HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 208
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 361/23, Urteil v. 10.01.2024, HRRS 2024 Nr. 208
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 8. Mai 2023 aufgehoben
a) im Schuldspruch zu Fall II.1 der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
- Von Rechts wegen -
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte, auf den Schuldspruch im Fall II.1 und den gesamten „Rechtsfolgenausspruch“ beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erklärte der Angeklagte seine Bereitschaft, gegen Zahlung von 400 Euro zuzüglich Spesen Pakete in Empfang zu nehmen und weiterzubefördern, wobei er billigend in Kauf nahm, dass diese Betäubungsmittel enthielten. Die Pakete wurden an eine Abholstation geliefert und waren auf Verlangen des Angeklagten nicht an ihn, sondern an“ K.“ adressiert. Der Angeklagte hatte sich eine gefälschte griechische „ID-Karte“ mit diesem Namen besorgt, die er bei Abholung der Pakete zur Legitimation vorlegte.
Bei einer Verkehrskontrolle am 16. November 2022 wurde ein an“ K.“ und die Anschrift einer Abholstation adressiertes Paket mit der Aufschrift „1 of 2“ sichergestellt, das mit 10,9 kg Marihuana (Wirkstoffmenge 1,56 kg THC) gefüllt war. Die Strafkammer vermochte nicht festzustellen, ob das vom Angeklagten einen Tag später abgeholte, 18 kg schwere Paket Teil dieser Lieferung war und ebenfalls Marihuana enthielt (Fall II.1).
Einige Tage später begab sich der Angeklagte erneut zur Abholstation und nahm zwei an“ K.“ adressierte Pakete in Empfang, in denen sich insgesamt 43,7 kg Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 7,14 kg THC befanden (Fall II.2).
2. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Überprüfung des Schuldspruchs im Fall II.1 und des gesamten Strafausspruchs beschränkt (§ 344 Abs. 1 StPO). Das ergibt sich aus dem entsprechend gestellten Antrag und dem dazu im Einklang stehenden Revisionsvorbringen. Soweit die Strafkammer im Fall II.2 eine mögliche weitere Strafbarkeit des Angeklagten nach § 267 StGB nicht in den Blick genommen hat, handelt es sich um einen für die Frage der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung unbeachtlichen Subsumtionsfehler (vgl. BGH, Urteile vom 15. Juli 2020 - 2 StR 288/19; vom 5. Mai 2022 - 3 StR 412/21, NStZ-RR 2022, 290, 291; vom 12. Oktober 2023 - 4 StR 136/23).
3. Der Schuldspruch im Fall II.1 hat keinen Bestand.
a) Die Beweiswürdigung ist - auch eingedenk des nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabes (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2021 - 5 StR 127/21, Beschluss vom 25. Januar 2022 - 3 StR 470/21) rechtsfehlerhaft, soweit die Strafkammer sich nicht davon überzeugen konnte, dass das am 17. November 2022 vom Angeklagten abgeholte Paket ebenfalls Marihuana enthielt.
aa) Zum einen lässt sie die gebotene Gesamtwürdigung der einzelnen Beweisergebnisse vermissen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2022 - 2 StR 292/21). Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, diese jeweils einzeln abzuhandeln. Jedes Indiz ist vielmehr mit allen anderen in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatgericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (vgl. BGH, Urteile vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238, 239; vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08; vom 8. März 2023 - 6 StR 374/22).
Eine solche Gesamtschau fehlt. Die Strafkammer hat als einziges Indiz für einen „gleichartigen Inhalt“ den Hinweis „1 of 2“ auf dem am Tag zuvor sichergestellten Marihuanapaket benannt. Nicht eingestellt hat sie hingegen, dass beide Pakete an dieselbe Abholstation adressiert und nahezu gleich schwer waren. Unberücksichtigt geblieben ist auch die vom Landgericht als glaubhaft bewertete und einem Geständnis gleichkommende Einlassung des Angeklagten, dass der Anklagevorwurf - der die Abholung eines mit 11 kg Marihuana gefüllten Paketes am 17. November 2022 umfasst hat - jedenfalls insoweit zutreffend sei, als er „zugesagt habe, die Pakete anzunehmen und dies auch teilweise getan habe“.
bb) Zum anderen war das Landgericht weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst gehalten, Tatsachen zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, für die es keine Anhaltspunkte gibt (vgl. BGH, Urteile vom 25. Januar 2023 - 6 StR 163/22, NStZ 2023, 315; vom 1. März 2023 - 2 StR 366/22). Gleichwohl hat es trotz der rechtsfehlerfreien Feststellungen zum Vorsatz des Angeklagten und zum Inhalt der nach demselben modus operandi gelieferten Pakete angenommen, dass in dem am 17. November 2022 vom Angeklagten abgeholten Paket „verschiedenartige Betäubungsmittel oder sogar (teilweise) legale Waren enthalten gewesen sein“ könnten. Dies schöpfte die Beweislage zudem insofern nicht aus, als aufgrund des bekannten Gewichtes des Paketes und der Sicherstellung vergleichbarer Lieferungen ausreichende Schätzgrundlagen sowohl für die Bestimmung der Betäubungsmittelmenge als auch ihres Wirkstoffgehaltes zur Verfügung standen.
b) Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu einer Verurteilung wegen des am 17. November 2022 abgeholten Paketes gelangt wäre. Dies führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.1, weil es sich bezüglich dieses sowie des am Tag zuvor sichergestellten Paketes um eine Gesamtlieferung gehandelt haben könnte und daher eine tateinheitliche Verurteilung in Betracht kommt. Damit ist zugleich dem Gesamtstrafenausspruch und der Bewährungsentscheidung die Grundlage entzogen.
4. Dagegen hält der Strafausspruch im Fall II.2 der Urteilsgründe revisionsgerichtlicher Prüfung stand.
a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des eingeräumten Spielraums liegt. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349). Das Gewicht der Strafzumessungstatsachen bestimmt in erster Linie das Tatgericht, dem hierbei von Rechts wegen ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum eröffnet ist. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16; vom 24. Juni 2021 - 5 StR 545/20).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Strafkammer weder wesentliche Strafzumessungsfaktoren unberücksichtigt gelassen noch hat sie diese in revisionsgerichtlich zu beanstandender Weise fehlerhaft gewertet. Namentlich hat sie zugunsten des Angeklagten seine Unbestraftheit, sein Geständnis und die Sicherstellung der weichen Droge Marihuana berücksichtigt und zulasten die den Schuldumfang maßgeblich beeinflussende erhebliche Überschreitung der Grenzmenge (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 - 1 StR 136/21; Urteil vom 14. November 2019 - 3 StR 242/19), die tateinheitliche Verwirklichung zweier Tatbestände sowie „eine gewisse kriminelle Energie durch den Einsatz der gefälschten ID-Card“.
5. Der Senat hebt die Feststellungen zum Fall II.1 auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht insoweit widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Sollte das neue Tatgericht feststellen, dass der Angeklagte am 17. November 2022 ein Paket mit Betäubungsmitteln in Empfang genommen und sich dabei mit einer gefälschten „ID-Card“ ausgewiesen hat, wird es im Rahmen seiner Kognitionspflicht (§ 264 StPO) auch zu prüfen haben, ob er wegen Urkundenfälschung nach § 267 StGB zu verurteilen ist.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 208
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede