HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1246
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 455/23, Beschluss v. 19.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1246
Der Antrag des Angeklagten vom 8. April 2024 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anbringung einer weiteren Verfahrensbeanstandung wird als unzulässig verworfen.
Auf seine Revision wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 20. März 2023
im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis, und des Handeltreibens mit Cannabis in neun Fällen schuldig ist,
im Ausspruch über die Einzelstrafen für die Fälle 3 bis 6, 9, 13 bis 16 und 19 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben,
im Einziehungsausspruch
aufgehoben betreffend die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 29.750 Euro im Fall 8 und in Höhe von 76.080 Euro einschließlich der Feststellungen zur Höhe des erlangten Tatertrages im Fall 3 sowie
im Übrigen dahin abgeändert, dass gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.551.320 Euro angeordnet wird, wobei er in Höhe von 733.030 Euro als Gesamtschuldner haftet.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwanzig Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf sachlich-rechtliche und Verfahrensbeanstandungen gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts handelte der Angeklagte - teils allein und teils gemeinschaftlich mit dem gesondert Verfolgten S. - im Zeitraum März bis Juni 2020 in acht Fällen mit Methamphetamin zwischen 3 kg und 10 kg (Fälle 1, 7, 8, 10, 12, 17, 18 und 20), in einem Fall mit 20 kg Methamphetamin und 20.000 Ecstasytabletten (Fall 2), in einem Fall mit 1 kg Kokain (Fall 11), in einem Fall mit 50 kg Marihuana und 1 kg Kokain (Fall 5), in acht Fällen mit Marihuana zwischen 4,8 kg und 100 kg (Fälle 3, 4, 6, 9, 13, 14, 16 und 19) sowie in einem Fall mit 10 kg Haschisch (Fall 15). Das gehandelte Methamphetamin hatte jeweils einen Wirkstoffgehalt von 70 % Methamphetaminbase, das Kokain einen solchen von 70 % Kokainhydrochlorid und das Cannabis einen solchen von 10 % Tetrahydrocannabinol, wobei im Fall 6 statt des vom Angeklagten bestellten Marihuanas tatsächlich lediglich Cannabidiol (CBD) geliefert wurde. Die Ecstasytabletten wiesen eine Wirkstoffmenge von jeweils 250 mg MDMA-Base auf.
Den Verfahrensbeanstandungen bleibt der Erfolg versagt.
1. Der Angeklagte dringt auch mit der nachgereichten - mit einem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen - Verfahrensbeanstandung nicht durch, mit der er geltend macht, die die Beweiswürdigung tragenden EncroChat-Daten hätten betreffend die Fälle 3 bis 6, 9, 13 bis 16 und 19 nach den Maßstäben der Grundsatzentscheidung des Senats (BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539) aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht verwertet werden dürfen, weil das Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) nach dem insoweit am 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz) vom 27. März 2024 (BGBl. I 2024 Nr. 109) keine Katalogtat im Sinne von § 100b Abs. 2 StPO mehr darstellt, selbst wenn sich die Handlung auf eine nicht geringe Menge bezieht (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG).
a) Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung oder Ergänzung von Verfahrensrügen ist bei einer wie hier bereits form- und fristgerecht begründeten Revision grundsätzlich unzulässig, denn die Wiedereinsetzung dient nicht dazu, formale Mängel der Revisionsbegründung zu heilen, und sie darf nicht dazu führen, die Vorschriften des § 344 Abs. 2 Satz 2 und des § 345 StPO zu unterlaufen; eine Wiedereinsetzung zur Nachholung oder Ergänzung von Verfahrensrügen kommt vielmehr nur ausnahmsweise in besonderen Prozesssituationen in Betracht, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 9. Januar 2024 - 2 StR 261/23; vom 17. Januar 2023 - 2 StR 508/21; vom 22. März 2022 - 6 StR 28/22; vom 25. November 2021 - 4 StR 103/21; vom 4. März 2021 - 4 StR 209/20).
Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor. Der Anspruch auf Wahrung rechtlichen Gehörs gebietet eine Wiedereinsetzung vorliegend nicht. Der Beschwerdeführer war auch unter der bis zum 31. März 2024 geltenden Rechtslage durch nichts - weder durch äußere Umstände noch durch Umstände aus der Sphäre der Justiz - daran gehindert, ein Verwertungsverbot betreffend die EncroChat-Kommunikation über die Formalbeanstandung mit der Angriffsrichtung unzulässiger Erlangung der Daten („Befugnis-Shopping“) hinaus auch mit der Angriffsrichtung einer Unverhältnismäßigkeit der Verwertung der Daten geltend zu machen. Allein der Umstand, dass er die Erhebung einer Verfahrensrüge mit dieser Stoßrichtung infolge der zum 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetzesänderung nunmehr für aussichtsreich hält, führt nicht dazu, dass sein Bedürfnis nach einer möglichst erschöpfenden Anbringung von Verfahrensrügen das öffentliche Interesse daran überwiegt, den geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung eine klare Verfahrenslage zu schaffen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 7. September 1993 - 5 StR 162/93, zum insoweit vergleichbaren Fall, dass der Beschwerdeführer nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist von einer Änderung der Rechtsprechung erfährt, auf die er nunmehr eine Verfahrensrüge stützen will).
b) Ungeachtet dessen bliebe die Verfahrensbeanstandung aber auch deshalb erfolglos, weil sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechend ausgeführt ist.
Der Beschwerdeführer teilt die der gerügten Verwertung der EncroChat-Daten zu Grunde liegenden Verfahrensvorgänge betreffend ihre Erhebung seitens der französischen Strafverfolgungsbehörden, ihre Übermittlung an die deutschen Strafverfolgungsbehörden im Wege der Rechtshilfe und ihre Einführung in die Hauptverhandlung nicht ordnungsgemäß mit; vielmehr nimmt er pauschal - ohne genaue Bezeichnung der maßgeblichen Dokumente und ohne Angabe konkreter Fundstellen - auf den in anderen Abschnitten der Revisionsbegründung im Zusammenhang mit weiteren Verfahrensrügen als eine Art Vorspann auf mehreren hundert Seiten gehaltenen Tatsachenvortrag Bezug, und zwar namentlich wegen der „von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main in drei Sonderbänden zur Verfügung gestellten Unterlagen betreffend die Datenerhebung, Rechtshilfeverfahren und Übermittlung“, wegen des die Beweiserhebung über diese Vorgänge betreffenden „Verfahren[s] in der Hauptverhandlung“ sowie wegen der „Einführung der EncroChat-Daten in die Hauptverhandlung“.
Das genügt nicht den Anforderungen, die an einen ordnungsgemäßen Revisionsvortrag zu stellen sind (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dafür reicht es nämlich nicht, die für unterschiedliche Beanstandungen möglicherweise relevanten Verfahrenstatsachen im Sinne einer Nacherzählung zu referieren und sodann bei den einzelnen Verfahrensrügen durch pauschale Verweise darauf Bezug zu nehmen, denn es ist nicht die Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus einem umfangreichen Konvolut von Unterlagen das für die jeweilige Rüge Passende herauszusuchen und dabei den Sachzusammenhang selbst herzustellen; stattdessen wäre es erforderlich, bezogen auf die konkrete Rüge (lediglich) den insoweit relevanten Verfahrensstoff mitzuteilen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2022 - 5 StR 184/22; vom 14. Mai 2020 - 5 StR 672/19 jeweils mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 13. Mai 2020 - 4 StR 533/19 mwN).
2. Soweit die Beanstandung einer Verletzung von § 338 Nr. 3 StPO wegen fehlerhafter Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs vom 11. August 2022 - ebenso wie das Gesuch selbst - auch auf Richter am Landgericht Ga. bezogen sein sollte, ginge sie fehl, weil dieser nicht als erkennender Richter im Sinne des § 338 Nr. 3 StPO bei dem Urteil mitgewirkt hat.
3. Die Rüge einer Verletzung von § 338 Nr. 3 StPO wegen fehlerhafter Verwerfung des gegen die erkennenden Richter und Schöffen am 20. März 2023 angebrachten Ablehnungsgesuchs bleibt ohne Erfolg.
a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
Der Angeklagte beantragte am 10. März 2023, ein an den Vorsitzenden gerichtetes Schreiben des Zeugen D. vom 5. März 2023, das die Beisitzerin dem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren des Zeugen zugeordnet hatte, beizuziehen und der Verteidigung Akteneinsicht zu gewähren. Dies lehnte der Vorsitzende am 20. März 2023 unter Hinweis darauf ab, dass die Strafkammer bereits mit Beschluss vom 10. März 2023 einen Antrag auf Verlesung dieses Schreibens wegen Bedeutungslosigkeit (§ 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO) abgelehnt hatte. Auf Antrag der Verteidigung bestätigte die Strafkammer die Anordnung des Vorsitzenden. Daraufhin brachte der Angeklagte gegen die erkennenden Richter und Schöffen noch am 20. März 2023 ein Ablehnungsgesuch an. Die Besorgnis der Befangenheit ergebe sich daraus, dass die Strafkammer den Beiziehungsantrag ohne Kenntnis vom Inhalt des Schreibens des Zeugen D. gestützt allein auf die lückenhafte Erinnerung der Beisitzerin abgelehnt habe.
Dem vorausgegangen waren zwei weitere Befangenheitsgesuche vom 10. März 2023, eines gerichtet gegen den Vorsitzenden und die Beisitzerin wegen Unterdrückung des besagten Schreibens und eines gegen den Vorsitzenden, die Beisitzerin und die Schöffen wegen Ablehnung des genannten Beweisantrages auf Verlesung des Schreibens. Beide Gesuche waren mit Beschlüssen vom 17. März 2023 als unbegründet zurückgewiesen worden; das erste, weil die Zuordnung des Schreibens zum Verfahren des Zeugen nicht auf sachfremden oder willkürlichen Erwägungen beruhe, und das zweite, weil die Behandlung der unter Beweis gestellten Tatsache als bedeutungslos weder willkürlich noch völlig abwegig sei.
Das Ablehnungsgesuch vom 20. März 2023 verwarf die Strafkammer in der Besetzung mit den abgelehnten Richtern gemäß § 26a Abs. 2 StPO aus den Gründen des § 26a Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO als unzulässig. Das Schreiben sei bereits Gegenstand zweier Ablehnungsgesuche gewesen. Mit seiner Verfahrensrelevanz hätten sich die Beschlüsse vom 17. März 2023 befasst. Angesichts dessen läge eine bloße Wiederholung der Ablehnung aus demselben Grund vor und es sei zudem von Verfahrensverschleppung auszugehen.
b) Die Verfahrensbeanstandung erweist sich sowohl mit der Angriffsrichtung der unzutreffenden Annahme eines Verwerfungsgrundes im Sinne von § 26a Abs. 1 StPO als auch mit der Angriffsrichtung einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bereits als unzulässig.
Der Beschwerdeführer teilt schon das angeblich verfahrensrelevante Schreiben des Zeugen D. nicht mit, so dass der Senat das Verhalten der abgelehnten Richter im Hinblick auf dieses Schreiben nicht beurteilen kann. Zudem trägt er nicht vor, welche Bemühungen um Akteneinsicht in das Verfahren des Zeugen er gemäß § 475 StPO unternommen hat. Die beiden Ablehnungsgesuche vom 10. März 2023 teilt er im Rahmen der vorliegenden Rüge ebenfalls nicht mit und nimmt - anders als bezüglich der beiden Beschlüsse vom 17. März 2023 - auch nicht auf eine Mitteilung an anderer Stelle Bezug. Der Senat vermag deshalb nicht abschließend zu beurteilen, ob das Ablehnungsgesuch vom 20. März 2023 mit Unrecht verworfen worden ist.
c) Allerdings liegt in einer Konstellation wie der vorliegenden die Annahme eines Verwerfungsgrundes im Sinne des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO wegen bloßer Wiederholung der Ablehnung aus demselben Grund (vgl. zum Fehlen eines tauglichen Ablehnungsgrundes in diesen Fällen BGH, Beschluss vom 14. November 2023 - 4 StR 239/23; MeyerGoßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 26a Rn. 4b) ebenso nahe wie die Annahme von Verschleppungsabsicht im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Rn. 6).
Jedenfalls hat die Strafkammer nicht ihre eigene Entscheidung vom 20. März 2023 über die Bestätigung der Zurückweisung des Beiziehungsantrages des Angeklagten vom 10. März 2023 durch den Vorsitzenden inhaltlich überprüft; vielmehr hat sie zum Beleg der bloßen Wiederholung einer Ablehnung aus demselben Grunde im Hinblick auf die Verfahrensrelevanz des Schreibens des Zeugen D. ausdrücklich die Entscheidungen der „zuständigen Richter“ vom 17. März 2023 über die Zurückweisung der beiden Ablehnungsgesuche des Angeklagten vom 10. März 2023 referiert.
4. Die Verfahrensbeanstandungen im Zusammenhang mit der Ablehnung des Beweisantrages des Angeklagten vom 14. Juni 2022 auf Vernehmung mehrerer Auslandszeugen sind bereits nicht zulässig erhoben, weil der Beschwerdeführer entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO die im Ablehnungsbeschluss des Landgerichts vom 12. August 2022 „zur Beweislage ... ergänzend“ in Bezug genommenen Entscheidungen nicht vollständig mitteilt. Insbesondere legt er von den Nichtabhilfeentscheidungen der Strafkammer vom 19. April 2022 nur diejenige betreffend den vormals Mitangeklagten S. vor, nicht aber den ihn betreffenden, auf seine Haftbeschwerde gegen den Haftfortdauerbeschluss vom 8. April 2022 hin ergangenen Beschluss.
Es kommt deshalb nicht mehr entscheidend darauf an, dass es das sachverständig beratene Landgericht im Beschluss vom 12. August 2022 rechtsfehlerfrei abgelehnt hat, aus der in dem verwendeten EncroChat-Telefon hinterlegten Länderkennung „de“ darauf zu schließen, das Telefon habe sich zu bestimmten Zeitpunkten auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland befunden, weil die im Betriebssystem hinterlegte Länderkennung nicht auf einen bestimmten Aufenthaltsort hinweise.
5. Anders als der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vermag der Senat den Ausführungen des Beschwerdeführers in Teil 2 der Revisionsbegründung unter D. I. bis V. mangels konkreter Angriffsrichtung keine bestimmte Verfahrensbeanstandung zu entnehmen. Vielmehr stellt der Beschwerdeführer vorab selbst klar, „im Folgenden ... die einzelnen Beweiserhebungen aus der Hauptverhandlung ... in einem gemeinsamen Tatsachenvortrag für die unter VI. bis VIII. bezeichneten Rügen“ darzustellen und „unter V. bis VIII. ... sodann die Rügen bezogen auf die Verletzung des Fragerechts, die Aufklärungsrüge und die Rüge der lückenhaften Beweiswürdigung“ folgen zu lassen. Dementsprechend macht er zu den Abschnitten I. bis V. entgegen seiner sonstigen Handhabung bei den Verfahrensrügen auch keine Ausführungen zur „Rechtlichen Würdigung“.
6. Die Rügen einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung im Sinne des § 338 Nr. 8 iVm § 240 Abs. 2, § 241 Abs. 2 StPO durch Zurückweisung dreier die Authentizität und Integrität der EncroChat-Daten betreffender Fragen im Rahmen der Anhörung zweier Sachverständiger in den Hauptverhandlungsterminen vom 8. Juli 2022 und vom 25. Januar 2023 erweisen sich ebenfalls bereits deshalb als unzulässig, weil der Angeklagte entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO die den Mangel enthaltenen Tatsachen nicht innerhalb dieser Verfahrensrügen mitteilt, sondern dafür auf einen in anderen Abschnitten der Revisionsbegründung enthaltenen Vorspann zu mehreren Verfahrensbeanstandungen verweist, ohne dafür jedoch eine konkrete Fundstelle zu benennen (vgl. hierzu bereits oben II.1.b).
Das betrifft für die zurückgewiesene Frage im Hauptverhandlungstermin vom 8. Juli 2022 namentlich den Beschluss über die Einholung eines forensisch-informationstechnologischen Sachverständigengutachtens zur Analyse und Aufbereitung der dokumentierten Chatinhalte vom 5. Januar 2022 und das vorläufige schriftliche Gutachten der Sachverständigen Z. und W., für die erste zurückgewiesene Frage im Hauptverhandlungstermin vom 25. Januar 2023 den noch im Termin ergangenen Zurückweisungsbeschluss der Kammer und die ebenfalls noch im Termin angebrachte Gegenvorstellung der Verteidigung sowie für die zweite Frage im Hauptverhandlungstermin vom 25. Januar 2023 die auf die Beanstandung dieser Frage durch den Vorsitzenden hin abgegebene schriftliche Erklärung der Verteidigung. Ohne Mitteilung des Inhalts dieser Dokumente vermag der Senat nicht zu beurteilen, ob die Fragen zu Recht zurückgewiesen wurden.
Die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils führt zur Änderung des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung des Ausspruchs über die Einzelstrafen in den Fällen 3 bis 6, 9, 13 bis 16 und 19 der Urteilsgründe und des Ausspruchs über die Gesamtstrafe; überdies hat die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nur teilweise Bestand.
1. Der Schuldspruch ist nicht zu beanstanden, soweit das Landgericht den Angeklagten für seinen Handel mit Methamphetamin, Kokain und Ecstasy wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG in elf Fällen verurteilt hat (Fälle 1, 2, 5, 7, 8, 10 bis 12, 17, 18 und 20). Er kann aber insoweit nicht bestehen bleiben, als der Angeklagte für seinen Handel mit Marihuana (Fälle 3, 4, 5, 6, 9, 13, 14, 16 und 19) und Haschisch (Fall 15) ebenfalls nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden ist; denn dieser unterfällt nunmehr - nach dem insoweit am 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz) vom 27. März 2024 (BGBl. I 2024 Nr. 109) - dem Konsumcannabisgesetz (vgl. § 1 Nr. 8 KCanG).
a) Die Neuregelung sieht für das Handeltreiben mit Cannabis (in nicht geringer Menge) im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 4 KCanG gegenüber der vom Landgericht der Bemessung der Strafen in den genannten Fällen jeweils zu Grunde gelegten Bestimmung des § 29a Abs. 1 BtMG einen geringeren Strafrahmen vor und ist hier deshalb das mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB; dies hat das Revisionsgericht auf die Sachrüge hin zu beachten (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2024 - 5 StR 542/23 mwN).
b) Das vom Landgericht festgestellte Tatgeschehen ist für die Fälle 3, 4, 6, 9, 13, 14 bis 16 und 19 nunmehr als Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG in neun Fällen zu würdigen. Bei Fall 5 tritt zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG tateinheitlich das Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG hinzu (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2024 - 5 StR 115/24).
Der Umstand, dass sich die Taten jeweils auf eine nicht geringe Menge Cannabis bezogen, weil deren Grenzwert auch für das Konsumcannabisgesetz bei einem Wirkstoffgehalt von 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol in der Cannabismenge liegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24; vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24), bedarf keiner Kennzeichnung in der Urteilsformel; denn dieser Umstand begründet für die Fälle des einfachen Handeltreibens lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG, der im Schuldspruch keinen Ausdruck findet (BGH, Beschluss vom 7. Mai 2024 - 5 StR 115/24). Ein Zusatz unerlaubter oder verbotener Tatbegehung ist im Urteilstenor auch für die Tatbestände nach dem Konsumcannabisgesetz entbehrlich (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24).
c) Der Senat hat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO iVm § 354a StPO den Schuldspruch in der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Weise geändert. Die Regelung des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
2. Die gesetzliche Neuregelung zwingt indes zur Aufhebung der Strafaussprüche in den von der Schuldspruchänderung betroffenen Fällen 3 bis 6, 9, 13 bis 16 und 19.
Der Senat kann trotz der ausdrücklichen strafmildernden Berücksichtigung der herabgesetzten Gefährlichkeit von Marihuana und Haschisch durch das Landgericht („weiche Drogen“) in den Fällen 3 bis 6, 9, 13, 14, 16 und 19 nicht ausschließen, dass es bei Anwendung des milderen Strafrahmens des Konsumcannabisgesetzes niedrigere Strafen gegen den Angeklagten verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO).
Das gilt auch für die im Fall 5 verhängte Einzelstrafe. Zwar war diese ungeachtet des Inkrafttretens des Konsumcannabisgesetzes aus dem Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG zuzumessen (vgl. § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB). Gleichwohl ist der Strafe durch die gesetzgeberische Wertung, die sich mit Blick auf die in § 34 Abs. 3 KCanG gegenüber § 29a Abs. 1 BtMG vorgesehene mildere Strafdrohung ergibt, die Grundlage entzogen. Der Senat kann angesichts der im Verhältnis zum Kokain (1 kg mit 70 % Kokainhydrochlorid) großen Menge an Marihuana (50 kg mit 10 % Tetrahydrocannabinol) nicht ausschließen, dass die Tathandlung des Angeklagten in Bezug auf diese Droge für das Landgericht bei der Bestimmung des Schuldumfangs und damit bei der Findung der verhängten Strafe mitentscheidend war.
Die Aufhebung der Einzelstrafen in den genannten Fällen entzieht zugleich dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, denn sie werden von der aufgrund der Gesetzesänderung notwendigen Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe nicht berührt (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.
3. Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß §§ 73, 73c StGB hält der aufgrund der Sachrüge veranlassten revisionsgerichtlichen Überprüfung nur teilweise stand.
a) Sie ist betreffend die Fälle 3 und 8 der Urteilsgründe aufzuheben.
aa) Die Einziehung des Wertes von Taterträgen im Fall 3 kann keinen Bestand haben, denn den Urteilsgründen lässt sich - auch unter Berücksichtigung ihres Gesamtzusammenhangs - für diesen Fall nicht entnehmen, in welcher Höhe dem Angeklagten der Gesamterlös von 76.080 Euro aus der Weiterveräußerung der 15,85 kg Marihuana an verschiedene Abnehmer tatsächlich zugeflossen ist.
Das Landgericht stützt sich in der Beweiswürdigung ohne nähere Erläuterung auf eine insoweit mehrdeutige Kommunikation des früheren Mitangeklagten mit einem der Abnehmer. Darin fragt er diesen nach dem Restgeld für den Lieferanten in Höhe von 18.480 Euro, „weil der das abholen muss“. Auf den Einwand des Abnehmers, dass eigentlich Sonntag abgemacht worden sei und es für den morgigen Tag dann nur „16“ würden, antwortet der Angeklagte: „Ahso kein ding der kommt dann zu dir. Gib denn 16 und Rest dann [...] Morgen 14.30 Uhr E. Straße .“ Aufgrund dessen bleibt letztlich unklar, an wen und in welcher Höhe der besagte Abnehmer den Restbetrag gezahlt hat. Aufgrund dieser Unklarheit vermag der Senat für diesen Fall insgesamt nicht nachzuvollziehen, in welcher Höhe dem Angeklagten der Veräußerungserlös aus den Abverkäufen tatsächlich zugeflossen ist.
Dies bedingt zugleich die Aufhebung der Feststellungen zur Höhe des erlangten Tatertrages im Fall 3 der Urteilsgründe (§ 353 Abs. 2 StPO).
bb) Die Einziehungsentscheidung kann weiter keinen Bestand haben, soweit das Landgericht im Fall 8 die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 29.750 Euro angeordnet hat.
Es ist den Feststellungen bereits nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die gegenständliche Einziehung des durch die Tat erlangten Fahrzeuges beim Angeklagten nicht mehr möglich ist. Zudem hat die Strafkammer keine Feststellungen zum objektiven Wert des Fahrzeugs getroffen.
Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es insoweit nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können und müssen im Hinblick auf die aufgezeigten Lücken um solche ergänzt werden, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.
Sollte das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht ebenfalls die Voraussetzungen einer Wertersatzeinziehung nach §§ 73, 73c StGB bejahen, wird es im Hinblick auf die Höhe des Einziehungsbetrages das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO zu beachten haben.
b) Im Übrigen bedarf der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderungen.
aa) Die Einziehungsentscheidung erweist sich auch in den Fällen 1, 7, 17 und 20 als rechtsfehlerhaft. In diesen Fällen hat das Landgericht seiner Einziehungsentscheidung jeweils den gesamten Veräußerungserlös zugrunde gelegt, obwohl dieser dem Angeklagten nach den Feststellungen jeweils nur teilweise tatsächlich zugeflossen ist. In Folge dessen ist die Einziehungsentscheidung um insgesamt weitere 129.800 Euro zu hoch bemessen.
Nach den Feststellungen hat der gesondert verfolgte S. im Fall 1 lediglich einen Betrag von 36.200 Euro und im Fall 7 lediglich einen solchen von 38.000 Euro vom Erlös in Höhe von jeweils 40.500 Euro an den Angeklagten weitergeleitet. Im Fall 17 ist dem Angeklagten vom Erlös in Höhe von 90.250 Euro lediglich ein Teilbetrag von 52.250 Euro tatsächlich zugeflossen; einen Teilbetrag in Höhe von 38.000 Euro hat der Abnehmer des Angeklagten direkt an seinen Lieferanten gezahlt. Entsprechendes gilt im Fall 20; hier hat der Abnehmer des Angeklagten vom Gesamterlös in Höhe von 90.000 Euro lediglich 5.000 Euro an den Angeklagten und die restlichen 85.000 Euro direkt an dessen Lieferanten gezahlt.
Eine Verrechnung mit solchen Erlösen, die dem Angeklagten bei anderen Taten über die Einziehungsanordnung des Landgerichts hinaus zugeflossen sind, scheidet wegen des tatbezogenen Verschlechterungsverbots nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO aus (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2023 - 2 StR 324/23). Ebenso wenig kommt eine Verrechnung insoweit in Betracht, als das Landgericht bei der Ermittlung des Gesamteinziehungsbetrages zu Gunsten des Angeklagten in Höhe von 13.200 Euro von einem zu geringen Einziehungsbetrag ausgegangen ist, weil sich aus der im Ergebnis fehlerhaften Berechnung des Landgerichts nicht ergibt, bei welchem der Fälle es sich zugunsten des Angeklagten verrechnet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2023 - 5 StR 321/22).
Der Senat setzt deshalb den jenseits der Fälle 3 und 8 verbleibenden Einziehungsbetrag auf 1.551.320 Euro fest.
bb) Schließlich bedarf die Einziehungsentscheidung auch insoweit der Korrektur, als der Angeklagte hinsichtlich eines Betrages von insgesamt 733.030 Euro als Gesamtschuldner haftet. Das Landgericht hat in den Fällen 1 und 7 die gesamtschuldnerische Mithaftung des vormals Mitangeklagten S. in Höhe von insgesamt 74.200 Euro übersehen.
Der gesondert Verfolgte nahm in diesen Fällen den Kaufpreis in Höhe von jeweils 40.500 Euro vom Abnehmer entgegen und leitete ihn unter Abzug von 4.300 Euro im Fall 1 und 2.500 Euro im Fall 7 an den Angeklagten weiter, der deshalb für die ihm zugeflossenen Veräußerungserlöse in Höhe von 36.200 Euro im Fall 1 und 38.000 Euro im Fall 7 lediglich gesamtschuldnerisch haftet.
Der Senat hat den Ausspruch über die gesamtschuldnerische Haftung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO korrigiert; hierfür ist die namentliche Benennung des Gesamtschuldners nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 16. September 2021 - 2 StR 51/21).
4. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache der neuen Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1246
Bearbeiter: Christian Becker