HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 471
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 427/23, Urteil v. 28.02.2024, HRRS 2024 Nr. 471
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14. Juli 2020 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass von der verhängten Freiheitsstrafe als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vier Monate als vollstreckt gelten.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der erweiterten Einziehung von Taterträgen unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 30.000 Euro sowie eine Einziehung von Tatmitteln angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Mit einer Verfahrensrüge macht er zudem geltend, dass das Verfahren nach Urteilsabsetzung rechtsstaatswidrig verzögert worden sei. Die mit der Sachrüge geführte und durch den Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist auf das Unterbleiben der Anordnung einer erweiterten Einziehung von Taterträgen beschränkt. Während das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft im Anfechtungsumfang Erfolg hat, führt dasjenige des Angeklagten allein zu einer Kompensationsentscheidung für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung.
Nach den Feststellungen veräußerte der Angeklagte zwischen dem 11. April und dem 29. November 2019 in vier Fällen Kokain und Marihuana an verschiedene Abnehmer, welche die Betäubungsmittel ihrerseits jeweils gewinnbringend an Dritte weiterverkaufen wollten. Bei zwei der Taten stundete der Angeklagte die Zahlung des Kaufpreises. Bei den weiteren beiden Taten erhielt er von den Käufern als Gegenleistung insgesamt 30.000 Euro. Insoweit hat die Strafkammer die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) angeordnet.
Nach seiner Festnahme wurden bei der Durchsuchung des Angeklagten, seines Autos und seiner Wohnung insgesamt 113.010 Euro Bargeld und im Keller der Wohnung 8.402,22 Euro Münzgeld gefunden und sichergestellt. Hinsichtlich dieser Beträge ist eine erweiterte Einziehung von Taterträgen (§ 73a StGB) unterblieben, da sich das Landgericht nicht davon zu überzeugen vermocht hat, dass der Angeklagte die Gelder durch andere rechtswidrige Taten oder für sie erlangt hat:
Zwar habe er sie nicht aus seiner legalen abhängigen Erwerbstätigkeit erwirtschaften können, mit der er in der Gastronomie in den Jahren von 2011 bis 2019 zwischen 900 und 1.600 Euro im Monat verdiente. Gleiches gelte für seinen seit 2013 betriebenen Handel mit elektronischen Geräten und anderen Waren, welche er nach Afrika verschiffen ließ, wodurch er nach eigenen Angaben Einnahmen von bis zu 2.000 Euro monatlich erzielt habe.
Dem Angeklagten sei jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu widerlegen, dass das Geld von seinem Geschäftspartner D. aus Guinea stamme, der es dort seinerseits von verschiedenen Importeuren gebrauchter Elektroartikel gesammelt und dann ihm übergeben habe, damit er in H. entsprechende Waren kaufe und nach Guinea verschiffe. Derartige Geschäfte würden auf dem afrikanischen Markt fast nur mit Bargeld abgewickelt. Indiziell spreche für die Glaubhaftigkeit der Angabe des Angeklagten zudem, dass er sich kurz vor seiner Festnahme in Guinea aufgehalten und Kontakt zu D. gehabt habe. Dies ergebe sich aus entsprechenden Reiseunterlagen sowie aus einer von ihm vorgelegten „Declaration Descripive D’Importation“ des Ministere du Commerce der Republik Guinea vom 19. September 2019, welche D. als Importeur und den Angeklagten als Verkäufer ausweise und die bis 18. März 2020 gültige Anmeldung des Imports von Waren im Wert von 100.000 Euro aus Deutschland regele.
Die wirksam auf das Unterbleiben der erweiterten Einziehung der sichergestellten Bargeldbeträge beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg. Sie führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, da die zugehörige Beweiswürdigung (§ 261 StPO) sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
1. Die erweiterte Einziehung von Taterträgen gemäß § 73a Abs. 1 StGB oder deren Werts gemäß § 73c StGB setzt voraus, dass das Tatgericht die Überzeugung gewonnen hat, der Angeklagte habe die betreffenden Gegenstände aus rechtswidrigen Taten erlangt. Deren Konkretisierung hinsichtlich einzelner bestimmter Taten oder ihres allgemeinen Charakters ist nicht erforderlich. Dabei dürfen - wie stets - an die Überzeugungsbildung keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Entlastende Angaben des Angeklagten sind nicht schon deshalb als unwiderlegbar hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Allerdings reicht ein bloßer Verdacht der illegalen Herkunft des Gegenstandes für dessen Einziehung nicht aus. Begründen bestimmte Tatsachen die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass Vermögensgegenstände des Täters aus anderen Quellen als aus rechtswidrigen Taten stammen und verbleiben deshalb vernünftige Zweifel an ihrer deliktischen Herkunft, steht dies der Anordnung der (erweiterten) Einziehung von Taterträgen entgegen. Bei auch legalen Einkommensquellen kann die Anordnung nicht auf das bloße Auffinden von Geldmitteln gestützt werden (BGH, Urteil vom 22. März 2023 - 1 StR 335/22 mwN; Beschluss vom 23. März 2022 - 6 StR 611/21).
2. Gemessen an diesen Anforderungen weist die Beweiswürdigung des Landgerichts Lücken auf, da mehrere Umstände nicht erörtert wurden, obwohl ihnen für die Überzeugungsbildung zur Frage der Herkunft der sichergestellten Gelder Bedeutung zukommen konnte.
Das Landgericht hat nicht in seine Würdigung eingestellt, dass das Bargeld nicht in einer Summe, sondern aufgeteilt an getrennten Orten gefunden wurde, nämlich bei der Durchsuchung „des Angeklagten, seines Autos und seiner Wohnung“ sowie in seinem Keller. Darin könnte ein Gegenindiz betreffend die für möglich gehaltene Herkunft aus einer einzigen Quelle liegen. Zudem werden der Umfang der einzelnen Teilmengen, deren genaue Fundorte, die näheren Umstände ihrer Verwahrung sowie ihre Stückelung nicht mitgeteilt, obwohl sich hieraus Rückschlüsse auf die Plausibilität der Erklärungen des Angeklagten hätten ergeben können.
Das Landgericht hat sich ferner nicht mit der sich angesichts der Herkunftsangaben des Angeklagten aufdrängenden Frage befasst, auf welchem Weg der vorgesehene Käufer D. in Guinea eine derart hohe Bargeldsumme, darunter mehrere Tausend Euro als Münzgeld, gerade in der Währung Euro erlangt haben soll. Soweit die Strafkammer darauf verweist, dass Geschäfte der beschriebenen Art auf dem afrikanischen Markt „gerichtskundig“ fast nur mit Bargeld abgewickelt würden, wird nicht mitgeteilt, in welcher Währung dies geschehen soll. Des Weiteren ist nicht erörtert worden ist, wie es dem Angeklagten gelungen sein soll, solch große Bar- und Münzgeldsummen von Guinea nach Deutschland einzuführen, zumal derartige Bargeldmengen bei der Einreise in die Europäische Union angemeldet werden müssen; vgl. für den Tatzeitraum Art. 3 Verordnung (EG) Nr. 1889/2005. Ob und gegebenenfalls welche Angaben der Angeklagte hierzu getätigt hat, weisen die Urteilsgründe nicht aus.
Das Landgericht hätte sich auch damit auseinandersetzen müssen, ob ein Warenankauf für einen sechsstelligen Betrag mit der bisherigen Dimension der jahrelang betriebenen Handelstätigkeit des Angeklagten in Einklang zu bringen ist. Gegenläufig wäre dabei außerdem in den Blick zu nehmen gewesen, dass dieser nach den Feststellungen im Rahmen seines Betäubungsmittelhandels, in welchem er schon aus einzelnen Geschäften bis zu fünfstellige Umsätze erzielte, „gefestigte Drogenbeziehungen“ unterhielt, etwa zu den Abnehmern Ko. und Ba. in den Fällen 2 und 3 der Urteilsgründe. Diese reichten offenbar über die abgeurteilten Fälle hinaus, was in der Abwägung für eine Herkunft des aufgefundenen Bargelds aus solchen Geschäften hätte sprechen können.
3. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die zugehörigen Feststellungen sind schon deswegen aufzuheben, weil sie den Angeklagten potentiell belasten und für ihn mangels Beschwer nicht mit einem Rechtsmittel angreifbar waren (vgl. BGH, Urteile vom 21. April 2022 - 3 StR 360/21, NJW 2022, 2349; vom 8. November 2023 - 5 StR 259/23; vom 3. Januar 2024 - 5 StR 406/23).
Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Rüge formellen Rechts einen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet; insbesondere hat die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben.
Mit der Verfahrensbeanstandung wird zu Recht eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung geltend gemacht. Dem liegt zugrunde, dass das nach zwölf Hauptverhandlungstagen am 14. Juli 2020 verkündete Urteil zwar fristgerecht am 15. September 2020 zu den Akten gebracht, das Hauptverhandlungsprotokoll dann jedoch erst am 4. April 2023 fertiggestellt wurde. Sachliche Gründe für die mehr als zweieinhalbjährige Dauer dieses Vorgangs sind nicht erkennbar, ebenso wenig sonstige verfahrensfördernde Maßnahmen des Gerichts während dieses Zeitraums.
Für die hierin liegende Verletzung des Gebots zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG) war dem Angeklagten eine angemessene Kompensation zu gewähren (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2018 - 1 StR 593/17). Um die Verfahrensverzögerung auszugleichen, bestimmt der Senat, dass vier Monate der erkannten Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Diese Kompensation kann der Senat auf der Grundlage des in der Verfahrensrüge umfassend vorgetragenen Sachverhalts selbst aussprechen (BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2019 - 5 StR 578/19 mwN).
Die von der Revision begehrte Zurückverweisung zum Zweck einer Korrektur der Strafzumessungsentscheidung kommt nicht in Betracht, weil insoweit kein Rechtsfehler vorliegt. Die nach Urteilserlass eingetretene Verzögerung macht die im Urteil getroffene rechtsfehlerfreie Strafzumessungsentscheidung nicht nachträglich rechtsfehlerhaft.
Angesichts des nur geringen Teilerfolgs der Revision erscheint es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 471
Bearbeiter: Christian Becker