HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2007
8. Jahrgang
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Prozessdokumentation

In dieser Ausgabe erweitern wir die Prozessdokumentation durch die Aufnahme folgender Entscheidungen, die zum Fragenkreis der "Online-Durchsuchung" von Bedeutung sind:


Entscheidung

467. BGH 1 BGs 625/95, 2 BJs 94/94 - 6 - 1 BGs 625/95 - Beschluss vom 31. Juli 1995 (-)

"Durchsuchung" einer Mailbox (heimlicher, elektronischer Zugriff; Einmaligkeit; Anwendbarkeit der Vorschriften über die Telekommunikationsüberwachung; Anwendbarkeit der Durchsuchungsvorschriften; Auffindungsvermutung); Fernmeldegeheimnis; Richtervorbehalt.

Art. 10 GG; Art. 13 GG; § 100a S. 1 Nr. 1 c StPO; § 100a S. 1 Nr. 2 StPO; § 100a S. 2 StPO; § 100b Abs. 1 StPO; § 103 Abs. 1 S. 1 StPO; § 94 StPO; § 98 StPO

1. Der heimliche, elektronische Zugriff auf gespeicherte Mailbox-Daten ist zulässig. Er darf aber nur unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechte (Art. 10, 13 GG), der Zweckbestimmung der berührten Strafprozessorschriften und einer Abgrenzung des Begriffs des Fernmeldeverkehrs im Sinne der §§ 100a, 100b StPO gewonnen werden.

2. Die Vorschriften über die Durchsuchung sind für den heimlichen, elektronischen Zugriff auf eine Mailbox nicht anwendbar, weil es nicht um die Sicherstellung körperlicher Gegenstände oder um ein körperliches Eindringen in Wohnungen oder andere Räume geht.

3. Der Zugriff auf in Mailboxen gespeicherten Daten darf nur jeweils einmal erfolgen.


Entscheidung

466. BGH 1 BGs 184/2006 - Beschluss vom 25. November 2006 (Ermittlungsrichter des BGH)

(Kein) heimlicher Zugriff auf ein Computersystem zum Zwecke der Strafverfolgung ("Online-Durchsuchung"; keine Anwendbarkeit der Durchsuchungsvorschriften; keine Telekommunikationsüberwachung); Analogieverbot im Strafprozessrecht (Gesetzesvorbehalt); redaktioneller Hinweis.

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 10 GG; § 102 StPO; § 100a StPO

1. Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Durchsuchung (§ 102 StPO) kommt für den heimlichen Zugriff auf einen Computer zum Zwecke der Strafverfolgung nicht in Betracht.

2. Der heimliche Zugriff auf ein Computersystem stellt keine Telekommunikationsüberwachung i.S.d. § 100a StPO dar.

3. Zwar ist technischen Neuerungen durch entsprechende Anpassung der Auslegung auch von strafprozessualen Eingriffsnormen Rechnung zu tragen, ihre Grenze findet die Auslegung aber dann, wenn nur durch eine Analogie ein weitreichender und schwerwiegender Eingriff gerechtfertigt werden könnte.


Entscheidung

468. BGH 3 BGs 31/06, 3 BJs 32/05 - 4 - (12) - 3 BGs 31/06 - Beschluss vom 21. Februar 2006 (-)

Zulässigkeit der verdeckte Durchsuchung eines Computersystems ("Online-Durchsuchung"; Spionageprogramm); Begriff der Durchsuchung (elektronisch gespeicherte Daten; keine notwendige Offenheit); informationelle Selbstbestimmung; kein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis und das Wohnungsgrundrecht; Verhältnismäßigkeit; Rechtsschutz; Verjährungsunterbrechung; redaktioneller Hinweis.

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 19 Abs. 4 GG; Art. 13 GG; Art. 10 Abs. 1 GG; Art. 8 EMRK; § 102 StPO; § 105 Abs. 1 StPO; § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO; § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB

1. Die "Durchsuchung" im Sinne der §§ 102ff. StPO umfasst auch das Suchen nach elektronisch gespeicherten Daten. Nicht die Art des Mediums, sondern sein Inhalt, namentlich die Eignung der dargestellten Daten (im weitesten Sinne) als Beweismittel für ein bestimmtes Ermittlungsverfahren ist das entscheidende Kriterium für die Beantwortung der Frage, ob das Suchen eines staatlichen Organs in einer Wohnung, einem anderen Raum oder einer Sache als Durchsuchung i.S.d. §§ 102 ff StPO zu qualifizieren ist.

2. Dass Ermittlungsbeamte körperlich am Durchsuchungsort anwesend sind, ist nicht notwendiger Inhalt des Begriffes der Durchsuchung.

3. Die Durchsuchung ist keine Maßnahme, die nach ihrer Rechtsnatur, nach ihrer Zweckbestimmung oder wegen der Intensität des Eingriffs in Grundrechtspositionen des Betroffenen stets und ausnahmslos offen durchgeführt werden müsste.

4. Im Hinblick auf den technischen Fortschritt in modernen Informationsgesellschaften dürfen keine überhöhten Anforderungen an die Bestimmtheit von strafprozessualen Befugnisnormen gestellt werden. Gesetzliche Formulierungen sind grundsätzlich offen für die Einbeziehung kriminaltechnischer Neuerungen, die der historische Gesetzgeber in ihren Möglichkeiten noch nicht abschätzen konnte. Entsprechend auslegungsfähig sind auch die §§ 102ff. StPO gestaltet.

5. Weder den materiellen noch den formellen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Durchsuchungsanordnung (§§ 102, 103, 104, 105 Abs. 1 StPO) sind Einschränkungen dahingehend zu entnehmen, dass diese Maßnahme stets nur offen möglich sein soll.

6. Die verdeckte, elektronische Durchsuchung eines Computers greift nicht in das Grundrecht aus Art. 13 GG ein. Sie tangiert auch nicht das das Fernmeldegeheimnis, denn es werden ausschließlich Daten gesichert, die im Herrschaftsbereich des Betroffenen gespeichert sind.

7. Zwar ist auf Grund der den §§ 102 ff. StPO zu Grunde liegenden Schutzgedanken nur einen einmaligen Eingriff in die Sphäre des Betroffenen erlaubt. Die verdeckte Online-Durchsuchung ist aber erst beendet, wenn der komplette, auf dem PC des Beschuldigten vorhandene Datenbestand gesichert ist. Dazu können auch aus zwingenden technischen Gründen mehrere Teil-Abrufvorgänge erfolgen.



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