Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2007
8. Jahrgang
PDF-Download
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
im Mittelpunkt der Juni-Ausgabe der HRRS steht die wichtige Entscheidung des 5. Strafsenats zum Verwertungsverbot bei der groben Verkennung des Richtervorbehalts bei der Wohnungsdurchsuchung. Diese Entscheidung wird bereits von Brüning eingehend besprochen, die sich in ihrem Aufsatz "Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Richtervorbehalt" auch mit den weiteren Richtervorbehalten der StPO befasst. Aufgenommen sind darüber hinaus drei Rezensionen und eine Erwiderung von Zabel auf eine Rezension von Günther Jakobs.
Aus den Entscheidungen des BVerfG ist u.a. die "El Masri-Entscheidung" hervorzuheben. Unter den insgesamt 106 Entscheidungen finden sich weitere 6 (!) Entscheidungen, die für BGHSt vorgesehen sind. Zahlreiche weitere wichtige Entscheidungen lohnen den Blick in die aktuelle Ausgabe.
Mit freundlichen Grüßen für die Redaktion
Dr. Karsten Gaede
Zulässigkeit der Individualbeschwerde im "Fall Gäfgen" trotz nationaler Anerkennung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK und eines Verwertungsverbotes für erzwungene Aussagen Gäfgens, auch nach Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde als unzulässig durch das Bundesverfassungsgericht.
1. Den Wiederaufnahmegerichten ist es untersagt, das Wiederaufnahmeverfahren ineffektiv zu machen. Insbesondere dürfen sie nicht die prozessrechtlichen Möglichkeiten zur Sachverhaltsfeststellung so eng auslegen, dass ihnen eine sachliche Prüfung derjenigen Fragen, die ihnen vorgelegt worden sind, nicht möglich ist, oder ihre Pflicht zur Sachverhaltsfeststellung unvertretbar eng auslegen oder faktisch entsprechend verfahren.
2. Dem Wiederaufnahmegericht ist es verfassungsrechtlich verwehrt, im Wege der Eignungsprüfung Beweise zu würdigen und Feststellungen zu treffen, die nach der
Struktur des Strafprozesses der Hauptverhandlung vorbehalten sind. Dies betrifft jedenfalls solche Tatsachen, die den Schuldspruch wesentlich tragen, indem sie die abgeurteilte Tat in ihren entscheidenden Merkmalen umgrenzen, oder deren Bestätigung oder Widerlegung im Verteidigungskonzept des Angeklagten eine hervorragende Rolle spielen.
3. Es stellt eine Überspannung der Zulässigkeitsvoraussetzungen dar, wenn bei der Prüfung der Erheblichkeit eines neuen Vorbringens letztlich einen Grad an Wahrscheinlichkeit gefordert wird, der das Vorliegen einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bedingt.
4. Es ist verfassungsrechtlich unzulässig, bei der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Wiederaufnahmeverfahrens, ohne Darlegung eigener Sachkunde, Geschehensalternativen anhand von festgestellten Sachbeweisen zu konstruieren, welche regelmäßig nur mit Hilfe eines Sachverständigen zutreffend gewürdigt werden können.
5. Vorbringen im Wiederaufnahmebegehren darf nicht nur partiell gewürdigt werden, sondern muss auch mit bereits schon vorhandenen, nicht notwendigerweise neuen Vorbringen, einer Gesamtbetrachtung zugeführt werden.
6. Es ist verfassungsrechtlich unzulässig, ohne erneute Hauptverhandlung den festgestellten unmittelbaren Tatverlauf in einer Kernfrage der Beweisaufnahme durch einen anderen zu ersetzen oder eine Erschütterung der betreffenden Feststellungen unter Verweis auf denkbare alternative Verläufe für unmaßgeblich zu erklären. Die Klärung solcher Fragen ist allein der Hauptverhandlung vorbehalten.
1. Das Tatbestandsmerkmal "bestimmte Tatsachen" in § 100 a Satz 2 StPO erfordert, dass die Verdachtsgründe über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen müssen. Bloßes Gerede, nicht überprüfte Gerüchte und Vermutungen reichen nicht. Erforderlich ist, dass auf Grund der Lebenserfahrung oder der kriminalistischen Erfahrung fallbezogen aus Zeugenaussagen, Observationen oder anderen sachlichen Beweisanzeichen auf die Eigenschaft als Nachrichtenmittler geschlossen werden kann.
2. Es kann dahinstehen, ob nach dem Wortlaut des § 100 a Satz 2 StPO ("für den Beschuldigten Handelnde") und der Intention des Gesetzgebers Nachrichtenmittler nur solche Personen sind, die gewissermaßen "im Lager" des Beschuldigten stehen.
3. Das Abhören berufsbezogenen Gespräche eine Rechtsanwaltes berührt den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG, das dem Rechtsanwalt eine von staatlicher Kontrolle und Bevormundung freie Berufsausübung gewährleistet und dazu insbesondere das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant schützt (vgl. BVerfGE 113, 29, 49). Die herausgehobene Bedeutung der unkontrollierten Berufsausübung eines Rechtsanwalts gebietet die besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen für eine Telekommunikationsüberwachung und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
1. Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes beschränkt werden. Die Eingriffsvoraussetzungen müssen sich dabei unmittelbar und hinreichend bestimmt aus dem Gesetz selbst ergeben (vgl. BVerfGE 14, 174, 187; 78, 374, 383. Vor allem steht Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG einer analogen Heranziehung materiell-rechtlicher Ermächtigungsgrundlagen für Freiheitsentziehungen entgegen (vgl. BVerfGE 29, 183, 196; 83, 24, 32).
2. Abschiebungshaft i.S.d. § 62 Abs. 2 AufenthG dient ausweislich des klaren Wortlauts einzig der Sicherung der Abschiebung.
3. Für die Frage der Rechtfertigung der Dauer einer Abschiebungshaft i.S.d. § 62 Abs. 2 AufenthG könnten über den Haftzweck der Sicherung der Abschiebung hinaus keine anderen Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Eine Freiheitsentziehung muss zu jedem Zeitpunkt ihrer Dauer von der gesetzlichen Ermächtigung gedeckt sein. Es ist von Verfassungs wegen ausgeschlossen, die Fortdauer der Abschiebungshaft wegen des Zeitaufwandes für Verwaltungsvorgänge anzuordnen, mit denen ein anderer Zweck als derjenige verfolgt wird, der die Haft dem Grunde nach rechtfertigt.
1. Es ist nicht von vorneherein und in jedem Fall unstatthaft, den Fernsprechanschluss eines Rechtsanwalts, der sich als Strafverteidiger betätigt, nach Maßgabe des § 100 a StPO überwachen zu lassen, die von ihm geführten Gespräche aufzunehmen und deren Inhalt im Strafverfahren zu verwerten (vgl. BVerfGE 30, 1, 32 f.; BGHSt 33, 347, 348).
2. Die Überwachung des Telefonanschlusses eines Strafverteidigers ist nicht nur einfachrechtlich, sondern auch von Verfassungs wegen unstatthaft, wenn sie auf die Überwachung der Kommunikation mit seinem einer Katalogtat beschuldigten Mandanten abzielt.
3. Dem unüberwachten mündlichen Verkehr zwischen dem Strafverteidiger und seinem Mandanten kommt auch die zur Wahrung der Menschenwürde wichtige Funktion zu, darauf hinwirken zu können, dass der Beschuldigte nicht zum bloßen Objekt im Strafverfahren wird (vgl. BVerfGE 109, 279, 322, 329).
4. Eine Heilung des Beschlusses im Beschwerdeverfahren durch ein Auswechseln der rechtlichen Begründung der Überwachungsanordnung ist dann nicht möglich, wenn es bereits an einem Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen fehlte und ein vom Ermittlungsrichter nicht angenommener und nicht geprüften Tatverdacht zugrunde gelegt werden müsste.