hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 310

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 537/16, Urteil v. 08.03.2017, HRRS 2017 Nr. 310


BGH 5 StR 537/16 - Urteil vom 8. März 2017 (LG Braunschweig)

Rechtsfehlerhafte Ablehnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Nichtbeachtung eines wesentlichen prognoserelevanten Umstands bei der negativen Gefahrenprognose); Unwirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung bei untrennbarem Zusammenhang zwischen Aussetzungsentscheidung und Maßregelausspruch.

§ 56 StGB; § 63 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 31. Mai 2016 mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, soweit die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt und eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Ablehnung einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das demgemäß in diesem Umfang beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg, führt jedoch auch zur Aufhebung der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt:

2003 heiratete der Angeklagte seine Ehefrau M. Mit ihr hat er einen 2002 geborenen Sohn und eine 2004 geborene Tochter. Probleme in der Familie traten erstmals 2012 auf. Während einer Auseinandersetzung mit dem damals 10-jährigen Sohn zerschlug der Angeklagte mit einem Beil einen Computertisch, zeigte seiner Frau eine Schreckschusspistole und drohte mit Selbstmord. Er wurde für rund einen Monat in die geschlossene Abteilung eines Psychiatriezentrums eingewiesen. Dort wurden eine schwere depressive Episode und eine akute Belastungsreaktion diagnostiziert. Nach der Entlassung unternahm der Angeklagte einen Suizidversuch. Er legte sich auf Bahngleise, blieb jedoch unversehrt, weil der Zug auf einem Nachbargleis vorbeifuhr.

Nach einer Versöhnung lebten die Eheleute wieder zusammen. 2014 und 2015 begab sich der Angeklagte wegen depressiver Episoden in stationäre Behandlung. Am 13. Oktober 2015 wurde er gegenüber seiner Ehefrau handgreiflich, weil diese eine Freundin eingeladen und mit ihr Rotwein getrunken hatte. Während eines Streits am 15. Oktober 2015 schlug er seine Frau mit der Faust auf den Oberarm sowie in den Rücken und schubste sie gegen den Türrahmen. Sie erlitt unter anderem Prellungen am Oberkörper und an den Beinen. Der Angeklagte unterzog sich bis 4. November 2015 einer weiteren stationären psychiatrischen Behandlung, in deren Rahmen eine akute Belastungsreaktion festgestellt wurde. In dieser Zeit trennte sich seine Ehefrau von ihm und begab sich in ein Frauenhaus.

Nach der Entlassung bemerkte der Angeklagte, dass seine Frau Umzugskartons für einen Auszug gepackt hatte. Am 13. November 2015 fand eine Besprechung bei der Familienhilfe statt. Seine Ehefrau verhielt sich abweisend und teilte dem Angeklagten mit, sie habe schon eine neue Wohnung gefunden.

Dem Angeklagten wurde bewusst, dass er die Familie verlieren würde. In höchster Verzweiflung verließ er den Termin.

Er beschloss, in dem von der Familie gemieteten Reihenhaus einen Brand zu legen und sich danach das Leben zu nehmen, um sich an seiner Frau zu rächen. Er kaufte ein Seil, flüssigen Grillanzünder sowie Feuerzeuge und begab sich zum Haus. Er wechselte das Haustürschloss aus. So wollte er verhindern, dass seine Frau das Haus betreten könne. Er ging in das im Obergeschoss liegende Kinderzimmer. Dort übergoss er die Umzugskartons und die Möbel mit dem Grillanzünder und entfachte an mehreren Stellen ein Feuer. Mit dem Mobiltelefon filmte er die Brandlegung und sandte das Video an seine Ehefrau. Dann hängte er die Zimmertür aus und riss die Türzargen heraus. Er verkeilte das Türblatt zwischen der Wand und den gegenüberliegenden Befestigungsstangen, um ein schnelles Vordringen von Löschkräften zu behindern.

Nun suchte er eine geeignete Stelle, um sich zu erhängen, fand aber keine. Er verließ das Haus, fuhr in einen Wald, knüpfte das Seil und stürzte sich von einem Hochsitz, um sich das Leben zu nehmen. Dies misslang, weil er das Seil zu lang geknotet hatte. Er wollte einen zweiten Selbstmordversuch unternehmen. Davon nahm er Abstand, nachdem er sich vergegenwärtigt hatte, dass seine Kinder ihn brauchten. Mit deutlichen Strangulationsmerkmalen am Hals erreichte er eine Polizeidienststelle und gab sich als Brandstifter zu erkennen.

Der Brand konnte von der Feuerwehr alsbald gelöscht werden. Das Kinderzimmer war unbewohnbar geworden, wohingegen die übrigen Räume des Hauses lediglich eine Rußbildung aufwiesen. Im Gebäude entstand ein Sachschaden von rund 30.000 €.

2. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte die Tat bei erhaltener Unrechtseinsicht aufgrund einer rezidivierenden depressiven Störung im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) begangen habe. Die Vollstreckung der dem gemäß §§ 21, 23 Abs. 2, jeweils i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB, doppelt gemilderten Strafrahmen des § 306b Abs. 2 Nr. 3 StGB entnommenen Freiheitsstrafe von zwei Jahren hat es nach § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt. Zugleich hat es eine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) abgelehnt, weil die dafür erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades für weitere erhebliche rechtswidrige Taten des Angeklagten nicht gegeben sei. Die günstige Kriminalprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) sowie die negative Gefahrenprognose (§ 63 Satz 1 StGB) hat es tragend auf die Überlegung gestützt, dass die Tat durch die spezifische Ausnahmesituation des Auseinanderbrechens der Familie geprägt gewesen sei, die nach der Trennung der Eheleute nicht mehr bestehe. Namentlich könne nicht darauf abgehoben werden, dass der Angeklagte bei Eingehen neuer partnerschaftlicher Bindungen im Fall auftretender Probleme erneut den Halt verlieren und vergleichbar reagieren werde (UA S. 16). Zudem sei der Angeklagte krankheitseinsichtig und einer Therapie zugänglich.

3. Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Entsprechend dem Vortrag der Revision hat das Landgericht bei der gebotenen Gesamtwürdigung einen wesentlichen prognoserelevanten Umstand nicht erkennbar bedacht. Es geht davon aus, dass das Konfliktpotential, aufgrund dessen der Angeklagte die Tat begangen hat und bereits in der Vergangenheit insbesondere gegenüber seiner Ehefrau mehrfach gewalttätig geworden ist, infolge der mittlerweile vollzogenen Trennung der Eheleute entfallen sei. Damit lässt es außer Acht, dass insbesondere wegen des Umgangs mit den Kindern für den Angeklagten schmerzhafte Situationen weiterhin vorkommen können. Solche hat der psychiatrische Sachverständige als „eher ungünstig“ angesehen, auch weil der Angeklagte bereits in der Vergangenheit aggressiv auf familiäre Konflikte reagiert habe, obwohl er seit längerer Zeit psychotherapeutisch behandelt worden sei (UA S. 16). Vor diesem Hintergrund hätte das Landgericht bei seiner Wahrscheinlichkeitsprognose den Blick nicht auf das Verhalten des Angeklagten bei Eingehen neuer partnerschaftlicher Bindungen verengen dürfen.

4. Die Urteilsaufhebung erstreckt sich auf die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung, der derselbe Rechtsfehler zugrunde liegt wie der Entscheidung über die Maßregel. Im Blick auf den damit gegebenen untrennbaren Zusammenhang zwischen der Aussetzungsentscheidung und dem angestrebten Maßregelausspruch ist die Rechtsmittelbeschränkung insoweit unwirksam (vgl. zu § 64 StGB: BGH, Beschluss vom 27. April 1994 - 2 StR 89/94, NStZ 1994, 449; KKStPO/Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 12).

5. Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers bedürfen die Aussprüche über die Strafaussetzung zur Bewährung sowie über die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischem Krankenhaus nochmaliger Verhandlung und Entscheidung. Sollte das neue Tatgericht eine Gefährlichkeit des Angeklagten feststellen, wird es zu prüfen haben, ob die von diesem ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung abgewendet werden kann. Gegebenenfalls würde es - was die Revisionsführerin angesprochen hat - naheliegen, sowohl die Vollstreckung der Freiheitsstrafe als auch die der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen (vgl. BGH, Urteile vom 20. Februar 2008 - 5 StR 575/07; vom 10. Dezember 2009 - 4 StR 435/09, NStZ-RR 2010, 105, 106; jeweils mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 310

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 253

Bearbeiter: Christian Becker