HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 840
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 50/24, Beschluss v. 24.04.2024, HRRS 2024 Nr. 840
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Siegen vom 1. September 2023
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung und des verbotenen Anbaus von mehr als drei Cannabispflanzen gleichzeitig schuldig ist,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II.B. der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten, von der er die Nichtanordnung der Maßregel des § 64 StGB ausgenommen hat, erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Strafkammer hat - soweit hier von Bedeutung - festgestellt, dass der Angeklagte am 17. November 2022 eine sog. Indoorplantage, bestehend aus drei Growzelten und der zugehörigen Ausrüstung, in seiner Wohnung betrieb, was bei einer Wohnungsdurchsuchung entdeckt wurde. In zwei Zelten befanden sich insgesamt 43 im Wachstum befindliche Pflanzen, in einem Zelt neun „(an)getrocknete“ Pflanzen. Das aus den insgesamt 52 Pflanzen gewonnene Marihuana hatte ein Gewicht von 559,88 g und einen Wirkstoffgehalt von ca. 13,3 % bzw. 74,2 g THC. Der Angeklagte hatte die Pflanzen zur Befriedigung seines eigenen Konsumbedarfs angebaut (Fall II.B. der Urteilsgründe).
1. Der Schuldspruch wegen „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bedarf im Fall II.B. der Urteilsgründe im Hinblick auf § 34 des am 1. April 2024 in Kraft getretenen Konsumcannabisgesetzes, das der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO als das dem Angeklagten günstigere Recht anzuwenden hat, der aus der Beschlussformel ersichtlichen teilweisen Neufassung (§ 354 Abs. 1 StPO analog). Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass der Angeklagte in den drei in seiner Wohnung errichteten Zelten gleichzeitig 52 Cannabispflanzen zum Zweck des Eigenkonsums anbaute (wobei im Zeitpunkt des Auffindens der Plantage neun der Pflanzen bereits nicht mehr im Wachstum befindlich waren). Dies erfüllt den Tatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 2 a) KCanG. Denn der Begriff des Anbaus im Sinne dieser Strafvorschrift erfasst dieselben Tätigkeiten wie die gleichlautende Tathandlung des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 94; zur abweichenden Definition im vorausgegangenen Referentenentwurf Sobota, NJW 2024, 1217 Rn. 9) und damit auch die vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Handlungen des Angeklagten. Ob der Begriff des Anbaus in Bezug auf Cannabis aus teleologischen Gründen einer erweiternden Auslegung (unter gleichzeitiger Einengung des Herstellens im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 3 KCanG) dahingehend bedarf, dass er darüber hinaus auch Vorgänge nach der Ernte erfasst (so Sobota, aaO, Rn. 10), braucht der Senat hier nicht zu entscheiden.
2. Die Einzelstrafe von einem Jahr und drei Monaten, die das Landgericht im Fall II.B. ausgehend von seiner rechtlichen Würdigung der Tat als Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verhängt hat, kann nicht bestehen bleiben, weil der Strafrahmen des § 34 KCanG, auch bei Annahme eines besonders schweren Falles nach Abs. 3 der Vorschrift, ein geringerer ist als nach der bisherigen Rechtslage (§ 29a Abs. 1 BtMG). Die Aufhebung der Einzelstrafe entzieht zugleich der Gesamtstrafe die Grundlage. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO).
3. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird bei der gebotenen Prüfung, ob die Voraussetzungen eines besonders schweren Falles nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG gegeben sind, das Folgende zugrunde zu legen haben:
a) Der Grenzwert der nicht geringen Menge im Sinne der Vorschrift liegt bei 7,5 g THC. Der Senat sieht weder Anlass noch Möglichkeit, den bislang unter der Geltung des BtMG für Cannabisprodukte anerkannten Grenzwert abweichend festzusetzen (so bereits BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 Rn. 11 ff.; Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 - 5 Ws 19/24).
aa) Der Gesetzgeber hat - nicht anders als im Bereich des Betäubungsmittelgesetzes - die Bestimmung des konkreten Wertes einer nicht geringen Menge der Rechtsprechung überlassen. Soweit er hierzu ausgeführt hat, dass dieser Wert „abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis (…) aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln“ sei, man „im Lichte der legalisierten Mengen“ an der bisherigen Definition „nicht mehr festhalten“ könne und der Grenzwert „deutlich höher“ angesetzt werden müsse (BT-Drucks. 20/8704, S. 132), kann dem zwar entnommen werden, dass dem Gesetzgeber ein höherer Grenzwert vor Augen stand, als er bisher von der Rechtsprechung unter der Geltung des BtMG für Cannabis angenommen worden ist. Der Senat vermag aber weder in tatsächlicher Hinsicht noch unter normativen Gesichtspunkten einen belastbaren Anknüpfungspunkt für eine von dem bisherigen Grenzwert abweichende Bestimmung zu finden.
bb) Bei der herkömmlichen Bestimmung des Grenzwertes der nicht geringen Menge für Cannabisprodukte hat sich der Bundesgerichtshof in tatsächlicher Hinsicht an der durchschnittlichen Konsumeinheit für einen Rauschzustand orientiert und diese gestützt vor allem auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf 15 Milligramm THC festgelegt. Das Vielfache der so bestimmten Konsumeinheit hat er mit der Maßzahl 500 bestimmt. Hiermit sollte die wesentlich geringere Gefährlichkeit von Cannabisprodukten im Verhältnis zu Heroin abgebildet, aber auch - angesichts der gegenüber § 29 Abs. 1 BtMG „außerordentlichen“ Verschärfung der Strafrahmen in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG und insbesondere in § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG - den Unsicherheitsfaktoren bei der Bestimmung des THC-Gehalts einer durchschnittlichen Konsumeinheit Rechnung getragen werden. Auf dieser Grundlage errechnet sich die nicht geringe Menge als 500 Konsumeinheiten zu je 15 Milligramm, was 7,5 Gramm THC entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 - 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8 ff.). Dies hat der Bundesgerichtshof unter ausführlicher Auseinandersetzung mit neueren Erkenntnissen zur Gefährlichkeit von Cannabis insoweit bestätigt gesehen und am Grenzwert festgehalten (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 Rn. 11 ff., 14; Beschluss vom 20. Dezember 1995 - 3 StR 245/95, BGHSt 42, 1 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92, BVerfGE 90, 145).
Dass sich die wissenschaftlichen Grundlagen zur Einschätzung der Gefährlichkeit von Cannabis maßgeblich geändert hätten, lässt sich weder der Gesetzesbegründung entnehmen (vgl. zu den - fortbestehenden - gesundheitlichen Risiken vielmehr BT-Drucks. 20/8704, S. 68; siehe dazu auch HansOLG Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 - 5 Ws 19/24, juris Rn. 30) noch legen dies gutachterliche Stellungnahmen, die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens von ärztlichen Verbänden und Gesellschaften abgegeben wurden, nahe (vgl. insbesondere die Stellungnahmen der Bundesärztekammer vom 30. Oktober 2023 [BT - Ausschuss f. Gesundheit, Ausschussdrucks. 20(14)154(11)], der Bundespsychotherapeutenkammer vom 19. Oktober 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(1)], des Berufsverbandes der Kinderund Jugendärztinnen vom 20. Oktober 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(4)], der Deutschen Gesellschaft für Kinderund Jugendmedizin e.V. vom 2. November 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(30)], der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. vom 2. November 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(27)] sowie die gemeinsame Stellungnahme mehrerer kinderund jugendmedizinscher, -psychiatrischer und -psychotherapeutischer Fachverbände und -gesellschaften vom 2. November 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(29)]).
cc) Auch unter normativen Gesichtspunkten bieten weder der Gesetzestext noch der den Gesetzesmaterialien entnehmbare Wille des Gesetzgebers einen Anhaltspunkt für eine abweichende Festsetzung des Grenzwertes (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 Rn. 21). Soweit darauf abgehoben wird, dass der Erwerb von Cannabis im illegalen Handel wegen des unbekannten THC-Anteils oder möglicher „giftige(r) Beimengungen“ mit erhöhten Gesundheitsrisiken verbunden sei (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1 und 68) und deshalb ein verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis auf der Grundlage eines (mengenlimitierten) Eigenanbaus oder eines nicht gewerblichen gemeinschaftlichen Anbaus mit kontrollierter Weitergabe erleichtert werden solle, kann dem lediglich ein Strategiewechsel in Bezug auf den angestrebten Schutz der Volksgesundheit vor den Gefahren des Cannabiskonsums entnommen werden.
Vor diesem Hintergrund haben auch die den Eigenanbau rechtlich erst ermöglichenden und auf Rohmengen oder Pflanzenzahlen bezogenen Besitz- und Anbauerlaubnisse in § 3 Abs. 1 und 2 sowie § 9 Abs. 1 KCanG keine weitergehende Aussagekraft. Die sich daraus ergebenden sog. legalisierten Mengen sind unabhängig von ihrem THC-Anteil. Zugleich wird der Umgang mit ihnen - über die mengenmäßige Limitierung hinaus - weiter in personaler (Volljährigkeit) und sachlicher Hinsicht (Eigenkonsum, räumliche Beschränkungen, partielle Konsumverbote, Schutzmaßnahmengebote etc.) eingegrenzt, wobei diese Einhegungen partiell in einer Abhängigkeit zur Mengendefinition stehen (vgl. § 3 Abs. 1 und 2 KCanG). Normative Anknüpfungspunkte für die Bewertung von Cannabis, das diesem Schutzregime entzogen worden ist, weil es zum Beispiel nicht für den Eigenkonsum angebaut (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 b) KCanG) oder illegal weitergegeben wurde (§ 34 Abs. 1 Nr. 4, 7, 8, 9 und 10 KCanG), enthalten sie nicht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 Rn. 19; Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24 Rn. 21; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 - 5 Ws 19/24, juris Rn. 28 ff.). Dies gilt im Ergebnis auch für den - hier vorliegenden - Anbau zum Eigenkonsum, der allein die dafür vorgesehenen Umfangsund Mengenvorgaben verletzt. Angesichts der eindeutigen gesetzlichen Vorgabe, wonach ersichtlich eine nicht geringe Menge zu bestimmen ist, bleibt für die Annahme einer insoweit abweichenden Definition, etwa im Sinne einer Bestimmung anhand der Bruttomenge (vgl. dazu Sobota, NJW 2024, 1217 Rn. 12 ff.), kein Raum.
b) Bei der Prüfung, ob und in welchem Maß sich die Tathandlung auf eine in diesem Sinn nicht geringe Menge bezogen hat, wird - ebenso wie in den weiteren Fällen des straffreien Umgangs mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 12 KCanG) - derjenige Teil der Gesamtmenge, mit dem der jeweilige Umgang straffrei wäre, außer Betracht zu bleiben haben und erst die die Grenze zur Strafbarkeit überschreitende Stoffmenge daraufhin zu untersuchen sein, ob und inwieweit sie ihrem Wirkstoffgehalt nach den Grenzwert von 7,5 g THC erreicht bzw. überstiegen hat.
Dieses Verständnis des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG ergibt sich zwar nicht eindeutig aus dem Wortlaut der Norm, denn dieser lässt offen, ob unter der auf eine nicht geringe Menge bezogenen „Handlung“ das gesamte Verhalten des Straftäters oder lediglich derjenige Teil desselben zu verstehen ist, durch das er die Schwelle zur Strafbarkeit überschreitet (also beispielsweise das Einpflanzen von vier Setzlingen oder nur das die Straftat begründende Einpflanzen des vierten). Auch der Gesetzesbegründung ist eine eindeutige Aussage dazu, ob die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 a) und Nr. 12 KCanG genannten Stoffgewichte bzw. Pflanzenmengen gleichsam strafrechtliche Freibeträge oder lediglich strafrechtliche Freigrenzen darstellen, nicht zu entnehmen. Allerdings dürften die Ausführungen in der Gesetzesbegründung zu § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG (BT-Drucks. 20/8704, S. 132) hier eher für Ersteres sprechen, wenigstens aber dafür, dass diejenigen Mengen, die selbst einem verwaltungsrechtlichen Verbot nicht unterliegen, bei der Prüfung der nicht geringen Menge unberücksichtigt zu bleiben haben. Denn dort wird der Zweck der Strafrahmenerhöhung mit den Risiken gerade des illegalen Umgangs mit nicht geringen Mengen erklärt.
Maßgeblich gegen die Auslegung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG als bloße Freigrenze - bei der jegliche Bruttomenge, die die Werte des straffreien Besitzes, Anbaus, Erwerbs oder der Entgegennahme überschreitet, als Ganzes der Prüfung auf einen die Voraussetzungen des besonders schweren Falles erfüllenden Wirkstoffgehalt unterläge - sprechen aber Systematik und Zweck der Norm. Die in ihr geregelten Höchstmengen straffreien Umgangs mit Cannabis sind jeweils durch eine Bruttomenge an Pflanzen oder ein Bruttogewicht an Pflanzenmaterial definiert. Demgegenüber bestimmt sich die nicht geringe Menge - wie ausgeführt - nach dem Wirkstoffgehalt (so auch BT-Drucks. 20/8704, S. 132). Wären die Teilmengen, mit denen der jeweilige Umgang straffrei ist, bei der Ermittlung der nicht geringen Menge im Sinne des Regelbeispiels nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG mit zu berücksichtigen, so könnte diese gesetzliche Regelungstechnik dazu führen, dass bereits eine äußerst geringfügige Überschreitung der straffreien Bruttostoffmenge das Regelbeispiel eröffnen würde. Besäße beispielsweise jemand 61 g Haschisch mit einem THC-Gehalt von 20 % (vgl. zur Entwicklung der durchschnittlichen Wirkstoffgehalte von Cannabis-Produkten Patzak/Dahlenburg, NStZ 2022, 146, 147) in seiner Wohnung, so wäre regelmäßig ein besonders schwerer Fall einer Straftat nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 b) KCanG gegeben, wohingegen der Besitz einer um ein Gramm geringeren Menge straflos und einer um 11 g geringeren Menge trotz jeweils deutlichen Überschreitens eines Wirkstoffgewichts von 7,5 g THC sogar erlaubt wäre. Mit dem in der Gesetzesbegründung niedergelegten Zweck der Strafrahmenerhöhung, den - besonderen - Gefahren des illegalen Umgangs mit nicht geringen Mengen an THC zu begegnen, wäre dies kaum zu vereinbaren.
Zwar liegt es im Wesen jedes rechtlichen Grenzwerts, dass selbst ein für sich genommen geringes Maß an Überschreitung desselben die hieran geknüpften Rechtsfolgen auslösen kann. Auch erscheint nach dem Regelungskonzept des Konsumcannabisgesetzes zwingend, dass die Grenze zwischen dem straflosen und dem strafbaren Umgang mit Cannabis allein von der Bruttomenge abhängt. Dies und die Konsequenz hieraus, dass deshalb der Besitz einer größeren Wirkstoffmenge straffrei sein kann, während - bei größerem Bruttogewicht - derjenige einer kleineren Wirkstoffmenge die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 KCanG erfüllen und damit (nach dem Normalstrafrahmen) strafbar sein kann, ist allerdings ersichtlich dem Umstand geschuldet, dass Wirkstoffgehalte für die Normadressaten nicht ohne weiteres erkennbar sind und daher als Orientierungsgröße wenig geeignet wären. Es ändert freilich nichts daran, dass es systemwidrig erschiene, könnte auch das - im Gegensatz zu der Strafbarkeitsschwelle des § 34 Abs. 1 KCanG - an die besondere Gefährlichkeit hoher Wirkstoffmengen anknüpfende Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG schon durch eine unter diesem Gesichtspunkt unerhebliche Differenz zu einer nicht strafbewehrten Besitzmenge (also beispielsweise 12 g THC bei 60 g Bruttostoffmenge und 12,2 g THC bei 61 g) eröffnet werden.
Hinzu kommt, dass auch die Begrifflichkeit des besonders schweren Falles gegen eine Auslegung spricht, in deren Folge schon bei durchschnittlichen Wirkstoffgehalten und nur ganz geringfügig oberhalb der Strafbarkeitsgrenze liegender Bruttomenge nicht mehr der Normalstrafrahmen, sondern regelmäßig der erhöhte Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG heranzuziehen wäre. Dies wäre aber jedenfalls in Teilen der in Frage kommenden Sachverhaltskonstellationen der Fall, würde man bei der Bestimmung der nicht geringen Menge die gesamte Stoffmenge und nicht lediglich den die straffreie Menge übersteigenden Anteil betrachten: Bei durchschnittlichen Wirkstoffgehalten von über 13 % (Cannabisblüten) und über 20 % (Haschisch) (vgl. Patzak/Dahlenburg, aaO) würde etwa in Fällen des durch Besitz dieser Cannabisprodukte verwirklichten Straftatbestandes des § 34 Abs. 1 Nr. 1 b) KCanG Raum für den Normalstrafrahmen nur noch in Fällen deutlich unterdurchschnittlicher Qualität der Bezugsobjekte bleiben (vgl. zum Erfordernis eines verbleibenden Anwendungsbereichs des Normalstrafrahmens - dort betreffend einen Fall von zur Veräußerung bestimmtem Cannabis - auch BGH, Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24 Rn. 19).
Weiter bestärkt wird diese gesetzessystematische Erwägung durch die Vorschrift des § 35a KCanG. Nach dieser kann die Staatsanwaltschaft unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen von der Verfolgung von Vergehen nach § 34 Abs. 1, 2 oder 5 KCanG absehen (bzw. das Gericht das Verfahren einstellen), wenn der Täter nur zum Eigenverbrauch Cannabis in geringer Menge anbaut oder eine der weiteren aufgezählten Tathandlungen begeht. Da hiervon die Fälle, in denen straflose Cannabismengen geregelt sind (§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 a) u. 12 KCanG), nicht ausgenommen, sondern Anbau, Erwerb und Besitz sogar ausdrücklich erwähnt sind, kommt eine Auslegung, die der Vorschrift des § 35a KCanG in diesen Fällen ihren Anwendungsbereich wenigstens weitgehend nehmen würde, nicht in Betracht. So läge es aber, müsste die straffreie Menge mitgerechnet werden, sobald sie (auch nur geringfügig) überschritten ist. Denn dann wäre, wie ausgeführt, vielfach bereits eine nicht geringe Menge oder jedenfalls eine dieser nahekommende Gesamtmenge erreicht, was die Annahme einer geringen Menge im Sinne des § 35a KCanG ausschließen oder jedenfalls fernlegen würde.
4. Hiervon ausgehend wird das neue Tatgericht für die Wahl des Strafrahmens im vorliegenden Fall drei der Cannabispflanzen von der Gesamtmenge in Abzug bringen müssen. Da die Straffreiheit des Anbaus von nicht mehr als drei Pflanzen unabhängig von deren Wirkstoffgehalt ist, wird es hierfür zugunsten des Angeklagten gegebenenfalls diejenigen Pflanzen mit dem höchsten (aktuellen) THC-Gehalt auszuwählen und für die Prüfung der nicht geringen Menge allein die übrigen 49 Pflanzen in den Blick zu nehmen haben. Wie bereits im Anwendungsbereich des Betäubungsmittelgesetzes wird insoweit nötigenfalls auf eine Schätzung zurückgegriffen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2021 - 3 StR 53/21, NStZ 2023, 46, 47 mwN), etwa durch Zugrundelegung des aus der festgestellten Gesamtzahl der Pflanzen und der festgestellten Gesamtwirkstoffmasse zu ermittelnden durchschnittlichen Wirkstoffgehalts je Pflanze für jede der drei Pflanzen unter Hinzurechnung jeweils eines angemessenen Sicherheitsaufschlags, der dem Gedanken Rechnung trägt, dass gerade die drei wirkstoffreichsten Pflanzen abzuziehen sind.
5. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 840
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede