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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 791

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, GSSt 2/20, Beschluss v. 20.01.2021, HRRS 2021 Nr. 791


BGH GSSt 2/20 - Beschluss vom 20. Januar 2021 (LG München II)

BGHSt 65, 242; Einziehung (kein Ermessen über die Anordnung der Einziehung von Wertersatz auch im Jugendstrafrecht).

§ 73 StGB, § 73c Satz 1 StGB; § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG

Leitsatz

Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Satz 1 StGB) steht auch bei Anwendung von Jugendstrafrecht nicht im Ermessen des Tatgerichts. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Satz 1 StGB) steht auch bei Anwendung von Jugendstrafrecht nicht im Ermessen des Tatgerichts.

Gründe

I.

Gegenstand der Vorlegung ist die Frage, ob die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafrecht - anders als im allgemeinen Strafrecht - im Ermessen des Tatgerichts steht.

1. In dem beim 1. Strafsenat anhängigen Verfahren hat das Landgericht den Angeklagten - einen im Tatzeitraum Heranwachsenden - unter anderem wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung und vielfacher Betrugstaten zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen erbeutete der Angeklagte durch die Taten Geld und Waren im Gesamtwert von etwa 17.000 Euro, wobei dem Urteil zu entnehmen ist, dass er nicht mehr bereichert und vermögenslos ist. Das Landgericht hat angenommen, dass die Einziehungsentscheidung im Jugendgerichtsverfahren namentlich wegen des das Jugendstrafrecht beherrschenden Erziehungsgedankens im Ermessen des Tatgerichts stehe. Auf dieser Basis hat es von der Einziehung des Wertes von Taterträgen abgesehen. Diese würde den Angeklagten entmutigen und der Versuchung aussetzen, erneut Straftaten zu begehen.

2. Der 1. Strafsenat möchte die gegen die Nichtanordnung der Einziehung gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft verwerfen. Aufgrund der neuen Regelungen der Vermögensabschöpfung stehe die Entscheidung über die Einziehung von Taterträgen und des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) im Jugendstrafverfahren nach seiner Auffassung im Ermessen des Tatgerichts (§ 8 Abs. 3 Satz 1 JGG). Die dem Landgericht danach zustehende Ermessensausübung sei - soweit entscheidungsrelevant - rechtlich nicht zu beanstanden.

3. An einer auf diese Rechtsauffassung gestützten Verwerfungsentscheidung hat sich der 1. Strafsenat durch Entscheidungen des 2. und 5. Strafsenats gehindert gesehen, wonach Einziehungsentscheidungen nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB bei Vorliegen der diesbezüglichen Voraussetzungen im Jugendstrafrecht gleichfalls zwingend anzuordnen seien (vgl. BGH, Urteile vom 21. November 2018 - 2 StR 262/18, NStZ 2019, 221, 222; vom 24. Mai 2018 - 5 StR 623/17 und 624/17; vom 8. Mai 2019 - 5 StR 95/19, BGHR StGB § 73 nF Anwendungsbereich 1; Beschluss vom 24. Januar 2019 - 5 StR 475/18). Er hat deshalb gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG bei diesen Strafsenaten angefragt, ob sie an entgegenstehender Rechtsprechung festhielten. Ferner hat er beim 3. und 4. Strafsenat angefragt, ob dortige Rechtsprechung entgegenstehe und ob gegebenenfalls an dieser festgehalten werde (Beschluss vom 11. Juli 2019 - 1 StR 467/18, NStZ 2019, 682 - Anfragebeschluss).

In ihren Anwortbeschlüssen haben der 2. und 5. Strafsenat an ihrer Rechtsprechung festgehalten (Beschlüsse vom 6. Mai 2020 - 2 ARs 203/19; vom 6. Februar 2020 - 5 ARs 20/19, NStZ-RR 2020, 124). Der 4. Strafsenat hat mit Beschluss vom 10. März 2020 (4 ARs 10/19, NStZ-RR 2020, 261) unter Bezugnahme auf seinen Beschluss vom 15. Januar 2019 (4 StR 513/18) geantwortet, dass seine Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung des 1. Strafsenats entgegenstehe und er bei dieser bleibe. In gleicher Weise hat sich der 6. Strafsenat geäußert (Beschluss vom 1. Dezember 2020 - 6 ARs 15/20). Rechtsprechung des 3. Strafsenats steht nach dessen Auskunft nicht entgegen (Beschluss vom 16. Oktober 2019 - 3 ARs 11/19).

II.

Mit Beschluss vom 8. Juli 2020 (1 StR 467/18) hat der 1. Strafsenat dem Großen Senat für Strafsachen gemäß § 132 Abs. 2 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Steht die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafverfahren im Ermessen des Tatgerichts (§ 8 Abs. 3 Satz 1 JGG)?

Der 1. Strafsenat hat ausgeführt, die Vorlegungsfrage sei gegenüber dem Anfragebeschluss eingeschränkt, weil nur die Einziehung des Wertes von Taterträgen entscheidungserheblich sei und die Einziehung von im Vermögen des Jugendlichen oder Heranwachsenden (noch) vorhandenen Taterträgen gemäß § 73 Abs. 1 StGB erzieherisch geboten sein dürfte. Eine Kollision mit dem Erziehungsgedanken ergebe sich in der Regel lediglich in der hier vorliegenden Konstellation der Einziehung des Wertes von Taterträgen, wenn der Täter nicht mehr bereichert und vermögenslos sei. Im Übrigen halte er an seiner Rechtsauffassung fest.

Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:

Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c StGB steht im Jugendstrafverfahren nicht im Ermessen des Tatgerichts.

III.

Die Vorlegung ist sowohl aus Gründen der Divergenz (§ 132 Abs. 2 GVG) als auch zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 132 Abs. 4 GVG) zulässig.

1. Die Voraussetzungen einer Divergenzvorlage nach § 132 Abs. 2 GVG liegen vor, weil die beabsichtigte Entscheidung von der Rechtsprechung des 2., 4., 5. und 6. Strafsenats abweichen würde. Die Rechtsfrage ist für den Ausgang des dortigen Strafverfahrens auch entscheidungserheblich. Der 1. Strafsenat kann die Revision der Staatsanwaltschaft nur dann vollumfänglich verwerfen, wenn er entgegen der Rechtsprechung der genannten Strafsenate die von ihm auch im Übrigen als rechtsfehlerfrei angesehene Einziehungsentscheidung nach § 73c Satz 1 StGB bei Anwendung von Jugendstrafrecht als vom tatrichterlichen Ermessen abhängig erachtet.

2. Darüber hinaus ist die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 4 GVG. Denn sie reicht über den Einzelfall hinaus und kann sich jederzeit wieder stellen, wobei ihre Beantwortung voraussichtlich Bedeutung für eine große Zahl weiterer Verfahren erlangen wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2017 - GSSt 3/17, BGHSt 62, 247 Rn. 1 mwN).

IV.

Der Große Senat beantwortet die Rechtsfrage wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich.

Die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung durch Gesetz vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) rechtfertigt nicht die Annahme, Einziehungsanordnungen nach § 73c Satz 1 StGB stünden bei Anwendung von Jugendstrafrecht - anders als im allgemeinen Strafrecht - nunmehr im Ermessen der Jugendgerichte. Eine Statuierung von Ermessensentscheidungen findet im Gesetz keine Stütze. Vielmehr rechnet der zwingend ausgeformte § 73c Satz 1 StGB zu den „allgemeinen Vorschriften“, die nach § 2 Abs. 2 JGG unverändert auch im Jugendstrafrecht anzuwenden sind, sofern nichts anderes bestimmt ist. Eine anderweitige Bestimmung enthält das Jugendgerichtsgesetz nicht. Eine solche ist namentlich nicht in der lediglich die Kumulation von Rechtsfolgen betreffenden Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG zu erblicken.

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die neue Gesetzeslage keiner bewussten gesetzgeberischen Entscheidung entsprungen ist, sind nicht vorhanden. Die neuen Bestimmungen werfen auch keine derart gewichtigen jugendspezifischen Probleme auf, dass eine sich in den Gesetzesmaterialien widerspiegelnde Diskussion zwingend zu erwarten gewesen wäre, mangels derer von einer planwidrigen Gesetzeslücke ausgegangen werden müsste, die durch richterliche Rechtsfortbildung im Sinne des Vorlegungsbeschlusses gefüllt werden könnte.

1. Die vormalige Rechtslage in ihrer Ausformung durch den Bundesgerichtshof musste dem Gesetzgeber keinen Anlass zu einer ausdrücklichen Problemerörterung geben. Die bereits nach „altem“ Recht obligatorisch ausgestalteten Verfallsregelungen der §§ 73, 73a StGB in der bis zum 30. Juni 2017 geltenden Fassung waren gemäß ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohne Einschränkung im Jugendstrafrecht anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174, 177 f. mwN; s. auch BGH, Beschluss vom 8. Mai 2019 - 5 StR 95/19, aaO). Inbegriffen waren der Grundsatz der zwingenden Verfallsanordnung sowie das sog. Bruttoprinzip. Dies galt gleichermaßen in Fällen, in denen der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des jungen Straftäters vorhanden war. Der Vermeidung von Härten diente - wie im allgemeinen Strafrecht - allein die Vorschrift des § 73c StGB aF. Der Bundesgerichtshof hat auf diesbezügliche Einwendungen einer Jugendstrafkammer hin weder erwogen, dass die Verfallsanordnung gemäß dem bereits seinerzeit unverändert geltenden § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG im Ermessen des Jugendgerichts stehe, noch hat er unter Hinweis auf § 15 JGG systematische Bedenken erhoben oder die Geltung des Bruttoprinzips im Jugendstrafrecht grundsätzlich in Zweifel gezogen. Vielmehr hat er betont, dass die gesetzgeberische Wertentscheidung nicht unter Berufung auf erzieherische Interessen unterlaufen werden dürfe (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, aaO).

2. Im Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) wurde der zwingende Charakter von Einziehungsanordnungen nach §§ 73, 73c StGB beibehalten. Jedoch wurde die „Härtefallregelung“ in das Vollstreckungsverfahren verlagert (§ 459g Abs. 5 Satz 1 StPO). Damit sollten die Beweisaufnahme von schwierigen Finanzermittlungen entlastet und Hemmnisse für eine effektive Vermögensabschöpfung beseitigt werden (vgl. BT-Drucks. 18/9525, S. 47). Beide Gedanken haben auch für das Jugendstrafverfahren Gültigkeit, ohne dass dies gesonderter Erläuterung bedürfte.

Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber das Jugendstrafrecht gleichsam „unbewusst“ in das vorstehende Konzept einbezogen haben könnte. Zwar wird die Frage in den Gesetzesmaterialien nicht näher erörtert. Zum Zweck der Erstreckung der §§ 73, 73c StGB auf das Jugendstrafrecht mussten jedoch keine Sonderregelungen geschaffen werden, die dann der Einzelbegründung bedurft hätten. Zudem hat der Gesetzgeber in der - wenngleich redaktionellen - Änderung des § 76 Satz 1 JGG die Zulässigkeit der Einziehung von Vermögenswerten im vereinfachten Jugendverfahren ausdrücklich bestätigt. Der Regierungsentwurf führt hierzu aus, dass der Zusatz „von Taterträgen“ nicht erforderlich sei, „weil sowohl die Einziehung von Taterträgen als auch die Einziehung von Tatmitteln, Tatprodukten und Tatobjekten erfasst sein sollen und mit dem Begriff ‘Einziehung’ alle Varianten abgedeckt“ würden (BT-Drucks. 18/9525, S. 104). Mangels jeglicher Modifikationen liefert die Änderung Zeugnis dafür, dass den neuen Regelungen für das Jugendstrafrecht umfassende Geltung verschafft werden sollte (vgl. zu § 76 Satz 1 JGG schon BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, aaO, S. 178; zust. Altenhain, aaO, S. 273). Der Entscheidung des Gesetzgebers liegt ersichtlich die Auffassung zugrunde, dass erzieherischen sowie resozialisierenden Belangen nach neuem Recht Rechnung getragen werden kann, dies jedoch - wie im allgemeinen Strafrecht - künftig im Vollstreckungsverfahren (§ 459g Abs. 5 StPO) statt wie bisher (§ 73c StGB aF) im Erkenntnisverfahren (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2019 - 5 StR 95/19, aaO; s. auch Köhler/Burkhard, NStZ 2018, 730, 731; Korte, NZWiSt 2018, 231, 232 f.; Schumann, StraFo 2018, 415, 416 f.).

Zugleich liefe es dem Gesetz und dem dahinter stehenden Willen des Gesetzgebers zuwider, die Einziehungsanordnung im Erkenntnisverfahren ohne begleitende Maßgaben dem freien Ermessen der Jugendgerichte zu überantworten, das Reformkonzept für das Jugendstrafrecht dabei insoweit umzukehren und die für das Vollstreckungsverfahren neu geschaffenen Vorschriften dort in der Folge im Wesentlichen leerlaufen zu lassen.

3. Die Reform macht im Blick auf hergebrachte Prinzipien des Jugendstrafrechts keine Neubewertung der Rechtslage durch die Rechtsprechung notwendig oder auch nur möglich. Die Neuregelung steht mit jugendstrafrechtlichen Maximen nicht in einem unverträglichen Spannungsverhältnis.

a) Aus § 2 Abs. 1 JGG ergibt sich kein die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB überlagernder Rechtssatz, der die zwingende Anwendung dieser Einziehungsregelungen mit im Vollstreckungsverfahren nachfolgender Härtefallprüfung ausschließt. Zwar hat die Auslegung des Jugendgerichtsgesetzes dem primären Ziel des Jugendstrafrechts zu folgen, dass sich Jugendliche und Heranwachsende künftig gesetzestreu verhalten und nicht erneut straffällig werden (Spezialprävention, § 2 Abs. 1 Satz 1 JGG; vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1954 - 1 StR 465/53, BGHSt 6, 258, 259 [zu § 401 Abs. 2 RAbgO]). Dies rechtfertigt es aber nicht, § 2 Abs. 1 JGG als eine Art „Auffang-Unzulässigkeitsklausel“ (vgl. Schady/Sommerfeld, ZJJ 2018, 219, 222; ähnlich schon Altenhain, NStZ 2011, 272) zu begreifen.

Die Vorschrift bietet neben der inhaltlichen Bestimmung der Eigenart jugendstrafrechtlicher Sanktionen eine Orientierungshilfe für die Interpretation unbestimmter Rechtsbegriffe im Jugendgerichtsgesetz (vgl. BT-Drucks. 16/6293, S. 9). Die Formulierung „vor allem“ in § 2 Abs. 1 Satz 1 JGG macht dabei deutlich, dass neben spezialpräventiven Zielen auch andere Sanktionszwecke zu berücksichtigen sind. Entsprechendes gilt für § 2 Abs. 1 Satz 2 JGG. Die Norm bekennt sich zum „Erziehungsgedanken als Leitprinzip“, an dem die Rechtsfolgen und das Verfahren zur Erreichung des Ziels künftiger Legalbewährung „vorrangig“ auszurichten sind (vgl. BT-Drucks. 16/6293, S. 9 f.). Durch den Zusatz „vorrangig“ wird dabei zum Ausdruck gebracht, dass nicht durchgehend auf helfende und fördernde Maßnahmen ausgerichtete erzieherische Erwägungen maßgeblich sein können.

Der Gesetzgeber verfolgt mit §§ 73 ff. StGB (wie schon nach vormaligem Recht) das auch im Jugendstrafrecht legitime Ziel, möglichen Beeinträchtigungen des Vertrauens der Rechtsgemeinschaft in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung zu begegnen, die sich ergeben können, wenn Straftäter deliktisch erlangte Vermögenswerte dauerhaft behalten dürften (sog. „positive“ Generalprävention, vgl. BT-Drucks. 18/9525, S. 45, 65; BVerfGE 110, 1, 29; s. auch BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17, BGHR StGB § 73c Verhältnismäßigkeit 1). Mit der Entziehung des deliktisch Erlangten oder dessen Wertes wird dem Täter ebenso wie der Rechtsgemeinschaft vor Augen geführt, dass strafrechtswidrige Bereicherungen nicht geduldet werden. Das gilt gleichermaßen gegenüber jugendlichen oder heranwachsenden Straftätern. Es unterliegt dabei keinem Zweifel, dass (auch) jugendstrafrechtliche Sanktionen, einschließlich schuldindifferenten Ausgleichsmaßnahmen, zumindest als „Nebeneffekt“ generalpräventiv wirken und wirken sollen (vgl. BT-Drucks. 16/6239, S. 10; s. auch BGH, Beschluss vom 30. September 1985 - 3 StR 322/85; Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 8. Aufl., § 2 Rn. 1; Dölling, ZJJ 2012, 124, 125; weitergehend etwa Kaspar in Festschrift Schöch, 2010, S. 210, 224 f.; Swoboda, ZStW 2013, 86, 91 ff.).

Dem entspricht die Lage im Zivilrecht. Auch dort werden dem (beschränkt geschäftsfähigen) Minderjährigen bei einer Entreicherung die Folgen der verschärften Haftung des § 819 BGB nicht erspart, wenn und soweit er sich Vorteile durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung verschafft hat und er analog § 828 Abs. 3 BGB die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatte (vgl. BGH, Urteil vom 7. Januar 1971 ? VII ZR 9/70, BGHZ 55, 128, 136 f.; Altenhain, aaO, S. 273 f.; Köhler/Burkhard, aaO, S. 731). Für volljährige junge Erwachsene versteht sich dies von selbst.

Neben der Rechtsgemeinschaft muss dem jugendlichen oder heranwachsenden Einziehungsbetroffenen vor Augen geführt werden, dass er rechtswidrig erlangte Vermögensvorteile nicht behalten darf und, abgesehen von besonderen Umständen (§ 459g Abs. 5 StPO), auch im Fall der Entreicherung dafür einzustehen hat. Angesichts dessen wohnt der Einziehung von Taterträgen und deren Wert zugleich eine spezialpräventive Funktion inne, lässt sich mithin im Einzelfall unschwer mit dem Erziehungsgedanken vereinbaren. Soweit Taterträge (noch) im Vermögen des Delinquenten vorhanden sind, ist deren Abschöpfung in besonderem Maße erzieherisch geboten, was nunmehr im Grundsatz auch der Auffassung des vorlegenden Senats entspricht (vgl. Vorlegungsbeschluss Rn. 12).

b) Der Reformgesetzgeber hat die Härtefallprüfung entgegen dem Vorlegungsbeschluss (Rn. 36) nicht etwa „abgeschafft“. Vielmehr hat er sie aus den bereits genannten Gründen in das Vollstreckungsverfahren verlagert. Das gesetzgeberische Konzept fügt sich ohne wesentliche Brüche in die Systematik des Jugendstrafrechts ein.

aa) Es existiert keine jugendstrafrechtliche Maxime des Inhalts, dass Rechtsfolgen durchgängig oder nahezu durchgängig im Zeitpunkt der Urteilsverkündung festzulegen sind. Über die §§ 27 und 61 JGG hinaus ist im Jugendstrafrecht eine Fülle von dem Erkenntnisverfahren nachgehenden Rechtsfolgenentscheidungen zu treffen (vgl. z.B. § 7 Abs. 2 ff., § 11 Abs. 2, § 15 Abs. 3 Satz 1, § 22 Abs. 2 Satz 2, § 23 Abs. 1 Satz 3, § 24 Abs. 2, § 112a Nr. 3 Satz 2 JGG). Sie zielen überwiegend gerade auf die Verwirklichung des Erziehungsgedankens. Dabei werden - insbesondere im Blick auf die Möglichkeit, selbst verschuldensunabhängige Sanktionen zu verschärfen - sogar Einschränkungen der Rechtskraft in Kauf genommen (vgl. Diemer/Schatz/Sonnen, aaO, § 11 Rn. 5; Eisenberg/Kölbel, JGG, 21. Aufl., § 11 Rn. 5; Meier/Rössner/Trüg/Wulf, JGG, § 11 Rn. 13). Diese gehen teils weit über das im allgemeinen Strafrecht zulässige Maß hinaus. Da im Rahmen von § 459g Abs. 5 StPO Einziehungsentscheidungen lediglich abgemildert, nicht aber verschärft werden können, resultiert spezifisch aus einer nachgehenden Entscheidung kein Konflikt mit dem Erziehungsgedanken.

bb) Der das Zuchtmittel der Geldauflage betreffenden Regelung des § 15 JGG (auch i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 2 JGG) lässt sich kein die Vorteilsabschöpfung im Jugendstrafrecht schlechthin begrenzendes Prinzip entnehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2019 - 4 StR 62/19 Rn. 15), das der vom Gesetzgeber getroffenen Wertentscheidung durchgreifend entgegengehalten werden könnte. Wie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift erweist (dazu ausführlich BGH, Beschluss vom 6. Februar 2020 - 5 ARs 20/19, aaO, S. 126), hat es der Gesetzgeber in den Anwendungsfällen des § 15 JGG bewusst bei einem Nebeneinander dieser Regelungen mit dem Rechtsinstitut der Einziehung bzw. des vormaligen Verfalls belassen. Dabei erscheint ausgeschlossen, dass er einen etwa daraus resultierenden „Zielkonflikt“ (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2019 - 4 StR 62/19, Rn. 15) im Sinne eines das Recht des Verfalls bzw. der Einziehung insgesamt erfassenden Vorrangs insbesondere des in § 15 Abs. 2 Nr. 2 JGG enthaltenen Rechtsgedankens lösen wollte. Das gilt in gleicher Weise für die Zeit vor und nach der Reform der Vermögensabschöpfung. Näher liegt die Annahme, dass den später eingefügten, auch für das Jugendstrafrecht von Anfang an zwingend ausgestalteten Regelungen zum Verfall bzw. der Einziehung - vorbehaltlich etwaiger Absehensentscheidungen gemäß § 421 StPO - der Vorrang gegenüber einer „Gewinnabschöpfung“ durch eine Geldauflage nach § 15 JGG gebührt (vgl. auch Altenhain, aaO, S. 273).

Darüber hinaus würde eine Verallgemeinerung vor allem der in § 15 Abs. 2 Nr. 2 JGG enthaltenen Regelung zum Entzug von „Gewinnen“ für das Jugendstrafrecht auf die Wiedereinführung des vom Gesetzgeber in Bezug auf die gesamte Strafrechtsordnung bereits 1992 aufgegebenen Nettoprinzips hinauslaufen. Dabei wäre die Abschöpfung sogar noch auf die Fälle beschränkt, in denen keine Entreicherung eingetreten ist. Dem Gesetz und den damit verfolgten Intentionen auch des Reformgesetzgebers, der das Bruttoprinzip nochmals stärken und Hemmnisse für eine effektive Vermögensabschöpfung bei Wegfall der Bereicherung beseitigen wollte (vgl. BT-Drucks. 18/9525, S. 47, 55), liefe eine solche Anschauung zuwider (vgl. Köhler/Burkhard, aaO, S. 731).

cc) Der Beschleunigungsgrundsatz streitet für das gesetzgeberische Konzept. Denn das Erkenntnisverfahren wird hierdurch von Finanzermittlungen entlastet (dazu schon oben Ziff. 2), die sich aufgrund der damit einhergehenden erhöhten Intensität des Ermittlungsverfahrens und der zusätzlich belastenden Wirkung des Hauptverfahrens sogar erzieherisch nachteilig auswirken könnten. Letzteres gilt auch dann, wenn man aus dem Erziehungsgedanken eine Beschränkung der obligatorischen Anwendung der Einziehungsregeln auf die Einziehung von noch im Vermögen des Angeklagten vorhandenen Taterträgen ableitet (vgl. Vorlegungsbeschluss Rn. 12). Konsequenz wäre - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - eine verschärfte und gegebenenfalls mit Zwangsmaßnahmen verbundene Ermittlungspflicht zu den Vermögensverhältnissen des Jugendlichen oder Heranwachsenden.

dd) Aus der Unzulässigkeit der Geldstrafe im Jugendstrafrecht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1954 - 1 StR 465/53, aaO, S. 259; Beschluss vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, aaO, 177 f.; Vorlegungsbeschluss Rn. 28) kann nicht auf die Unzulässigkeit der (obligatorischen) Wertersatzeinziehung geschlossen werden. Diese ist weder Strafe noch hat sie strafähnliche Wirkung, was sich auch daran erweist, dass dem Verurteilten im Fall der Uneinbringlichkeit keine Ersatzfreiheitsstrafe droht (vgl. BVerfGE 110, 1, 14; BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, aaO, S. 178). Die Reform hat daran nichts geändert (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17, aaO; Köhler, NZWiSt 2018, 226). Schon deshalb kann aus einer Geldzahlungspflicht keine bereichsspezifische, die Zulässigkeit der Wertersatzeinziehung ausschließende Rechtsfolgenähnlichkeit gefolgert werden. Zudem sind Geldzahlungspflichten im jugendrechtlichen Sanktionensystem ausweislich § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4, Abs. 2, auch i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 4 JGG, auch ansonsten vorgesehen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, aaO S. 178).

ee) Der in § 81 JGG angeordnete Ausschluss der Adhäsion im Verfahren (nur) gegen Jugendliche tritt nicht in Spannung mit dem zwingenden Charakter der Einziehungsanordnung. § 81 JGG dient dem Zweck, einen kontradiktorischen Streit zwischen den Beteiligten des Adhäsionsverfahrens und einen damit möglicherweise verbundenen Zeitverzug zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 16/3038, S. 67). Er wird durch die (obligatorische) Abschöpfung von Verbrechensgewinnen nicht beeinträchtigt. Ein Grundsatz des Inhalts, dass das Jugendgericht im Verfahren gegen Jugendliche nicht mit Einziehungsentscheidungen befasst werden dürfe (Vorlegungsbeschluss Rn. 33), ist § 81 JGG deshalb nicht zu entnehmen. Es begründet dabei keinen Wertungswiderspruch, wenn das Jugendgericht die vom Täter erlangte Beute oder deren Wert einzieht, worauf die materiellen Ansprüche des Verletzten im Vollstreckungsverfahren befriedigt werden. Zwar wird der Geschädigte durch § 81 JGG aus den genannten jugendspezifischen Gründen vom Adhäsionsverfahren ausgeschlossen. Dies bedeutet aber nicht, dass er nicht mithilfe der Strafjustiz die ihm gebührende Wiedergutmachung erhalten dürfte.

ff) Sofern spezialpräventive Gründe im Einzelfall gegen die Einziehung des Wertes von Taterträgen sprechen, kann die Vollstreckung der Einziehungsentscheidung nach der in der Wortfassung an die „Härtefallregelung“ des § 73c StGB aF angelehnten Vorschrift des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO unterbleiben.

(1) Die Vorschrift ist im Jugendstrafverfahren anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2019 - 5 StR 95/19, aaO; Beschluss vom 17. Juni 2019 - 4 StR 62/19 Rn. 16; Korte, aaO, S. 233; Rose, NStZ 2019, 648, 650). Dass im Rahmen von § 459g Abs. 5 StPO Umstände maßgeblich sein können, die bereits im Erkenntnisverfahren vorlagen, widerstreitet den Prinzipien des Jugendverfahrens nicht (dazu schon oben bb). Die dagegen mit der Begründung systemwidriger Verlagerung von Rechtsfolgenentscheidungen vorgebrachten Einwände (vgl. Vorlegungsbeschluss Rn. 23 f.) zielen im Kern gegen die gesetzgeberische Wertentscheidung, § 73c StGB aF zu streichen, und zeigen keine jugendgerichtsspezifischen Konfliktpunkte auf.

(2) Durch § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO ist der Einziehungsbetroffene ebenso wirkungsvoll vor übermäßigen Eingriffen geschützt wie durch § 73c StGB aF (vgl. BGH, Urteile vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17, aaO; vom 8. Mai 2019 - 5 StR 95/19; Beschluss vom 22. März 2018 ? 3 StR 577/17, wistra 2018, 427). Dies gilt auch für Jugendliche und Heranwachsende, soweit Jugendstrafrecht Anwendung findet (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2019 - 4 StR 62/19 Rn. 17; Köhler/Burkhard, aaO, S. 732). Bei einer Entreicherung oder sonstigen Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung stellt sich die Neuregelung für den Angeklagten sogar günstiger dar, weil nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Vollstreckung der Einziehungsanordnung zwingend zu unterbleiben hat (vgl. BGH, Urteile vom 27. September 2018 - 4 StR 78/18, NStZ-RR 2019, 22, 23; vom 8. Mai 2019 - 5 StR 95/19, aaO; Beschluss vom 22. März 2018 - 3 StR 577/17, aaO). Dabei ermöglicht es die allgemeine Verhältnismäßigkeitsklausel, eine „erdrückende Wirkung“ (vgl. BT-Drucks. 18/9525, S. 94) der Einziehungsentscheidung auch jenseits der Entreicherung auf der Vollstreckungsebene zu vermeiden (vgl. BGH, Urteile vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17, aaO; vom 8. Mai 2019 - 5 StR 95/19, aaO).

(3) Die durch das Gericht (§ 459g Abs. 5 Satz 1 StPO) vorzunehmende Härtefallprüfung ist bei Jugendlichen und Heranwachsenden dem Jugendrichter als Vollstreckungsleiter übertragen (§ 82 Abs. 1 JGG). Im Hinblick darauf, dass die Zielbestimmung des § 2 Abs. 1 JGG auch für das Vollstreckungsverfahren Geltung beansprucht (vgl. BeckOK JGG/Putzke, 19. Edition, Stand: 1.11.2020, § 2 Rn. 3; vgl. auch Eisenberg/Kölbel, aaO, § 87 Rn. 6a, § 2 Rn. 58; zum Erziehungsgedanken im Vollstreckungsverfahren bereits Dallinger/Lackner, JGG, 1956, Einführung Rn. 6, § 82 Rn. 5), ist gewährleistet, dass außer dem Umstand der Entreicherung und sonstigen für die Verhältnismäßigkeit maßgeblichen Gesichtspunkten dem Leitprinzip der Erziehung sowie dem Gedanken der Resozialisierung Rechnung getragen wird (vgl. KK-StPO/Appl, 8. Aufl., § 459g Rn. 16; Korte, aaO, S. 233, Rose, aaO, S. 651). Es ist nicht zu befürchten, dass der Jugendrichter zur Bewertung der Auswirkungen vermögensrechtlicher Maßnahmen auf den Jugendlichen oder Heranwachsenden im Vollstreckungsverfahren generell weniger in der Lage sein könnte als im Erkenntnisverfahren. Hiergegen spricht überdies, dass ihm - je nach Zeitablauf - hinsichtlich des Entwicklungsstandes und der sonstigen Situation des Verurteilten sogar eine breitere Beurteilungsbasis zur Verfügung stehen kann.

(4) Die Möglichkeit der Wiederaufnahme nach § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO für den Fall, dass nachträglich Umstände bekannt werden oder eingetreten sind, die der Absehensentscheidung den Boden entziehen, macht keine andere Beurteilung notwendig. Aufgrund der Anlehnung an § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO wird die Vollstreckung nur dann wieder aufgenommen, wenn sie sich als Kehrseite der Anordnung des Unterbleibens darstellt. Erzieherische Gesichtspunkte können bei der - als actus contrarius ebenfalls durch den Jugendrichter zu treffenden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 63. Aufl., § 459g Rn. 14) - Entscheidung wiederum Berücksichtigung finden. Auch bei etwaigen Maßnahmen nach § 459g Abs. 3 StPO (vgl. Vorlegungsbeschluss Rn. 38), die nur in Betracht kommen, wenn eine begründete Erfolgsaussicht besteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, aaO, § 459g Rn. 9), können und müssen die Belange der jugendlichen bzw. heranwachsenden Einziehungsbetroffenen beachtet werden. Damit verlieren die im Vorlegungsbeschluss (Rn. 39) geltend gemachten Bedenken wegen langer Verjährungsfristen wesentlich an Gewicht. Andererseits wäre es auch unter dem Blickwinkel des Erziehungsgedankens wenig überzeugend, wenn etwa bei einer nachhaltigen Verbesserung der Vermögensverhältnisse des Einziehungsbetroffenen von einer Wiederaufnahme ausnahmslos abgesehen werden müsste.

4. Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG bietet keine Handhabe, nach § 73c Satz 1 StGB obligatorisch ausgestaltete Einziehungsentscheidungen bei Anwendung von Jugendstrafrecht dem Ermessen des Jugendgerichts anheimzugeben.

a) Allerdings betrifft die Norm über ihren Wortlaut hinaus nicht nur Nebenfolgen und Nebenstrafen, sondern auch Maßnahmen im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB, und schließt die Einziehung des Wertes von Taterträgen ein (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, aaO, S. 177; Anfragebeschluss Rn. 14, jeweils mwN). Auch würde ihr Wortlaut, isoliert betrachtet, der vom vorlegenden Senat vertretenen Auffassung nicht zwingend entgegenstehen (vgl. BVerfG [Kammer], NStZ-RR 2020, 156, 157). Es entspricht indessen ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Regelungsgehalt von § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG, wofür auch die amtliche Überschrift streitet, auf die Frage der Kumulation von Rechtsfolgen beschränkt ist. Die Norm gestattet eine Verbindung der dort bezeichneten jugendstrafrechtlichen Sanktionen mit den Maßnahmen, Nebenfolgen und Nebenstrafen des allgemeinen Strafrechts (vgl. schon BGH, Urteil vom 13. Juli 1954 - 1 StR 465/53, aaO, S. 259; Beschluss vom 17. Juni 2019 - 4 StR 62/19 Rn. 11 mwN; Eisenberg/Kölbel, aaO, § 8 Rn. 4). Ob die genannten Sanktionen im Jugendgerichtsverfahren überhaupt verhängt werden dürfen, wird hingegen nicht von § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG, sondern von § 6 JGG beantwortet. Danach sind lediglich die dort genannten Nebenfolgen im Jugendstrafrecht ausgeschlossen, nicht jedoch § 73c Satz 1 StGB.

b) Die Anwendungsvoraussetzungen der Maßnahmen, Nebenfolgen und Nebenstrafen des allgemeinen Strafrechts werden ebenfalls nicht von § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG bestimmt. Sie ergeben sich vielmehr aus dem jeweiligen sanktionsspezifischen Regelungsgefüge (vgl. Eisenberg/Kölbel, aaO, § 8 Rn. 4). Inbegriffen ist damit die Frage, ob die Anordnung im Ermessen des Tatgerichts steht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2019 - 4 StR 62/19 Rn. 11). Ein Ermessen könnte sich demnach nur aus § 73c Satz 1 StGB selbst ergeben, was aber nicht zutrifft.

c) Der Vergleich mit der - im System des Jugendgerichtsgesetzes funktionsgleichen - Vorschrift des § 7 Abs. 1 JGG bestätigt den eingeschränkten Regelungsgehalt. Ebenso wenig wie für § 7 Abs. 1 JGG aus der Verwendung des Wortes „können“ auf ein Anordnungsermessen zu schließen ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 1991 - 4 StR 89/91, aaO, S. 374; Beschluss vom 17. Juni 2019 - 4 StR 62/19 Rn. 12 mwN; Eisenberg/Kölbel, aaO, § 7 Rn. 6), ist dem Wort „kann“ in § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG eine solche Bedeutung beizumessen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2019 - 4 StR 62/19 Rn. 12). Der bis zum 2. März 1974 bestehende Wortlaut („können nur“; BGBl I S. 149, 153 vom 8. März 1973) stand schon aus grammatikalischen Gründen einer anderen Auslegung entgegen. Mit der - abgesehen von der Aufnahme der Führungsaufsicht - lediglich redaktionell motivierten Änderung durch das EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl I S. 469, 526) war kein Eingriff in den Regelungsgehalt des § 7 JGG verbunden (vgl. BT-Drucks. 7/550, S. 327; BGH, Beschluss vom 17. Juni 2019 - 4 StR 62/19 Rn. 12).

d) Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG hat aufgrund der Reform der Vermögensabschöpfung keinen Bedeutungswandel im Sinne des Vorlegungsbeschlusses erfahren.

aa) Es kann sicher ausgeschlossen werden, dass der Gesetzgeber ihr einen anderen Regelungsgehalt verleihen wollte. Die Norm ist durch das Reformgesetz nicht verändert worden. Hätte der Gesetzgeber die Verbindung von Einziehungsanordnungen mit den genannten jugendstrafrechtlichen Sanktionen nur (noch) unter Modifikationen zulassen wollen, so wären ausdrückliche Regelungen etwa in Anlehnung an den Gehalt von § 73c StGB aF und § 459 Abs. 5 StPO sowie diesbezügliche Erläuterungen in den Materialien zu erwarten gewesen. In dieser Weise ist der Gesetzgeber bei der Normierung von § 8 Abs. 3 Satz 2 JGG auch vorgegangen, indem er für das Fahrverbot in Abweichung vom allgemeinen Strafrecht eine Begrenzung des Höchstmaßes auf drei Monate normiert hat. In Bezug auf § 73c Satz 1 StGB fehlt es daran.

bb) Aus den vorstehend aufgeführten Gründen gibt die Neuregelung der Vermögensabschöpfung keinen Anlass für eine Umdeutung des § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG. Denn jugendstrafrechtlichen Maximen kann (und muss) auch im Rahmen des gesetzgeberischen Konzepts mit der nunmehr im Vollstreckungsverfahren verankerten Härtefallklausel des § 459g Abs. 5 StPO Rechnung getragen werden. Ob der vom Gesetzgeber beschrittene Weg die zweckmäßigste aller denkbaren Lösungen darstellt, hat der Große Senat nicht zu entscheiden.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 791

Externe Fundstellen: BGHSt 65, 242; NJW 2021, 3408; NStZ 2021, 679; StV 2022, 31

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede