HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1413
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 278/24, Beschluss v. 07.08.2024, HRRS 2024 Nr. 1413
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 24. Januar 2024
a) in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass die Angeklagten jeweils des Anbaus von Cannabis in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis schuldig sind,
b) in den Strafaussprüchen aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren auf die nicht ausgeführte allgemeine Sachrüge gestützten Revisionen; der Angeklagte M. beanstandet zudem das Verfahren. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen betrieben unbekannt gebliebene Hintermänner in einer Gewerbeimmobilie eine professionell eingerichtete Cannabisplantage, um Marihuana zum gewinnbringenden Verkauf zu erlangen. Die Angeklagten wurden im Juni 2023 unabhängig voneinander angeworben, gegen ein festes Entgelt in der Plantage die anfallenden gärtnerischen Arbeiten zu verrichten. Über einen Zeitraum zwischen eineinhalb und drei Wochen hielten sie sich in den Räumlichkeiten auf und kümmerten sich eigenständig um die Pflege und Aufzucht von Cannabispflanzen. Ihnen oblag es, Setzlinge in Töpfe einzubringen sowie die Pflanzen zu bewässern, zu düngen und zu beschneiden. Noch bevor die Pflanzen, an deren Aufzucht die Angeklagten beteiligt waren, geerntet werden konnten, kam es zu einem polizeilichen Zugriff, bei dem die Angeklagten in den Räumlichkeiten verhaftet wurden. Es wurden insgesamt 545 Cannabispflanzen festgestellt, die teilweise bereits erntereif waren. Die Gesamtwirkstoffmenge belief sich auf 733 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC). Den Angeklagten war bewusst, dass die Plantage der Produktion von Cannabis zum gewinnbringenden Weiterverkauf diente; sie wirkten an deren Betrieb mit, um das ihnen versprochene Entgelt zu erlangen.
1. Die Verfahrensrüge des Angeklagten M. ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Die auf die Sachrügen veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils führt zur Änderung der Schuld- und Aufhebung der Strafaussprüche.
a) Die Schuldsprüche haben keinen Bestand, weil das Landgericht die Angeklagten für ihren Umgang mit Marihuana - entsprechend der zum Urteilszeitpunkt geltenden Rechtslage und gemessen an dieser rechtsfehlerfrei - nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt hat. Am 1. April 2024 ist jedoch das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) vom 27. März 2024 in Kraft getreten (BGBl. 2024 I Nr. 109). Diese Rechtsänderung hat der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO zu berücksichtigen. Nach der Neuregelung unterfällt Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz, sondern bestimmt sich die Strafbarkeit der hier zu beurteilenden Taten nach dem Konsumcannabisgesetz (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Juni 2024 - 3 StR 201/24, juris Rn. 5 mwN; vom 11. Juni 2024 - 3 StR 148/24, juris Rn. 5; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321).
Unter dessen Geltung ist das Tathandeln der Angeklagten als Anbau von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KCanG) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB) zu werten.
Denn bei Marihuana handelt es sich um ein Produkt der Cannabispflanze, das nach den Begriffsbestimmungen des Konsumcannabisgesetzes als „Cannabis“ erfasst wird (§ 1 Nr. 4 KCanG). Die Tathandlungen des § 34 Abs. 1 KCanG hat der Gesetzgeber ausdrücklich an die Begrifflichkeiten des Betäubungsmittelgesetzes angelehnt (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 94; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321, 324 f.).
Die gärtnerische Tätigkeit der Angeklagten stellt sich mithin als (täterschaftlicher) Anbau von Cannabis dar. Anbau umfasst auch nach dem Konsumcannabisgesetz sämtliche gärtnerischen Bemühungen, um ein Wachstum von Cannabispflanzen zu erreichen, darunter insbesondere das Einpflanzen von Setzlingen sowie das Bewässern, Düngen und Beleuchten der Pflanzen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2024 - 3 StR 98/24 Rn. 9; vom 24. April 2024 - 4 StR 50/24, juris Rn. 3; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 44; zum Anbau nach dem Betäubungsmittelgesetz s. etwa BGH, Urteil vom 6. September 2023 - 6 StR 107/23, StV 2024, 449 Rn. 8).
Die ebenfalls verwirklichte Umgangsvariante des Besitzes von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c KCanG) tritt hinter diejenige des Anbaus mangels eigenen Unrechtsgehalts zurück. Dies gilt unter dem Konsumcannabisgesetz auch dann, wenn sich das Tathandeln auf eine nicht geringe Menge bezieht, weil § 34 KCanG - anders als § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG - bei beiden Handlungsvarianten das Vorliegen einer nicht geringen Menge gleichermaßen erfasst, und zwar lediglich als Regelfall eines besonders schweren Falles gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2024 - 3 StR 98/24 Rn. 10; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 57 f.).
Ein - gegebenenfalls in Tateinheit mit dem Anbau von Cannabis stehendes (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2024 - 3 StR 98/24 Rn. 11; vom 3. April 2019 - 5 StR 87/19, NStZ-RR 2019, 218, 220) - Herstellen von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 3 KCanG) ist nicht gegeben. Denn die Angeklagten hatten vor dem polizeilichen Zugriff noch nicht mit der Ernte begonnen. Diese Variante des strafbaren Umgangs mit Cannabis wird jedoch auch unter dem Konsumcannabisgesetz erst mit dem Beginn des Erntevorgangs verwirklicht (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2024 - 3 StR 98/24 Rn. 9, 11; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 44, 56, 61).
Zur Strafbarkeit der Angeklagten wegen Anbaus von Cannabis tritt tateinheitlich eine solche wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis hinzu, denn die mit dem Anbau einhergehende Förderung des Handeltreibens der Hintermänner weist einen eigenen, weiteren Unrechtsgehalt auf (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2024 - 3 StR 98/24 Rn. 12; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 58; s. zur diesbezüglichen Strafbarkeit von Plantagenhelfern nach dem Betäubungsmittelgesetz BGH, Urteil vom 6. September 2023 - 6 StR 107/23, StV 2024, 449 Rn. 9; Beschluss vom 12. Januar 2021 - 4 StR 411/20, juris Rn. 4).
Dass sich die Tat auf Cannabis in nicht geringer Menge bezog - diese ist auch unter dem Konsumcannabisgesetz bei einer Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC erreicht (BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, juris Rn. 8 f.; vom 6. Mai 2024 - 2 StR 480/23, juris Rn. 27 ff.; vom 6. Mai 2024 - 4 StR 5/24, NStZ-RR 2024, 249, 250; vom 29. April 2024 - 6 StR 132/24, juris Rn. 7; vom 24. April 2024 - 4 StR 50/24, juris Rn. 6 ff.; vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, NStZ-RR 2024, 216 f.; vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24, NJW 2024, 1968 Rn. 7 ff.) -, ist im Schuldspruch nicht zum Ausdruck zu bringen, weil dies, wie erwähnt, lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG) darstellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Juni 2024 - 3 StR 148/24, juris Rn. 6 mwN; vom 21. Mai 2024 - 5 StR 481/23, juris Rn. 7; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 260 Rn. 31 mwN). Zudem bedarf es bei Straftaten nach dem Konsumcannabisgesetz keiner Tatkennzeichnung als „unerlaubt“ (oder „verboten“), weil die Strafvorschriften des § 34 KCanG allein den untersagten Umgang mit Cannabis betreffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2024 - 3 StR 142/24, juris Rn. 6; vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, NStZ-RR 2024, 216; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321, 328).
Die neue Rechtslage unter dem Konsumcannabisgesetz ist bei dem nach § 2 Abs. 3 StGB gebotenen konkreten Gesamtvergleich im Einzelfall (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2024 - 3 StR 201/24, juris Rn. 7 mwN; Urteile vom 10. August 2023 - 3 StR 412/22, NZWiSt 2024, 187 Rn. 70; vom 8. August 2022 - 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 12 f. mwN; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 2 Rn. 8 f.; Schönke/Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl., § 2 Rn. 28 ff. mwN; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321, 327) für die Angeklagten günstiger als die nach dem Tatzeitrecht, denn die Strafkammer hat einen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG verneint. Mithin ist das neue Recht gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO maßgeblich.
Der Senat ändert die Schuldsprüche deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO wie aus der Beschlussformel ersichtlich. Die Regelung des § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich die umfassend geständigen Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.
b) Die Strafaussprüche bedürfen der Aufhebung, weil der in Betracht kommende § 34 Abs. 3 KCanG einen erheblich milderen Strafrahmen vorgibt als § 29a Abs. 1 BtMG. Es ist ungeachtet der - unter dem Konsumcannabisgesetz nicht mehr statthaften (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Juni 2024 - 3 StR 201/24, juris Rn. 8; vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, juris Rn. 10; vom 16. Mai 2024 - 6 StR 116/24, NStZ-RR 2024, 215, 216) - strafmildernden Berücksichtigung der im Vergleich zu anderen Drogen minderen Gefährlichkeit von Cannabis („weiche Droge“) durch das Landgericht nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei Anwendung des einschlägigen Strafrahmens des Konsumcannabisgesetzes niedrigere Strafen gegen die Angeklagten verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO).
Eine Aufhebung der zugehörigen Feststellungen ist nicht veranlasst (§ 353 Abs. 2 StPO). Soweit die Strafkammer zu Gunsten der Angeklagten gewertet hat, dass es sich bei Marihuana um eine „weiche Droge“ handele, liegt darin eine bloße Wertung. Das zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese den bisherigen nicht widerstreiten.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1413
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede