HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 35
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 317/14, Beschluss v. 07.10.2014, HRRS 2015 Nr. 35
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 26. März 2014 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 30 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt und Wertersatzverfall in Höhe von 250.000 Euro angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Hinsichtlich der Verfahrensrüge nimmt der Senat auf die Ausführungen im Antrag des Generalbundesanwalts vom 24. Juli 2014 Bezug. Der auf dem umfangreichen glaubhaften Geständnis des Angeklagten beruhende Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler auf; dies gilt auch für den Strafausspruch, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat. Die Anordnung des Wertersatzverfalls in Höhe von 250.000 Euro lässt jedenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler erkennen.
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist.
Der Senat vermag diesem Antrag nicht zu entsprechen.
Die Revision erwähnt § 64 StGB nicht. Ob dies in einer Gesamtschau mit ihrem übrigen Vorbringen ergibt, dass die Nichtanwendung von § 64 StGB wirksam vom Rechtsmittelangriff ausgenommen ist (die im Übrigen uneingeschränkte Anfechtung des Urteils stünde dem nicht entgegen, vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 6. November 2002 - 1 StR 382/02 mwN), kann hier offen bleiben.
Der Senat kann den Urteilsgründen nämlich nicht entnehmen, dass eine neue Verhandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Unterbringungsanordnung führen wird (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9).
Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts schloss der Angeklagte eine Lehre zum Kfz-Mechatroniker erfolgreich ab und absolvierte anschließend die Meisterschule. 2009 gründete er eine GmbH und betreibt hierunter eine Kfz-Werkstatt. Neben ihm befindet sich noch ein Angestellter im Betrieb. Seine Ehefrau arbeitet als Altenpflegerin. Der Angeklagte kann seinen Lebensunterhalt aus dem Betrieb bestreiten. Er hat einen angesparten Bausparvertrag über ca. 55.000 Euro.
Der Angeklagte begann etwa im Alter von 14 Jahren gelegentlich Haschisch zu rauchen, wobei es nach strafrechtlichen Ahndungen zu Unterbrechungen kam.
Das Rauchen von Cannabis setzte sich bis zu seiner Inhaftierung in diesem Verfahren fort, "wobei der Angeklagte stets auf die übrigen Belange achtete, vorrangig am Wochenende und gelegentlich abends konsumierte" (UA S. 4).
Der Angeklagte ist mehrfach wegen Betäubungsmitteldelikten vorbestraft, zuletzt im Jahre 2003. In den vorliegenden Fällen hat der Angeklagte im Zeitraum von Ende 2006 bis Februar 2013 insgesamt 210 kg Haschisch und 8 kg Marihuana erworben; hiervon dienten 216 kg dem gewinnbringenden Weiterverkauf. Die übrigen 2 kg waren für den Eigenkonsum des Angeklagten bestimmt (insoweit wurde vom Landgericht gemäß § 154a StPO eine Beschränkung vorgenommen). Die durch den Verkauf der Betäubungsmittel erlösten Gelder verbrauchte der Angeklagte "im Rahmen einer recht aufwändigen Lebensführung, beispielsweise häufige und teure Auslandsaufenthalte, vorrangig bei der Familie seiner Ehefrau in Florida, teure Restaurantbesuche oder die Anschaffung von Pkws" (UA S. 12).
Nach Angaben des Angeklagten haben die Taten ihren Ursprung im eigenen Konsum gehabt. Im Rahmen der Strafzumessung wurde zugunsten des Angeklagten gewertet, dass er wegen seines eigenen Suchtmittelkonsums seit Jahren in Kontakt mit Cannabisprodukten stand und hierdurch deutlich im Umgang mit solchen Betäubungsmitteln enthemmt war. Weiter heißt es in der angefochtenen Entscheidung:
"Auch wenn der Gesichtspunkt des eigenen Konsums schon wegen des professionellen Vorgehens und des hohen Organisationsgrads der mehraktigen Taten offensichtlich nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit des Angeklagten geführt hat, stellt sich nach der durchgeführten Beweisaufnahme der eigene Konsum als auslösendes Moment dar, welches letztendlich auch zur Begehung der gegenständlichen Taten beigetragen hat. Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Angeklagte ohne den eigenen Konsum über mehr als zehn Jahre die gegenständlichen Geschäfte nicht begangen hätte. Eine therapeutische Maßnahme im Rahmen des § 35 BtMG wird deshalb bereits jetzt ausdrücklich befürwortet" (UA S. 18).
Voraussetzung für eine Unterbringung gemäß § 64 StGB ist (unter anderem) ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Von einem Hang ist auszugehen, wenn eine eingewurzelte auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Rauschgift zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad psychischer Abhängigkeit erreicht haben muss. "Im Übermaß" bedeutet, dass der Täter berauschende Mittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 6. November 2002 - 1 StR 382/02).
Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist. Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2014 - 1 StR 655/13), wenn auch diesem Umstand bei der Überzeugungsbildung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB einiges Gewicht zukommt.
Angesichts der Tatsache, dass der Rauschgiftkonsum des Angeklagten nach den getroffenen Feststellungen ersichtlich keinerlei Auswirkungen auf sein Sozialverhalten und seine Gesundheit hat, liegt die Annahme eines Hangs i.S.d. § 64 StGB beim Angeklagten nicht nahe. Hinzu kommt, dass ohnehin ausdrücklich nur ein geringfügiger Konsum festgestellt ist. Dieser wird auch durch die angenommene Menge von 2 kg Eigenkonsum (gelegentliches Rauchen von Haschisch) für einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren bestätigt.
Dass der Eigenkonsum Motivation für das groß aufgezogene gewinnbringende Handeltreiben war, belegt weder eine erhebliche Rauschgiftabhängigkeit noch einen Hang, Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, sondern zeigt lediglich den symptomatischen Zusammenhang zwischen einem etwaigen Hang und der Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 11. März 2014 - 1 StR 655/13).
Hier liegt vielmehr ein Handel im großen Stil vor, wobei der geringe Eigenkonsum, den die Kammer mit etwa 1 % beziffert (UA S. 11) gegenüber der aufwändigen Lebensführung nur eine völlig untergeordnete Rolle spielte.
Dass die Kammer zugunsten des Angeklagten gewertet hat, dass der eigene Konsum ein auslösendes Moment war und zur Begehung der Taten beigetragen hat, sagt daher für den vorliegenden Fall nichts über das Vorliegen eines Hangs i.S.d. § 64 StGB aus.
Auch dass die Kammer eine therapeutische Maßnahme im Rahmen des § 35 BtMG ausdrücklich befürwortet, belegt hier keinen Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen.
Die Kammer hat hier nicht, was rechtsfehlerhaft wäre (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 - 2 StR 623/13; BGH, Beschluss vom 11. Juli 2013 - 3 StR 193/13; BGH, Beschluss vom 20. August 2013 - 3 StR 233/13), einen Hang im Sinne des § 64 StGB bejaht oder dessen Voraussetzungen festgestellt und gleichwohl keine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet, sondern stattdessen lediglich eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG in den Raum gestellt. Sie hat vielmehr ersichtlich keinen Hang bejaht und nur eine Zurückstellung erwähnt. Letzteres setzt zwar voraus, dass die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen ist und mag daher ein Indiz für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB sein, doch legt diese nicht näher begründete oder auf tragfähige Feststellungen gestützte Einschätzung der Kammer hier nach den getroffenen Feststellungen keinen Hang des Angeklagten, berauschende Mittel im Übermaß zu nehmen, nahe.
Da im vorliegenden Fall nach den Feststellungen kein entsprechender Hang gegeben ist, liegt in der Nichterörterung der Voraussetzungen des § 64 StGB kein sachlich-rechtlicher Fehler.
Denn aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich, dass die Feststellung eines Hangs nicht hinreichend sicher möglich war (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2014 - 5 StR 268/14).
Eine Unterbringungsanordnung gemäß § 64 StGB kommt aber nur in Betracht, wenn das Vorliegen eines Hangs sicher ("positiv") festgestellt ist. Kommt ein Gericht jedoch lediglich zu dem Ergebnis, ein Hang sei als Grundlage der Tat nicht auszuschließen, so ist für eine Unterbringung kein Raum (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2002 - 1 StR 382/02).
Im vorliegenden Fall ergeben die fehlerfrei getroffenen Feststellungen schon keinen Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, weshalb sich eine Erörterung des § 64 StGB nicht aufdrängte.
Der Senat ist nicht gehindert, gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu entscheiden. Der Aufhebungsantrag hinsichtlich der Entscheidung über eine Maßregelanordnung wirkt zu Lasten und nicht zu Gunsten des Angeklagten i.S.d. § 349 Abs. 4 StPO (st. Rspr., vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012 - 3 StR 128/12; BGH, Beschluss vom 4. November 2009 - 2 StR 434/09; BGH, Beschluss vom 6. Februar 2008 - 4 StR 659/07; BGH, Beschluss vom 6. November 2002 - 1 StR 382/02).
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 35
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel