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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1456

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 499/23, Beschluss v. 31.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1456


BGH 4 StR 499/23 - Beschluss vom 31. Juli 2024 (LG Landau)

Handeltreiben mit Cannabis (Beihilfe; Konkurrenzen); Erwerb von Cannabis (Freigrenze); Strafzumessung (Jugendstrafrecht: Rechtsfolgenbemessung).

§ 34 KCanG; § 27 StGB; § 31 JGG

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landau vom 18. September 2023 wird

a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 5 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last,

b) das vorgenannte Urteil

aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln sowie wegen Handeltreibens mit Cannabis in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis und verbotenem Erwerb von Cannabis, schuldig ist, und

bb) im Strafausspruch aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Erwerb von Betäubungsmitteln und in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fälle II. 2 bis 4 der Urteilsgründe), wegen „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 1 der Urteilsgründe), wegen „unerlaubten“ Erwerbs von Betäubungsmitteln (Fall II. 5 der Urteilsgründe) sowie wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Besitz von Betäubungsmitteln (Fall II. 6 der Urteilsgründe) schuldig gesprochen. Es hat gegen ihn unter Einbeziehung eines anderen Urteils auf eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren erkannt und angeordnet, dass die in der einbezogenen Sache im Bewährungsverfahren geleistete Geldauflage und erfüllte Weisung mit zehn Tagen auf die nunmehr verhängte Einheitsjugendstrafe angerechnet werden. Zudem hat die Jugendkammer eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Senat stellt das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO aus prozessökonomischen Gründen ein, soweit der Angeklagte im Fall II. 5 der Urteilsgründe wegen „unerlaubten“ Erwerbs von Betäubungsmitteln verurteilt worden ist.

2. Darüber hinaus bedarf der Schuldspruch in den Fällen II. 1 bis II. 4 der Urteilsgründe der Änderung, weil sich diese Tathandlungen des Angeklagten auf den Umgang mit Cannabis beziehen.

a) Nach den Feststellungen fasste der Angeklagte spätestens im November 2021 den Entschluss, mit Betäubungsmitteln - insbesondere Kokain und Marihuana - Handel zu treiben, um sich dadurch eine dauerhafte und nicht nur unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen. Hierzu schloss er sich mit wechselnden Mitkäufern zusammen, um günstigere Einkaufsbedingungen zu erzielen und Transportkosten zu sparen. Dem Angeklagten oblag die Führung der Verkaufsgespräche mit den Lieferanten, das Eintreiben des Geldes sowie die Abholung der Drogen und deren anschließende Verteilung unter den Mitgliedern der Einkaufsgemeinschaft. Ein Teil der Rauschmittel des Angeklagten war für seinen eigenen Konsum bestimmt. Am 23. Dezember 2021 bestellte der Angeklagte bei einem Lieferanten 50 g Haschisch (15 % THC) und 500 g Marihuana zum Gesamtkaufpreis von 3.900 €. Davon waren die gesamte Haschischmenge und 10 g Marihuana zum Eigenkonsum des Angeklagten und die restlichen 490 g Marihuana zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt, wovon wiederum 115 g für den Angeklagten und 375 g für die Mitglieder der Einkaufsgemeinschaft vorgesehen waren. Am 25. Dezember 2021 fand die Übergabe statt. Zugunsten des Angeklagten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Wirkstoffmenge an THC in der Weiterverkaufsmenge des Angeklagten knapp unter 7,5 g lag (Fall II. 1 der Urteilsgründe). Anschließend löste der Angeklagte bei demselben Lieferanten eine weitere Bestellung von 1 kg Marihuana zum Preis von 4.500 € sowie von - zum Eigenkonsum bestimmten - 28 g Marihuana (7,5 % THC) einer anderen Sorte aus. Von der Marihuanamenge waren ein halbes Kilogramm für ein Mitglied der Einkaufsgemeinschaft und die andere Hälfe für den Angeklagten bestimmt, wobei er 50 g selbst konsumieren und den Rest gewinnbringend veräußern wollte. Die Lieferung fand am 8. Januar 2022 statt. Wegen der schlechten Qualität der Kilogrammmenge mit einem Wirkstoffanteil von 7,5 % THC gab der Angeklagte seine Portion wieder an den Lieferanten zurück (Fall II. 2 der Urteilsgründe). Anfang Januar 2022 bestellte er nochmals bei diesem Lieferanten 1 kg Marihuana nunmehr zum Preis von 4.900 €, wobei wiederum für ihn 500 g und davon 50 g zum Eigenkonsum und der Rest für ein Mitglied der Einkaufsgemeinschaft bestimmt waren. Die Übergabe fand am 11. Januar 2022 statt. Erneut gab er seinen Anteil wegen der schlechten Qualität des Marihuanas mit 7,5 % THC zurück (Fall II. 3 der Urteilsgründe). Ab dem 24. Dezember 2021 löste der Angeklagte bei einem anderen Lieferanten eine Bestellung über 1,5 kg Haschisch aus, wovon 1 kg für Mitglieder der Einkaufsgemeinschaft vorgesehen waren. Von dem restlichen halben Kilogramm wollte er 50 g selbst konsumieren und 450 g gewinnbringend veräußern. Die Lieferung des Haschisch (15 % THC) wurde am 15. Januar 2022 vollzogen (Fall II. 4 der Urteilsgründe). Durch den Weiterverkauf des Cannabis in den Fällen II. 1 und II. 4 der Urteilsgründe erzielte der Angeklagte einen Erlös von insgesamt 5.650 €.

b) Zwar lässt das Urteil in den Fällen II. 1 bis 4 der Urteilsgründe nach dem zur Zeit der Entscheidung geltenden Recht keinen Rechtsfehler erkennen. Allerdings ist am 1. April 2024 das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG, BGBl. I Nr. 109) in Kraft getreten; dies ist nach § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO bei der Revisionsentscheidung zu berücksichtigen. Nunmehr ist der Umgang mit Konsumcannabis abschließend im neuen KCanG geregelt. Damit hat der Senat den hier milderen § 34 KCanG zur Anwendung zu bringen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juni 2024 - 4 StR 111/24 Rn. 4 mwN).

aa) Hiernach hat sich der Angeklagte nach den Feststellungen in Bezug auf die zum gewinnbringenden Weiterverkauf durch ihn bzw. die Mitglieder der Einkaufsgemeinschaft bestimmten Mengen in allen vier Fällen jeweils des Handeltreibens mit Cannabis in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis schuldig gemacht (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB). Bei Marihuana und Haschisch handelt es sich um Produkte der Cannabispflanze, die nach den Begriffsbestimmungen des KCanG als „Cannabis“ erfasst werden (§ 1 Nr. 4 und Nr. 5 KCanG). Die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Beschaffung des Cannabis in einer Einkaufsgemeinschaft (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2017 - 2 StR 46/17 Rn. 6) bleibt hiervon unberührt. Dass sich die jeweiligen Handelsmengen (außer die eigene Handelsmenge im Fall II. 1 der Urteilsgründe) auf eine nicht geringe Menge beziehen (vgl. zum Grenzwert von 7,5 g THC BGH, Beschluss vom 6. Mai 2024 - 4 StR 5/24 Rn. 10; Beschluss vom 30. April 2024 - 6 StR 164/24 Rn. 6; Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 Rn. 11 ff.; Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24 Rn. 7 ff.) stellt lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar (§ 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG), der im Schuldspruch keinen Ausdruck findet (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2024 - 6 StR 179/24 Rn. 6; Beschluss vom 7. Mai 2024 - 5 StR 115/24 Rn. 10).

bb) Zudem hat der Angeklagte tateinheitlich hierzu - bezogen auf die Eigenkonsummengen - jeweils einen verbotenen Erwerb von Cannabis von mehr als 25 g pro Tag gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. a KCanG verwirklicht, wobei der Zusatz „verboten“ zur Klarstellung geboten ist (§ 260 Abs. 4 StPO), weil diese Art des Umgangs mit Cannabis nicht stets unter Strafe steht (§ 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG) (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2024 - 6 StR 102/24 Rn. 6 [Besitz]; Patzak in Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., KCanG, § 34 Rn. 14a). § 265 StPO steht der Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

Der Angeklagte ist nicht auch zugleich wegen tateinheitlichen Erwerbs von mehr als 50 g pro Kalendermonat (§ 34 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. b KCanG) zu verurteilen (so der Sache nach auch BGH, Beschluss vom 12. Juni 2024 - 1 StR 121/24 Rn. 12). Zwar überschritt er in allen vier Fällen sowohl das Tages- als auch das Kalendermonatslimit der Eigenkonsummengen, wobei insoweit - wie auch bei den Mengengrenzen des straffreien Besitzes - auf das konsumfähige getrocknete Pflanzenmaterial und nicht auf die darin enthaltene Wirkstoffmenge abzustellen ist (vgl. BGH aaO). In den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe geschah dies durch denselben Erwerbsvorgang. In den Fällen II. 3 und 4 der Urteilsgründe resultiert die Überschreitung (auch) der höchstmöglichen Bezugsmenge pro Kalendermonat aus der Addition mit den zuvor in demselben Kalendermonat vom Angeklagten erworbenen Mengen. Jedoch tritt diese Erwerbsalternative der Überschreitung des Kalendermonatslimits (Buchst. b) hinter derjenigen des Tageslimits (Buchst. a) vorliegend zurück; sie stellt sich hier als subsidiärer Auffangtatbestand dar. Die Freigrenzen des § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG entsprechen in ihrer mengenmäßigen und zeitlichen Beschränkung den erlaubten Weitergabemengen zum Eigenkonsum der Anbauvereinigungen an ihre über 21 Jahre alten Mitglieder (§ 19 Abs. 3 KCanG). Die Begrenzung der Weitergabemengen in § 19 Abs. 3 KCanG dient der Verringerung der Suchtrisiken der Mitglieder (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 116). Auch § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG verfolgt den Schutz der Konsumenten vor Abhängigkeit, indem der Erwerb oder die Entgegennahme von Cannabis bei Überschreitung der vorgenannten Mengengrenzen mit Strafe bedroht ist. Dies gilt unbeschadet des Umstandes, dass nach der Gesetzesbegründung aus Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit bei Einhaltung der Bezugsmengen Straffreiheit nach § 34 Abs. 1 Nr. 12 KCanG auch dann bestehen soll, wenn der Erwerb aus illegalen Quellen erfolgt ist (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 131). Fallen - wie vorliegend - das Überschreiten der täglichen Bezugsmenge mit derjenigen im Kalendermonat zusammen, wird der Unrechtsgehalt vollständig von der Erwerbsalternative nach Buchst. a (>25 g pro Tag) erfasst. Denn die Erwerbsalternative nach Buchst. b (>50 g pro Kalendermonat) ist ersichtlich für den sukzessiven Erwerb von Kleinmengen konzipiert, da schon die Bezugsmenge von 25 g pro Tag den üblichen Tagesbedarf eines Genusskonsumenten wesentlich überschreitet (vgl. BR-Drucks. 92/1/24, S. 2).

3. Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Das Landgericht hat bei der Bemessung der Schuldschwere im Ansatz zutreffend den Maßstab der gesetzlichen Strafandrohungen des Erwachsenenstrafrechts herangezogen. Dabei hat die Jugendkammer die Fälle II. 1 bis 4 der Urteilsgründe als minder schwere Fälle nach § 29a Abs. 2 BtMG eingeordnet, der Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren vorsieht. Zwar deckt sich diese Strafandrohung mit dem erhöhten Strafrahmen des § 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG, wenn sich die Handlung - wie vorliegend (im Fall II. 1 der Urteilsgründe nur bezüglich der für die Mitglieder der Einkaufsgemeinschaft bestimmten Teilmenge) - auf eine nicht geringe Menge bezieht (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG). Jedoch liegt angesichts der Wertung der Jugendkammer als jeweils minder schwere Fälle nahe, dass sie nach einer Parallelwertung vorliegend nicht zu der Einstufung als besonders schwere Fälle im Sinne des nunmehr geltenden § 34 Abs. 3 KCanG gelangt wäre, sondern sich an dem Normalstrafrahmen für erwachsene Straftäter des § 34 Abs. 1 KCanG orientiert hätte. Dieser reicht von Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe und fällt damit gegenüber § 29a Abs. 2 BtMG deutlich milder aus.

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:

a) Im Fall der Anwendung des § 31 Abs. 2 JGG ist im Rahmen der Strafzumessung eine neue, selbstständige und von der früheren Beurteilung unabhängige, einheitliche Rechtsfolgenbemessung für die früher und jetzt abgeurteilten Taten vorzunehmen, weil das einbezogene Urteil im Strafausspruch seine Wirkung verliert (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2023 - 2 StR 57/23 Rn. 4 mwN; Beschluss vom 29. November 2022 - 3 StR 383/22 Rn. 5; Beschluss vom 27. Oktober 2022 - 4 StR 184/22 Rn. 3). Eine nur formelhafte Berücksichtigung der in dem einbezogenen Urteil genannten Strafzumessungserwägungen genügt diesen Anforderungen nicht.

b) Sollte das neue Tatgericht den Angeklagten wiederum zu einer Einheitsjugendstrafe unter Einbeziehung des früheren Urteils, in dem gegen ihn eine Jugendstrafe mit Bewährung verhängt worden war, verurteilen, ist für die Anrechnung von Bewährungsleistungen - anders als im Fall von Beugearrest wegen schuldhaften Verstoßes gegen Weisungen oder Auflagen in der Bewährungszeit (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2024 - 6 StR 308/24 mwN) - kein Raum. Diese werden jedoch zur Wahrung des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden müssen (vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 11. Februar 2014 - 4 StR 551/13 Rn. 3; Beschluss vom 3. März 2004 - 1 StR 71/04 Rn. 4 ff.).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1456

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede