HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 172
Bearbeiter: Fabian Afshar
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 383/22, Beschluss v. 29.11.2022, HRRS 2023 Nr. 172
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 13. Juni 2022 in den Rechtsfolgenaussprüchen aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen besonders schweren Raubes verurteilt, den Angeklagten A. unter Strafaussetzung zur Bewährung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, den Angeklagten Ab. zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren unter Einbeziehung einer Vorverurteilung, deren Einziehungsentscheidung es aufrechterhalten hat. Die Angeklagten wenden sich gegen das Urteil mit auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Ihre Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Strafaussprüche haben keinen Bestand, weil das Urteil an einem Darstellungsmangel leidet, was den Vollstreckungsstand der jeweils nicht einbezogenen Vorverurteilungen der Angeklagten angeht. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift hinsichtlich des Angeklagten A. ausgeführt:
„Den Urteilsgründen ist weder zu entnehmen, ob die mit den Urteilen des Amtsgerichts Krefeld vom 17. Juni 2016 (Az. 22 Ds-6 Js 233/16-119/16) und vom 31. März 2017 (Az.: 22 Ds - 31 Js 466/16-18/17) verhängten Maßnahmen erledigt sind, noch, ob die mit der Entscheidung des Amtsgerichts Krefeld vom 11. Oktober 2019 (Az.: 22 Ds - 31 Js 412/19-278/19) verhängte Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 5 € erledigt ist (UA Bl. 12 f.). Daher kann nicht beurteilt werden, ob das Landgericht jeweils zu Recht auf die Einziehung der Vorverurteilungen (§ 31 Abs. 2 Satz 1, 105 Abs. 2 JGG) verzichtet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2021 - 6 StR 304/21, juris Rn. 4; Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - 3 StR 324/11; Senat, Urteil vom 26. Juli 2018 - 3 StR 189/18, juris Rn. 10; BGH, Beschluss vom 1. Juni 2010 - 4 StR 208/10, juris Rn. 7; BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - 2 StR 507/12, juris Rn. 3; BGH, Urteil vom 18. August 2021 - 5 StR 203/21, juris Rn. 3).“
Betreffend den Angeklagten Ab. hat der Generalbundesanwalt angemerkt:
„So teilen die Urteilsgründe den Vollstreckungsstand der mit Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom 10. November 2017 (Az.: 22 Ds-6 Js 1138/17-3335/17) verhängten Maßnahmen nicht mit (BeckOK JGG/Schlehofer, 26. Ed. 1.8.2022, JGG § 31 Rn. 29a). Den Urteilsgründen ist insoweit nur zu entnehmen, dass gegen den Angeklagten ein Jugendarrest in Form eines Freizeitarrestes (§ 16 Abs. 1 JGG) verhängt, ihm die Erbringung von (nicht näher bezeichneten) Arbeitsleistungen auferlegt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 JGG) und gegen ihn eine (nicht näher bezeichnete) richterliche Weisung (§ 10 JGG) erteilt wurde (UA Bl. 4 f.). Ferner teilen die Urteilsgründe mit, dass gegen ihn ein Jugendarrest von zwei Wochen wegen Zuwiderhandlung gegen Auflagen erteilt worden sei (§§ 11 Abs. 3, 15 Abs. 3 Satz 2 JGG), welcher jedoch nicht vollständig vollstreckt worden sei (UA Bl. 5). Damit kann den Urteilsgründen nicht mit Gewissheit entnommen werden, ob die Arbeitsauflage erledigt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - 3 StR 324/11), ob die Weisung ausgeführt ist (Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, 23. Aufl. 2022, § 31 Rn. 23), und - da die Urteilsgründe auch zum Zeitpunkt der Rechtskraft schweigen -, ob der Jugendarrest in Form eines Freizeitarrestes jedenfalls durch Zeitablauf erledigt ist (§ 87 Abs. 4 Satz 1 JGG). Daher kann auch nicht beurteilt werden, ob das Landgericht, welches nur das Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom 5. Februar 2020 (Az.: 22 Ls-6 Js 1683/18-124/19) in seine Entscheidung einbezogen hat, zu Recht auf die Einbeziehung (§ 31 Abs. 2 Satz 1 JGG) auch des Urteils des Amtsgerichts Krefeld vom 10. November 2017 verzichtet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2021 - 6 StR 304/21, juris Rn. 4).
Auch teilt das Landgericht den Vollstreckungsstand der durch das Amtsgericht Hameln am 21. Juli 2021 (Az.: 52 Cs - 3111 Js 50901/21 - 6/21) verhängten - ausdrücklich nicht einbezogenen (§§ 31 Abs. 3 JGG, 105 Abs. 2 JGG; UA Bl. 26) - Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 5 € (UA Bl. 11) nicht mit (Senat, Urteil vom 26. Juli 2018 - 3 StR 189/18, juris Rn. 10; BGH, Beschluss vom 1. Juni 2010 - 4 StR 208/10, juris Rn. 5; BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - 2 StR 507/12, juris Rn. 3; BGH, Urteil vom 18. August 2021 - 5 StR 203/21, juris Rn. 3). Unbeschadet dessen erscheint die Erwägung des Landgerichts, die Nichteinbeziehung sei im Hinblick auf die unterschiedlichen Straftatbestände aus (nicht näher dargelegten) erzieherischen Gründen zweckmäßig (UA Bl. 26), zumindest insoweit nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar, als der Angeklagte auch mit dem einbezogenen Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom 5. Februar 2020 (UA Bl. 5) unter anderem wegen Beleidigung verurteilt wurde (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Mai 2022 - 3 StR 85/22).“
Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an. Das neue Tatgericht wird die erforderlichen ergänzenden Feststellungen zu treffen haben. Für die Frage der Einbeziehung ist sodann - wie bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB - der Vollstreckungsstand zum Zeitpunkt der Verkündung des auf die Revisionen aufgehobenen Urteils maßgeblich. Haben die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG damals vorgelegen, ist - vorbehaltlich eines Vorgehens nach § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG - eine rechtskräftige Vorverurteilung auch dann in das neue Erkenntnis einzubeziehen, wenn sie zwischenzeitlich vollstreckt ist (s. bereits BGH, Beschluss vom 3. Mai 2022 - 3 StR 85/22, NStZ 2022, 556 Rn. 17 mwN).
2. Überdies hält der sachlichrechtlichen Überprüfung nicht stand, dass das Landgericht im Rechtsfolgenausspruch für den Angeklagten Ab. das Bestehenbleiben der Einziehungsentscheidung aus der einbezogenen Vorverurteilung angeordnet hat. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Auch insoweit leidet das Urteil an einem Darstellungsmangel, weil es sich nicht dazu verhält, was aufgrund welcher Vorschrift eingezogen wurde. Mithin kann weder beurteilt werden, ob die Einziehung gemäß § 75 StGB bereits erledigt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juni 2005 - 3 StR 123/05, juris Rn. 6; BGH, Urteil vom 22. Mai 2003 - 4 StR 130/03, juris Rn. 11), noch, ob es sich um eine Ermessensentscheidung handelt.
Unbeschadet dessen hat das Landgericht keine eigene Erwägung zu der Einziehungsentscheidung angestellt (Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, 23. Aufl. 2022, JGG § 31 Rn. 47). Wird ein früheres Urteil gemäß § 105 Abs. 1, § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG in die nunmehrige Entscheidung einbezogen, so entfallen die in dem einbezogenen Urteil verhängten Rechtsfolgen, als wäre diese Entscheidung nicht ergangen. Hierzu zählt auch die Einziehung als Nebenfolge im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 2 StR 194/19, juris Rn. 11). Die Voraussetzungen der festgesetzten Maßnahmen sind erneut zu prüfen und […] gegebenenfalls neu anzuordnen (vgl. Senat, Beschluss vom 4. September 2018 - 3 StR 65/18, juris Rn. 7; BGH, Beschluss vom 18. August 2021 - 5 StR 203/21, juris Rn. 7). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat nicht nach Prüfung erneut über die Einziehung entschieden, sondern bloß deren Bestehenbleiben angeordnet.“
Dem schließt sich der Senat ebenfalls an (s. auch OLG Celle, Beschluss vom 26. Februar 2020 - 3 Ws 32/20, StV 2020, 653, 654). Auch insoweit sind ergänzende Feststellungen geboten sowie eine eigenständige Prüfung der Einziehungsvoraussetzungen durch das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht.
3. Die bisherigen Feststellungen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 172
Bearbeiter: Fabian Afshar