HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1017
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 62/19, Beschluss v. 17.06.2019, HRRS 2019 Nr. 1017
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 18. Juni 2018 im Ausspruch über die Einziehung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in vier Fällen und besonders schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Außerdem hat es angeordnet, dass der „sichergestellte Betrag in Höhe von 6.800 Euro eingezogen und bezüglich eines weiteren Betrages in Höhe von 35.782,70 Euro die „Sicherstellung des Wertersatzes“ erfolgt. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der gesamten Einziehungsentscheidung; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2. Die in den Urteilsgründen gänzlich unbegründet gebliebene Einziehungsentscheidung hält dagegen revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Soweit die Strafkammer gemäß § 73 Abs. 1 StGB nF die Einziehung eines sichergestellten Betrages in Höhe von 6.800 Euro angeordnet hat, fehlt jeder Beleg dafür, dass es tatsächlich zu einer entsprechenden Sicherstellung gekommen ist und, sofern dies der Fall gewesen sein sollte, es sich dabei um ein aus einer Vortat erlangtes „etwas“ im Sinne dieser Vorschrift gehandelt hat. Aus den Urteilsgründen ergibt sich dazu nur, dass der Angeklagte am 4. Dezember 2017 (UA 5) und damit am Tag der letzten ausgeurteilten Tat (Fall II. 2. e der Urteilsgründe) festgenommen wurde. Dass er hierbei erbeutetes Geld in Höhe von 6.800 Euro bei sich führte oder sonst in seinem Besitz hatte, ist selbst dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen; auch erbeutete der Angeklagte bei diesem Überfall lediglich 6.080 Euro (UA 15).
b) Danach kann auch der weitere - offensichtlich auf § 73c StGB nF gestützte - Ausspruch über die „Sicherstellung des Wertersatzes“ in Höhe von 35.782,70 Euro keinen Bestand haben. Der angeführte Betrag entspricht zwar der Summe der bei den Taten II. 2. a) bis d) der Urteilsgründe erbeuteten Geldbeträge, doch kann der Senat nicht ausschließen, dass bei dem Angeklagten am 4. Dezember 2017 tatsächlich doch 6.800 Euro aufgefunden wurden und sich darunter - eventuell neben der Tatbeute von 6.080 Euro aus der Tat II. 2. e) - auch Geld aus den früheren Taten befand. In diesem Fall wäre die Anordnung der Einziehung von Wertersatz zu hoch bemessen und der Angeklagte dadurch beschwert. Um dem neuen Tatrichter eine widerspruchsfreie Entscheidung über die Einziehung zu ermöglichen, hebt der Senat daher die Einziehungsentscheidung im Ganzen auf.
3. Im Übrigen weist der Senat auf das Folgende hin:
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts steht nach Auffassung des Senats die auch im Jugendstrafrecht uneingeschränkt zulässige Anordnung der Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) nicht unter einem besonderen jugendstrafrechtlichen Ermessensvorbehalt.
a) Die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB sind über die Verweisung in § 2 Abs. 2 JGG auch im Jugendstrafrecht anwendbar. Deshalb gelten die sich aus diesen Normen ergebenden Anwendungsgrundsätze. Für eine jugendstrafrechtliche Überformung ist kein Raum. Dies entsprach bereits der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den §§ 73 ff. StGB aF (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174 Rn. 7 ff.). Der 2. und der 5. Strafsenat haben hieran auch nach der Neuregelung durch das Gesetz zur Reform der Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 festgehalten (vgl. BGH, Urteile vom 21. November 2018 - 2 StR 262/18, NStZ 2019, 221 Rn. 7; vom 8. Mai 2019 - 5 StR 95/19, Rn. 6 ff.; vgl. auch Beschluss vom 24. Januar 2019 - 5 StR 475/18; Urteil vom 24. Mai 2018 - 5 StR 623/17, Rn. 6 ff.). Der Senat teilt diese Auffassung.
b) Soweit der Generalbundesanwalt darauf abhebt, dass sich die Notwendigkeit einer Ermessensausübung aus § 8 Abs. 3 JGG ergäbe, kann dem nicht gefolgt werden.
aa) Nach dem seit dem Inkrafttreten des JGG am 1. Oktober 1953 (BGBl. I. S. 751) unverändert gebliebenen § 2 Abs. 2 JGG gelten die Normen des Allgemeinen Strafrechts nur, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Damit wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass - wie auch schon bis dahin allgemein anerkannt - die allgemeinen Vorschriften fortgelten, sofern das JGG keine vorgehende Spezialregelung enthält (vgl. BTDrucks. I/4437, S. 3; Laue in: MünchKomm. z. StGB, 3. Aufl., § 2 JGG Rn. 12).
Eine die Anwendungsvoraussetzungen der §§ 73 ff. StGB modifizierende Spezialregelung ist dem JGG aber nicht zu entnehmen und ergibt sich auch nicht aus § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG. Diese Regelung betrifft nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174 Rn. 8; Beschluss vom 12. Juli 2000 - StB 4/00 Rn. 9; Laue in: MünchKomm. z. StGB, 3. Aufl., § 6 Rn. 6 mwN.) zwar neben den Nebenfolgen und Nebenstrafen im technischen Sinn auch die Maßnahmen nach § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB und damit auch die Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB. Sie befasst sich aber nur mit der Frage, inwieweit eine Koppelung dieser Folgen mit den genannten spezifisch jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen (Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe) statthaft ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1954 - 1 StR 465/53, BGHSt 6, 258 f.; Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl., § 8 Rn. 1 f.; Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 8 Rn. 7). Insoweit bestimmt § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG, dass eine Verbindung mit allen Maßnahmen, Nebenfolgen und Nebenstrafen des allgemeinen Strafrechts möglich ist, soweit diese nach dem JGG zulässig sind. Damit sind aber nur die nach § 6 JGG ausdrücklich für unanwendbar erklärten Nebenfolgen ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1954 - 1 StR 465/53, BGHSt 6, 258 f.; Laue in: MünchKomm. z. StGB, 3. Aufl., § 6, JGG Rn. 7), nicht jedoch die §§ 73 ff. StGB. Über die Anwendungsvoraussetzungen der in Bezug genommenen Sanktionen des allgemeinen Strafrechts sagt § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG nichts aus, sodass es insoweit allein auf die in den jeweiligen Bestimmungen hierzu getroffenen Regelungen ankommt. Dies gilt insbesondere auch für die Frage, ob eine Sanktion fakultativ angeordnet werden kann oder obligatorisch anzuordnen ist.
bb) Soweit in § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG davon die Rede ist, dass die jeweiligen Folgen neben den genannten jugendrechtlichen Sanktionen angeordnet werden „können“, wird dadurch im Hinblick auf die nach dem allgemeinen Recht zwingend anzuordnenden Maßnahmen kein besonderes jugendstrafrechtlich begründetes Ermessen eröffnet. § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG ist an dieser Stelle nicht anders zu lesen, als die Bestimmung des § 7 Abs. 1 JGG, die - im System des JGG funktionsgleich - die kumulative Anordnung von jugendrechtlichen Sanktionen und Maßregeln der Besserung und Sicherung betrifft, und für die dies trotz der vergleichbaren Verwendung des Wortes „können“ ausdrücklich anerkannt ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 1991 - 4 StR 89/91, BGHSt 37, 373, 374; Diemer in: Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 7. Aufl., § 7 Rn. 2; Laue in: MünchKomm. z. StGB, 3. Aufl., JGG, Rn. 7; Eisenberg, JGG, 20. Aufl., Rn. 6 [abw. Ansicht im Hinblick auf § 69 StGB in Rn. 73]). Vor der lediglich redaktionell motivierten Änderung von § 7 JGG (vgl. dazu BTDrucks. 7/550, S. 327) durch das EGStGB vom 2. März 1974 (BGBl I, S. 469) war dies insoweit auch sprachlich eindeutig. Denn bis dahin war in dieser Vorschrift von einem „können nur“ die Rede (vgl. BGBl I, S. 149 ff. vom 8. März 1973; dazu Janiszewski, NStZ 1988, 543).
cc) Der Gesetzgeber hat § 8 Abs. 3 JGG nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 am 1. Juli 2017 mit Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl. I, S. 3202) lediglich dahin geändert, dass ein Fahrverbot die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten darf (Satz 2). Zu einer weitergehenden Änderung hat er sich nicht veranlasst gesehen, was dafür spricht, dass es auch weiterhin bei der bisherigen Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift zu verbleiben hat.
c) Dass eine Einziehung von Wertersatz gemäß § 73c Satz 1 StGB bei Anwendung von Jugendstrafrecht aufgrund einer zu treffenden Ermessensentscheidung nicht oder nur eingeschränkt in Betracht kommen kann, ergibt sich auch nicht aus übergeordneten jugendstrafrechtlichen Gesichtspunkten (a. A. Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 6 Rn. 7; NStZ 2019, 222, BeckOK-JGG/Putzke, 13. Aufl. (Stand: 1. Mai 2019), § 6 Rn. 7; Schady/Sommerfeld ZJJ 2018, 219, 223 ff.; Kölbel, 42. Strafverteidigertag 2018, S. 339 ff; siehe dazu auch Reitemeier, ZJJ 2017, 354, 361 zur Handhabung von § 421 StPO). Zwar können auch nicht ausdrücklich untersagte Sanktionen im Jugendstrafrecht ausgeschlossen sein oder einer teleologischen Reduktion unterliegen, weil sie gegen übergeordnete Strukturprinzipien des Jugendstrafrechts verstoßen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1954 - 1 StR 465/53, BGHSt 6, 258, 259 zum jugendstrafrechtlich unzulässigen, weil geldstrafengleichen Wertersatz gemäß § 401 Abs. 2 RAbgO). Dies ist aber bei der Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c StGB nF nicht der Fall.
aa) Soweit dem Jugendrichter die Möglichkeit eröffnet wird, durch die Erteilung einer Geldauflage als Zuchtmittel gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 JGG oder als Bewährungsauflage nach § 23 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 15 Abs. 1 und 2 JGG Gewinnabschöpfung zu betreiben, führt dies nicht dazu, dass deshalb die Anordnung einer Einziehung von Taterträgen (§ 73 Abs. 1 StGB), daraus gezogener Nutzungen (§ 73 Abs. 2 StGB) oder eines Geldbetrages, der dem Wert des Erlangten entspricht (§ 73c Satz 1 StGB) nunmehr generell unter einen Ermessensvorbehalt zu stellen wäre. Als Zuchtmittel gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 JGG ist die Erteilung einer derartigen Auflage auf Fälle beschränkt, in denen Erziehungsmaßregeln nicht mehr ausreichen (§ 5 Abs. 2 JGG), aber eine Jugendstrafe noch nicht geboten ist (§ 13 Abs. 1 JGG). Als Bewährungsauflage nach § 23 Abs. 1 Satz 2 JGG kommt sie nur bei einer nicht zu vollstreckenden Jugendstrafe in Betracht. Der Umstand, dass es in diesen eng umgrenzten Bereichen jugendstrafrechtlicher Sanktionen - im Übrigen nicht anders als im Fall der Erteilung einer Bewährungsauflage im Erwachsenenstrafrecht nach § 56b Abs. 2 StGB - möglicherweise zu einem Zielkonflikt mit den §§ 73 ff. StGB kommen kann, rechtfertigt es nicht, eine Einziehungsanordnung zumal auch dann, wenn - wie hier - auf eine zu vollstreckende Jugendstrafe erkannt wurde, nicht mehr als zwingend anzusehen.
bb) Auch der Wegfall der Härteklausel in § 73c StGB aF und die damit verbundene Verlagerung der Unbilligkeitsprüfung von der Anordnungsebene in das Vollstreckungsverfahren (§ 459g Abs. 5 StPO) führen nicht dazu, dass die bis dahin unbedenkliche Anordnung der Einziehung von Wertersatz nunmehr unter den Vorbehalt ihrer erzieherischen Eignung im Einzelfall zu stellen wäre.
Der Gesetzgeber hat sich bei seiner umfassenden Neuregelung des Rechts der Vermögensabschöpfung nicht veranlasst gesehen, wegen dieser strukturellen Änderung bei der Berücksichtigung unbilliger Härten Sonderregelungen für das Jugendstrafverfahren zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2019 - 5 StR 95/19, Rn. 7). Dass § 459g Abs. 5 StPO den Jugendlichen vor übermäßiger Inanspruchnahme weniger wirkungsvoll schützt, als die Bestimmung des § 73c StGB aF ist nicht ersichtlich (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17, NStZ-RR 2018, 241, 242 f. mwN). Die Tatsache, dass nach § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO unter bestimmten Umständen auch eine Wiederaufnahme der Vollstreckung möglich ist, ändert daran nichts. Sämtliche Entscheidungen liegen nach § 82 Abs. 1 JGG in der Hand des Jugendrichters, der dabei auch die Belange des § 2 Abs. 1 Satz 2 JGG wahren kann.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1017
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner