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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 316

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 349/11, Beschluss v. 22.02.2012, HRRS 2012 Nr. 316


BGH 1 StR 349/11 - Beschluss vom 22. Februar 2012 (LG Regensburg)

Rüge der Unverwertbarkeit von Aussagen früherer Mitbeschuldigter, die auf einer informellen Absprache ("Deal") beruhen sollen (Transparenzgebot; beschränkte Reichweite des gesetzlichen Verwertungsverbots); Beweiswürdigung nach möglichen Absprachen mit Zeugen (Voraussetzung des Strengbeweises); Rechtsbeugung.

§ 257c Abs. 4 Satz 3 StPO; § 273 Abs. 1a StPO; § 339 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Selbst wenn in einem Verfahren gegen frühere Mitbeschuldigte deren Geständnissen eine "informelle" Absprache vorausgegangen ist, führt dies schon in jenem Verfahren nicht zu einer Unverwertbarkeit der Geständnisse gemäß § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO. Gleiches gilt für spätere Zeugenaussagen der früheren Mitbeschuldigten in einem Verfahren gegen andere, an der Tat beteiligte Angeklagte.

2. Das Gesetz lässt ein Verwertungsverbot nur "in diesen Fällen", d.h. in den in § 257c Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO aufgeführten Fällen bestehen. Gemeint sind nur Konstellationen, in denen sich das Gericht von der Verständigung lösen will.

3. Gespräche über eine mögliche Abkürzung der Hauptverhandlung zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung, in die das Gericht nicht einbezogen ist, kommen, so auch die Erfahrung des Senats, in der forensischen Praxis vor. Soll das Ergebnis dieser Gespräche den weiteren Gang der Hauptverhandlung beeinflussen, so ist es gegenüber dem Gericht offenzulegen. Nach Auffassung des Senats ist es angezeigt, dass diese Offenlegung in der Hauptverhandlung erfolgt, sonst hat jedenfalls das Gericht in der Hauptverhandlung offenzulegen, wenn ihm außerhalb der Hauptverhandlung derartige Informationen erteilt wurden. Dabei ist es zweckmäßig, dass die Gespräche und die Unterrichtung des Gerichts hierüber nach Maßgabe des § 273 Abs. 1a StPO dokumentiert werden, naheliegend im Protokoll der Hauptverhandlung.

4. In die Würdigung einer Zeugenaussage ist erkennbar einzubeziehen, wenn es in einem Strafverfahren gegen den Zeugen selbst wegen der gleichen Vorwürfe zu einer Verständigung gekommen war. Dies gilt sowohl dann, wenn es zu einer Verständigung in Gesprächen mit dem Gericht gekommen war, als auch dann, wenn "Verständigungsgespräche" im Wesentlichen zwischen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung geführt worden waren. Die Behauptung, die danach gebotene Beweiswürdigung sei unterblieben, erfordert aber eine zulässig erhobene Verfahrensrüge, wenn das auf die Sachrüge hin allein zu überprüfende Urteil den in Rede stehenden Hintergrund der Zeugenaussage nicht erhellt (BGHSt 52, 78, 79, 81). Zu den einzelnen Anforderungen an diese Rüge.

5. Auch die hinsichtlich der Glaubwürdigkeit eines Zeugen gebotene Würdigung einer getroffenen Verfahrensabsprache mit einem Belastungszeugen setzt voraus, dass die Tatsache der Absprache nach den Regeln des Strengbeweises in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. Diese sehen dienstliche Erklärungen des Richters über seine Erkenntnisse aus anderen Verfahren als Beweismittel nicht vor.

6. Die Rüge, eine Aussage sei in erster Linie unverwertbar und hilfsweise die Beweiswürdigung hinsichtlich dieser Aussage unzureichend, ist unzulässig.

Entscheidungstenor

1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 10. Januar 2011 werden als unbegründet verworfen.

2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Die Angeklagten, so ist festgestellt, waren als Täter (S.) und Gehilfe (Si.) an je einem Diebstahl beteiligt. Die Taten gehörten zu einer aus einer Gruppierung heraus begangenen Diebstahlserie. Die meisten Mitglieder der Gruppierung, darunter B. und E., waren bereits vor der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten von der mit denselben Berufsrichtern wie vorliegend besetzten Strafkammer rechtskräftig abgeurteilt worden.

Die Verurteilung der nicht geständigen Angeklagten ist nicht zuletzt auf die Aussage des Zeugen B. - am Rande auch des Zeugen E. - gestützt.

Die Revisionen sind im Kern übereinstimmend der Meinung, die Aussagen der Zeugen seien unverwertbar, weil die damalige Hauptverhandlung gegen diese nach Maßgabe einer "informellen" - teilweise auch als "heimlich" bezeichneten - und daher gesetzwidrigen verfahrensbeendenden Absprache ("Deal") durchgeführt worden sei.

A. Verfahrensabläufe und Rechtsausführungen der Revision:

I. Zur Hauptverhandlung gegen B. und E.

Gestützt auf das Protokoll der damaligen Hauptverhandlung, das Feststellungen über eine Verfahrensabsprache (vgl. § 273 Abs. 1a StPO) nicht enthält, tragen die Revisionen hierzu vor:

Nach Anklageverlesung wurde die Sitzung unterbrochen. Danach wurden knappe Geständnisse abgelegt; nach kurzer Beweisaufnahme erging sodann das Urteil, das nahezu vollständig den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprach. Es wurde durch allseitigen Rechtsmittelverzicht sofort rechtskräftig.

Die Staatsanwaltschaft hat nunmehr im Rahmen ihrer Revisionsgegenerklärung zur Behauptung einer "informellen" Absprache im Verfahren gegen B. und E. folgende dienstliche Erklärung ihres damaligen Sitzungsvertreters vorgelegt:

"... Soweit ich mich ... noch erinnern kann, habe ich ... mit den Verteidigern außerhalb der Hauptverhandlung ein Gespräch geführt. Hierbei habe ich auch dargestellt, welche Rechtsfolgen aus Sicht der Staatsanwaltschaft in Betracht zu ziehen wären, wenn die Angeklagten ein Geständnis ablegen würden. Ich vermag nicht mehr zu sagen, ob ... Mitglieder der Strafkammer in dieses Gespräch einbezogen waren.

Ich gehe jedoch davon aus, dass, sofern die Kammer ... nicht anwesend gewesen sein sollte, ... die Strafkammer über das Ergebnis der Gespräche ... in Kenntnis gesetzt wurde; nicht mehr sagen kann ich, ob sich in irgendeiner Form die Kammer hierzu äußerte, bevor die Hauptverhandlung fortgesetzt wurde."

II. Zum Ablauf des vorliegenden Verfahrens:

Die Revisionen tragen vor, dass die Strafkammer in der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten eine "informelle" Absprache im Verfahren gegen B. und E. "trotz mehrmaliger Vorhalte seitens der Verteidigung niemals in Abrede gestellt" hätte.

Das Protokoll der Hauptverhandlung ergibt in diesem Zusammenhang:

1. Zum Gespräch außerhalb der Hauptverhandlung:

Die Hauptverhandlung war am ersten Verhandlungstag noch vor Verlesung der Anklage auf Anregung der Verteidigung für eine "Besprechung zwischen den Verfahrensbeteiligten" unterbrochen worden. Am zweiten Verhandlungstag verlas die Verteidigung in der Hauptverhandlung eine Erklärung, in der u.a. behauptet ist,

"..., dass in einer informellen Besprechung zwischen Staatsanwalt, Gericht und Verteidigung in der Hauptverhandlung vom 09.12.2010 < 1. Verhandlungstag > ... auf Frage der Verteidigung Herr Vorsitzender Richter ... mitgeteilt hat, dass eine "informelle Absprache" im Hauptverfahren gegen die fünf weiteren Mitangeklagten < also auch B. und E. > stattgefunden hat."

Am vierten und letzten Hauptverhandlungstag gab der Vorsitzende zu diesem Gespräch Folgendes zu Protokoll:

"Der Vorsitzende stellte fest, dass vor Verlesung der Anklage mit den Verteidigern und der Vertreterin der Staatsanwaltschaft ein Gespräch stattgefunden hat. Gegenstand dieses Gesprächs war zusammengefasst, dass die Verteidiger der Kammer vorgehalten haben, im Verfahren ..., B., E., ... einen Deal durchgeführt zu haben, der ... gesetzwidrig sei und gegebenenfalls den dort verurteilten Angeklagten die Möglichkeit eröffne, eine Wiederaufnahme ihres Verfahrens insbesondere deshalb zu beantragen, weil durch die Kammer insoweit zumindest Rechtsbeugung begangen worden sei. Im Übrigen bestünden insoweit seitens der Verteidiger Handlungsalternativen der Strafanzeige oder des Weges nach § 22 ff. StPO, die derzeit nicht ergriffen werden sollen. Die Probleme mit dem nach Ansicht der Verteidigung durchgeführten rechtswidrigen Deal könnten ggf. gelöst werden durch eine Behandlung < des vorliegenden Verfahrens > nach den §§ 153, 153 a StPO.

Die Kammer hat daraufhin das Vorgespräch abgebrochen..."

Ebenfalls ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls erklärten die Verteidiger darauf, der Vorwurf der Rechtsbeugung sei nie erhoben worden.

2. Zur Verlesung des Urteils gegen B., E. u.a.:

Am vierten Verhandlungstag gab der Vorsitzende bekannt, dass beabsichtigt sei, dieses Urteil auszugsweise zu verlesen, soweit es die Zeugen B. und E. betreffe. Im Protokoll heißt es hierzu, gegen diese Ankündigung seien keine Einwendungen erhoben worden; der Verteidiger des Angeklagten S. habe nach der Verlesung eine Erklärung gemäß § 257 StPO abgegeben.

Die Verteidigung beantragte nach Fertigstellung des Protokolls, dieses dahin zu berichtigen, dass nach der Ankündigung des Vorsitzenden, das Urteil gegen B. und E. verlesen zu wollen, der Verlesung unter Hinweis auf die Ausführungen in Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c Rn. 4 aE ausdrücklich widersprochen worden sei.

Dieser Antrag wurde wegen übereinstimmender gegenteiliger Erinnerung des Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin - deren Erinnerung sich mit ihren Aufzeichnungen deckte - zurückgewiesen; der Vortrag der Verteidigung sei "falsch". Möglicherweise sei jedoch, so der Beschluss, der Verwertung des Urteils nach der Verlesung widersprochen worden.

III. Zu den Rechtsausführungen der Revision:

Die Revisionen beider Angeklagter halten § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO (in entsprechender Anwendung) im Verfahren gegen B. und E. für verletzt. Die Revision des Angeklagten Si. hält unter diesem Gesichtspunkt die Geständnisse von B. und E. für unverwertbar. Vielmehr stünde diesen Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, das durch die Verlesung des gegen sie ergangenen Urteils unterlaufen worden sei. Dies könnten auch die Angeklagten des jetzigen Verfahrens rügen, insoweit sei "eine Wirkungserstreckung, wenn nicht sogar eine Drittwirkung anzunehmen". Dies ergebe sich aus der hier vorliegenden, näher bezeichneten Verletzung von Verfassungs- und Menschenrecht.

In dem im Kern damit weitgehend identischen Vortrag für den Angeklagten S. wird der Senat zusätzlich aufgefordert, zur früheren Hauptverhandlung dienstliche Erklärungen einzuholen.

Rechtlich ist näher ausgeführt, B. und E. könnten in ihrem abgeschlossenen Verfahren erfolgreich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Aus dieser Möglichkeit leite sich schon jetzt ab, dass sie als Zeugen im vorliegenden Verfahren ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO gehabt hätten, über das sie hier zu belehren gewesen wären.

Im Übrigen, so macht die Revision des Angeklagten S. weiter geltend, hätte die Strafkammer die ihr bekannte "informelle" Absprache im früheren Verfahren erkennbar in die Beweiswürdigung des vorliegenden Verfahrens einbeziehen müssen.

B. Die Revisionen bleiben erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO):

Hinsichtlich des Angeklagten S. bestehen schon Bedenken gegen die Zulässigkeit des Vorbringens. Jedenfalls die Rüge hinsichtlich der unzureichenden Beweiswürdigung ist nicht zulässig erhoben (nachfolgend I.). Die Rügen beider Angeklagter hinsichtlich der Verwertbarkeit der Aussagen der Zeugen B. und E. und der Verwertbarkeit des gegen diese Zeugen ergangenen Urteils sind (hinsichtlich des Angeklagten S.: jedenfalls) unbegründet (nachfolgend II.).

I. Unzulässigkeit der Rüge der unzureichenden Beweiswürdigung (Revision des Angeklagten S.):

1. Im Grundsatz zutreffend ist die Auffassung der Revision, in die Würdigung einer Zeugenaussage sei erkennbar einzubeziehen, wenn es in einem Strafverfahren gegen den Zeugen selbst wegen der gleichen Vorwürfe zu einer Verständigung gekommen war. Dies gilt sowohl dann, wenn es zu einer Verständigung in Gesprächen mit dem Gericht gekommen war (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 438/11; BGH, Beschluss vom 6. November 2007 - 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78, 82 f. mwN), als auch dann, wenn - wie nach der dienstlichen Erklärung des damaligen Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft im Verfahren gegen B. und E. - "Verständigungsgespräche" im Wesentlichen zwischen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung geführt worden waren (in vergleichbarem Sinne BGH, Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11 Rn. 14).

2. Jedenfalls erfordert die Behauptung, die danach gebotene Beweiswürdigung sei unterblieben, eine Verfahrensrüge, wenn das auf die Sachrüge hin allein zu überprüfende Urteil den in Rede stehenden Hintergrund der Zeugenaussage nicht erhellt (BGH, Beschluss vom 6. November 2007 - 1 StR 370/07, BGHSt 52, 78, 79, 81). Ausdrücklich als Verfahrensrüge sind die Ausführungen der Revision zu der unter dem genannten Blickwinkel unterbliebenen Würdigung der Aussage des Zeugen nicht gekennzeichnet. Dies wäre unschädlich, wenn inhaltlich die Anforderungen an eine zulässig erhobene Verfahrensrüge erfüllt wären. Dies ist jedoch nicht der Fall:

a) Im Ergebnis trägt die Revision zugleich vor (zur Einheitlichkeit einer Revisionsbegründung vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 1 StR 117/05), die Zeugenaussagen hätten nicht beachtet werden dürfen und intensiver als geschehen gewürdigt werden müssen. Letztlich ist damit nur ein Sachverhalt geschildert und das Revisionsgericht aufgefordert, zu prüfen, ob in irgendeiner Richtung - sei es, dass die Aussagen nicht verwertbar sind, sei es dass sie zwar verwertbar aber nicht auf geboten breiter Grundlage gewürdigt sind - ein Rechtsfehler vorliege. Erforderlich ist jedoch die Behauptung eines bestimmten Verfahrensmangels (BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 1 StR 117/05 mwN).

b) Selbst wenn man das Vorbringen dahin auslegte, in erster Linie solle die Unverwertbarkeit der Aussage und nur hilfsweise eine unzureichende Beweiswürdigung gerügt sein, führte dies allenfalls zur Zulässigkeit des "Hauptantrags" (zur Unverwertbarkeit). Eine inhaltliche Ãœberprüfung des "Hilfsantrags" (zur Beweiswürdigung) hingegen wäre auch dann nicht möglich, da nur hilfsweise erhobene Verfahrensrügen nicht zulässig sind (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2006 - 1 StR 147/06; BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 1 StR 117/05 mwN).

3. Selbst wenn nicht zugleich die Unverwertbarkeit der Aussage gerügt worden wäre, bliebe die Rüge unzureichender Beweiswürdigung hier erfolglos:

a) Die Revision beschränkt sich auf die Behauptung, das Gericht habe die ihm bekannte Absprache nicht gewürdigt. Damit ist nicht vorgetragen, dass die behauptete "informelle" Absprache in dem Verfahren gegen B. und E. hier prozessordnungsgemäß in der Hauptverhandlung festgestellt worden sei. Im Urteil kann jedoch nur gewürdigt werden, was zuvor prozessordnungsgemäß zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurde.

Der Senat hat dabei der Frage, ob, wie von der Revision vorgetragen, der Vorsitzende in dem (im Protokoll der Hauptverhandlung so nicht wiedergegeben) abgebrochenen Vorgespräch mitgeteilt hat, dass in dem Verfahren gegen B. und E. eine "informelle" Absprache stattgefunden habe, hier nicht nachzugehen.

Selbst wenn nämlich der Vorsitzende sogar in der Hauptverhandlung eine dem Revisionsvorbringen entsprechende Erklärung über den Verlauf des früheren Verfahrens abgegeben hätte, wäre sie nicht in entsprechender Anwendung von § 243 Abs. 4 StPO prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 438/11). Ebenso wenig könnte eine solche Erklärung aus einem anderen Rechtsgrund der Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden. Die Glaubwürdigkeit eines Zeugen ist eine für den Schuld- oder Strafausspruch bedeutsame Frage. In diesem Zusammenhang (möglicherweise) erhebliche Feststellungen können daher nur nach den Regeln des Strengbeweises getroffen werden. Diese sehen dienstliche Erklärungen des Richters über seine Erkenntnisse aus anderen Verfahren als Beweismittel nicht vor (BGH, Urteil vom 22. März 2002 - 4 StR 485/01, BGHSt 47, 270, 274 mwN).

b) Einen prozessordnungsgemäßen Weg, auf dem die Feststellungen zur "informellen" Absprache im Verfahren gegen B. und E. hätten getroffen werden sollen, zeigt die Revision nicht auf. Daher kann ihr Vorbringen auch nicht in eine Aufklärungsrüge umgedeutet werden. Für eine Ergänzung der in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen durch das Revisionsgericht auf der Grundlage eigener Beweiswürdigung ist ebenfalls kein Raum.

c) Auch unabhängig von der Verknüpfung mit dem geltend gemachten Verwertungsverbot ermöglicht das Revisionsvorbringen des Angeklagten S. dem Senat daher keine Überprüfung der Beweiswürdigung im Blick auf das frühere Verfahren.

II. Verwertbarkeit der Zeugenaussagen und des Urteils:

1. Selbst wenn im Verfahren gegen B. und E. deren Geständnissen eine "informelle" Absprache vorausgegangen wäre, hätte dies schon in jenem Verfahren nicht zu einer Unverwertbarkeit der Geständnisse gemäß § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO geführt.

a) Dabei kommt es hier nicht darauf an, ob § 257c StPO überhaupt bei "informellen" Absprachen anwendbar ist (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 4. August 2010 - 2 StR 205/10 Rn. 14). Jedenfalls wäre § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO auch nicht entsprechend anwendbar, da nach dem Gesetz ein Verwertungsverbot nur "in diesen Fällen", d.h. in den in § 257c Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO aufgeführten Fällen, besteht. Gemeint sind also nur Konstellationen, in denen sich das Gericht von der Verständigung lösen will (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 2011 - 1 StR 60/11; BGH, Beschluss vom 1. März 2011 - 1 StR 52/11; BGH, Beschluss vom 19. August 2010 - 3 StR 226/10, StV 2011, 76, 77). Auch die Revision behauptet aber nicht, dass die Strafkammer im Verfahren gegen B. und E. die "informelle" Absprache nicht eingehalten hätte.

Es ist daher nicht ersichtlich, dass sich diese in ihrem Verfahren auf eine Unverwertbarkeit ihrer Geständnisse entsprechend § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO hätten berufen können.

b) Waren aber ihre Geständnisse in dem gegen sie gerichteten Verfahren nicht in entsprechender Anwendung von § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO unverwertbar, so können auch ihre späteren Aussagen als Zeugen nicht aus diesem Grund unverwertbar sein, selbst wenn mit ihnen inhaltlich das damalige Geständnis wiederholt wird.

c) Daher gehen auch die auf die Verletzung von § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO gestützten Erwägungen der Revision ins Leere, den Zeugen B. und E. stünden Wiedereinsetzungs- und Wiederaufnahmemöglichkeiten hinsichtlich ihrer rechtskräftigen Verurteilung zu. Gleiches gilt für die Annahme, aus diesen Möglichkeiten erwüchse entsprechend § 55 StPO ein Auskunftsverweigerungsrecht der Zeugen B. und E. . Schon deshalb ist für die Annahme kein Raum, die Verletzung entsprechender Belehrungspflichten gegenüber diesen Zeugen könne (entgegen seit BGH <GS>, Beschluss vom 21. Januar 1958 - GSSt 4/57, BGHSt 11, 213 gefestigter Rechtsprechung; w. N. b. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 55 Rn. 17) hier auch von den Angeklagten gerügt werden, da aus übergeordneten Gründen auch deren Rechtskreis verletzt sei.

d) Da also das Revisionsvorbringen selbst dann, wenn es erwiesen wäre, zu keinem Verwertungsverbot führte, hat der Senat hier keine Veranlassung, dem Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht näher nachzugehen.

2. Bestehen aber wegen des damaligen Verfahrensablaufs keine Bedenken gegen die Verwertbarkeit der Aussagen der Zeugen B. und E., können daraus auch keine Bedenken gegen die Verlesbarkeit des gegen diese ergangenen Urteils erwachsen. Darauf, dass auf die Ankündigung des Vorsitzenden, die Verlesung des Urteils (zur Verlesbarkeit von Strafurteilen gegen Zeugen gemäß § 249 Abs. 1 Satz 2 StPO vgl. schon BGH, Urteil vom 2. Oktober 1951 - 1 StR 421/51, BGHSt 1, 337, 341; Mosbacher in LR StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 17 mwN) sei beabsichtigt, keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1964 - 3 StR 60/63, BGHSt 19, 273, 280), kommt es daher nicht an, ebenso wenig auf den mit dem maßgeblichen Protokollinhalt nicht zu vereinbarenden Vortrag der Revision zum Zeitpunkt des geltend gemachten Widerspruchs.

III. Die Sachrüge ist hinsichtlich beider Angeklagten unbegründet.

C. Im Hinblick auf die dienstliche Äußerung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung gegen B. und E. (vgl. oben A. I.) bemerkt der Senat: Gespräche über eine mögliche Abkürzung der Hauptverhandlung zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung, in die das Gericht nicht einbezogen ist, kommen, so auch die Erfahrung des Senats, in der forensischen Praxis vor (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2011 - 1 StR 287/11 Rn. 10).

Soll das Ergebnis dieser Gespräche den weiteren Gang der Hauptverhandlung beeinflussen, so ist es gegenüber dem Gericht offenzulegen (BGH aaO Rn. 14). Dies ist im Verfahren gegen B. und E. ausweislich der dienstlichen Erklärung geschehen.

Nach Auffassung des Senats ist es angezeigt, dass diese Offenlegung in der Hauptverhandlung erfolgt, sonst hat jedenfalls das Gericht in der Hauptverhandlung offenzulegen, wenn ihm außerhalb der Hauptverhandlung derartige Informationen erteilt wurden. Dabei ist es zweckmäßig, dass die Gespräche und die Unterrichtung des Gerichts hierüber nach Maßgabe des § 273 Abs. 1a StPO dokumentiert werden, naheliegend im Protokoll der Hauptverhandlung (vgl. auch § 160b Satz 2 StPO, wonach Gespräche, die die Staatsanwaltschaft mit der Verteidigung im Ermittlungsverfahren zur Verfahrensförderung geführt hat, aktenkundig zu machen sind; vgl. hierzu näher BGH aaO Rn. 13 mwN).

Offenlegung und Dokumentation entsprechen dem Transparenzgebot, das das Verfahren über eine Verständigung im Strafverfahren insgesamt kennzeichnet (BGH aaO Rn. 12 mwN).

Ohne wesentlichen Mehraufwand wird durch eine solche Transparenz nicht nur der Gefahr von Missverständnissen im laufenden Verfahren vorgebeugt, sondern auch Weiterungen und Schwierigkeiten, die - wie hier ersichtlich - sogar auch noch in künftigen Verfahren entstehen können.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 316

Externe Fundstellen: NStZ 2013, 353; StV 2012, 649

Bearbeiter: Karsten Gaede