HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 880
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 481/23, Beschluss v. 21.05.2024, HRRS 2024 Nr. 880
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 16. Dezember 2022
im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte aa) in den Fällen II.1 und II.4 der Urteilsgründe des Handeltreibens mit Cannabis und bb) im Fall II.3 der Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis schuldig ist,
im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II.1, II.3 und II.4 sowie über die Gesamtstrafe aufgehoben;
im Ausspruch über die Anrechnung der in Kolumbien erlittenen Freiheitsentziehung dahin klargestellt, dass diese im Maßstab 1:2 angerechnet wird;
im Maßregelausspruch - insoweit auch auf die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft - aufgehoben.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen und wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.3 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt; vom Vorwurf eines weiteren Betäubungsmittelgeschäfts hat es den Angeklagten freigesprochen. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet, eine Einziehungsentscheidung getroffen und die in Kolumbien erlittene Abschiebehaft im Verhältnis 2:1 angerechnet.
Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision gegen den Schuld- und Strafausspruch; die angeordnete Maßregel hat er von seinem Angriff ausgenommen. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg und erweist sich im Übrigen als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die vom Generalbundesanwalt vertretene und zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge allein die Maßregelanordnung und führt (ebenfalls) zu deren Aufhebung.
1. Die Verfahrensrügen des Angeklagten dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
2. Die auf seine Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils führt in den Fällen II.1, II.3 und II.4 zur Änderung des Schuldspruchs und insoweit zur Aufhebung des Ausspruchs über die Einzelstrafen sowie über die Gesamtstrafe.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts handelte der Angeklagte in sechs Fällen mit Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringer Menge. In den Fällen II.1 (5 kg), II.3 (100 g) und II.4 (Plantage mit Ernteerwartung von mehreren Kilogramm) betraf der Handel Cannabis mit einem Wirkstoffgehalt von jeweils mindestens 10 % THC; im Fall II.3 handelte der Angeklagte lediglich als Vermittler. Das in den anderen drei Fällen gehandelte Kokain (500 g, dreimal 1 kg) wies einen Wirkstoffgehalt von 92 % KHC auf.
b) Soweit der Angeklagte in den Fällen II.1 und II.4 wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie im Fall II.3 wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist, kann der Schuldspruch keinen Bestand haben. Denn am 1. April 2024 ist das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 109), was der Senat nach § 2 Abs. 3 StGB zu berücksichtigen hat; nach der Neuregelung unterfällt der Umgang mit Cannabis nicht mehr dem BtMG, sondern allein dem - milderen - KCanG (BGH, Beschluss vom 24. April 2024 - 5 StR 136/24; vgl. insoweit zur nicht geringen Menge und zur Tenorierung BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24).
Das vom Landgericht insoweit festgestellte Tatgeschehen ist nunmehr als Handeltreiben mit Cannabis und Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis zu würdigen (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB). Dass sich die Taten auf Cannabis in nicht geringer Menge bezogen, stellt lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG), das im Schuldspruch keinen Ausdruck findet (KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 260 Rn. 31 mwN).
Der Senat stellt den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 iVm § 354a StPO um. Die Regelung des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
c) In den von der Schuldspruchänderung betroffenen Fällen haben die Einzelstrafen keinen Bestand, weil der Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG gegenüber § 29a Abs. 1 BtMG milder ist. Der Wegfall der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
Die Feststellungen zu den Strafaussprüchen sind von der Aufhebung nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und gegebenenfalls durch solche ergänzt werden, die zu den getroffenen nicht in Widerspruch stehen.
3. Auf die Sachrüge des Angeklagten war die nach § 51 Abs. 3 Satz 2 StGB im Verhältnis 2:1 angeordnete Anrechnung der in Kolumbien vollzogenen Abschiebehaft wegen eines offensichtlichen Versehens dahin klarzustellen, dass der Anrechnungsmaßstab 1:2 ist. Aus den Urteilsgründen ist ersichtlich, dass die Strafkammer eine für den Angeklagten günstige Anrechnung der Abschiebehaft im Sinn hatte und nur die Maßzahlen versehentlich in einem verkehrten Verhältnis angegeben hat.
4. Die Revision des Angeklagten und das zu seinen Gunsten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führen zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Zwar hat der Angeklagte diesen von seinem Revisionsangriff ausgenommen. Die hiermit beabsichtigte Beschränkung ist jedoch unwirksam, weil er mit seiner erhobenen Sachrüge zugleich den Schuldspruch angegriffen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2022 - 1 StR 142/22 mwN).
Die von der Strafkammer im Hinblick auf die zum Urteilszeitpunkt geltende alte Fassung von § 64 StGB getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Maßregel nach der vom Senat gemäß § 2 Abs. 6 StGB ab 1. Oktober 2023 anzuwendenden Neufassung des § 64 StGB nicht. Ob die Feststellungen die Annahme eines Hangs im Sinne der Neufassung von § 64 Satz 1 StGB tragen, kann dahinstehen, da jedenfalls nicht belegt ist, dass die verfahrensgegenständlichen Straftaten „überwiegend“ auf einen solchen zurückgehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers reicht eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt (vgl. zum neuen Maßstab BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2023 - 5 StR 246/23; vom 7. November 2023 - 5 StR 345/23).
Bei seiner vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens getroffenen Entscheidung hat das Landgericht diesen strengeren Anordnungsmaßstab nicht vor Augen haben können. Es hat festgestellt, dass der Konsum von Alkohol, Kokain und Cannabis zu den abgeurteilten Taten des Angeklagten „beigetragen“ hat. Damit ist zwar eine - zum Urteilszeitpunkt für die Unterbringung ausreichende - Mitursächlichkeit seines Konsums für die Straftaten des Angeklagten belegt, jedoch fehlt eine Aussage zu der nunmehr entscheidenden Frage, inwieweit dieser die überwiegende Ursache für die verfahrensgegenständliche Tat war.
Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil diese von dem Wertungsfehler nicht betroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 880
Bearbeiter: Christian Becker