HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 568
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 452/22, Beschluss v. 28.02.2023, HRRS 2023 Nr. 568
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 9. August 2022 aufgehoben, soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts begründet worden ist. Das Rechtsmittel hat mit Blick auf die nicht angeordnete Maßregel Erfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die unterbliebene Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 Satz 1 StGB hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, weil die Strafkammer die mögliche Anordnung der Maßregel nicht erörtert hat, obwohl sich das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen aufdrängte (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2022 - 2 StR 378/22 Rn. 13; Beschluss vom 2. März 2022 - 2 StR 425/21 Rn. 8; Beschluss vom 15. Dezember 2021 - 2 StR 491/21 Rn. 7; Beschluss vom 7. Januar 2009 - 3 StR 458/08, NStZ 2009, 261; jew. mwN).
a) Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Zuschrift vom 24. November 2022 Folgendes ausgeführt:
„Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumiert der Angeklagte seit zwanzig Jahren Marihuana, zuletzt nach eigenen, unwiderlegten Angaben im Umfang von fünf bis zehn Gramm täglich (UA S. 4). Er beging in der Vergangenheit mehrere Straftaten, darunter auch die verfahrensgegenständliche, um sich Betäubungsmittel für den Eigenkonsum zu verschaffen und seinen Konsum zu finanzieren (UA S. 4-6). Auch die verfahrensgegenständliche Tat diente ausschließlich diesen Zwecken (UA S. 7). In der Vergangenheit hat der Angeklagte im Jahr 2012 bereits einmal eine stationäre Suchttherapie durchlaufen, die über acht Jahre hinweg zu einer deutlichen Reduzierung seines Cannabiskonsums führte (UA S. 4).
Angesichts dieser Feststellungen hätte die Strafkammer unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) prüfen müssen, ob beim Angeklagten ein Hang i.S.d. § 64 StGB beststeht und in der Folge die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen ist. Voraussetzung für eine Unterbringung gemäß § 64 StGB ist (unter anderem) ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ein übermäßiger Genuss ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr., vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2014 - 1 StR 317/14). Dies erscheint beim Angeklagten aufgrund des festgestellten langjährigen und erheblichen Betäubungsmittelkonsums, seiner wiederholten Verurteilungen wegen Delikten aus dem Bereich der Beschaffungskriminalität sowie aufgrund der Deliktsnatur der Anlasstat naheliegend. Da das Landgericht jedoch die nach seinen Feststellungen naheliegende Maßregel nach § 64 StGB mit keinem Wort erwähnt, bedarf die Sache insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung; dass lediglich der Angeklagte Revision eingelegt hat, ist insoweit unerheblich, § 358 Absatz 2 Satz 3 StPO (BGH, Beschluss vom 22. November 2021 - 5 StR 368/21).
Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese vom Rechtsfehler nicht betroffen sind, § 353 Absatz 2 StPO. Es kann zudem ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei Verhängung einer Maßregel nach § 64 StGB eine mildere Strafe verhängt hätte; diese kann deshalb ebenfalls bestehen bleiben.“
b) Dem schließt sich der Senat an und bemerkt ergänzend, dass sich aus den Feststellungen nicht ergibt, dass von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten mangels Erfolgsaussicht der Behandlung nach § 64 Satz 2 StGB hätte abgesehen werden müssen und das Urteil daher auf dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Die Urteilsausführungen enthalten dazu mit der Wiedergabe des noch verhältnismäßig jungen Alters des Angeklagten und der im Jahr 2012 über einen erheblichen Zeitraum erfolgreichen Entzugsbehandlung im Rahmen einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG positive Prognosefaktoren, die in der Gesamtschau mit gegen die Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkten abgewogen werden müssen und eine auf Tatsachen gegründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs ergeben können (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2022 - 4 StR 438/22 Rn. 3; Beschluss vom 31. August 2022 - 5 StR 130/22, NStZ-RR 2022, 372; van Gemmeren in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 64 Rn. 64 mwN).
2. Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss der neue Tatrichter daher - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) - (erstmals) verhandeln und entscheiden. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu den Anordnungsvoraussetzungen der Maßregel nach § 61 Nr. 2, § 64 StGB und zur Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB zu treffen.
3. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 568
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede