebnis, Ding, Eigentümlichkeit des Seelenlebens). Der Autor erläutert die Begriffe Haupttatsachen, Indizien und Hilfstatsachen sowie negative Tatsachen und umreißt den Umfang der Aufklärungspflicht des Gerichtes mit einigen Beispielen. Dieser Abschnitt ist als Einstieg in das System der Beweisaufnahme oder als Auffrischung gut geeignet. In einem weiteren Abschnitt behandelt Junker die Absprachen im Strafprozess; die Entscheidung des Großen Senats des BGH vom 3.3.2005 wird in ihren Grundzügen referiert. Junker weist darauf hin, dass der Gesetzgeber in Sachen Absprachen im Strafprozess aktiv geworden ist, vertieft die dazu in der rechtspolitischen Diskussion vertretenen Standpunkte aber nicht.

Zutreffend, kurz und präzise referiert der Junker den Grundsatz der Mündlichkeit im Strafprozess, erläutert den Strengbeweis und den Freibeweis auf wenigen Seiten und verortet das Beweisantragsrecht als Umsetzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1. Das Beweisantragsrecht schaffe die Grundlage, die aufklärende Tätigkeit des Gerichts durch Beweisanträge zu erweitern.

Dieser erste Abschnitt der Schrift ist - dies folgt aus dem Charakter einer Einführung in die Grundlagen des Beweisantragsrechts - auch in Ansehung einiger hervorgehobener Hinweise letztlich noch nichts wirklich Neues und als Hilfestellung für den Praktiker Verwendbares. Im daran anschließenden Abschnitt "Beweisantrag" gibt es dann konkrete Arbeitshilfen. Junker erläutert, dass die StPO zwar normiert, dass das Gericht einen Beweisantrag bescheiden muss und ggf. nach §§ 244 Abs. 3 bis 6, 245 Abs. 2 StPO ablehnen kann. Im Gesetz sei aber gerade nicht geregelt, was ein Beweisantrag eigentlich genau ist. Anhand von - graphisch grau unterlegten - Formulierungsbeispielen erklärt er dem Leser, wie ein Beweisantrag aussehen kann/muss, um ein solcher und nicht etwa lediglich ein Beweisermittlungsantrag zu sein. Der Autor stellt verschiedene Möglichkeiten vor, Beweisanträge aufzubauen. Mit gesonderten Hinweisen werden Schwerpunkte hervorgehoben, beispielsweise das Problem des Beweisantrags, der nach Auffassung des Gerichts "ins Blaue hinein" gestellt worden sein soll.

Es ist sicher vom Ausgangspunkt nicht unproblematisch, anhand von Formulierungsbeispielen für prozessuale Anträge die Rechtslage erörtern zu wollen. Das aber ist auch nicht das erste Ziel des Werks. Die klug formulierten und oft illustrativ variierten Beispiele sind sehr gut geeignet, gerade dem noch nicht routinierten Verteidiger nahe zu bringen, wie man einen Beweisantrag aufbauen und formulieren kann. Dem Rezensenten gefällt in diesem Zusammenhang Junkers Empfehlung, nicht zu formulieren, was ein Zeuge oder Sachverständiger bekunden werde, sondern die Beweistatsache zu formulieren, für die der Zeuge oder Sachverständige als Beweismittel angeboten wird (Rn. 32). Schließlich kommt es nicht darauf an, was der Zeuge etwa aussagt, sondern was tatsächlich geschehen ist.

Junker stellt ein Beispiel vor für einen nicht zwingend zulässigen Alibibeweisantrag und erklärt, wie dieser umgestellt gestellt werden kann, um zum echten Beweisantrag zu werden. So erhält der Leser tatsächlich Hilfsmittel für die praktische Arbeit. Diese Hilfestellung liegt nicht in einer textbausteinartigen Formulierung, die der Verteidiger etwa abschreiben könnte. Es wird schon angesichts der Vielfältigkeit der Lebenssachverhalte völlig unmöglich sein, solche Textbausteine für das Beweisantragsrecht anbieten zu wollen. Die Beispiele, deren Varianten und die Erläuterungen dazu helfen aber dem Leser, sich klar zu werden: Kann und will ich einen Beweisantrag stellen? Geht es um eine negative Tatsache, und die kann ich diese strukturell unter Beweis stellen?

Die Anträge auf Verlesung von Urkunden oder Einnahme eines Augenscheins werden ebenso mit griffigen Beispielen vorgestellt und erläutert. Auf eine unzureichende (und damit unzulässige) Antragsformulierung folgt ein zulässiger Antrag, jeweils mit knappen und zutreffenden Literaturnachweisen. Junker vertieft sodann die Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel, so dass auch der noch weniger routinierte Antragsteller anhand der Bespiele erkennen kann, worauf es ankommt. Um das Vorgehen des Autors verständlich zu machen, referiere ich hier eines seiner Bespiele. Anhand des "Flamingo-Falls" (BGHSt 39, 251) wird folgendes vorgestellt:

Der Angeklagte soll sich zu einer bestimmten Zeit mit seinen Mittätern in der Flamingo-Bar getroffen haben. Die Verteidigung beantragte zum Beweis der Tatsache, dass sich der Angeklagte zur fraglichen Zeit dort nicht aufgehalten habe, die Vernehmung des Zeugen Z. Der BGH sah darin keinen Beweisantrag für das Beweisziel

(Ortsabwesenheit), da nicht dargelegt worden sei, welche Wahrnehmung der Zeuge Z. denn gemacht haben soll.

Viele Verteidiger werden mit ähnlichen Anträgen und deren Bescheidung ihre Erfahrungen gemacht und daraus gelernt haben. Junker erläutert, welche (in diesem Fall) vier Alternativen er sieht, um den Antrag zulässig zu machen. Zu jeder der 4 denkbaren Alternativen bietet der Autor eine konkrete Antragsformulierung dergestalt an, dass eine Ablehnung wegen fehlender Konnexität (letztlich Behandlung des fehlerhaften Antrages als Beweisermittlungsantrag oder Beweisanregung) nicht zulässig wäre. Man muss den jeweiligen Antrag bzw. das damit angestrebte Beweisergebnis nicht für zwingend halten, um zu erkennen, was der Autor vermitteln will; viele Beispiele führen beim Lesen zu einem Aha-Effekt, und das ist ein gutes Ergebnis.

Junker erörtert weiter die Frage der Begründung eines Beweisantrages und hält eine solche zutreffend für nicht gesetzlich geboten, in vielen Fällen aber sachgerecht. Man sollte ergänzend darauf hinweisen, dass gelegentlich eine zulässig aufgestellte Beweisbehauptung mit einer unglücklichen Begründung wieder "eingerissen" wird, wenn die Begründung die Behauptung eben nicht präzise abdeckt, so dass das Gericht anhand der Begründung die Beweisbehauptung anders versteht als diese gemeint war oder diese umdeutet.

Zielgruppenentsprechend wird die Problematik des § 257a StPO (Beweisanträge nur noch schriftlich stellen zu dürfen) nicht vertieft. Hilfestellung für ein solches gerichtliches Ansinnen erhält der Leser nicht, der Adressat des Buches ist nicht der Verteidiger in Groß- oder Umfangsverfahren (Rn 63).

Junker behandelt auch das Thema des Anschlusses an fremde Beweisanträge nur mit einem Absatz. In der Regel seien die - bekanntlich oft reflexhaften - Anschlusserklärungen der Verteidiger an Anträge von Mitangeklagten revisionsrechtlich nicht unbedingt erforderlich. An dieser Stelle fehlt mir eine vertiefende Erörterung über die psychologischen Auswirkungen auf Gericht, Angeklagte und die Öffentlichkeit, wann bzw. warum man sich fremden Anträgen anschließen sollte und wann nicht. Die Option, auch auf Frage des Gerichtes nach einem Anschluss an den Beweisantrag eines Mitangeklagten zu erklären, sich dazu nicht weiter äußern zu wollen, sollte vorgestellt und erläutert werden.

Das Werk enthält weiter zahlreiche kluge Hinweise zum Augenschein und zum Sachverständigenbeweis, die anhand von den grau unterlegten Beispielen auch optisch schnell zu dem jeweiligen Stichwort auffindbar sind. Junker erläutert den unbedingten und den bedingten Beweisantrag und stellt Anwendungsbereiche für bedingte Beweisanträge vor. Er behandelt in Anbetracht der uneinheitlichen Terminologie in Literatur und Rechtsprechung den Hilfsbeweisantrag als Unterart des bedingten Beweisantrages. Mit dem Ziel des Autors, konkrete Hilfestellungen zu geben, ist es gut vereinbar, in die Streitigkeiten der Literatur nicht vertieft einzusteigen, sondern wieder mit plastischen Beispielen aufzuzeigen, was geht, was nicht und wo die Tücken der unzulässigen Anträge liegen. Mit eingerahmten Hinweisen ermuntert der Autor den Leser, beispielsweise über seinen erwogenen Hilfsbeweisantrag mit "Bescheidungsklausel" (in der Stellung als Hilfsantrag liege kein Verzicht auf Entscheidung des Gerichts vor Urteilsverkündung) noch einmal nachzudenken.

Das Beweisantragsrecht im Vor- und Zwischenverfahren stellt Junker zutreffend als schwach dar und weist darauf hin, dass Beweisanträge ggf. im Hauptverfahren wiederholt werden müssen, wenn ihnen vorher nicht nachgegangen wurde. Wichtig sind auch vorgestellte Überlegungen, zu welchem Zeitpunkt der Beweisaufnahme überhaupt Beweisanträge gestellt werden sollten. Patentrezepte werden nicht angeboten, aber Einstige in taktische Überlegungen. Das gilt auch für die Möglichkeiten, Sachverhalte durch Stellung von Beweisanträgen festzuschreiben, beispielsweise durch "gestaffelte" oder affirmative Beweisanträge (RN 196 ff.). Dazu werden wiederum erhellende Beispiele vorgestellt.

In einem letzten Abschnitt behandelt Junker die Bedeutung des Beweisantrages für das Revisionsverfahren. "Hilfestellung für die tägliche Arbeit", so das Ziel der neuen Schriftenreihe, ist damit kaum zu leisten. Das Buch beansprucht aber auch nicht etwa, für eine Revisionsbegründung Arbeitshilfe zu sein. Bedenkt man diese Zielsetzung, dann wird es gerade für den Verteidiger, der sich fragt, ob und welche Anträge er für seinen Mandanten noch stellen sollte, zweckmäßig sein, auch diesen letzten Abschnitt zu lesen. Ihm wird nicht nur vor Augen geführt, mit welchen Ablehnungsgründen des Tatrichters in einer Hauptverhandlung gerechnet werden muss, sondern auch, dass die Revisionsbegründung eine eigene Disziplin ist, die nur dann erfolgreich sein kann, wenn zuvor in der Instanz mit dem Beweisantrag fachgerecht umgegangen worden ist.

Die Frage, ob das selbst gesetzte Ziel der Schriftenreihe mit ihrem ersten Band zum Beweisantragsrecht erreicht wurde, kann nur mit Nachdruck bejaht werden. Das Werk ist kein Kommentar zum Beweisrecht und will keiner sein. Es ist im guten Sinne ein Handbuch. Wer etwa nachlesen möchte, wie man überhaupt einen Beweisantrag stellt (im Gesetz steht dazu bekanntlich nichts), wie man Konnexität zwischen Beweisbehauptung und Beweismittel herbeiführt und Beweisanträge zur Sachverständigenvernehmung stellt, welche taktischen Überlegungen es zur Frage eines Hilfsbeweisantrages geben kann, wann und wie man etwa einen Augenscheinsgehilfen in die Hauptverhandlung hineinbekommt, der erhält zahlreiche Hinweise und Hilfestellungen. Anhand der differenzierten und klugen Beispiele kann der Verteidiger die für sein Mandat mit "seinem" Sachverhalt sachgerechten Anträge dann erheblich sicherer formulieren. Die richtige Stellung von Beweisanträgen richtet sich eben nicht in erster Linie nach einem juristisch korrekt zu entscheidenden Streit zwischen Literatur und Rechtsprechung, sondern nach den Möglichkeiten der Verteidigung, die Ermittlung des "wahren Sachverhalts" zu beeinflussen. Handwerklich sollten dabei möglichst keine Fehler unterlaufen. Den "Junker" aufmerksam zu lesen und umzusetzen hilft

gerade dem weniger routinierten Verteidiger (oder auch Staatsanwalt), Fehler zu vermeiden.

Thomas Jung, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Kiel

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Tobias Nuß : Untreue durch Marketingkommunikation, Band 3 der Reihe Strafrechtliche Fragen der Gegenwart, Logos Verlag, Dissertation, ISBN 978-3-8325-1169-2, 39,- Euro, 660 Seiten, Berlin 2006.

Sportgroßveranstaltungen sind ein begehrtes Umfeld für Werbemaßnahmen von Unternehmen. Und das auf ganzer Linie: Angefangen mit dem lokalen Derby über Events mit regionalem Charakter bis hin zum nationalen Challenge werden von Gewerbetreibenden Wettbewerbe jeglicher Größe genutzt, um für spezielle Produkte oder den Unternehmensnamen zu werben. Neben diesen Einsatzfeldern rahmt das Produktsponsoring Krimis, Seifenopern und Unterhaltungsserien ein. Schließlich werden selbst vor den Nachrichtenmagazinen ebenso Trailer geschaltet, wie zwischen den Nachrichten und dem folgenden "Wetterblock". Zielgruppenorientiert werden Produkte und Unternehmensmarken imagefördernd präsentiert. Selbst der deutsche Anwaltverein nutzt TV-Sendungen, um für sich und seine Belange zu werben.

Tobias Nuß hat sich in seiner sehr umfangreichen Dissertation mit diesem Phänomen beschäftigt und sie für seine wirtschaftsstrafrechtlichen Gedanken als Ausgangspunkt gewählt. Wenn Unternehmensleiter hohe finanzielle Mittel aufwenden, um das Unternehmen ins rechte "Werbelicht" zu rücken, drängt sich die Frage auf, ob und bis zu welcher Höhe ein Unternehmensführer berechtigt ist, Gelder für solche Zwecke zu verwenden. Aus strafrechtlichem Winkel betrachtet: Könnte eine Strafbarkeit der Führungsebene wegen Untreue durch Werbemaßnahmen in Betracht kommen?

Die Frage nimmt an Brisanz zu, verdeutlicht man sich, dass die eingesetzten Summen immens groß sind, der konkrete Erfolg der Werbemaßnahmen kaum zu messen ist und systembedingt immer mit einem großem Streuverlust einhergeht. So ist es denn mehr als fraglich, ob sich der risikobehaftete Aufwand des japanischen Elektronikkonzerns Sony an die FIFA "rechnet", wenn für das Engagement von 2007 bis 2014 ein Betrag von 237 Mio. € ausgegeben wird.

Nuß nähert sich der interessanten juristischen Frage, indem er überlegt, ob und wie lang es rechtmäßig sein kann, dass ein Unternehmensleiter - der eigentlich zur Vermögensmehrung eingestellt worden ist - durch Sponsoringmaßnahmen Unternehmenskapital verzehrt. Zum Zwecke der thematischen Einführung widmet sich der Autor daher im ersten Teil des Buches den verschiedenen Arten der Werbung. Er problematisiert und grenzt voneinander ab: Sponsoring, Public-Relation und andere Werbemaßnahmen und klärt, wo die Grenze zwischen Sponsoring und Spende-Engagement verläuft. Er diskutiert die Einordnung von Aufwendungen, denen keine messbaren Äquivalente gegenüberstehen.

Nachdem dieser Rahmen festgelegt ist, zoomt Nuß auf den Untreue-Tatbestand. Hier kommt die Arbeit - endlich - zu wirtschaftsstrafrechtlichen Fragen. Welcher Untreuetatbestand ist einschlägig (Missbrauchs- oder Treuebruch-Alternative)? Woraus ergeben sich bei Vorständen und Geschäftsführern die rechtlichen Befugnisse sowie die Anforderungen an pflichtgemäße Geschäftsleitermaßnahmen? In diesem Zusammenhang wird vortrefflich der von Organen zu vollziehende Spagat zwischen dem betriebswirtschaftlichen Erfordernis des wirtschaftlich effizienten Handelns einerseits und andererseits der strafrechtlichen Verantwortlichkeit bzgl. des Vermögens im Innenverhältnis unterschieden. Hier liegt ein Kernpunkt der Ausarbeitung.

Nicht zuletzt, weil Nuß einem - in anderen Arbeiten auch dieser Art - selten erreichten Vollständigkeitsideal verfällt, schwillt das Werk auf 660 Seiten mit beinahe 2600 Fußnoten an. Dies ist insbesondere deshalb kein Nachteil, weil das Buch in extenso die rechtlichen Vorgaben aller in Deutschland anzutreffenden gängigen Unternehmensformen berücksichtigt, um hieraus abzuleiten, welche Befugnisse den Organen bei Marketingkommunikations-Entscheidungen zustehen. Diese Analyse mit ihren mannigfaltigen rechtlichen Determinanten - also denjenigen zivilrechtlichen Regelungen, nach denen die Organe für pflichtwidrige Ausgaben aus dem Gesellschaftsvermögen, aus dem Marketing und Non-Profit-Bereich haften -, nimmt 263 Seiten ein. Von großem praktischem Interesse ist drittens die Analyse der im Wesentlichen zum Untreue-Tatbestand ergangenen Judikatur. Nuß wertet u.a. die Entscheidungen im Fall des "SSV Reutlingen", den "Bremer Vulkan", die historische Reichsgerichtsentscheidung zur Rabattgewährung wie auch die Parteispendenaffäre und die Entscheidungen aus, die im Zusammenhang mit rechtswidrigen Kreditgewährungen ergangen sind.

Einen Schwerpunkt räumt der Autor schlussendlich der Mannesmann-Entscheidung ein. Nicht zuletzt aus der Auseinandersetzung mit der hierzu ergangenen Literatur exzerpiert der Autor sodann seine 11 Thesen, mit denen das Werk auch schließt. In kurze Worte gebracht, formuliert Nuß folgende Thesen:

  • Für die Unternehmensleitung besteht eine wirtschaftliche Notwendigkeit, nicht nur allgemein die herkömmlichen Kommunikations- und Werbeinstrumente einzusetzen, sondern auch auf das langfristig orientierte Sponsoring zu setzen.
  • Sozialaufwendungen wie Spenden oder Sponsoring können ein tatbestandlicher Schaden sein. Sie sind es jedoch nicht a priori, weil der wirtschaftlichen Ausgabe keine Gegenleistung gegenüber stehen. Für die Frage der Schadensannahme sei immer eine Einzelfallprüfung erforderlich. Dabei sei festzustellen, ob die konkrete Maßnahme nicht auch der Wahrnehmung der Gesellschaftsinteressen diene. Denn dann müsse die Schadensannahme selbst bei langfristiger
  • Wirkweise des Sponsorings ausgeschlossen werden.
  • Eine nach § 266 StGB tatbestandsmäßige Pflichtverletzung liege erst vor, wenn die Maßnahme unvertretbar, unzweckmäßig und unangemessen sei - also in keinem wirtschaftlichen Gesichtspunkt irgendwie nachvollziehbar ist. Unvertretbar und damit pflichtwidrig sei eine Maßnahme, wenn der Entscheidungsträger mit der konkreten Marketingmaßnahme nicht zumindest auch das Interesse der Gesellschaft verfolge oder wegen der Unangemessenheit der Maßnahme aufgrund ihres Volumens nicht zur Durchführung der Maßnahme vertretungs- und verfügungsberechtigt gewesen sei. Mit anderen Worten, wenn der Entscheider eine gesellschaftsrechtlich eingeräumte Befugnis weit überschritten habe. Doch auch hier müsse auf den Einzelfall abgestellt werden, zumal es für die Art und Weise der im Einzelfall angemessenen Werbemaßnahme keine allgemein verbindlichen Regeln gebe.
  • Mit seiner vierten These öffnet Nuß einen Weg für Verteidiger: Da für den Bereich der unternehmerischen Entscheidung und Überprüfung nach § 266 StGB eine Einschränkung des Begriffs der "schadensgleichen Vermögensgefährdung" geboten sei, müsse in strafrechtlicher Hinsicht zum Ausgleich der Vermögensgefährdung die durch Anhaltspunkte begründete Vermutung genügen, der Aufwand werde zu einem künftigen Vorteil im Bereich des Good-Wills führen. In einer solchen Konstellation sei der Tatbestand demnach nicht erfüllt.
  • Nuß sieht die vom BGH herangezogenen Kriterien zur Konkretisierung des Untreuetatbestandes in Zusammenhang mit Spenden und Sponsoring als nur bedingt tauglich an und lehnt das "Kriterium der fehlenden Nähe des Geförderten zum Unternehmensgegenstand" ab. Es sei seines Erachtens vielmehr danach zu fragen, ob und wie mit der Maßnahme eine Botschaft zur Bereicherung des Unternehmensimage vermittelt werden sollte. Eine strafbare Pflichtverletzung im Sinne der Untreue liege unabhängig von der Gesellschaftsform nur vor, wenn die Maßnahme offenkundig unvertretbar - also objektiv nicht im Interesse der Gesellschaft lag - oder der Handelnde jedenfalls nicht zu einer derartigen Marketingmaßnahme oder einer Maßnahme mit dem eingesetzten Volumen befugt gewesen sei.
  • In seiner sechsten These nimmt sich der Verfasser des Problems an, das mit Werbemaßnahmen typischerweise auch einhergehen kann. Dass nämlich die Gesellschaft nicht selbst kommunikativ auf ihr Engagement hinweisen möchte, weil eine Einrichtung gefördert wird, die in einem der Öffentlichkeit sensiblen Bereich steht. Allein aus dem Unterlassen der Hinweispflicht im öffentlichen Wirkbereich dürfe prima facie keine Untreue-Handlung unterstellt werden. Dies gelte auch für den Fall, dass ein Mitglied des Vorstandes oder des Aufsichtsrates der geförderten Einrichtung selbst oder über verwandte Personen besonders nahe stehe.Dann reiche es aus, wenn intern für Aufklärung gesorgt wird und ggf. der Aufsichtsrat in die Entscheidung eingebunden wird.
  • In weiteren Thesen setzt sich der Verfasser mit Konstellationen auseinander, in denen auf jeden Fall eine Tatbestandsbegehung zu bejahen ist. Diese sollen hier nicht vertieft werden. Der Autor geht so beispielsweise auch auf die Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen ein. Fest stehe für Nuß: "[...] Erst wenn nach einiger Zeit für den Geschäftsleiter erkennbar ist, dass mit dem beschrittenen Weg und eingesetzten Aufwand das Ziel nicht oder nur unter denkbar günstigsten Umständen erreichbar ist, mit anderen Worten nur noch eine vage Hoffnung besteht, erwächst eine Pflicht des Geschäftsleiters den beschrittenen Pfad zu verlassen und die jeweils erforderlichen Änderungen vorzunehmen.[...]" Dass im Ergebnis der Untreuetatbestand erfüllt wird, ist dabei unstreitig. Bleibt nur die Frage, ob durch Unterlassen oder aufgrund aktiven Handelns. Nuß vertritt hier die dogmatische Ansicht, es handle sich um eine aktive Begehungsalternative, da für die Bestimmung der Unrechtshandlung am pflichtwidrigen Weiterbestreiten des eingeschlagenen Weges anzuknüpfen sei.
  • Im letzen Absatz seiner 11. These bringt Nuß ein Resümee. These 11 schließt mit dem Rat:"[...]Damit bleibt für die Praxis anzuraten: Für das Marketing sind die Steuerungs­maßnahmen und die Risikoabschätzung zu dokumentieren. Bei der Spendenvergabe sind möglichst Kollegialentscheidungen herbeizuführen, die einzelnen Spenden sind nachvollziehbar zu verbuchen; Barzahlungen sind zu vermeiden. Und der beste Weg, um Verdachtsmomente zu beseitigen, oder ergibt gar nicht erst entstehen zu lassen, ist, möglichst Öffentlichkeit und Transparenz herzustellen, also die Spendenleistung kommunikativ durch begleitenden PR-Aktionen zu verwerten! [...]"

In seinen umfangreichen Thesen stellt der Verfasser also Bewertungsmaßstäbe für das Unternehmerverhalten von Vorstandsvorsitzenden ebenso vor, wie den Treuebruch bei Geschäftsführern und geschäftsführenden Gesellschaftern. Hierzu erarbeitet er auch einen Fragenkatalog, mit dessen Hilfe eine Art Schnellprüfung der Strafbarkeit von Unternehmensleitern möglich wird. Das Werk greift einen viel benutzten Straftatbestand in einer besonderen wirtschaftsstrafrechtsrelevanten Fragestellung auf. Die umfassenden Ausführungen zur betriebswirtschaftlichen und zivilrechtlichen Situa-

tion können dem Praktiker von Nutzen sein, da die Darstellung wohl alle zu berücksichtigen strafrechtlichen Nebennormen anspricht. Das Buch eignet besonders für die wirtschaftsstrafrechtliche Kanzleibibliothek, deren Sammlungsschwerpunkt im wissenschaftlichen Bereich angelegt ist. Allein wegen des Umfangs und der speziellen Fragestellung der Arbeit spricht das Buch nur eine eingeschränkte Zielgruppe an - dieser läßt das Werk jedoch kaum eine Frage unbeantwortet.

Roman G. Weber , LL.M. Wirtschaftsstrafrecht, Rechtsanwalt, Detmold