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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1048

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 288/19, Urteil v. 15.07.2020, HRRS 2020 Nr. 1048


BGH 2 StR 288/19 - Urteil vom 15. Juli 2020 (LG Neubrandenburg)

Revisionsbegründung (Revisionsbeschränkung: Wirksamkeitsvoraussetzungen, ausnahmsweises Entfallen der Bindung des Revisionsgerichts an die Rechtsmittelbeschränkung); Grundsätze der Strafzumessung (Berücksichtigung nachteiliger Folgen der Tat zugunsten des Täters; Berücksichtigung von Vorverurteilungen).

§ 344 Abs. 1 StPO; § 46 StGB; § 60 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Mit der Möglichkeit der Beschränkung des Rechtsmittels (§ 344 Abs. 1 StPO) hat der Gesetzgeber dem Rechtsmittelberechtigten eine prozessuale Gestaltungsmacht eingeräumt, deren Ausübung im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren ist. Das Rechtsmittelgericht kann und darf deshalb grundsätzlich diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird.

2. Eine Revisionsbeschränkung ist wirksam, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen, und wenn die infolge des Teilrechtsmittels stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt.

3. Die Beschränkbarkeit und die Bindung des Revisionsgerichts an die Rechtsmittelbeschränkung entfallen nur dann, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat.

4. Hingegen steht nicht jeder Fehler im nicht angefochtenen Teil der erstinstanzlichen Entscheidung der Wirksamkeit einer Beschränkung entgegen; insbesondere lässt allein die fehlerhafte Rechtsanwendung beim Schuldspruch eine Revisionsbeschränkung nicht unwirksam werden.

5. Nachteilige Folgen der Tat, die den Täter treffen, können zwar - wie sich schon aus der gesetzgeberischen Wertung in § 60 StGB ergibt - strafmildernde Wirkung entfalten. Dies gilt aber nur mit Einschränkungen. Wer bei seiner Tat bestimmte Nachteile für sich selbst zwar nicht gewollt, aber bewusst auf sich genommen hat, verdient in der Regel keine strafmildernde Berücksichtigung.

6. Es ist grundsätzlich verfehlt, ein geringes Maß an Vorverurteilungen strafmildernd in die Strafzumessung einzustellen. Nur die Unbestraftheit eines Täters kann strafmildernd berücksichtigt werden, wohingegen Vorverurteilungen zu Lasten des Täters wirken.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 30. Oktober 2018 jeweils im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung jeweils zu Freiheitsstrafen von drei Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützten, gegen den Strafausspruch gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie jeweils unbegründet.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erfuhr der Angeklagte A., dass in einem Keller des Döner-Imbisses im -Center in N. erhebliche Mengen an Bargeld und Schmuck versteckt sein sollten. Er rief deshalb in den Abendstunden des 28. Februar 2018 seinen Neffen B. an und teilte ihm mit, dass in N. schnelles Geld zu machen sei. B. fuhr daraufhin mit seinem Freund, dem Angeklagten I., mit dem er zum Zeitpunkt des Anrufs unterwegs war, von B. aus zum Angeklagten A. Sie entschlossen sich zu einem gemeinsamen Einbruch, wobei auch besprochen wurde, dass B. Pfefferspray mit sich führen würde, um dies im Falle des Eingreifens Dritter zum Einsatz zu bringen. Zwischen 0.10 Uhr und 0.23 Uhr am 1. März 2018 brachen die Angeklagten und B. mit einem Brecheisen die Eingangstür des Döner-Imbisses auf und begaben sich in den Keller, wo sie einen dort befindlichen Spielautomaten gewaltsam öffneten. Darin befand sich in Socken verstecktes Bargeld in Höhe von 35.000 € und 400 US-Dollar, die der Angeklagte A. einsteckte. Eine ebenfalls im Spielautomaten befindliche Box mit Schmuck steckte B. ein. Während die Angeklagten und B. sich noch im Keller aufhielten, wurden sie von den Polizeibeamten P. und M. gestellt, die sich in einem Vorraum befanden und sich laut und vernehmlich als Polizeibeamte zu erkennen gaben. Sie forderten die Eindringlinge auf, mit erhobenen Händen herauszukommen. B. sagte den Angeklagten, sie sollten versuchen zu flüchten, weil er Pfefferspray dabei habe. Zunächst kamen alle drei hintereinander mit erhobenen Händen die Kellertreppe hoch. Der mehrfachen Aufforderung, sich auf den Boden zu legen, kamen sie aber nicht nach. Die Angeklagten und B. bewegten sich vielmehr dicht gedrängt in einer Dreiecksformation in der Weise auf die Polizeibeamten zu, dass B. mit dem Rücken zu den Beamten stand, diese aber auch die Gesichter der Angeklagten nicht sehen konnten. Sie bewegten sich mit kleinen Schritten etwa einen Meter auf die Polizeibeamten zu. B. setzte sodann das Pfefferspray gegen die Polizeibeamten ein, um sich den Besitz des erbeuteten Geldes und Schmucks zu erhalten und die Flucht zu ermöglichen. Einer der Beamten wurde von dem Spray getroffen und erlitt heftige Reizungen von Augen und Schleimhäuten, die mit erheblichen Schmerzen verbunden waren. Er schoss daraufhin mit seiner Dienstwaffe auf B., der wenig später an den Folgen seiner Schussverletzung verstarb.

2. Das Landgericht hat die Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Die Strafe hat es jeweils dem Strafrahmen des minder schweren Falles nach § 252 i.V.m. § 250 Abs. 3 StGB entnommen. Dabei hat die Strafkammer die Anwendung dieses Strafrahmens mit einer Reihe von strafmildernden Umständen begründet, nämlich mit der geringen Gefährlichkeit des Pfeffersprays gegenüber anderen denkbaren Waffen bzw. gefährlichen Werkzeugen, dem nicht erheblichen Sachschaden, der „Versuchsnähe“ der Tat sowie dem Umstand, dass beide Angeklagte durch die Tat eine nahestehende Person verloren haben. Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat das Landgericht unter anderem berücksichtigt, dass sie strafrechtlich bis jetzt nur unerheblich in Erscheinung getreten seien und sich jedenfalls zu allen Tatumständen des Einbruchsdiebstahls geständig eingelassen hätten. Auch seien beide Angeklagte haftunerfahren und durch die Untersuchungshaft erheblich beeindruckt, so dass von einer erhöhten Strafempfindlichkeit auszugehen sei.

II.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft führen zur Aufhebung der Strafaussprüche, wobei die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten bleiben können.

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind ausdrücklich auf die Strafaussprüche beschränkt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beschwerdeführerin beanstandet, das Landgericht habe den Umstand einer Verwirklichung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt. Dies betrifft - angesichts einer Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB - nicht den Schuldspruch als solchen, sondern auf Grundlage der getroffenen Feststellungen lediglich die aus Sicht der Staatsanwaltschaft unterbliebene Annahme einer weiteren Tatbestandsvariante des § 224 StGB. Die erklärte Revisionsbeschränkung ist auch wirksam.

a) Mit der Möglichkeit der Beschränkung des Rechtsmittels (§ 344 Abs. 1 StPO) hat der Gesetzgeber dem Rechtsmittelberechtigten eine prozessuale Gestaltungsmacht eingeräumt, deren Ausübung im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren ist (BGH, Urteil vom 12. März 2020 - 4 StR 537/19, juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 27. April 2017 - 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155, 160 jew. mwN). Das Rechtsmittelgericht kann und darf deshalb grundsätzlich diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird (BGH, Beschluss vom 26. September 2019 - 5 StR 206/19, NJW 2020, 253, 254).

(1) Eine Revisionsbeschränkung ist wirksam, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen, und wenn die infolge des Teilrechtsmittels stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 12. März 2020 - 4 StR 537/19, juris Rn. 6; vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174, 175 f.; vom 2. März 1995 - 1 StR 595/94, BGHSt 41, 57, 59; Beschluss vom 21. Oktober 1980 - 1 StR 262/80, BGHSt 29, 359, 364).

(2) Die Beschränkbarkeit und die Bindung des Revisionsgerichts an die Rechtsmittelbeschränkung entfallen nur dann, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen (BGH, Beschluss vom 27. April 2017 - 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155, 161 f. mwN; Senat, Urteil vom 2. Dezember 2015 - 2 StR 258/15, StV 2017, 314; BGH, Urteil vom 4. November 1997 - 1 StR 273/97, BGHSt 43, 293, 300; BGH, Urteil vom 5. November 1984 - AnwSt (R) 11/84, BGHSt 33, 59) oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (BGH, Beschluss vom 27. April 2017 - 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155, 162 mwN; Senat, Urteile vom 2. Dezember 2015 - 2 StR 258/15, juris Rn. 14 und vom 6. August 2014 - 2 StR 60/14, juris Rn. 7).

(3) Hingegen steht nicht jeder Fehler im nicht angefochtenen Teil der erstinstanzlichen Entscheidung der Wirksamkeit einer Beschränkung entgegen; insbesondere lässt allein die fehlerhafte Rechtsanwendung beim Schuldspruch eine Revisionsbeschränkung nicht unwirksam werden (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 4 StR 247/13, NStZ-RR 2013, 349; BGH, Urteil vom 10. März 2016 - 3 StR 347/15, NStZ 2016, 733, 735; BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 - 3 StR 124/16, juris Rn. 28; BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2019 - 4 StR 301/19, NStZ-RR 2020, 217, 218; Senat, Beschluss vom 22. Januar 2020 - 2 StR 562/19, NStZ-RR 2020, 222; so ausdrücklich auch bei einem Verstoß gegen die Kognitionspflicht OLG Köln, Urteil vom 17. Januar 2017 - III RVs 285/16, NStZ-RR 2017, 153).

b) Gemessen hieran lassen die Feststellungen des Landgerichts den Unrechtsund Schuldgehalt der Tat noch ausreichend und widerspruchsfrei erkennen und bilden eine tragfähige Grundlage für die Überprüfung der Strafzumessungsentscheidung. Einem neuen Tatgericht ist bei Aufhebung des Strafausspruchs eine neue Rechtsfolgenentscheidung möglich, ohne sich zu den tatsächlichen Feststellungen und den rechtlichen Ausführungen zum Schuldspruch in Widerspruch setzen zu müssen. Ein Ausnahmefall dergestalt, dass das festgestellte Verhalten überhaupt nicht strafbar gewesen und die Verurteilung aufgrund keines gültigen Gesetzes ergangen wäre (BGH, Urteil vom 10. März 2016 - 3 StR 347/15, NStZ 2016, 733, 735) liegt nicht vor.

(1) Dass das Landgericht neben der Annahme eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 StGB nicht auch einen tateinheitlichen Verstoß wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2020 - 5 StR 157/20) angenommen und im Übrigen auch eine mögliche weitere Strafbarkeit insbesondere nach § 231 StGB nicht in den Blick genommen hat, ändert nichts daran, dass die getroffenen Feststellungen das den Angeklagten vorgeworfene Verhalten in hinreichend konkretem Maße erkennen lassen und damit auch dem Senat - unter Bindung an die im landgerichtlichen Urteil getroffenen rechtlichen Wertungen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 - 3 StR 124/16, juris Rn. 28) - eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ermöglichen. Soweit damit die Strafbarkeit der Angeklagten nicht ausgeschöpft worden ist, handelt es sich um für die Frage der Revisionsbeschränkung unbeachtliche Subsumtionsfehler, die die Angeklagten nicht beschweren.

(2) Im Übrigen handelt es sich bei den Beanstandungen der Strafzumessung durch die Beschwerdeführerin sämtlich um solche Gesichtspunkte, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von dem nicht angegriffenen Schuldspruch rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können. Dies gilt auch für den von der Strafkammer strafmildernd berücksichtigten und von der Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel angegriffenen Umstand, dass „beide Angeklagte durch die Tat eine nahestehende Person verloren haben, deren Tötung sie unmittelbar mitansehen mussten“. Dabei geht es nicht um einen Umstand, der den Schuldspruch betrifft, der eine Verantwortlichkeit der Angeklagten für den Tod des B. nicht umfasst; er betrifft vielmehr mit der Berücksichtigung von durch die Tat ausgelösten Folgen allein Fragen der Strafzumessung, die ohne Widerspruch zum Schuldspruch beantwortet werden können.

2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet. Die Strafaussprüche weisen auch unter Berücksichtigung der nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten auf.

a) Bereits die Strafrahmenwahl begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Das Landgericht hat der Annahme eines minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB zwar erkennbar den zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt, der eine Gesamtbetrachtung aller hierfür maßgeblichen Umstände voraussetzt. Dass es im Folgenden lediglich vier für die Angeklagten sprechende Umstände aufgeführt hat, lässt noch nicht besorgen, dass es die gegen sie wirkenden Strafzumessungserwägungen aus dem Blick verloren und die erforderliche Gesamtwürdigung unterlassen hat.

Im Rahmen der sich an die Strafrahmenwahl unmittelbar anschließenden konkreten Strafzumessung werden die erschwerenden Strafzumessungsgründe erörtert, so dass nicht davon auszugehen ist, das Landgericht könnte diese übersehen und nicht in seine Gesamtbetrachtung eingestellt haben. Dies gilt insbesondere auch für die Beanstandung der Staatsanwaltschaft, die Strafkammer habe den nicht unerheblichen Wert der Beute nicht in den Blick genommen.

bb) Soweit die Revisionsführerin in diesem Zusammenhang weiter rügt, das Landgericht habe erschwerende Strafzumessungsgesichtspunkte bei der Strafrahmenwahl gar nicht berücksichtigt, zeigt auch dies noch keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Weder der Umstand, dass die Angeklagten einen eventuellen Pfeffersprayeinsatz vorher besprochen haben, noch die Tatsache, dass das Pfefferspray tatsächlich zum Einsatz gebracht worden ist, sind bestimmende Strafzumessungsgründe, die als solche hier der ausdrücklichen Erwähnung bedurft hätten. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass das Landgericht die Verwirklichung mehrerer Straftatbestände zu Lasten der Angeklagten in den Blick genommen und insoweit auch ausdrücklich angeführt hat, dass das Pfefferspray eingesetzt worden ist und zu einer Körperverletzung eines Polizeibeamten geführt hat. Ebenso wenig war es geboten, darauf hinzuweisen, dass es sich bei der „Vortat“ des § 252 StGB um einen Diebstahl nach § 243 StGB gehandelt hat, zumal das Landgericht sich durchaus bewusst gewesen ist, dass es sich um einen Einbruchsdiebstahl handelte (vgl. UA S. 13), es den durch die Tat herbeigeführten Sachschaden in den Blick genommen hat und sich der besondere Unrechtsgehalt der von den Angeklagten begangenen Tat hier insbesondere aus der Verwendung des Pfeffersprays und der Verwirklichung des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB ergibt. Schließlich ist es auch nicht durchgreifend bedenklich, die Verwirklichung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht ausdrücklich in den Blick genommen zu haben. Das Landgericht hat das gemeinschaftliche Vorgehen der Angeklagten mit dem später verstorbenen B. ausdrücklich erörtert, wobei es den Angeklagten - ohne Rechtsfehler - zugute gehalten hat, dass sie insoweit nicht „Hauptakteure“ gewesen seien und aufgrund des schnellen Geschehensablaufs keine Möglichkeit mehr gehabt hätten, B. vom Einsatz des Pfeffersprays abzuhalten.

cc) Das Landgericht hat aber - wie die Beschwerdeführerin zu Recht rügt -einen für die Strafrahmenwahl ersichtlich wesentlichen Umstand bei der Strafrahmenwahl berücksichtigt, den es so jedenfalls nicht ohne Weiteres hätte einstellen dürfen.

(1) Zwar ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht trotz der bei einem der Polizeibeamten eingetretenen Verletzungen von einer gegenüber einer Schusswaffe geringeren Gefährlichkeit von Pfefferspray ausgegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2011 - 5 StR 84/11, juris Rn. 3). Besondere Umstände, die die konkrete Verwendung des Pfeffersprays als einem Schusswaffeneinsatz vergleichbar erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2012 - 5 StR 493/12, juris Rn. 5), sind nicht ersichtlich.

(2) Rechtlichen Bedenken unterliegt aber die Erwägung des Landgerichts, „mit großem Gewicht sei dem Umstand Rechnung zu tragen, dass beide Angeklagte durch die Tat eine nahe stehende Person verloren haben, deren Tötung sie unmittelbar mit ansehen mussten“. Nachteilige Folgen der Tat, die den Täter treffen, können zwar - wie sich schon aus der gesetzgeberischen Wertung in § 60 StGB ergibt - strafmildernde Wirkung entfalten. Dies gilt aber nur mit Einschränkungen. Wer bei seiner Tat bestimmte Nachteile für sich selbst zwar nicht gewollt, aber bewusst auf sich genommen hat, verdient in der Regel keine strafmildernde Berücksichtigung (Senat, Urteil vom 20. Juli 2005 - 2 StR 168/05, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 40; Urteil vom 14. Dezember 2016 - 2 StR 177/16, juris Rn. 26). Mit der Frage aber, ob die Angeklagten, die den Einsatz des Pfeffersprays gegen die Polizeibeamten gebilligt und nahe liegender Weise mit einer Reaktion der Polizeibeamten gerechnet haben, damit auch den Tod des ihnen nahe stehenden B. „bewusst auf sich genommen“ haben, hat sich das Landgericht nicht ausdrücklich befasst. Dies aber wäre - auch wenn es nicht ohne Weiteres auf der Hand liegt, dass sie eine Todesgefahr für sich oder B. gesehen und diese, ohne auf das Ausbleiben vertraut zu haben, „bewusst auf sich genommen“ zu haben - für eine rechtsfehlerfreie strafmildernde Berücksichtigung dieser bei den Angeklagten eingetretenen nachteiligen Tatfolgen erforderlich gewesen.

b) Auch die konkrete Strafzumessung ist nicht frei von durchgreifenden Rechtsfehlern zum Vorteil des Angeklagten. Dies gilt zwar nicht, soweit das Landgericht das Geständnis der Angeklagten „jedenfalls zu allen Tatumständen des Einbruchsdiebstahls“ strafmildernd berücksichtigt hat. Dieses geht, etwa im Hinblick auf die Tatplanung und die von den Angeklagten erwartete Tatbeute, über die durch die objektive Beweislage begründeten Feststellungen zum Tatgeschehen hinaus. Auch liegt in der Erwägung der Strafkammer, beide Angeklagten seien haftunerfahren und hätten sich durch die Untersuchungshaft erheblich beeindruckt gezeigt, so dass von einer erhöhten Strafempfindlichkeit auszugehen sei, noch keine unzulässige strafmildernde Berücksichtigung von Untersuchungshaft.

Allerdings begegnet die Erwägung der Strafkammer, strafmildernd sei zu berücksichtigen, dass die Angeklagten strafrechtlich bis jetzt nur unerheblich in Erscheinung getreten seien, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es ist grundsätzlich verfehlt, ein geringes Maß an Vorverurteilungen strafmildernd in die Strafzumessung einzustellen. Nur die Unbestraftheit eines Täters kann strafmildernd berücksichtigt werden, wohingegen Vorverurteilungen zu Lasten des Täters wirken (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 46 Rn. 37 b, 38; Schäfer/ Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 647 ff. mwN). Im Übrigen erschließt sich die Einschätzung des Landgerichts von einer nur unerheblichen Vorbelastung des Angeklagten I. nicht. Dessen Bundeszentralregisterauszug weist immerhin - auch wenn diese lediglich zu Geldstrafen geführt haben - sieben Vorverurteilungen wegen unterschiedlicher Delikte in fünf Jahren aus.

c) Auf diesen Rechtsfehlern beruht die angefochtene Entscheidung. Der Senat kann letztlich schon nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung die Annahme eines minder schweren Falles abgelehnt und infolgedessen zu einer höheren Strafe gelangt wäre. Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.

d) Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da es sich bei den festgestellten Rechtsfehlern lediglich um Wertungsfehler handelt. Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, neue, den bisherigen Feststellungen nicht widersprechende Feststellungen zu treffen. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der Grundsatz, dass Grundlage für die Zumessung der Strafe die individuelle Schuld des Täters ist (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB), regelmäßig auch eine konkret auf jeden Tatbeteiligten ausgerichtete Strafzumessung erfordert, die nicht nur seine jeweilige Tatbeteiligung, sondern auch die sonstigen speziell für und gegen ihn sprechenden Umstände in den Blick zu nehmen hat und insoweit auch zu unterschiedlichen Strafen führen kann.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1048

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 303; StV 2020, 841

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner