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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2024
25. Jahrgang
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1. Hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass an einem Strafurteil unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK ein Richter mitgewirkt hat, an dessen Unparteilichkeit objektiv gerechtfertigte Zweifel bestanden, weil er an einem wegen derselben Tat ergangenen früheren Urteil beteiligt war, in welchem das Verhalten der später Verurteilten bereits im Sinne einer Tatbestandsverwirklichung tatsächlich und rechtlich gewürdigt wurde, so verletzen die Strafgerichte die Verurteilte in ihrem Justiz-
gewährungsanspruch, wenn sie mit Blick auf ihren Wiederaufnahmeantrag die – unzumutbare – Darlegung fordern, dass im Urteil gegen sie eine etwaige Voreingenommenheit – im Sinne eines Beruhens – ihren Niederschlag gefunden hat (Folgeverfahren zu EGMR, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17 [= HRRS 2022 Nr. 348]).
2. Das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes folgt im Wiederaufnahmeverfahren aus dem rechtsstaatlichen Justizgewährungsanspruch. Dieser verbietet es dem Gericht, bei der Auslegung und Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist.
3. Der Gesetzgeber hat mit § 359 Nr. 6 StPO die Möglichkeit zur Korrektur eines Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention geschaffen. Das Beruhenserfordernis schließt dabei die Wiederaufnahme in den Fällen aus, in denen sich ein Konventionsverstoß nicht ausgewirkt hat. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass in bestimmten, in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten Konstellationen einer Konventionsverletzung eine Wiederaufnahme von vornherein ausgeschlossen ist.
4. Die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen objektiv gerechtfertigter Zweifel an der Unparteilichkeit eines Richters führt zu einer fehlerhaften Besetzung des Gerichts, die auch dem Grundsatz des gesetzlichen Richters widerspricht. Dieser verlangt, dass bei fehlerhafter Gerichtsbesetzung Strafurteile aufgehoben werden, was im Rahmen der Revision gemäß § 338 Nr. 3 StPO erreicht werden kann. Eine gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßende Gerichtsbesetzung kann demgegenüber nicht weniger schwer wiegen. Dies ist auch bei der Auslegung und Anwendung des § 359 Nr. 6 StPO zu berücksichtigen.
1. Eine auslieferungsrechtliche Zulässigkeitsentscheidung verletzt den Verfolgten in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz, wenn das Oberlandesgericht nicht ausreichend aufgeklärt hat, ob der Angeklagte nach seiner Auslieferung in die Türkei zum Zwecke der Strafverfolgung in einer Weise an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung beteiligt sein wird, die dem Grundsatz des fairen Verfahrens genügt. Zu klären ist hierbei insbesondere, wie das Anwesenheitsrecht im Strafverfahren nach türkischem Recht konkret ausgestaltet ist und unter welchen Bedingungen – etwa nach einer Verzichtserklärung seitens des Angeklagten – Einschränkungen zugelassen sind.
2. Mit der Feststellung, die Teilnahme eines inhaftierten Angeklagten an einer außerhalb der Justizvollzugsanstalt durchgeführten Gerichtsverhandlung per Bild- und Tonübertragung sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter bestimmten Bedingungen mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens vereinbar, übergeht das Oberlandesgericht insbesondere die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen erstinstanzlichen Strafgerichtsverhandlungen und Rechtsmittelverfahren und lässt außer Betracht, welches legitime Ziel mit der Nutzung der Videokonferenztechnik im konkreten Fall verfolgt wird.
3. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Auslieferung haben die deutschen Gerichte zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze und das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz sowie – insbesondere im Auslieferungsverkehr mit Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind – den nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard wahren.
4. Dem ersuchenden Staat ist im Auslieferungsverkehr grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Dies gilt nicht nur gegenüber den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch im allgemeinen völkerrechtlichen Auslieferungsverkehr. Das Vertrauen kann jedoch durch entgegenstehende Tatsachen – wie etwa systemische Defizite im Zielstaat – erschüttert werden, angesichts derer gerade im konkreten Fall eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Mindeststandards nicht beachtet werden.
5. Völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen des ersuchenden Staates sind zwar grundsätzlich geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit einer Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird. Eine Zusicherung entbindet die Gerichte jedoch nicht von der Pflicht, zunächst eine eigene Gefahrenprognose anzustellen, um die Situation im Zielstaat und so die Belastbarkeit einer Zusicherung einschätzen zu können.
6. Zur Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz gehört die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Sind für die Beurtei-
lung eines Sachverhalts Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einschlägig, so sind die von diesem berücksichtigten Aspekte auch in die verfassungsrechtliche Würdigung einzubeziehen und es hat eine Auseinandersetzung mit den vom Gerichtshof gefundenen Abwägungsergebnissen stattzufinden.
7. Für ein faires Strafverfahren ist es von zentraler Bedeutung, dass der Angeklagte persönlich am Verfahren teilnimmt. Auch wenn das Recht auf persönliche Anwesenheit im Verfahren nicht ausdrücklich in Art. 6 Abs. 1 EMRK benannt wird, so folgt doch aus Sinn und Zweck dieser Gewährleistung, dass eine Person, die einer Straftat angeklagt ist, das Recht hat, an der Verhandlung teilzunehmen.
8. Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten können mit der Konvention vereinbar sein, wenn der Angeklagte auf sein Anwesenheits- und Verteidigungsrecht verzichtet hat oder ein Gericht die ihm zur Last gelegten Vorwürfe erneut in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüft, nachdem es den Angeklagten gehört hat. Ein Verzicht auf das Recht auf Anwesenheit ist nur wirksam, wenn er in eindeutiger Weise erklärt wird und durch ein Mindestmaß an Verfahrensgarantien abgesichert ist.
9. In einer Rechtsmittelverhandlung kommt der persönlichen Anwesenheit des Angeklagten nicht dieselbe Bedeutung zu wie im erstinstanzlichen Verfahren. War der Angeklagte in erster Instanz anwesend, so kann ein Rechtsmittelverfahren, in dem lediglich über Rechtsfragen und nicht über Tatsachen entschieden wird, in konventionsrechtlich zulässiger Weise ohne persönliche Anwesenheit des Angeklagten geführt werden. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist insoweit eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen, bei welcher der Prüfungsumfang und die Entscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts, der Gegenstand des Verfahrens und seine Bedeutung für den Angeklagten sowie die Art und Weise zu berücksichtigen sind, in der die Interessen des Angeklagten vor Gericht geschützt werden.
10. Auch einer Teilnahme des abwesenden Angeklagten an der Rechtsmittelverhandlung (lediglich) mittels Videokonferenztechnik steht Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht prinzipiell entgegen, wenn diese Möglichkeit im nationalen Recht vorgesehen ist und der Einsatz dieser Technik im Einzelfall ein legitimes Ziel verfolgt. Insoweit können namentlich Belange des Zeugenschutzes und des Erfordernisses einer angemessenen Verfahrensdauer sowie der Umstand von Bedeutung sein, dass der Angeklagte das Recht hatte, sich während der Verhandlung vertraulich mit seinem Verteidiger zu beraten.
1. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Durchsuchung einer Motoryacht wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen die strafrechtlich sanktionierte Pflicht zur Anzeige von Wertgegenständen (§§ 18 Abs. 5b, 23a AWG a. F.) genügt nicht den Begründungsanforderungen, wenn der Beschwerdeführer nicht darlegt, inwieweit er die von ihm angemietete Yacht zur Zeit der Durchsuchung tatsächlich selbst genutzt hat. Außerdem ist der Grundsatz der materiellen Subsidiarität nicht gewahrt, wenn der Beschwerdeführer seine Betroffenheit im Hinblick auf das Wohnungsgrundrecht im fachgerichtlichen Verfahren allein damit begründet hat, dass er Adressat der Maßnahme gewesen sei, während er ausdrücklich nicht bestätigt hat, dass die auf der Yacht gefundenen Gegenstände ihm gehörten.
2. Schutzgut des Wohnungsgrundrechts ist nicht das Besitzrecht an einer Wohnung, sondern die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet. Unter den Wohnungsbegriff fallen alle der räumlichen Privatsphäre zuzuordnenden Räume, in denen der Mensch das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden.
3. Wer Träger des Grundrechts des Art. 13 Abs. 1 GG ist, entscheidet sich nicht nach der Eigentumslage, sondern grundsätzlich danach, wer Nutzungsberechtigter der Wohnung ist und diese auch tatsächlich zu privaten Wohnzwecken selbst nutzt. Nicht geschützt ist demgegenüber der nur mittelbare Besitzer, also der den Wohnraum selbst nicht innehabende Eigentümer, Vermieter oder auch Untervermieter.
4. Jedenfalls bei nicht eindeutigen Besitzverhältnissen bedarf es substantiierten Vortrags dazu, warum die persönliche Privatsphäre einer natürlichen Person von der Durchsuchung berührt und sie in ihrem eigenen Wohnungsgrundrecht betroffen sein soll. Die bloße schuldrechtliche Besitzberechtigung von Räumen aufgrund eines Mietvertrags genügt dazu für sich genommen nicht; vielmehr ist die tatsächliche Nutzung darzulegen.
5. Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis für die verfassungsgerichtliche Überprüfung einer Durchsuchungsanordnung, die durch Vollziehung erledigt ist, folgt nicht aus der bloßen Betroffenheit des Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG, wenn der Beschwerdeführer die Unverletzlichkeit der Wohnung gerade nicht substantiiert als verletzt rügt.