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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 9

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 206/19, Beschluss v. 26.09.2019, HRRS 2020 Nr. 9


BGH 5 StR 206/19 - Beschluss vom 26. September 2019 (HansOLG Hamburg)

BGHSt 64, 209; keine wirksame Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch bei fehlendem Schuldspruch des Berufungsgerichts mit Feststellungen trotz unbeschränkt eingelegter Berufung; Divergenzvorlage.

§ 344 Abs. 1 StPO; § 318 StPO; § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG

Leitsätze

1. Die Revision gegen ein Berufungsurteil kann nicht wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden, wenn das Berufungsgericht trotz unbeschränkt eingelegter Berufung keinen eigenen Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen getroffen hat. Dies gilt auch, wenn es zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen ist. (BGHSt)

2. Mit der Möglichkeit der Beschränkung des Rechtsmittels (§ 318 Satz 1, § 344 Abs. 1 StPO) hat der Gesetzgeber dem Rechtsmittelberechtigten zwar eine prozessuale Gestaltungsmacht eingeräumt, deren Ausübung im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren ist. Das Rechtsmittelgericht kann und darf deshalb grundsätzlich diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird. (Bearbeiter)

3. Diese Dispositionsmacht des Rechtsmittelführers ist allerdings durch die Trennbarkeit des angegriffenen Entscheidungsteils vom übrigen Urteilsinhalt begrenzt. Die durch die Beschränkung des Rechtsmittels entstehenden Entscheidungsteile müssen auch nach ihrer Trennung einer selbständigen Prüfung und Beurteilung zugänglich sein. Denn die aus verschiedenen Erkenntnissen im Rahmen einer stufenweisen Erledigung zusammengefügte Entscheidung über den durch den Eröffnungsbeschluss definierten Prozessgegenstand muss frei von Widersprüchen sein. Infolgedessen ist etwa eine den Schuldspruch unberührt lassende isolierte Anfechtung des Strafausspruchs dem Grunde nach möglich, wohingegen eine vom Strafausspruch losgelöste Anfechtung des Schuldspruchs ausgeschlossen ist. (Bearbeiter)

4. Daraus ergibt sich aber auch, dass über die Rechtsfolgen in einer hierauf beschränkten Revision nur dann entschieden werden kann, wenn ein rechtskräftiger Schuldspruch vorliegt. Fehlt es an einem rechtskräftigen Schuldspruch, ist dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs schon mangels eines vorgegebenen Strafrahmens nicht möglich, fehlt es an Feststellungen, kann das Revisionsgericht Art und Umfang der Schuld nicht im notwendigen Maße nachprüfen. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revision gegen ein Berufungsurteil kann nicht wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden, wenn das Berufungsgericht trotz unbeschränkt eingelegter Berufung keinen eigenen Schuldspruch mit zugehörigen Feststellungen getroffen hat. Dies gilt auch, wenn es zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen ist.

Gründe

I.

1. Das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek hat den Angeklagten mit Urteil vom 6. Februar 2018 wegen „gemeinschaftlichen versuchten Einbruchdiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung in 3 Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen haben die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte, jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, Berufung eingelegt.

Weiterhin wurde der Angeklagte durch das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf mit Urteil vom 14. November 2017 wegen eines am 16. März 2017 begangenen „Diebstahls in einem besonders schweren Fall“ zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Hiergegen haben wiederum die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Berufung eingelegt, wobei nur die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat.

Das Landgericht Hamburg hat die beiden Verfahren miteinander verbunden und mit Urteil vom 7. Juni 2018 die Berufungen des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek vom 6. Februar 2018 verworfen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Bergedorf vom 14. November 2017 hat es „beide angefochtenen Entscheidungen im Rahmen der jetzt notwendigen und nachträglichen Gesamtstrafenbildung“ im Rechtsfolgenausspruch neu gefasst. Das Landgericht ist dabei von einer Beschränkung der Berufung auch des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Bergedorf und damit insoweit eingetretener horizontaler Teilrechtskraft ausgegangen, weil die Vorsitzende der Auffassung war, diese Berufung sei in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden. Das Hauptverhandlungsprotokoll belegt eine solche Berufungsbeschränkung nicht; seine Berichtigung war nicht möglich, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen.

Gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg hat der Angeklagte Revision eingelegt. Er hat die Sachrüge erhoben und beantragt „das Urteil im Strafausspruch aufzuheben und an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg […] zurückzuverweisen“. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, auf die Revision des Angeklagten das Urteil des Landgerichts „hinsichtlich der Tat vom 16.03.2017 aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Bergedorf vom 14.11.2017“ sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den Feststellungen aufzuheben und die weitergehende Revision zu verwerfen.

2. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg beabsichtigt, die Beschränkung der Revision des Angeklagten als wirksam zu behandeln und das Berufungsurteil des Landgerichts Hamburg infolgedessen lediglich im Rechtsfolgenausspruch zu überprüfen. Dabei ist es der Ansicht, die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Wirksamkeit der Revisionsbeschränkung habe in diesem Fall unter Zugrundelegung der amtsgerichtlichen Schuldfeststellungen zu erfolgen.

An seiner beabsichtigten Entscheidung sieht sich das vorlegende Oberlandesgericht jedoch durch entgegenstehende Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Hamm (Urteil vom 13. September 1972 - 4 Ss 1029/72, NJW 1973, 381) und des Bayerischen Obersten Landesgerichts (Beschluss vom 7. Dezember 1994 - 1 St RR 195/94, BayObLGSt 1994, 253) gehindert. Die jeweiligen Entscheidungen haben Revisionsbeschränkungen auf den Rechtsfolgenausspruch für unwirksam erachtet, wenn das Berufungsgericht in der irrigen Annahme der Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung zur Schuld des Angeklagten keine Feststellungen getroffen und damit den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf nicht in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nachgeprüft hat.

Das Hanseatische Oberlandesgericht hält die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Hamm und des Bayerischen Obersten Landesgerichts für unzutreffend. Der revisionsgerichtliche Prüfungsumfang obliege durch die Möglichkeit der Revisionsbeschränkung der Disposition des allein revidierenden Angeklagten, wobei es für das Revisionsverfahren infolgedessen unerheblich sei, ob das Berufungsgericht zu Recht oder zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung der zuvor eingelegten Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen sei. Eine Überprüfung des durch den Rechtsmittelführer allein angefochtenen Rechtsfolgenausspruchs könne, soweit es dafür auf die Feststellungen zum Schuldspruch ankomme, anhand der Feststellungen des Amtsgerichts erfolgen.

Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg hat daher dem Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG die Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt, ob ein Angeklagter seine Revision gegen ein Urteil des Berufungsgerichts auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs wirksam beschränken kann, „wenn das Berufungsurteil keine Feststellungen zum Schuldspruch enthält, weil das Berufungsgericht irrig von einer wirksamen Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs ausgegangen ist, die entsprechende Berufungsbeschränkung aber nicht erklärt worden ist, während sie im Falle ihrer Erklärung im Übrigen wirksam wäre“.

3. Der Generalbundesanwalt hat angeregt die Vorlegungsfrage geringfügig weiter zu fassen und sie entsprechend der Rechtsauffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu entscheiden.

II.

Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG sind gegeben.

1. Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsfrage noch nicht entschieden.

2. Die vorgelegte Rechtsfrage ist auch entscheidungserheblich. Das Hanseatische Oberlandesgericht kann die Revision des Angeklagten nicht als wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt behandeln und das Berufungsurteil nur insoweit einer Nachprüfung unterziehen, ohne von der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Hamm und des Bayerischen Obersten Landesgerichts abzuweichen.

III.

Der Senat vermag der Rechtsauffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts nicht zu folgen und hat die Vorlegungsfrage wie aus der Beschlussformel ersichtlich beantwortet. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts hat er dabei, wozu er befugt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1997 - 4 StR 24/97, BGHSt 43, 277, 282; KKStPO/Feilcke, 8. Aufl., § 121 GVG Rn. 46; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 121 GVG Rn. 13, jeweils mwN), die Vorlegungsfrage auf Revisionen sämtlicher Verfahrensbeteiligter erstreckt. Denn die aufgeworfene Rechtsfrage stellt sich unabhängig vom Rechtsmittelführer und ist einer divergierenden Beantwortung nicht zugänglich. Auch auf die durch das vorlegende Oberlandesgericht zusätzlich formulierte Einschränkung, dass das Berufungsgericht irrig von einer Rechtsmittelbeschränkung ausgeht, welche im Falle ihrer Erklärung wirksam wäre, kommt es für die Wirksamkeit der Revisionsbeschränkung nicht an.

1. Der Angeklagte hat seine Revision gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Hamburg auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Maßgeblich für das Vorliegen einer Rechtsmittelbeschränkung ist allein die - einer Auslegung zugängliche (vgl. zur Auslegungsfähigkeit von Prozesserklärungen nur BGH, Beschluss vom 10. Juli 1984 - 1 StR 13/84, BGHSt 32, 394, 400) - Erklärung des Rechtsmittelführers, die angegriffene Entscheidung nicht in sämtlichen Entscheidungsteilen, und damit nur eingeschränkt, einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht unterstellen zu wollen.

2. Die Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch ist allerdings unwirksam, da das Landgericht keinen Schuldspruch mit zugehörigen eigenen Feststellungen zur Tat vom 16. März 2017 getroffen hat, obwohl der Angeklagte gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Bergedorf unbeschränkt das Rechtsmittel der Berufung eingelegt hat. Denn das Fehlen der vom Landgericht angenommenen Berufungsbeschränkung schlägt - was das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen hat (Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Dezember 2018 - 1 OLG 121 Ss 70/18; LRStPO/Gössel, 26. Aufl., § 318 Rn. 126; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 318 Rn. 33, § 352 Rn. 4) - auf die Wirksamkeit der Revisionsbeschränkung durch.

a) Mit der Möglichkeit der Beschränkung des Rechtsmittels (§ 318 Satz 1, § 344 Abs. 1 StPO) hat der Gesetzgeber dem Rechtsmittelberechtigten zwar eine prozessuale Gestaltungsmacht eingeräumt, deren Ausübung im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren ist (BGH, Beschlüsse vom 27. April 2017 - 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155, 159 f.; vom 15. Mai 2001 - 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 38; vom 21. Oktober 1980 - 1 StR 262/80, BGHSt 29, 359, 364). Das Rechtsmittelgericht kann und darf deshalb grundsätzlich diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird.

Diese Dispositionsmacht des Rechtsmittelführers ist allerdings durch die Trennbarkeit des angegriffenen Entscheidungsteils vom übrigen Urteilsinhalt begrenzt. Die durch die Beschränkung des Rechtsmittels entstehenden Entscheidungsteile müssen auch nach ihrer Trennung einer selbständigen Prüfung und Beurteilung zugänglich sein (BGH, Beschlüsse vom 9. September 2015 - 4 StR 334/15, NStZ 2016, 105; vom 21. Oktober 1980 - 1 StR 262/80, BGHSt 29, 359, 364; vom 30. November 1976 - 1 StR 319/76, BGHSt 27, 70, 72; vom 24. Juli 1963 - 4 StR 168/63, BGHSt 19, 46, 48). Denn die aus verschiedenen Erkenntnissen im Rahmen einer stufenweisen Erledigung zusammengefügte Entscheidung über den durch den Eröffnungsbeschluss definierten Prozessgegenstand muss frei von Widersprüchen sein (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017 - 1 StR 458/16, BGHSt 62, 202, 206 mwN). Infolgedessen ist etwa eine den Schuldspruch unberührt lassende isolierte Anfechtung des Strafausspruchs nach ständiger Rechtsprechung dem Grunde nach möglich (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106; Beschluss vom 27. April 2017 - 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155, 161 mwN), wohingegen eine vom Strafausspruch losgelöste Anfechtung des Schuldspruchs ausgeschlossen ist (vgl. OLG Stuttgart NJW 1982, 897, 898; KKStPO/Paul, aaO, § 318 Rn. 7; KMRStPO/Brunner, 92. EL, § 318 Rn. 29; LRStPO/Franke, 26. Aufl., § 344 Rn. 29; LRStPO/Gössel, aaO, § 318 Rn. 62; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 318 Rn. 14; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 5. Aufl., S. 71 f.).

Aus letzterem ergibt sich aber auch, dass über die Rechtsfolgen in einer hierauf beschränkten Revision nur dann entschieden werden kann, wenn ein rechtskräftiger Schuldspruch vorliegt. Fehlt es an einem rechtskräftigen Schuldspruch, ist dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs schon mangels eines vorgegebenen Strafrahmens nicht möglich, fehlt es an Feststellungen, kann das Revisionsgericht Art und Umfang der Schuld nicht im notwendigen Maße nachprüfen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. April 2017 - 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155, 161 f. mwN; BayObLGSt 1994, 253).

b) Gemessen daran ist die Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam. Denn das Landgericht hat hinsichtlich der Tat vom 16. März 2017 aufgrund eines Irrtums über die Reichweite der Berufung lediglich den Rechtsfolgenausspruch überprüft, obwohl es infolge des - ausweislich des insoweit maßgeblichen Protokolls der Berufungshauptverhandlung - unbeschränkten Rechtsmittels darüber hinaus den Schuldspruch hätte prüfen und gegebenenfalls neu bewerten müssen. Das Landgericht wäre deshalb gehalten gewesen, im Rahmen der gebotenen vollumfänglichen Nachprüfung des amtsgerichtlichen Urteils auch Feststellungen zum Schuldspruch zu treffen und über diesen zu entscheiden (vgl. BayObLGSt 1994, 253, 254; Thüringer Oberlandesgericht, aaO; KKStPO/Paul, aaO, § 312 Rn. 1; LRStPO/Gössel, aaO, Vor § 312 Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Vor § 312 Rn. 1). Dies hat es nicht getan.

Das Landgericht ist ungeachtet der Verwerfung der Berufung des Angeklagten von einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung auch hinsichtlich der Tat vom 16. März 2017 ausgegangen. Dies ergeben die Urteilsgründe, die bezüglich der Reichweite des Urteilsausspruchs ebenso wie bei der Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft einer Entscheidung heranzuziehen sind (MüKoStPO/Maier, § 260 Rn. 35; vgl. für Revisionsentscheidungen Schäfer/Sander/van Gemmeren, 6. Aufl., Rn. 1328). Es hat deshalb insoweit weder einen Schuldspruch noch diesbezügliche Feststellungen getroffen.

Eigene Feststellungen sind auch nicht darin zu sehen, dass es auf die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils verwiesen hat. Zwar kann eine solche Inbezugnahme von Feststellungen zulässig sein (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 267 Rn. 2a). Da das Landgericht jedoch irrtümlich von horizontaler Teilrechtskraft und einer damit einhergehenden Bindungswirkung an die erstinstanzlichen Feststellungen ausgegangen ist, hat es diesen Inhalt des amtsgerichtlichen Urteils nicht in Ausübung eigener Entscheidungszuständigkeit übernommen (vgl. zur Bezugnahme auf aufgehobene Feststellungen auch BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2012 - 3 StR 156/12; wistra 2012, 356; vom 25. September 2012 - 1 StR 212/12, NStZ-RR 2013, 22, 23; vom 22. August 2018 - 3 StR 128/18).

c) Entgegen der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts kann eine Überprüfung allein des Strafausspruchs auch nicht anhand der durch das Amtsgericht getroffenen Feststellungen erfolgen. Denn diese sind von dem umfänglichen Rechtsmittelangriff des Angeklagten gerade erfasst, woraus das - das Rechtsmittel der Berufung prägende - Erfordernis resultiert, dass das Berufungsgericht den dem Angeklagten gemachten Tatvorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nachzuprüfen und hierzu umfassende eigene Feststellungen zum Schuldspruch zu treffen hat (KKStPO/Paul, aaO, § 312 Rn. 1; LRStPO/Gössel, aaO, Vor § 312 Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Vor § 312 Rn. 1).

d) Die Tatsache, dass der Angeklagte aufgrund der Beschränkung seiner Revision auf den Rechtsfolgenausspruch den Schuldspruch mitsamt den zugrunde gelegten Feststellungen nicht angreifen möchte, führt zu keinem anderen Ergebnis, da der Rechtsmittelführer nicht über die Teilbarkeit des Urteilsgegenstandes und damit einhergehend den Umfang, in welchem Rechtskraft möglich ist, bestimmen kann (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 26. Mai 1967 - 2 StR 129/67, BGHSt 21, 256, 259).

3. Den Rechtsfolgenausspruch hat das Revisionsgericht mithin schon deshalb aufzuheben, weil er nicht ohne Schuldspruch stehen kann (vgl. auch Thüringer Oberlandesgericht, aaO; vgl. zur nicht möglichen gesonderten Anfechtbarkeit des Schuldspruchs OLG Stuttgart aaO; KKStPO/Paul, aaO, § 318 Rn. 7; KMRStPO/Brunner, aaO; LRStPO/Franke, aaO, § 344 Rn. 29; LRStPO/Gössel, aaO, § 318 Rn. 62; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 318 Rn. 14; Sarstedt/Hamm, aaO).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 9

Externe Fundstellen: BGHSt 64, 209; NJW 2020, 253; NStZ 2020, 182; StV 2020, 842

Bearbeiter: Christian Becker