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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2007
8. Jahrgang
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1. Zum Recht auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK (in Fortführung von BGHSt 46, 93). (BGHSt)
2. Davon, ob eine unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zuzurechnen ist, ist nach der Rechtsprechung des EGMR der Beweiswert der Angaben dieses Zeugen abhängig. Insbesondere bei Vorliegen von Verfahrensfehlern ist bereits dann einen Konventionsverstoß anzunehmen, wenn sich die Verurteilung zwar nicht allein, aber in einem entscheidenden Ausmaß auf Angaben eines solchen Zeugen stützt. (Bearbeiter)
3. Verletzungen der Benachrichtigungspflicht des § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO sind auch dann Verfahrensfehler, die den Ausschlag für einen geringeren Beweiswert des Zeugen geben, wenn die Verletzung nicht absichtlich, sondern versehentlich oder unter Verkennung der gesetzlichen Voraussetzungen erfolgte.
4. Bei der Anwendung des deutschen Strafprozessrechts ist die MRK in der Auslegung, die sie durch Rechtsprechung des EGMR erfahren hat, zu berücksichtigen (BVerfG NJW 2004, 3407; BGHSt 45, 321, 328 f.). Daher gilt für die tatrichterliche Beweiswürdigung: Ist die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zuzurechnen, kann eine Verurteilung auf dessen Angaben nur gestützt werden, wenn diese durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden (BGHSt 46, 93, 106; BGH NStZ 2005, 224, 225). (Bearbeiter)
5. Hinsichtlich der gewichtigen Gesichtspunkte außerhalb der Aussage sind strenge Maßstäbe anzuwenden. Bei der Aussageanalyse ist insbesondere zu bedenken gewesen, dass gerade den Merkmalen, dass die Angaben "detailreich" und "in einen vielschichtigen Kontext eingebunden" sind, infolge des Fehlens einer kontradiktorischen Erörterung ein geringeres Gewicht zukommt. (Bearbeiter)
§ 354 Abs. 1 b StPO findet nicht nur bei den Angeklagten beschwerenden, sondern auch bei ihn begünstigenden, auf Revision der Staatsanwaltschaft zu berücksichtigenden Rechtsfehlern Anwendung (vgl. zu Absatz 1 a der Vorschrift Senatsurteil vom 16. März 2006 - 4 StR 536/05).
1. Das Gericht - der Vorsitzende - muss bei der Terminsbestimmung ernsthaft versuchen, dem Recht des Angeklagten, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, soweit wie möglich Geltung zu verschaffen (BGH NStZ 1999, 527; StV 1992, 53).
2. Nicht jede Verhinderung eines Verteidigers kann zur Folge haben, dass eine Hauptverhandlung nicht durch- oder fortgeführt werden kann, sondern ausgesetzt werden muss (§ 228 Abs. 2 StPO; vgl. BGH NStZ 1999, 527; NStZ 1998, 311, 312). Allerdings ist der Vorsitzende gehalten, über Anträge auf Verlegung eines Termins nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und den berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten zu entscheiden (BGH NStZ-RR 2006, 271, 272; NStZ 1998, 311, 312). Bei der danach gebotenen Abwägung kommen dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) und aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK folgenden Gebot, über eine strafrechtliche Anklage in angemessener Zeit zu verhandeln, und dem in Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG (vgl. auch 17 § 121 Abs. 1 StPO; Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 MRK) zu beachtenden besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen hohes Gewicht zu (vgl. BVerfG - Kammer - StV 2006, 251; NJW 2006, 1336; NJW 2006, 672; NStZ 2006, 47).
3. Zu einem Einzelfall, in dem die Rücksichtnahme auf eine geplante Fortbildungsveranstaltung des Wahlverteidigers durch eine bloße Terminsverschiebung nach der Belastung der Kammer unmöglich war und nur eine Aussetzung in Betracht kam.
1. Bei einer von einem deutschen Ermittlungsbeamten geleiteten, in Deutschland durchgeführten Vernehmung handelt es sich ungeachtet der Teilnahme ausländischer Ermittlungsbeamter um keine ausländische Vernehmung. Die Vornahme der Untersuchungshandlung richtet sich nach deutschem Prozessrecht als Recht des ersuchten Staats.
2. Die Hinzuziehung von Hilfspersonen zu polizeilichen Vernehmungen ist unschädlich, solange dadurch nicht die für die polizeiliche Vernehmung geltenden Schutzvorschriften (§§ 136 f., 163a SPO) umgangen werden.
3. Der Angeklagte ist bei einer Rechtshilfevernehmung jedenfalls dann nicht in dem Vertrauen geschützt, dass seine Angaben in einem deutschen Strafverfahren nicht verwendet werden können, wenn das deutsche Verfahren gegen ihn bereits eingeleitet ist und - wie ihm bekannt - in offensichtlichem Zusammenhang mit dem Gegenstand der Vernehmung steht.
4. Ein Verwertungsverbot ließe sich auch aus einer Überschreitung der Rechtshilfebewilligung zur Teilnahme an einer deutschen Vernehmung nicht herleiten: Die deutschen Strafverfolgungsbehörden könnten einer Verwertung des Beweisergebnisses im Ausland nachträglich zustimmen (vgl. BGHSt 34, 334, 343 f.).
Liegen bezüglich einer Beschuldigtenvernehmung keine hinreichend verlässlichen Anhaltspunkte für eine erfolgte Belehrung vor, und kommt hinzu, dass ein Aktenvermerk im Sinne von Nr. 45 Abs. 1 RiStBV nicht gefertigt wurde, dürfen Äußerungen, die der Beschuldigte in dieser Vernehmung gemacht hat, nicht verwertet werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst, soweit diese nicht auf der Hand liegen (vgl. BGHSt 2, 184, 186; BGH NStZ 1981, 401; BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 15 m. w. N.). Geht es um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, bedarf es daher der Begründung, warum die zu beweisende Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst lassen würde. Die erforderliche Begründung entspricht grundsätzlich den Begründungserfordernissen bei der Würdigung von durch Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen.
1. Kann der Tatrichter nicht die erforderliche Gewissheit gewinnen und zieht hieraus die gebotene Konsequenz, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung "lebensfremd erscheinen" mag.
2. Ein Messerstich in den Oberkörper ist eine äußerst gefährliche Gewalthandlung, der die Annahme einer Tötungsabsicht regelmäßig nahe legt. Dies gilt umso mehr, wenn, das - auch überraschte - Opfer wegen der räumlich beengten Verhältnisse praktisch keine Chance hat, die Wirkung des Stichs durch Ausweichbewegungen oder sonst in irgendeiner Weise abzumildern.
3. Allenfalls denktheoretische Zweifel können regelmäßig eine im Übrigen nahe liegende Schlussfolgerung nicht in Frage stellen. Der Grundsatz, dass keine Veranlassung besteht, fern liegende Möglichkeiten zu unterstellen, gilt umso mehr, wenn die möglichen ungewöhnlichen Besonderheiten, die eine Überzeugung hindern sollen, nicht nur nicht bewiesen, sondern "naturgemäß" auch kaum beweisbar sind.
4. In einer fremden Rechtsordnung wurzelnde Verhaltensmuster, Vorstellungen und Anschauungen können regelmäßig nur dann strafmildernd berücksichtigt werden, wenn sie im Einklang mit der fremden Rechtsordnung stehen.
1. Ist der Inhalt eines Schriftstücks in der Hauptverhandlung erörtert und ist auch nicht bestritten worden, dass das Schriftstück diesen Inhalt hat so kann schon deshalb das Urteil regelmäßig nicht darauf beruhen, dass das Schriftstück nicht verlesen worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 1957 - 4 StR 165/57).
2. Grundsätzlich genügt es für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge, dass die den Mangel begründenden Tatsachen vollständig vorgetragen werden. Dagegen ist ihre Glaubhaftmachung, etwa durch die Angabe von Beweismitteln und Aktenstellen, aus denen sich diese Tatsachen ergeben, nicht erforderlich (BGH NStZ-RR 2003, 334 (LS)). Der Vortrag, eine Urkunde sei nicht verlesen worden, ist vollständig. Zur Prüfung seiner Schlüssigkeit - nicht: seiner Richtigkeit - bedarf es des Rückgriffs auf das Protokoll nicht. Besondere Umstände können gleichwohl weitergehende Ausführungen unerlässlich machen könnten, sind nicht erkennbar.
1. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter zunächst darlegen, welchen Sachverhalt er als festgestellt erachtet (st. Rspr., BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7 m.w.N.). Die Wiedergabe allein von Bekundungen der vernommenen Zeugen genügt der Begründungspflicht nicht (BGHR aaO m.w.N.).
2. Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGHSt 29, 18, 20).
1. Eines besonders hervorgehobenen Revisionsantrags bedarf es nicht, wenn das Begehren des Beschwerdeführers sich aus der Revisionsbegründung ergibt.
2. In der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge durch den Angeklagten ist regelmäßig die Erklärung zu sehen, dass das Urteil insgesamt angefochten werden soll.
Die in § 275 Abs. 1 Satz 1 StPO gebrauchte Formulierung "zu den Akten zu bringen" ist nicht wörtlich zu nehmen. Es genügt, wenn das vollständige Urteil innerhalb der im Gesetz genannten Frist auf den Weg zur Geschäftsstelle gebracht ist (BGHSt 29, 43, 45).