hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 319

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 491/21, Beschluss v. 15.12.2021, HRRS 2022 Nr. 319


BGH 2 StR 491/21 - Beschluss vom 15. Dezember 2021 (LG Erfurt)

Betäubungsmitteldelikte (Strafzumessung: THC-Anteil); Einziehung des Wertes von Taterträgen (nichtiger Schuldenerlass); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

§ 29 BtMG; § 46 StGB; § 73c StGB; § 64 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 24. August 2021 aufgehoben

a) im Ausspruch über

aa) die Einzelstrafe im Fall II.1 der Urteilsgründe,

bb) die Gesamtfreiheitsstrafe,

cc) die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 500 €; diese entfällt,

b) soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln und unerlaubtem Besitz einer verbotenen Waffe“ sowie wegen „unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einem rechtskräftigen Strafbefehl vom 31. Oktober 2020 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 500 € angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Überprüfung des Schuld- sowie des Strafausspruchs im Fall II.2 der Urteilsgründe hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Hingegen haben die Einzelstrafe im Fall II.1 der Urteilsgründe und die Gesamtstrafe keinen Bestand.

a) Die Strafzumessung im Fall II.1 der Urteilsgründe erweist sich als rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht bei der Zumessung dieser Einzelstrafe von einem Jahr und neun Monaten zu Lasten des Angeklagten gewichtet hat, dass die festgestellte Wirkstoffmenge der vom Angeklagten transportierten 7 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 12,5 % THC die nicht geringe Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG um das 875-fache überschritten habe. Dabei hat das Landgericht übersehen, dass mathematisch allein der THC-Anteil des transportierten Marihuanas bei 875 g lag, die nicht geringe Menge von 7,5 g THC (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 - 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8, 14) jedoch um das rund 116-fache überschritten wurde. Der Senat kann angesichts der zahlreichen Strafmilderungsgründe trotz der moderaten Einzelstrafe nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffend gewertetem Schuldgehalt eine mildere Einzelstrafe verhängt hätte.

b) Der Entfall der Einzelstrafe im Fall II.1 der Urteilsgründe entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.

3. Die Einziehungsentscheidung hat keinen Bestand; diese entfällt. Das Landgericht hat die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 500 € mit der Begründung angeordnet, dass dem Angeklagten Schulden in dieser Höhe für die Begehung der Tat II.1 der Urteilsgründe vom gesondert Verfolgten R. erlassen worden seien, er mithin Aufwendungen in Höhe von 500 € erspart habe. Hierbei hat das Landgericht übersehen, dass der Schuldenerlass für die Beteiligung an einem verbotenen Betäubungsmittelgeschäft nichtig ist, so dass der Angeklagte keinen Vorteil erlangt hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14. März 2007 - 2 StR 54/07, juris Rn. 7; vom 26. Oktober 2021 - 2 StR 311/21, juris Rn. 16, jew. mwN).

4. Auch die unterbliebene Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 Satz 1 StGB hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, weil die Strafkammer die mögliche Anordnung der Maßregel nicht erörtert hat, obwohl hierzu Anlass bestand (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2009 - 3 StR 458/08, NStZ 2009, 261).

(aa) Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit 2009 regelmäßig, zumeist täglich, Marihuana. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung im September 2020 wurden knapp 50 g Marihuana für den Eigenkonsum sichergestellt. Aus dem Gewinn seines Drogenhandels finanzierte er seinen Eigenkonsum von drei bis fünf Gramm Marihuana täglich sowie die Kosten seiner Lebensführung.

(bb) Diese Feststellungen legen die Annahme eines Hangs des Angeklagten im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, Drogen im Übermaß zu sich zu nehmen, den symptomatischen Zusammenhang der verfahrensgegenständlichen Taten, aber auch die Gefahr weiterer gewichtiger Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nahe. Da auch die übrigen Voraussetzungen des § 64 StGB nicht von vornherein verneint werden können, bedarf die Sache auch im Hinblick auf die Maßregelentscheidung - mit sachverständiger Unterstützung, § 246a Abs. 1 Satz 2 StPO ? neuer Verhandlung und Entscheidung.

5. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen und bleiben bestehen (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 319

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß