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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 969

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 157/24, Beschluss v. 05.06.2024, HRRS 2024 Nr. 969


BGH 4 StR 157/24 - Beschluss vom 5. Juni 2024 (LG Frankenthal (Pfalz))

Revision (Zulässigkeit: Revisionsbegründung, Form, Pflicht zur elektronischen Übermittlung, einfach signierter Schriftsatz, sicherer Übermittlungsweg, sicherer Rückschluss auf die Identität des Absenders, elektronisches Anwaltspostfach, vertrauenswürdiger Herkunftsnachweis (vHN)); Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Form: EGVP-Nachricht).

§ 32d StPO; § 32a StPO; § 44 StPO

Leitsätze der Bearbeiter

1. Das Adjektiv „sicher“ im Sinne des § 32a Abs. 4 StPO bezieht sich nicht auf Fragen der IT-Sicherheit oder des Ausfallschutzes, sondern darauf, dass aufgrund entsprechender technischer Sicherungsmaßnahmen bei Nutzung eines solchen Übermittlungswegs ein sicherer Rückschluss auf die Identität des Absenders möglich ist. Der besondere Kommunikationskanal ersetzt die Identifikationsfunktion der Unterschrift.

2. Die erforderliche eigenhändige Versendung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (vHN) dokumentiert. Dieser wird nur an einer Nachricht angebracht, wenn das Postfach in einem sicheren Verzeichnisdienst geführt wird und der Postfachinhaber zu dem Zeitpunkt, zu dem die Nachricht erstellt wird, sicher an dem Postfach angemeldet ist. Beim Empfänger führt die Übersendung dann zu dem Prüfergebnis „sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach“. Der vHN ist maßgeblich für die freibeweisliche Prüfung einer formgerechten Einreichung. Fehlt er, kann nicht von einem Eingang auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO ausgegangen werden.

Entscheidungstenor

1. Die Anträge des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 4. Dezember 2023 zu gewähren, werden als unzulässig verworfen.

2. Der Antrag des Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung gegen den Beschluss des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 6. März 2024, mit dem seine Revision gegen das vorbezeichnete Urteil als unzulässig verworfen worden ist, wird als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang freigesprochen. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der Senat mit Urteil vom 25. Mai 2023 (4 StR 479/22) das angefochtene Urteil mit den Feststellungen auf. Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht den Angeklagten wegen Beihilfe zur „vorsätzlichen“ Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6. März 2024 das Rechtsmittel als unzulässig verworfen. Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 11. März 2024 erhebt der Angeklagte Gegenvorstellung gegen den Verwerfungsbeschluss des Landgerichts, beantragt hilfsweise die gerichtliche Entscheidung des Revisionsgerichts sowie höchst hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Revision.

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, dessen es über eine bloße Gegenvorstellung hinaus zur Anfechtung des landgerichtlichen Verwerfungsbeschlusses bedurfte (§ 346 Abs. 2 Satz 1 StPO), ist jedenfalls unbegründet (vgl. hierzu allgemein auch BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2022 - 4 StR 297/22). Denn das Rechtsmittel des Angeklagten ist unzulässig.

a) Wie schon die Einlegung der Revision mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2023 ist auch die unter dem 19. Februar 2024 eingereichte Revisionsbegründung der Verteidigerin unwirksam. Denn diese hat beide Prozesshandlungen nicht in der vorgeschriebenen Form vorgenommen.

aa) Nach dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden § 32d Satz 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte unter anderem die Revision und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermitteln. Ein von der verantwortenden Person lediglich einfach signierter Schriftsatz muss dabei von ihr persönlich (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2022 - 3 StR 89/22 Rn. 11 mwN) auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 32a Abs. 3 und 4 StPO). Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung. Ihre Nichteinhaltung bewirkt die Unwirksamkeit der Erklärung (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2022 ? 2 StR 110/22 Rn. 3; Beschluss vom 19. Juli 2022 - 4 StR 68/22 Rn. 3 mwN).

bb) Ihre einfach signierten Schriftsätze hat die Verteidigerin nicht auf dem hier einzig in Betracht kommenden sicheren Übermittlungsweg zwischen ihrem besonderen elektronischen Anwaltspostfach und der elektronischen Poststelle des Landgerichts eingereicht (§ 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO).

Das Adjektiv „sicher“ bezieht sich insoweit nicht auf Fragen der IT-Sicherheit oder des Ausfallschutzes, sondern darauf, dass aufgrund entsprechender technischer Sicherungsmaßnahmen bei Nutzung eines solchen Übermittlungswegs ein sicherer Rückschluss auf die Identität des Absenders möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2022 - 3 StR 251/22 Rn. 6). Der besondere Kommunikationskanal ersetzt die Identifikationsfunktion der Unterschrift (Müller, NZS 2018, 207, 209). Den hiermit verbundenen Anforderungen werden die Eingaben der Verteidigerin nicht gerecht. Die erforderliche eigenhändige Versendung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (vHN) dokumentiert. Dieser wird nur an einer Nachricht angebracht, wenn das Postfach in einem sicheren Verzeichnisdienst geführt wird und der Postfachinhaber zu dem Zeitpunkt, zu dem die Nachricht erstellt wird, sicher an dem Postfach angemeldet ist (vgl. BAGE 171, 28 Rn. 27; Müller, NZS 2018, 207, 209; Biallaß, NJW 2021, 789). Beim Empfänger führt die Übersendung dann zu dem Prüfergebnis „sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach“. Der vHN ist maßgeblich für die freibeweisliche Prüfung einer formgerechten Einreichung. Fehlt er, kann nicht von einem Eingang auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO ausgegangen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2023 - 4 StR 313/23 Rn. 2, 5; Beschluss vom 7. Februar 2023 - 2 StR 162/22 Rn. 6; s. auch BVerwG, NVwZ 2022, 649 Rn. 6 ff.; BAGE 171, 28 Rn. 25 ff.). So liegt es hier. Denn die Prüfvermerke des Landgerichts weisen aus, dass die Revision und ihre Begründung lediglich „per EGVP“ übersandt wurden.

Dabei steht auch kein technischer Fehler im elektronischen Postfach des Landgerichts in Rede. Dagegen sprechen bereits die auf dokumentiert sicherem Übermittlungsweg zurückgesandten Empfangsbekenntnisse der Verteidigerin. Zudem weisen auch ihre vorgelegten eigenen Prüfprotokolle für beide Prozesshandlungen als Übermittlungsweg lediglich die Versendung per EGVP aus. Damit korrespondiert die in diesen Protokollen unerwähnte Transportsignatur hinsichtlich des vHN (vgl. hingegen das Muster eines Prüfprotokolls, abgedruckt in Bundesrechtsanwaltskammer, beA-Anwenderhandbuch, Stand: Juni 2024, S. 148 ff.). Der Vortrag der Verteidigerin, es handele sich um eine „(inhaltlich unrichtige) Anzeige“ aus von ihr nicht nachvollziehbaren technischen Gründen, kann nicht zur Bejahung eines sicheren Übermittlungsweges beitragen. Vielmehr zeigen auch ihre Ausführungen, wonach zehn stichprobenartig ausgewählte Sendeprotokolle von ihr wie von ihrem Kollegen diesen „inhaltlich unrichtigen Hinweis“ enthielten, dass die Verteidigerin im Fall eigenhändig vorgenommener Versendungen ihrer Schriftsätze eine hierfür unzureichende technische Infrastruktur vorhält (vgl. zur auch ausgeschlossenen Ersatzeinreichung in einem solchen Fall BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2022 - 2 StR 140/22 Rn. 6; Beschluss vom 27. September 2022 - 5 StR 328/22 Rn. 2 mwN). Wird damit dem Empfänger die Überprüfung einer formgerechten Übersendung elektronischer Dokumente durch den im System hierfür vorgesehenen vHN vorenthalten, kann kein sicherer Übermittlungsweg im Sinne von § 32a Abs. 4 StPO angenommen werden.

b) Der Verwerfung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung steht auch nicht entgegen, dass dem Angeklagten - mit der Folge, dass der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts gegenstandslos würde (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2023 - 6 StR 210/23 Rn. 2; Beschluss vom 26. Mai 2020 - 2 StR 54/20 Rn. 2 mwN) - auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision zu bewilligen wäre. Vielmehr sind die Wiedereinsetzungsanträge vom 11. März 2024 unzulässig.

aa) Das einfach signierte Wiedereinsetzungsgesuch ist gleichermaßen nur als EGVP-Nachricht beim Landgericht eingegangen (vgl. Prüfvermerk Bl. 957 HA). Der Antrag ist nach dem zuvor Ausgeführten damit nicht in der Form gestellt, die für die versäumte Handlung der Revisionseinlegung gemäß § 32a Abs. 3 und 4, § 32d Satz 2, § 45 Abs. 2 Satz 2, § 341 Abs. 1 StPO vorgeschrieben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2022 - 6 StR 268/22 Rn. 3; Beschluss vom 3. Mai 2022 - 3 StR 89/22 Rn. 7 ff.). Dies führt zur Unzulässigkeit des Wiedereinsetzungsgesuchs (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2023 - 4 StR 313/23 Rn. 5 mwN); im Hinblick auf die Revisionsbegründung gilt dies auch wegen der insoweit schon nicht versäumten Frist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 1982 - 2 StR 751/80, BGHSt 30, 335, 338).

bb) Darüber hinaus enthält das Wiedereinsetzungsgesuch nicht die erforderlichen Angaben dazu, wann der Angeklagte selbst Kenntnis vom Wegfall des Hindernisses erlangte (vgl. zu den Darlegungserfordernissen BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2022 - 4 StR 319/22 Rn. 2 mwN; Beschluss vom 7. Februar 2019 - 3 StR 560/18 Rn. 3). Angesichts des bereits unter dem 20. Februar 2024 erteilten Hinweises des Landgerichts auf die Formunwirksamkeit der Einlegung und Begründung der Revision versteht sich hier auch nicht von selbst, dass die Wiedereinsetzungsfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO eingehalten ist.

cc) Für eine nach § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO von Amts wegen gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist ist kein Raum. Denn die Revisionseinlegung ist nicht wirksam nachgeholt. Zudem ist mangelndes Verschulden des Angeklagten mit Blick auf den Hinweis und den Verwerfungsbeschluss des Landgerichts sowie die ihm übersandte Antragsschrift des Generalbundesanwalts auch nicht offenkundig (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 30. August 2022 - 4 StR 104/22 Rn. 5; Beschluss vom 19. Juli 2022 - 4 StR 68/22 Rn. 7; Beschluss vom 21. Dezember 1972 - 1 StR 267/72, BGHSt 25, 89, 90 ff.).

2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2023 - 4 StR 313/23). Das Landgericht hat dem Angeklagten bereits die Kosten seines Rechtsmittels auferlegt.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 969

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede