HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 577
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 95/19, Urteil v. 08.05.2019, HRRS 2019 Nr. 577
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 25. September 2018 dahin geändert, dass gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 450 Euro angeordnet wird.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft entstandenen Kosten aufzuerlegen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen in zwei Fällen, Diebstahls in drei Fällen, Unterschlagung in zwei Fällen, gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und wegen Sachbeschädigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte und wirksam auf die unterlassene Anordnung der Einziehung von Wertersatz beschränkte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat in der Höhe des tenorierten Betrages Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts zu den Taten, bei denen der Angeklagte Beute erlangte, entwendete er bei einem Diebstahl eine Spielekonsole im Wert von 100 Euro (Fall 6 der Urteilsgründe) und brachte er durch Unterschlagungen zwei Musikboxen im Wert von 150 Euro (Fall 8 der Urteilsgründe) und von 200 Euro (Fall 9 der Urteilsgründe) an sich.
2. Die Jugendkammer hat von einer Anordnung der Einziehung des Wertersatzes der Taterträge gegen den nicht mehr bereicherten Angeklagten abgesehen. Zur Begründung hat sie unter anderem ausgeführt, dass die Verhängung der in §§ 73 ff. StGB vorgesehenen Maßnahmen im Jugendstrafrecht jedenfalls nach der Neuregelung dieser Vorschriften nicht zwingend sei. Sie könnten unter Berücksichtigung des in § 2 Abs. 1 Satz 2 JGG zum Ausdruck kommenden Grundsatzes, wonach sich die Rechtsfolgen im Jugendstrafrecht vorrangig an dem Erziehungsgedanken zu orientieren hätten, keine uneingeschränkte Anwendung finden. Die entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung, die maßgeblich darauf abgestellt habe, dass zur Vermeidung von Härtefällen die Regelung des § 73c StGB aF als Korrektiv zur Verfügung stehe, sei insbesondere nach derem ersatzlosen Wegfall neu zu bewerten. Bei der Gesetzesneufassung habe diese Frage offensichtlich keine Berücksichtigung gefunden. Dem Jugendstrafrecht sei die Vorrangigkeit des Erziehungsgedankens auch bei nicht unmittelbar sanktionsbezogenen Entscheidungen nicht fremd, wie sich etwa auch bei der Frage der Kostenauferlegung nach § 74 JGG zeige.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich zu Recht gegen die Ablehnung einer Einziehungsentscheidung durch das Landgericht.
1. Es hat bereits der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Bezug auf die früheren Vorschriften zum Recht der Vermögensabschöpfung gemäß §§ 73 ff. StGB aF entsprochen, dass die Verhängung der dort vorgesehenen Maßnahmen über die Verweisung in § 2 Abs. 2 JGG i.V.m. § 8 Abs. 3 JGG auch im Jugendstrafrecht zulässig war, und zwar unabhängig davon, ob der Wert des Erlangten noch im Vermögen des Jugendlichen vorhanden war. Diese gesetzgeberische Entscheidung, wonach der Vermeidung von Härten allein die Vorschrift des § 73c StGB aF diente, durfte nicht unter Berufung auf erzieherische Interessen unterlaufen werden (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174, 177 f., mit zust. Anm. Altenhain, NStZ 2011, 272).
Entgegen der Auffassung der Jugendkammer gibt die umfassende Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung mit dem Wegfall der Härtefallklausel des § 73c StGB aF keinen Anlass zu einer Neubewertung (vgl. BGH, Urteile vom 24. Mai 2018 - 5 StR 623/17 und 624/17; vom 21. November 2018 - 2 StR 262/18, NStZ 2019, 221, 222 mit abl. Anm. Eisenberg; Beschluss vom 24. Januar 2019 - 5 StR 475/18; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. März 2019 - 2 Ss 379/18; MüKoStGB/Laue, 3. Aufl., § 6 JGG Rn. 8). Die gesetzliche Neuregelung hat den Rechtscharakter der Maßnahme nicht verändert (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2018 - 5 StR 600/17, NStZ 2018, 366, 367 mwN). Anstelle einer Berücksichtigung der finanziellen Situation des Täters oder Teilnehmers bereits im Erkenntnisverfahren ist zur Vermeidung unbilliger Härte nunmehr im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO die Möglichkeit getreten, von einer Vollstreckung der Einziehungsentscheidung abzusehen. Die vollstreckungsrechtliche Härteklausel schützt den Betroffenen ebenso wirkungsvoll vor übermäßigen Eingriffen wie § 73c StGB aF (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17, NStZ-RR 2018, 241, 242 f.; Beschluss vom 22. März 2018 - 3 StR 577/17, wistra 2018, 427 f.; Köhler, NStZ 2018, 731, 732). Bei einer Entreicherung oder sonstigen Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung stellt sich die Neuregelung für den Angeklagten sogar günstiger dar, weil nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO eine Vollstreckung der Einziehungsanordnung zwingend zu unterbleiben hat (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2018 - 4 StR 78/18, NStZ-RR 2019, 22, 23; Beschluss vom 22. März 2018 - 3 StR 577/17 aaO).
Im Rahmen der Neuregelung der Vermögensabschöpfung hat der Gesetzgeber keinen Anlass gesehen, Sonderregelungen für das Jugendstrafverfahren zu treffen (vgl. Korte, NZWiSt 2018, 231, 232 f.) und Maßnahmen der Einziehung etwa den nach der Ausnahmevorschrift des § 6 Abs. 1 JGG unzulässigen Nebenfolgen zuzuordnen. Vielmehr hat er die Anwendbarkeit des Instituts der Einziehung bzw. der Wertersatzeinziehung auch weiterhin für das gesamte Strafrecht angeordnet, was sich für das Jugendstrafrecht mittelbar daraus ergibt, dass er an der Regelung des § 76 Satz 1 JGG über die Voraussetzungen des vereinfachten Jugendverfahrens festgehalten und sie lediglich redaktionell (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 104) angepasst hat. Im Rahmen der nunmehr im Vollstreckungsverfahren vorzunehmenden Härtefallprüfung, die bei Jugendlichen in der Zuständigkeit des Jugendgerichts liegt (§ 82 Abs. 1 JGG), sind sowohl der Umstand der Entreicherung als auch sonstige für die Verhältnismäßigkeit maßgeblichen Aspekte und damit im Jugendstrafrecht insbesondere auch erzieherische Erwägungen zu berücksichtigen, wobei ohnehin die Abschöpfung der Erträge aus Straftaten dem Erziehungsgedanken regelmäßig entsprechen wird (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, aaO, S. 179 Rn. 13; Korte, aaO, S. 233).
2. Da die Regelungen der §§ 73 Abs. 1, 73c StGB mithin auch im Jugendstrafrecht die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen als zwingende Rechtsfolge vorsehen, kann der Senat auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst in der Sache entscheiden (vgl. BGH, Urteile vom 27. September 2018 - 4 StR 78/18, aaO; vom 21. November 2018 - 2 StR 262/18, aaO; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 354 Rn. 12) und die Einziehung des Wertes der in den Fällen 6, 8 und 9 erlangten Beute in Höhe von insgesamt 450 Euro anordnen. Der Senat schließt aus, dass noch Feststellungen getroffen werden könnten, die zu einem höheren Einziehungsbetrag führen würden.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 577
Externe Fundstellen: StV 2020, 674
Bearbeiter: Christian Becker