HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1061
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 535/17, Beschluss v. 22.01.2018, HRRS 2018 Nr. 1061
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 14. Juni 2017
a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass
aa) die Angeklagte U. Ko. der Steuerhinterziehung in 13 Fällen und der versuchten Steuerhinterziehung in vier Fällen schuldig ist,
bb) der Angeklagte W. Ko. der Steuerhinterziehung in 19 Fällen und der versuchten Steuerhinterziehung in vier Fällen schuldig ist;
b) im Strafausspruch aufgehoben hinsichtlich der die Taten B.II.2.a), B.II.2.b), B.III.2.a) und B.IV.1. der Urteilsgründe betreffenden Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafen.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel beider Angeklagter, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten Ko. wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sowie die Angeklagte Ko. wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer solchen von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung dieser Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden. Gegen das Urteil wenden sich die Angeklagten mit Verfahrensrügen sowie mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Die Rechtsmittel haben lediglich in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen erweisen sie sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Verurteilung beider Angeklagten liegt die Hinterziehung von verschiedenen Unternehmenssteuern zu Gunsten von zwei Gesellschaften sowie diejenige von Einkommensteuer der Angeklagten bezogen auf jeweils mehrere Veranlagungszeiträume zugrunde. Wie das Landgericht festgestellt hat, war der Angeklagte, ein früherer Rechtsanwalt, in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und hatte die Eidesstattliche Versicherung abgeben müssen. Nach dem Verlust seiner Rechtsanwaltszulassung war er als freier Berater für Unternehmen in Krisensituationen tätig. Um die dadurch erzielten Einkünfte dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen, bediente er sich zweier Gesellschaften, der A. GmbH (nachfolgend: A.) und der K. C. GmbH (nachfolgend: KC). Alleinige Gesellschafterin der A. war formal die Angeklagte U. Ko. Die Geschäftsanteile an der KC befanden sich formal in den Händen der gemeinsamen Kinder der Angeklagten. Tatsächlich hielten die Gesellschafter beider Gesellschaften die Anteile lediglich treuhänderisch für den Angeklagten, der jeweils auch faktischer Geschäftsführer war. Er sorgte auf durch das Landgericht näher festgestellte Weise dafür, dass die durch seine Beratertätigkeit unter Einbindung der Gesellschaften erzielten Einkünfte dem Lebensunterhalt der Familie zur Verfügung standen.
Das Landgericht hat die entsprechende Verwendung der über die Gesellschaften generierten Einkünfte jeweils als verdeckte Gewinnausschüttungen gewertet. Auf diesen Ausschüttungen beruhen die Verurteilungen wegen Steuerhinterziehungen ganz überwiegend.
2. Im Einzelnen gründen sich die Schuldsprüche auf die Hinterziehung von Körperschaftsteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag) und Gewerbesteuer zu Gunsten der A. in den Veranlagungszeiträumen 2007 bis 2012 sowie zugunsten der KC für die Veranlagungszeiträume 2013 und 2014, bezüglich der letztgenannten Zeiträume zudem derjenigen von Umsatzsteuer ebenfalls zum Vorteil der KC. Die Verurteilungen wegen Einkommensteuerhinterziehung betreffen für beide Angeklagten die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2012 sowie allein für den Angeklagten die Jahre 2013 und 2014. Insgesamt sind Unternehmenssteuern in Höhe von mehr als 400.000 Euro verkürzt und eine weitere Verkürzung von knapp 190.000 Euro angestrebt worden. Die Angeklagten haben zudem gut 141.000 Euro Einkommensteuer verkürzt sowie dies in Bezug auf weitere 290.000 Euro beabsichtigt. Zudem hat der Angeklagte für die Zeiträume 2013 und 2014 gut 120.000 Euro Einkommensteuer hinterzogen.
Die Revisionen der Angeklagten führen lediglich zu den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Schuldspruchänderungen, die zugleich Teilaufhebungen der Strafaussprüche bedingen. Im Übrigen enthält das Urteil keine den Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler.
1. Die durch beide Angeklagten identisch erhobenen und ausgeführten Verfahrensbeanstandungen dringen nicht durch; sie genügen mit einer Ausnahme bereits nicht den sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden gesetzlichen Anforderungen.
a) Die Beanstandung, es werde „im Wege der Verfahrensrüge (geltend gemacht), dass die Kammer von Urkunden, insbesondere einem umfangreichen Betriebsprüfungsbericht, bei der Urteilsfindung Gebrauch gemacht hat (…), die nicht in der Verhandlung verlesen wurden, sondern im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführt werden sollten“, ist unter keiner der näher ausgeführten damit verbundenen Angriffsrichtungen zulässig erhoben.
aa) Die Revisionen haben dazu u.a. vorgetragen, das angeordnete Selbstleseverfahren habe insgesamt 1972 Seiten umfasst und diesbezüglich Zweifel daran angemeldet, dass den Schöffen ausreichend Zeit für die Lektüre zur Verfügung stand. Damit wird eindeutig insoweit die Art und Weise der Durchführung des Selbstleseverfahrens beanstandet (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 9. November 2017 - 1 StR 554/16, NStZ 2018, 230 mwN). Wie sich bereits aus den Revisionsbegründungen selbst ergibt, ist in der Hauptverhandlung gegen die entsprechende Anordnung des Vorsitzenden keine gerichtliche Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO beantragt worden (siehe nur RB Rechtsanwalt Dr. M. S. 8). Das wäre aber erforderlich gewesen, um die Art und Weise der Durchführung des Selbstleseverfahrens noch mit der Revision beanstanden zu können (BGH aaO sowie BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300, 301).
bb) Soweit die Angeklagten hinsichtlich der Durchführung und des Abschlusses des Selbstleseverfahrens beanstanden, zwei „wichtige Schriftstücke“, die Gegenstand der Selbstlesung waren, seien tatsächlich nicht „gelesen“ worden, ist das jeweilige Revisionsvorbringen entgegen den aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO resultierenden Anforderungen in sich widersprüchlich (zur Widerspruchsfreiheit des Revisionsvortrags BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 - 1 StR 607/07, NStZ 2008, 353; Cirener/Herb NStZ-RR 2018, 97). Die Begründungen der auf einen näher bezeichneten Haftungsbescheid eines Finanzamtes, einen Betriebsprüfungsbericht sowie einen Aktenvermerk eines Steuerfahnders bezogenen Rügen zeigen selbst auf, dass das angefochtene Urteil sich mit den vorgenannten Schriftstücken inhaltlich befasst. Das setzt notwendigerweise eine vorherige Kenntnisnahme von diesen Schriftstücken und damit deren Lesen seitens der beteiligten Richter voraus.
cc) Als verfahrensfehlerhafte Durchführung und Umsetzung des Selbstleseverfahrens kann zudem von vornherein nicht beanstandet werden, dass das Landgericht Zahlungen der betroffenen Gesellschaften an den Angeklagten - anders als vom Lohnsteueraußenprüfer und im Haftungsbescheid zugrunde gelegt - nicht als Lohn, sondern als verdeckte Gewinnausschüttungen gewertet hat.
b) Der an das Vorgenannte anknüpfenden Rüge der Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO wegen unterbliebener Anhörung des Betriebsprüfers Koc. zu den Gründen, die ihn zur Einordnung als Lohn und nicht als verdeckte Gewinnausschüttung veranlasst haben, mangelt es an einer konkreten Beweisbehauptung. Sie ist deshalb unzulässig.
2. Den Rechtsmittelbegründungen lässt sich im Hinblick auf die Angriffsrichtung noch hinreichend eindeutig entnehmen, eine Verletzung von § 261 StPO (Inbegriffsrüge) darin sehen zu wollen, dass das Landgericht die bereits angesprochenen Geldflüsse nicht als Lohnzahlungen an den Angeklagten, sondern als verdeckte Gewinnausschüttungen behandelt hat. Diese Beanstandungen haben in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Inhalt der fraglichen, im Selbstleseverfahren eingeführten Urkunden dem Urteil zutreffend zugrunde gelegt. An die in den fraglichen Urkunden ausgedrückte steuerliche Bewertung der maßgeblichen tatsächlichen Vorgänge durch die Finanzbehörden bzw. deren Bedienstete war es aber gerade nicht gebunden. Vielmehr obliegt es dem zuständigen Strafgericht im Rahmen seiner Vorfragenkompetenz (§ 262 Abs. 1 StPO), eigenständig die steuerrechtliche Beurteilung eines steuerstrafrechtlich bedeutsamen Lebenssachverhalts vorzunehmen (zur Vorfragenkompetenz in Steuerstrafsachen etwa Harms/Heine, in Festschrift für Spindler, 2011, 429, 431). Steuerbescheiden kommt grundsätzlich keine konstitutive Wirkung für die Entstehung eines staatlichen Steueranspruchs und dessen Höhe im einzelnen Fall zu (vgl. Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl., § 21 Rn. 114 mwN).
Soweit die Revisionen zudem einen Verstoß gegen § 261 StPO in einer vermeintlich unterbliebenen Berücksichtigung des Vermerks der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes Nürnberg-Süd vom 9. August 2016 sehen wollen, hat der Generalbundesanwalt zutreffend die Erfolglosigkeit dieser Rüge aufgezeigt. Dass das Landgericht aus dem fraglichen Vermerk nicht die von den Rechtsmittelführern als richtig erachteten Schlüsse gezogen hat, belegt weder das Zugrundelegen eines unzutreffenden Urkundeninhalts noch eine unterbliebene Kenntnisnahme des fraglichen Vermerks seitens des Tatgerichts.
3. Den getroffenen Feststellungen zu den Schuld- und Strafaussprüchen gegen beide Angeklagten liegt eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung zugrunde.
4. Dagegen hält die konkurrenzrechtliche Einordnung der Taten durch das Landgericht bezüglich beider Angeklagter lediglich teilweise rechtlicher Überprüfung stand. Das Landgericht hat mehrfach ohne rechtlich tragfähigen Grund hinsichtlich verschiedener Steuerarten und vor allem bezüglich verschiedener Veranlagungszeiträume Tateinheit angenommen.
a) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt im Hinblick auf die Konkurrenz das Folgende:
(1) Die Abgabe jeder einzelnen unrichtigen Steuererklärung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) ist grundsätzlich als selbstständige Tat i.S.v. § 53 StGB zu werten. Von Tatmehrheit ist also auszugehen, wenn die abgegebenen Steuererklärungen verschiedene Steuerarten, verschiedene Besteuerungszeiträume oder verschiedene Steuerpflichtige betreffen. Ausnahmsweise kann (dennoch) Tateinheit vorliegen, wenn die Hinterziehungen durch die dieselbe Erklärung bewirkt werden oder wenn mehrere Steuererklärungen im äußeren Vorgang zusammenfallen und überdies in den Erklärungen übereinstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen enthalten sind (etwa BGH, Urteil vom 28. Oktober 2004 - 5 StR 276/04, NJW 2005, 374, 375; Beschlüsse vom 21. März 1985 - 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163, 165 f.; vom 23. Juli 2014 - 1 StR 207/14, wistra 2014, 443 f. und vom 24. Mai 2017 - 1 StR 418/16, NZWiSt 2017, 473 mit Anmerkung Rolletschke; siehe zudem ders./Steinhart NZWiSt 2015, 71 ff. mwN).
Dabei wird das Zusammenfallen der Abgabe von mehreren Steuererklärungen (regelmäßig für unterschiedliche Steuerarten und verschiedene Veranlagungszeiträume) in einem „äußeren Vorgang“ und übereinstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen in den betroffenen Erklärungen ersichtlich als kumulativ erforderliche Voraussetzungen der tateinheitlichen Verwirklichung der Steuerhinterziehung verstanden. Übereinstimmende unrichtige Angaben im Sinne der vorstehend dargestellten Rechtsprechung sollen beispielsweise im Verhältnis von Körperschaftsteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung sowie im Verhältnis von Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung in Betracht kommen (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 - 1 StR 418/16, NZWiSt 2017, 473 mwN).
(2) Auch bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist im Grundsatz im Hinblick auf jede Steuerart, jeden Besteuerungszeitraum und jeden Steuerpflichtigen von selbständigen Taten i.S.v. § 53 StGB auszugehen. Allein ein einheitlicher Tatentschluss, seinen steuerlichen Pflichten für mehrere Steuerarten und mehrere Besteuerungszeiträume künftig nicht nachzukommen, begründet noch keine Tateinheit zwischen den einzelnen Steuerhinterziehungen durch Unterlassen. Tateinheit ist nur dann ausnahmsweise anzunehmen, wenn die erforderlichen Angaben, die der Täter pflichtwidrig unterlassen hat, durch ein und dieselbe Handlung zu erbringen gewesen wären (siehe nur BGH, Urteil vom 28. Oktober 2004 - 5 StR 276/04, NJW 2005, 374, 375 mwN).
b) Bereits bei Anlegung dieser Maßstäbe bestehen auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen tateinheitlicher Begehung der Steuerhinterziehung in den Fällen B.II.2.a), B.II.2.b), B.III.2.a) und B.IV.1. der Urteilsgründe. Ob die vom Landgericht herangezogenen Erwägungen zum Vorliegen übereinstimmender unrichtiger Angaben über die Besteuerungsgrundlagen (UA S. 65) diese Voraussetzung tateinheitlicher Begehung zu tragen vermögen, bedarf jedoch keiner Vertiefung. Denn der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Voraussetzungen der Tateinheit bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO insoweit nicht mehr fest, als bei mehreren Steuererklärungen deren Abgabe durch „eine körperliche Handlung“ gleichzeitig erfolgt. Das bloße zeitliche Zusammenfallen der Abgabe von mehreren Steuererklärungen, die rechtlich nicht miteinander verknüpft sind, in einem äußeren Akt kann Tateinheit i.S.v. § 52 StGB nicht begründen.
aa) Nach § 52 Abs. 1 StGB liegt materiellrechtlich Tateinheit vor, wenn dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzt. Tateinheit in diesem Sinne ist gegeben, wenn die tatbestandlichen, mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzenden Ausführungshandlungen in einem für sämtliche Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil zumindest teilweise identisch sind (BGH, Beschluss vom 21. März 1985 - 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163, 165 mit Bezugnahme u.a. auf RG, Urteil vom 28. April 1899 - Rep. 1158/99, RGSt 32, 137, 138 f.; BGH, Beschluss vom 11. November 1976 - 4 StR 266/76, BGHSt 27, 66, 67). Dagegen begründen eine einheitliche Zielsetzung des Täters, ein übereinstimmender Beweggrund oder die Verfolgung eines Endzwecks Tateinheit ebenso wenig (BGH, Beschluss vom 21. März 1985 - 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163, 165 mwN) wie das bloße Zusammenfallen von zwei Tatbeständen, bei denen der Täter den einen Tatbestand lediglich gelegentlich der anderen Tat verwirklicht (vgl. BGH, Urteil vom 5. August 2010 - 3 StR 210/10, juris Rn. 16).
bb) Eine für die Begründung von Tateinheit erforderliche Teilidentität der Ausführungshandlungen ist bei Abgabe mehrerer Steuererklärungen für verschiedene Steuerarten und verschiedene Veranlagungszeiträume durch einen äußeren Akt, etwa des Versendens per Post in einem Brief, hinsichtlich der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO grundsätzlich nicht gegeben. Die Tathandlung besteht in diesen Fällen darin, dass der Täter gegenüber Finanz- oder anderen Behörden steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht. Die steuerliche Erheblichkeit wird angesichts des notwendig steuerrechtsakzessorischen Charakters der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) durch die jeweils maßgeblichen steuerrechtlichen Bestimmungen geprägt (vgl. nur Klein/Jäger, AO, 13. Aufl., § 370 Rn. 5). Regelmäßig aber auch für die hier verfahrensgegenständlichen Steuerarten beziehen sich die steuerlich erheblichen Tatsachen allein auf einen bestimmten Veranlagungszeitraum und auf eine Steuerart, soweit nicht - wie etwa beim Solidaritätszuschlag bezüglich der Einkommen- oder Körperschaftsteuer - eine Erklärung und Festsetzung zusammen mit den vorgenannten Hauptsteuern erfolgt (Rolletschke/Steinhart NZWiSt 2015, 71). Dem äußeren Vorgang des Versenden bzw. der sonstigen Übermittlung der Erklärung und deren Eingang bei der Behörde kommt für die tatbestandliche Handlung als solche keine Bedeutung zu. Es mangelt daher an einer Teilidentität der Ausführungshandlungen selbst bei Übermittlung mehrerer Erklärungen durch einen einheitlichen äußeren Akt. Das Geschehen erschöpft sich insoweit in einem bloßen zeitlichen Zusammenfallen, das nicht anders als die Tatbegehung gelegentlich der Ausführung einer anderen Tat die Voraussetzungen des § 52 StGB nicht begründet.
cc) Der bisherigen Rechtsprechung ist zudem nicht zu Unrecht vorgeworfen worden, zufällig anmutende Ergebnisse hervorzubringen (etwa Rolletschke/ Steinhart NZWiSt 2015, 71). So wäre materiellrechtlich bei Versendung von drei verschiedenen Steuererklärungen über unterschiedliche Steuerarten und Veranlagungszeiträume in einem Briefumschlag unter den sonstigen Voraussetzungen (übereinstimmende unrichtige Angaben über Besteuerungsgrundlagen) von Tateinheit auszugehen, bei Übermittlung in jeweils einem gesonderten Brief dagegen an sich von Tatmehrheit. Für die Steuerhinterziehung als auf Steuerarten und Veranlagungszeiträume bezogenes Erklärungsdelikt ist die einheitliche oder getrennte Versendung aber ohne jede Bedeutung. Wäre prozessual nicht mehr aufklärbar, ob die verschiedenen Erklärungen getrennt übersandt worden sind, steht aber ihr taggleicher Eingang bei der Behörde fest, müsste nach der Entscheidungsregel in dubio pro reo beurteilt werden, ob die Annahme einer Tat oder mehrerer Taten die für den Angeklagten günstigere Sachverhaltsvariante wäre. Für derartige Zweifelsfragen bleibt kein Raum, wenn bei mehreren Steuererklärungen über mehrere Steuerarten und unterschiedliche Veranlagungszeiträume grundsätzlich von Tatmehrheit auszugehen ist.
dd) Der Senat gibt die bisherige Rechtsprechung zur Tateinheit bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO daher insoweit auf, als eine Tat i.S.v. von § 52 StGB bei mehreren Steuererklärungen über verschiedene Steuerarten und unterschiedliche Veranlagungszeiträume (und verschiedene Steuerpflichtige) angenommen worden ist, wenn die Abgabe der Erklärungen im äußeren Vorgang zusammenfällt. In diesen Konstellationen liegen vielmehr im Grundsatz mehrere Taten (§ 53 StGB) vor. Diese Änderung kann der Senat ohne eine vorherige Anfrage bei den anderen Strafsenaten des Bundesgerichtshofs vornehmen, weil er für Steuerstrafsachen ausschließlich zuständig ist und es sich allein um die Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse zwischen mehreren Steuerhinterziehungen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO handelt.
c) Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ergeben sich nach Maßgabe des Vorgenannten für die Fälle B.II.2.a), B.II.2.b), B.III.2.a) - insoweit lediglich den Angeklagten W. Ko. betreffend - und B.IV.1. der Urteilsgründe folgende Schuldsprüche für die Angeklagten:
aa) Im Fall B.II.2.a) haben sich beide Angeklagten ungeachtet des gleichzeitigen Eingangs der auf die Veranlagungszeiträume 2007 und 2008 bezogenen, am selben Tag bei dem Finanzamt eingegangenen Unternehmenssteuererklärungen wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen schuldig gemacht. Es handelt sich um die Hinterziehung von Körperschaftsteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag, weil aufgrund derselben Erklärung festzusetzen) sowie um diejenige von Gewerbesteuer jeweils für die genannten Zeiträume.
bb) Im Fall B.II.2.b) liegen wiederum trotz des Eingangs aller Erklärungen über Unternehmenssteuern am selben Tag jeweils sechs vollendete Steuerhinterziehungen (jeweils Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer für die Veranlagungszeiträume 2010 - 2012) und zwei versuchte Steuerhinterziehungen (bezüglich des Veranlagungszeitraums 2009) vor.
cc) Der Angeklagte W. Ko. hat zudem für die Veranlagungszeiträume 2013 und 2014 jeweils sowohl Körperschaftals auch Gewerbesteuer zugunsten der KC hinterzogen. Damit hat er im Fall B.III.2.a) insgesamt vier Steuerhinterziehungen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verwirklicht.
dd) Betreffend ihre Einkommensteuer (Fall B.IV.1.) haben sich die Angeklagten bezüglich der Veranlagungszeiträume 2008, 2009 und 2012 jeweils wegen vollendeter Steuerhinterziehungen und bezüglich der Veranlagungszeiträume 2010 und 2011 wegen versuchten Steuerhinterziehungen strafbar gemacht.
ee) Unter Berücksichtigung der rechtsfehlerfreien Schuldsprüche in den Fällen B.III.2.b) und B.IV.2. ändert der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO den den Angeklagten W. Ko. betreffenden Schuldspruch dahingehend ab, dass dieser wegen Steuerhinterziehung in 19 Fällen und der versuchten Steuerhinterziehung in vier Fällen schuldig ist sowie den die Angeklagte U. Ko. betreffenden Schuldspruch dahingehend, dass diese der Steuerhinterziehung in 13 Fällen und der versuchten Steuerhinterziehung ebenfalls in vier Fällen schuldig ist. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil die Angeklagten sich gegen die Vorwürfe nicht erfolgreicher als geschehen hätten verteidigen können.
5. Die Schuldspruchänderungen bedingen die Aufhebung der jeweiligen Einzelstrafen in den Fällen B.II.2.a), B.II.2.b), B.III.2.a) - insoweit lediglich W. Ko. betreffend - und B.IV.1. der Urteilsgründe sowie der Gesamtstrafe hinsichtlich beider Angeklagter.
Die übrigen Einzelstrafen sind nicht zu beanstanden. Insbesondere die Berechnung des für die Strafzumessung relevanten Hinterziehungsumfangs enthält keine Rechtsfehler.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es im Fall B.IV.1. der Urteilsgründe hinsichtlich der Einkommensteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag) beider Angeklagter für den Veranlagungszeitraum 2008 keine Notwendigkeit für eine Reduktion des sich unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 EStG a.F.; vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2017 - 1 StR 464/17, NStZ 2018, 345 f.) steuerrechtlich ergebenden Hinterziehungsbetrags für die Strafzumessung gibt. Da der Gesetzgeber mit der für den hier fraglichen Veranlagungszeitraum maßgeblichen Absenkung des Körperschaftsteuersatzes bei der Gesellschaft einerseits sowie der Berücksichtigung lediglich des hälftigen Zuflusses verdeckter Gewinnausschüttungen bei dem Gesellschafter andererseits ohnehin eine Angleichung der Belastung an andere Einkunftsarten angestrebt hat (BGH aaO) und vorliegend das Landgericht bereits bei den Besteuerungsgrundlagen von den Angeklagten günstigen Annahmen ausgegangen ist, ergibt sich kein Bedarf einer Absenkung des sich steuerrechtlich ergebenden Hinterziehungsumfangs für die Strafzumessung.
Bezüglich der Veranlagungszeiträume ab 2009 vermag der Senat angesichts der nochmals geänderten Steuerrechtslage (vgl. dazu Madauß, NZWiSt 2013, 207, 210 f.) schon grundsätzlich keine Notwendigkeit einer solchen Reduktion bei der Strafzumessung zu erkennen. Wird - wie vorliegend - eine verdeckte Gewinnausschüttung nicht der Kapitalertragssteuer unterworfen (vgl. § 32d Abs. 1 Satz 1, § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG), sind die Zuflüsse als Einkommen des Gesellschafters zu werten und mit dem Steuersatz von 25% zu besteuern (siehe Voßkuhl/Klemke, DB 2012, 2248, 2250 mwN). Eine mit verfassungsrechtlichen oder strafrechtlichen Grundprinzipien unvereinbare Doppelbelastung ist bei einer an dem sich auf dieser Grundlage festgestellten Hinterziehungsumfang ausgerichteten Strafzumessung nicht gegeben.
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1061
Externe Fundstellen: NStZ 2019, 154; StV 2019, 49
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede