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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 886

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 116/24, Beschluss v. 16.05.2024, HRRS 2024 Nr. 886


BGH 6 StR 116/24 (alt: 6 StR 458/22) - Beschluss vom 16. Mai 2024 (LG Lüneburg)

Entscheidung bei Gesetzesänderung, Schuldspruchänderung; Meistbegünstigungsprinzip (milderes Gesetz); Konsumcannabisgesetz (keine strafmildernde Wirkung: Cannabis als „weiche Droge“); verbotener Besitz von Cannabis; Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis.

§ 2 Abs. 3 StGB; § 354a StPO; § 354 StPO; § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, Nr. 4 KCanG; § 27 Abs. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Dem Umstand, Cannabis sei eine „weiche Droge“, darf aus gesetzessystematischen Gründen keine strafmildernde Wirkung mehr beigemessen werden, weil das KCanG Regelungen allein zu dieser Droge enthält.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 13. Dezember 2023

a) dahin geändert, dass er des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen, des verbotenen Besitzes von Cannabis in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis in zwei Fällen und der Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis schuldig ist;

b) aufgehoben in den Aussprüchen über die in den Fällen 5, 17 und 18 der Urteilsgründe verhängten Strafen und die Gesamtstrafe, wobei die jeweils zugehörigen Feststellungen Bestand haben.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, unter Einbeziehung von Strafen und einer Einziehungsentscheidung aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Mit Beschluss vom 18. April 2023 hatte der Senat das Urteil unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufgehoben und im Umfang der Aufhebung die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Landgericht hat im zweiten Rechtsgang den Angeklagten wiederum verurteilt. Die Entscheidung entspricht im Schuld- und Strafausspruch der Verurteilung im ersten Rechtsgang; zudem hat es eine Einziehungsanordnung getroffen. Die gegen das Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge im Umfang der Beschlussformel Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch bedarf in den Fällen 5, 17 und 18 der Urteilsgründe der Änderung. Zwar lässt das Urteil nach dem zur Zeit der Entscheidung geltenden Recht insoweit keinen Rechtsfehler erkennen. Allerdings ist in der Zwischenzeit das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis vom 27. März 2024 (KCanG; BGBl. I Nr. 109) am 1. April 2024 in Kraft getreten; dies ist nach § 2 Abs. 3 StGB iVm § 354a StPO bei der Revisionsentscheidung zu berücksichtigen. Nunmehr ist der Umgang mit Konsumcannabis abschließend im neuen KCanG geregelt (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 130), so dass damit im Zusammenhang stehende Straftaten allein nach § 34 KCanG zu bewerten sind (vgl. BT-Drucks. aaO).

Bei der Bezeichnung der Tatbestände im Schuldspruch ist nunmehr zwischen denen des BtMG und des § 34 KCanG zu differenzieren. Bei der Verurteilung wegen Besitzes von Cannabis ist in der Urteilsformel der Zusatz „verboten“ aufzunehmen, weil diese Art des Umgangs mit Cannabis nicht stets unter Strafe steht oder eine Ordnungswidrigkeit darstellt (§§ 3, 34 Abs. 1 Nr. 1, § 36 Abs. 1 Nr. 1 KCanG). Dagegen ist weder der Besitz von „nicht geringen Mengen“ Cannabis noch das Handeltreiben mit „nicht geringen Mengen“ Cannabis im Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen, weil es sich insoweit - anders als bei § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG - nicht um ein Qualifikationsmerkmal, sondern einen Regelfall des besonders schweren Falls nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG handelt und das Vorliegen eines gesetzlichen Regelbeispiels nicht in die Urteilsformel aufzunehmen ist (vgl. KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 260 Rn. 31).

2. Angesichts der geringeren Strafandrohung können die in den Fällen 5, 17 und 18 der Urteilsgründe verhängten Strafen keinen Bestand haben. Dies zieht die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.

3. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass bislang Angaben zum Vollstreckungsstand der einbezogenen Strafen fehlen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2023 - 5 StR 134/23; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1247, 1475). Bei der erneuten Entscheidung wird zudem zu beachten sein, dass dem Umstand, Cannabis sei eine „weiche Droge“ (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2016 - 1 StR 72/16, NStZ-RR 2016, 313), aus gesetzessystematischen Gründen keine strafmildernde Wirkung mehr beigemessen werden darf, weil das KCanG Regelungen allein zu dieser Droge enthält.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 886

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede