HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 963
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 30/21, Beschluss v. 29.07.2021, HRRS 2021 Nr. 963
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 17. August 2020 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben in den Aussprüchen über
a) die Einzelstrafen für die Fälle der Hinterziehung von Einkommensteuer und von Gewerbesteuer betreffend die Jahre 2012 bis 2017,
b) die Gesamtstrafe und
c) die Einziehung des Wertes von Taterträgen; ausgenommen sind die Feststellungen zu den Umsätzen aus der Zimmervermietung des Angeklagten, die bestehen bleiben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 19 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.163.535 Euro angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte von 2012 bis 2018 Pächter von fünf Gebäuden im Rotlichtbezirk N. s. Über sein Einzelunternehmen „F“ stellte er die einzelnen Räume in diesen Gebäuden tageweise gegen Entgelt Frauen zur Verfügung, die dort der Prostitution nachgingen. Über die Gebrauchsüberlassung hinaus sorgte der Angeklagte durch bei ihm beschäftigte sog. Schichtleiter für Ordnung in den Häusern. Er stellte kostenfrei Bettwäsche zur Verfügung und ermöglichte über die Fi. GmbH, an der er zu 50% als Gesellschafter beteiligt war, den Kauf von „Arbeitsutensilien“. In jedem Zimmer befand sich ein „Notfallknopf“, der es den Prostituierten ermöglichte, den „Schichtleiter“ in ihr Zimmer zu rufen. Der von den Mieterinnen tatsächlich zu entrichtende Betrag setzte sich aus mehreren Variablen zusammen. Zusätzlich zu einem Fixpreis für das Zimmer wurde bei der Benutzung von sog. Koberfenstern, in denen die Prostituierten ihre Dienstleistungen vermarkten konnten, ein Aufschlag zur Zimmermiete fällig. Der Angeklagte gestand den Frauen zu, an einem Tag in der Woche nur eine ermäßigte Miete zu bezahlen, wenn sie an diesem Tag Kunden für sexuelle Dienstleistungen nicht zur Verfügung standen. Waren die Mieterinnen bereit, gänzlich unbekleidet in ihren Zimmern auf potentielle Kunden zu warten („FKK“), hatten sie nur einen ermäßigten Mietzins zu entrichten.
Seit dem Jahr 2012 ermittelte der Angeklagte den Gewinn aus dieser Tätigkeit nicht mehr gemäß § 4 Abs. 3 EStG durch eine Einnahme-Überschuss-Rechnung, sondern auf der Grundlage eines Betriebsvermögensvergleichs (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Ausgehend von einer für den Veranlagungszeitraum 2011 durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung war dem Angeklagten bekannt, dass die Umsätze aus der Vermietungstätigkeit vom Finanzamt als umsatzsteuerpflichtig und nicht gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG als umsatzsteuerbefreit angesehen wurden.
Entgegen der ihm bekannten Verpflichtung, die Einkünfte und Umsätze aus der gewerblichen Zimmervermietung vollständig und rechtzeitig gegenüber den Finanzbehörden zu erklären, gab der Angeklagte für die Jahre 2012 bis 2017 und hinsichtlich der Umsatzsteuer auch für das Jahr 2018 die Umsätze bzw. Gewinne aus dieser Tätigkeit jeweils nur unvollständig und zum Teil zudem verspätet in seinen Umsatzsteuer-, Gewerbesteuer- und Einkommensteuererklärungen an. Die sich aus seinen unzutreffenden Angaben ergebenden zu geringen Steuerbeträge führte er an den Fiskus ab. Insgesamt verkürzte der Angeklagte aufgrund seiner unvollständigen Steuererklärungen nach der Berechnung des Landgerichts Steuern einschließlich Solidaritätszuschlägen in Höhe einer „Zahllast“ von 1.163.535 Euro und ersparte sich hierdurch die entsprechenden Aufwendungen. In diesem Umfang ordnete das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) an.
Die Beanstandung der Verletzung formellen Rechts hat aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg.
Der sachlichrechtlichen Überprüfung hält das Urteil nicht in vollem Umfang Stand. Während der Schuldspruch Bestand hat (nachfolgend 1.), ist der Strafausspruch teilweise aufzuheben, weil die Bestimmung des Schuldumfangs zum Teil rechtsfehlerhaft ist (nachfolgend 2.). Dies zieht auch die Aufhebung der Gesamtstrafe und der Einziehungsanordnung nach sich (nachfolgend 3.).
1. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
a) Die Verurteilung wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer in sieben Fällen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 [in zwei Fällen] bzw. Nr. 2 [in fünf Fällen] AO i.V.m. § 18 Abs. 3 UStG) für die Jahre 2012 bis 2018 ist rechtsfehlerfrei.
aa) Entgegen der Auffassung der Revision war die gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbare Vermietungstätigkeit des Angeklagten nicht gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG steuerbefreit.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist die Überlassung möblierter Zimmer an Prostituierte dann keine umsatzsteuerfreie Vermietung, wenn zusätzliche Leistungen der Gesamtleistung ein anderes Gepräge geben.
Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn nicht die Grundstücksnutzung, sondern die Möglichkeit, die Prostitution auszuüben, aus der Sicht des Leistungsempfängers im Vordergrund steht. Maßgeblich ist das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse der Überlassung (BFH, Urteil vom 17. Dezember 2014 - XI R 16/11, BFHE 248, 436 mwN; vgl. auch BFH, Urteil vom 24. September 2015 - V R 30/14, BFHE 251, 451 Rn. 15 sowie FG Münster, Urteil vom 4. Juli 2019 - 5 K 2423/17 U Rn. 54). Bedeutung kann hierbei etwa erlangen, ob - wie im vorliegenden Fall - die Prostituierten sich in „Koben“ zur Schau stellen können und die vermieteten Räumlichkeiten mit einem Alarmknopf ausgestaltet sind (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 22. August 2018 - 11 K 18/18, EFG 2018, 1917 Rn. 24).
Die vermieteten Räumlichkeiten waren hier mit einem Alarmknopf ausgestattet; die Bettwäsche wurde von dem Angeklagten zur Verfügung gestellt. Zudem hat das Landgericht dargelegt, dass die Bemessung des Mietpreises auch an der Prostitutionsausübung anknüpfte, weil für „arbeitsfreie“ Tage ein geringerer Betrag zu entrichten war und das völlig unbekleidete Warten auf potentielle Kunden zu einer Verringerung der Zimmermiete führte (UA S. 18). Auch waren - wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat (UA S. 46) - die Umsätze aus der Zimmervermietung schon deshalb steuerpflichtig, weil der Angeklagte, indem er die erklärten Umsätze der Umsatzsteuer unterwarf, diese im Sinne von § 9 Abs. 1 UStG als steuerpflichtig behandelte. Für den Verzicht auf eine Steuerbefreiung genügt es, wenn der Unternehmer den Umsatz tatsächlich der Besteuerung unterwirft (vgl. Heidner in Bunjes, UStG, 20. Aufl., § 9 Rn. 21).
bb) Die vom Landgericht vorgenommene Schätzung der Einnahmen aus der Zimmervermietung an die Prostituierten hält rechtlicher Nachprüfung stand.
(1) Das Landgericht war zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berechtigt. Im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung zulässig, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, das Ausmaß der verwirklichten Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2014 - 1 StR 561/13 Rn. 19; vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 505/16 Rn. 14; vom 29. August 2018 - 1 StR 374/18 Rn. 7; vom 8. August 2019 - 1 StR 87/19 Rn. 7; vom 5. September 2019 - 1 StR 12/19 Rn. 26 und vom 11. März 2021 - 1 StR 521/20 Rn. 11; jeweils mwN). Dies war hier der Fall. Der Angeklagte führte keine ordentlichen Bücher. Vielmehr bestand zwischen ihm und der gesondert verfolgten K., die für den Angeklagten von 2012 bis 2015 die Buchhaltungs- und Organisationsaufgaben übernahm, die Absprache, dass die Umsätze aus der Zimmervermietung lediglich teilweise dem Finanzamt offenbart und hierzu bereits in den Monatsberichten um einen bestimmten Prozentsatz gekürzt werden sollten (UA S. 23). Nach dem Ausscheiden der gesondert verfolgten K. aus dem Unternehmen wurden die Umsätze von der dann für die Finanzbuchhaltung zuständigen Mitarbeiterin nur noch anhand der Zahlen der Vorjahre geschätzt.
(2) Die Durchführung der vom Landgericht vorgenommenen Schätzungen ist ebenfalls rechtsfehlerfrei. Die Strafkammer konnte sich hierbei auf die von den „Schichtleitern“ als „Grundaufzeichnungen“ geführten Listen stützen, in die alle Einnahmen und Ausgaben während ihrer Schicht aufgegliedert nach Name der Prostituierten, Betrag und Grund aufgenommen worden waren. Zudem standen der Strafkammer zum Teil die von der anderweitig verfolgten K. gefertigten zutreffenden Kassenberichte sowie die Monatsberichte zur Verfügung, in denen die vereinbarten Kürzungen bereits vorgenommen worden waren. Für diejenigen Zeiträume, für die keine zutreffenden Aufzeichnungen über die Einnahmen vorlagen, hat das Landgericht die Mieteinkünfte des Angeklagten ausgehend von der durchschnittlichen Mietzinshöhe der übrigen Zeiträume und unter Heranziehung der sichergestellten Einmietungsbögen, aus denen sich die Gesamtanzahl der Übernachtungen durch Prostituierte sowie die Anwesenheitszeiten der einzelnen Prostituierten und deren jeweilige Verweildauern ergaben, rechtsfehlerfrei geschätzt.
b) Der Schuldspruch wegen Hinterziehung von Einkommensteuer und Gewerbesteuer in jeweils sechs Fällen für die Jahre 2012 bis 2017 (§ 370 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 15, 25 EStG bzw. i.V.m. § 14a GewStG) hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung stand. Ausgehend von den vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Mehreinnahmen aus der Zimmervermietung waren auch die diesen Steuern zugrundeliegenden Steuererklärungen des Angeklagten unvollständig.
2. Allerdings hält die Berechnungsdarstellung für die Fälle der Hinterziehung von Einkommensteuer und Gewerbesteuer betreffend die Jahre 2012 bis 2017 rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es ist daher nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei diesen Taten zum Nachteil des Angeklagten von einem zu hohen Schuldumfang ausgegangen ist, wobei der Senat jedoch ausschließen kann, dass insoweit überhaupt keine Steuerverkürzung eingetreten ist. Dies zieht die Aufhebung der vom Landgericht hierfür verhängten Einzelstrafen nach sich.
a) Zwar hat das Landgericht die Berechnung der verkürzten Steuern in den Urteilsgründen tabellarisch dargestellt. Den Tabellen in den Urteilsgründen zur Bestimmung des einkommensteuer- bzw. gewerbesteuerlichen Gewinns aufgrund Betriebsvermögensvergleichs (§ 4 Abs. 1 Satz 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) und damit des Schuldumfangs ist jedoch schon nicht zu entnehmen, ob das Landgericht die auf die verschwiegenen Betriebseinnahmen nachzuentrichtende Umsatzsteuer als Betriebsausgabe in Abzug gebracht hat. Dessen hätte es jedoch bedurft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 1993 - 5 StR 466/92 Rn. 10; vom 15. November 1989 - 3 StR 211/89 Rn. 5, BGHR KStG § 8 Ermittlung 1 und vom 17. September 2019 - 1 StR 379/19 Rn. 12; Urteil vom 10. Juli 2019 - 1 StR 265/18 Rn. 45). Denn dieser Vorteil hätte dem Angeklagten bei wahrheitsgemäßen Angaben ohne Weiteres von Rechts wegen zugestanden; das Kompensationsverbot (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO) steht dem nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2020 - 1 StR 296/19 Rn. 15 mwN).
b) Hinsichtlich der Hinterziehung von Einkommensteuer für das Jahr 2013 und von Gewerbesteuer für die Jahre 2013, 2014 und 2016 ist die Berechnung des zu versteuernden Einkommens bzw. des Gewerbeertrags und damit Verkürzungsumfangs in den Urteilsgründen auch im Übrigen nicht nachvollziehbar. Insbesondere bleibt offen, aus welchen Gründen das Landgericht für die Jahre 2013, 2014 und 2016 bei der Gewerbesteuer von einem höheren Gewinn als bei der Einkommensteuer ausgegangen ist.
3. Angesichts der Aufhebung eines wesentlichen Teils der Einzelstrafen kann auch die vom Landgericht gegen den Angeklagten verhängte Gesamtstrafe keinen Bestand haben. Die am Verkürzungsumfang anknüpfende Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) in Höhe der für die hinterzogenen Steuern ersparten Aufwendungen ist wegen der beiden aufgezeigten Rechtsfehler ebenfalls aufzuheben. Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine in sich stimmige Einziehungsentscheidung zu ermöglichen, ist die Aufhebung vorsorglich auf die hinterzogenen Umsatzsteuern zu erstrecken.
4. Im Umfang der Aufhebung des Urteils hebt der Senat auch die zugrundeliegenden Feststellungen auf. Ausgenommen sind die Feststellungen zu den Umsätzen aus der Zimmervermietung des Angeklagten; denn diese hat das Landgericht rechtsfehlerfrei getroffen (§ 353 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 963
Externe Fundstellen: NStZ 2022, 49
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede