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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 105

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1699/22, Beschluss v. 04.12.2023, HRRS 2024 Nr. 105


BVerfG 2 BvR 1699/22 (3. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 4. Dezember 2023 (OLG Frankfurt am Main / LG Kassel)

Wiederaufnahme eines Strafverfahrens nach Feststellung einer Verletzung der EMRK (objektiv begründete Zweifel an der Unparteilichkeit eines Richters wegen Vorbefassung; Verletzung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs durch unzumutbare Anforderungen an die Darlegung eines Beruhenszusammenhangs zwischen festgestelltem Konventionsverstoß und Verurteilung; Grundsatz des gesetzlichen Richters; Berücksichtigung fehlerhafter Gerichtsbesetzung im Wiederaufnahmeverfahren ebenso wie in der Revisionsinstanz).

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; Art. 6 Abs. 1 EMRK; § 337 StPO; § 338 Nr. 3 StPO; § 359 Nr. 6 StPO; § 366 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass an einem Strafurteil unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK ein Richter mitgewirkt hat, an dessen Unparteilichkeit objektiv gerechtfertigte Zweifel bestanden, weil er an einem wegen derselben Tat ergangenen früheren Urteil beteiligt war, in welchem das Verhalten der später Verurteilten bereits im Sinne einer Tatbestandsverwirklichung tatsächlich und rechtlich gewürdigt wurde, so verletzen die Strafgerichte die Verurteilte in ihrem Justizgewährungsanspruch, wenn sie mit Blick auf ihren Wiederaufnahmeantrag die - unzumutbare - Darlegung fordern, dass im Urteil gegen sie eine etwaige Voreingenommenheit - im Sinne eines Beruhens - ihren Niederschlag gefunden hat (Folgeverfahren zu EGMR, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17 [= HRRS 2022 Nr. 348]).

2. Das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes folgt im Wiederaufnahmeverfahren aus dem rechtsstaatlichen Justizgewährungsanspruch. Dieser verbietet es dem Gericht, bei der Auslegung und Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist.

3. Der Gesetzgeber hat mit § 359 Nr. 6 StPO die Möglichkeit zur Korrektur eines Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention geschaffen. Das Beruhenserfordernis schließt dabei die Wiederaufnahme in den Fällen aus, in denen sich ein Konventionsverstoß nicht ausgewirkt hat. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass in bestimmten, in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten Konstellationen einer Konventionsverletzung eine Wiederaufnahme von vornherein ausgeschlossen ist.

4. Die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen objektiv gerechtfertigter Zweifel an der Unparteilichkeit eines Richters führt zu einer fehlerhaften Besetzung des Gerichts, die auch dem Grundsatz des gesetzlichen Richters widerspricht. Dieser verlangt, dass bei fehlerhafter Gerichtsbesetzung Strafurteile aufgehoben werden, was im Rahmen der Revision gemäß § 338 Nr. 3 StPO erreicht werden kann. Eine gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßende Gerichtsbesetzung kann demgegenüber nicht weniger schwer wiegen. Dies ist auch bei der Auslegung und Anwendung des § 359 Nr. 6 StPO zu berücksichtigen.

Entscheidungstenor

1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 8. Juli 2022 - 1 Ws 21/22 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Justizgewährungsanspruch aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

4. Das Land Hessen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

5. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 (in Worten: zehntausend) Euro festgesetzt.

Gründe

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Strafverfahren wiederaufzunehmen ist, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im konkreten Einzelfall eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgestellt hat.

I.

1. a) Der ehemalige Lebensgefährte der Beschwerdeführerin (nachfolgend: L.) wurde mit Urteil des Landgerichts Darmstadt (nachfolgend: Ausgangsgericht) vom 11. Juli 2011 wegen gemeinschaftlichen Mordes am damaligen Ehemann der Beschwerdeführerin (nachfolgend: E.) zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. An dem Urteil wirkte ein Richter als Berichterstatter mit, welcher in dem späteren Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin den Vorsitz führte.

b) Im Verfahren gegen die Beschwerdeführerin stellte das Ausgangsgericht nach einer Selbstanzeige des Vorsitzenden Richters mit Beschluss vom 11. Oktober 2013 fest, dass keine Befangenheit zu besorgen sei.

Am 14. Oktober 2013 lehnte die Beschwerdeführerin den Vorsitzenden Richter gestützt auf den oben dargelegten Umstand wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zwar begründe allein die Vorbefassung des Richters keine Zweifel an der Unparteilichkeit, allerdings habe das Gericht in seinem Urteil gegen L. auch Feststellungen über die Tatbeteiligung der Beschwerdeführerin selbst getroffen. Damit nehme es die strafrechtliche Verantwortlichkeit und die Beweiswürdigung des Verhaltens der Beschwerdeführerin in einer Weise vorweg, die einer Verurteilung gleichkomme. Die gewählten Formulierungen ließen erkennen, dass das Gericht zu keinem Zeitpunkt darauf bedacht gewesen sei, die Bewertungen gegenüber der Beschwerdeführerin als vorläufig zu kennzeichnen, Zurückhaltung in der sachlichen Auseinandersetzung mit ihrer möglichen Rolle zu zeigen oder ihren damaligen Status als Zeugin in irgendeiner Weise kenntlich zu machen. Vielmehr werde ihre angebliche Tatbeteiligung an zahlreichen Stellen des Urteils aktiv festgestellt. Daher habe sich der Beschwerdeführerin aufdrängen müssen, dass sich der abgelehnte Richter als federführender Miturheber des Urteils auch in ihrer Sache bereits vorab eine endgültige Meinung gebildet habe und ihr demzufolge nicht mehr unbefangen gegenüberstehe.

Mit Beschluss vom 18. Oktober 2013 wies das Ausgangsgericht das Ablehnungsgesuch zurück. Es seien weder über die bloße Vorbefassung hinausgehende Äußerungen, Maßnahmen oder ein Verhalten des Richters ersichtlich oder vorgetragen, die das Gebot der Sachlichkeit verletzten, noch enthielten die schriftlichen Urteilsgründe bezüglich der Beschwerdeführerin in der Sache abträgliche Werturteile. Es habe der Feststellungen zur Verstrickung der Beschwerdeführerin bedurft, weil sonst die Bewertung des Tatbeitrags des zuvor Verurteilten nicht möglich gewesen wäre. Ein vernünftig abwägender Angeklagter hätte mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angesichts dieser Notwendigkeit keinen Grund zur Besorgnis, die Richter würden bei ihrer Entscheidung in der Sache nicht ausschließlich das Ergebnis der neuen Hauptverhandlung verwerten, sondern sich durch das vorausgegangene Urteil beeinflussen lassen.

Mit Urteil des Ausgangsgerichts vom 9. April 2014 wurde die Beschwerdeführerin wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

c) Gegen das erstinstanzliche Urteil legte die Beschwerdeführerin Revision ein, welche sie unter anderem damit begründete, das gegen den Vorsitzenden Richter gerichtete Ablehnungsgesuch, sei zu Unrecht verworfen worden, weshalb der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO gegeben sei.

Diese verwarf der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 10. Februar 2016 insbesondere mit der Begründung, die Vorbefassung des Richters sowie die Ausführungen zur sicheren Überzeugung von der Mittäterschaft der Beschwerdeführerin im Urteil gegen L. seien nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Das Urteil enthalte keine unnötigen oder sachlich unbegründeten Werturteile, vielmehr seien die getroffenen Feststellungen zur Vermeidung von Darstellungsmängeln geboten gewesen.

d) Daraufhin erhob die Beschwerdeführerin erstmals Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss vom 18. Oktober 2013 und das Urteil des Ausgangsgerichts sowie das Urteil des Bundesgerichtshofs. Dabei rügte sie unter anderem die Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG wegen der Zurückweisung des Befangenheitsantrags sowie von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG wegen der insoweit behaupteten Missachtung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Die Verfassungsbeschwerde wurde mit Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2016 - 2 BvR 1168/16 - ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen.

e) Sodann erhob die Beschwerdeführerin Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und machte unter teilweiser Wiederholung der bisherigen Argumente geltend, durch den Beschluss des Ausgangsgerichts vom 18. Oktober 2013, das Urteil des Ausgangsgerichts vom 4. April 2014, das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2016 und den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 2016 in Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt zu sein.

Mit Urteil vom 16. Februar 2021 (EGMR, M. v. Deutschland, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Konventionsverstoß fest. Zwar gebe es keine Anzeichen dafür, dass der Richter im Verfahren gegen die Beschwerdeführerin mit persönlicher Voreingenommenheit vorgegangen wäre. Da im Rahmen dieser auf subjektive Kriterien abstellenden Prüfung bis zum Beweis des Gegenteils die Unparteilichkeit des Richters zu unterstellen sei, sei hier von der persönlichen Unparteilichkeit auszugehen. Allerdings seien die Zweifel der Beschwerdeführerin, dass der Richter des Urteils gegen L. bereits zu einer vorgefassten Meinung über ihre Schuld gelangt sei, aufgrund objektiver Kriterien gerechtfertigt. Enthalte ein früheres Urteil bereits eine detaillierte Bewertung der Rolle der später angeklagten Person und sehe es alle für die Erfüllung eines Straftatbestandes erforderlichen Kriterien als erfüllt an, so könne dies zu objektiv gerechtfertigten Zweifeln dahingehend führen, dass das innerstaatliche Gericht bereits zu Beginn des gegen die später angeklagte Person geführten Verfahrens eine vorgefasste Meinung habe, was die Würdigung ihres Falles angehe. Im vorliegenden Fall habe das Ausgangsgericht im früheren Urteil gegen L. seine die Beschwerdeführerin betreffenden Feststellungen als Tatsachen mit entsprechender rechtlicher Einordnung und nicht als reine Vermutungen dargestellt. Diese rechtliche Würdigung der Handlungen der Beschwerdeführerin gehe über das hinaus, was notwendig gewesen sei, um die Tat des L. rechtlich einzustufen.

2. a) Die Beschwerdeführerin stellte am 30. Juli 2021 beim Landgericht Kassel (nachfolgend: Landgericht) einen Antrag auf Wiederaufnahme ihres Strafverfahrens, der zunächst nur darauf gestützt wurde, dass mit dem stattgebenden Urteil des Gerichtshofs die Voraussetzungen des § 359 Nr. 6 StPO erfüllt seien. Das Urteil des Ausgangsgerichts beruhe auf der geltend gemachten Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK, da ein Fall des § 338 Nr. 3 letzter HS Alt. 2 StPO vorliege. Denn es habe ein Richter mitgewirkt, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden sei.

Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft Kassel die Zulassung des Wiederaufnahmeantrags. Sie begründete dies mit dem Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes gemäß § 359 Nr. 6 StPO, da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Rechtsverletzung festgestellt habe. Für die Frage, ob das Urteil des Landgerichts auf dieser Verletzung beruhe, sei § 338 Nr. 3 StPO analog anzuwenden, da sich andernfalls Wertungswidersprüche zu dem Urteil des Gerichtshofs ergäben. Weil darüber hinaus eine Korrektur der konventionswidrigen Entscheidungen der mit der Sache befassten deutschen Spruchkörper, dass der Vorsitzende Richter am Verfahren unbefangen mitgewirkt habe, nicht erfolgt sei, könne nicht sicher davon ausgegangen werden, dass das angefochtene Urteil nicht auf der Konventionsverletzung beruhe. Auch sei die Art der Konventionsverletzung nicht offensichtlich ungeeignet, Niederschlag in der angefochtenen Entscheidung zu finden.

Mit gerichtlichem Hinweis legte das Landgericht seine Rechtsauffassung zur Unanwendbarkeit des § 338 Nr. 3 StPO und zur Unzulässigkeit des Antrags ohne schlüssigen Vortrag zum Beruhen im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO dar. Im Hinblick darauf, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte von einer tatsächlichen Unabhängigkeit des Richters ausgegangen sei, erscheine Vortrag zum Beruhen auch nicht entbehrlich.

Daraufhin ergänzte die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen. Das erforderliche Beruhen ergebe sich zwar schon aus der - entgegen der Auffassung des Gerichts gebotenen - Anwendung des § 338 Nr. 3 StPO; es sei jedenfalls aber auch positiv feststellbar. Der Konventionsverstoß bestehe darin, dass der abgelehnte Richter objektiv Anlass gegeben habe, zu befürchten, er sei der Beschwerdeführerin gegenüber befangen, und ihr Ablehnungsgesuch gleichwohl zurückgewiesen worden sei. Wäre er hingegen aus der Gerichtsbesetzung ausgeschieden, so hätte es das Strafurteil nicht gegeben. Das Urteil erfülle die rechtsstaatlichen Forderungen nicht und beruhe mithin auf der Beteiligung eines Richters, der die Nichteinlösung der Forderungen zu verantworten habe. Der Konventionsverstoß sei durch die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts trotz Heilungsmöglichkeit verstetigt worden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das Urteil unter Beteiligung eines anderen Richters anders ausgefallen wäre. Der gerichtliche Hinweis gehe auch am Inhalt der Entscheidung des Gerichtshofs vorbei. Dieser sei nicht von einer tatsächlichen „Unabhängigkeit des Richters“, sondern - als Vermutung - von der persönlichen Unparteilichkeit des Richters in dem Verfahren gegen die Beschwerdeführerin ausgegangen.

Mit Beschluss vom 10. März 2022 verwarf das Landgericht den Wiederaufnahmeantrag als unzulässig. Auch unter Berücksichtigung des ergänzenden Vortrags der Beschwerdeführerin seien die Ausführungen zu dem von § 359 Nr. 6 StPO vorausgesetzten Beruhen nicht schlüssig. Zunächst sei die dem Revisionsverfahren entstammende Norm des § 338 Nr. 3 StPO weder unmittelbar anwendbar noch werde in § 359 Nr. 6 StPO darauf verwiesen. Auch in der Gesetzesbegründung werde ausgeführt, dass der Maßstab des § 337 StPO Anwendung finde. Der Gesetzgeber hätte nach der Systematik der Strafprozessordnung eine Kausalitätsvermutung explizit geregelt, wenn er eine solche gewollt hätte. Die Nichtregelung sei auch nicht als Redaktionsversehen anzusehen. Zudem sei § 359 Nr. 6 StPO nicht konventionsfreundlich dahingehend auszulegen, dass es doch Fälle vermuteter Kausalität gebe, da die Norm selbst bereits Ausdruck einer konventionsfreundlichen Auslegung des Strafverfahrens sei. Nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie im Bewusstsein des Ausnahmecharakters eines Wiederaufnahmegrundes sei die Norm so zu verstehen, dass bei jeglichen Konventionsverstößen eine Einzelfallprüfung des Beruhens gewollt sei.

Im Hinblick auf die danach erforderliche Beruhensprüfung führte das Landgericht aus, dass der Antrag keine aus sich heraus verständliche, in sich geschlossene Sachverhaltsdarstellung im Sinne des § 366 Abs. 1 StPO enthalten habe, bei deren unterstellter Richtigkeit die Wiederaufnahme des Verfahrens gerechtfertigt gewesen sei. Bei der Beurteilung der Frage, ob das Urteil ohne Konventionsverstoß womöglich anders ausgefallen wäre, komme dem Umstand Bedeutung zu, dass in dem Verfahren gegen die Beschwerdeführerin an 23 Hauptverhandlungstagen ein umfangreiches Beweisprogramm mit Zeugen und Sachverständigen durchgeführt worden sei, auf das gegen L. ergangene Urteil nicht Bezug genommen worden sei und in mehreren Fällen sogar abweichende Feststellungen getroffen worden seien. Im Antrag stelle die Beschwerdeführerin ausschließlich auf die Feststellungen im Urteil gegen L. ab. Die Verfahrensweise im Verfahren gegen die Beschwerdeführerin könne aber nicht gänzlich außer Betracht bleiben. Dem späteren Verfahren komme sogar ganz wesentliche Bedeutung zu. Es leuchte zwar ein, dass das Risiko der Voreingenommenheit umso größer sein möge, je umfangreicher die früheren Feststellungen gewesen seien. Damit sei aber noch nicht gesagt, dass ein ordnungsgemäß durchgeführter Folgeprozess mit umfangreichem Beweisprogramm nicht dennoch dazu führen könne, dem daraus hervorgehenden Urteil den Kausalzusammenhang mit dem Konventionsverstoß zu versagen und die Wiederaufnahme deshalb abzulehnen.

b) Gegen den Beschluss des Landgerichts erhob die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens beantragte die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, die sofortige Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, und schloss sich den Ausführungen des Landgerichts an. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestehe der Konventionsverstoß allein darin, dass bei der Beschwerdeführerin der Anschein erweckt worden sei, dass der Richter parteiisch gewesen sein könnte. Da aber gleichzeitig festgestellt worden sei, dass es keine Anzeichen dafür gebe, dass der Richter mit persönlicher Voreingenommenheit vorgegangen wäre, sei nicht ersichtlich, wie das Urteil des Landgerichts auf diesem Konventionsverstoß beruhen solle.

Die Beschwerdeführerin begründete ihre sofortige Beschwerde unter Wiederholung ihrer bisher vorgebrachten Argumente und kritisierte das Verständnis des Landgerichts im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs. Dieser habe lediglich entschieden, dass die persönliche Unparteilichkeit vermutet werden müsse. Auch habe das Landgericht das Ergebnis des Gerichtshofs nicht zitiert, dass die Beschwerdeführerin die berechtigte Befürchtung gehabt habe, dass der Richter angesichts des Wortlauts des Urteils bereits zu einer vorgefassten Meinung über ihre Schuld gelangt sei. Der Richter habe die Hauptverhandlung dominiert und als einziger Fragen gestellt und Vorhalte gemacht. Auch habe er einen Schöffen aufgefordert, das Stellen von Fragen zu unterlassen. Die Beschwerdeführerin meinte weiter, entgegen der Ansicht des Landgerichts ausreichende Ausführungen zu dem von § 359 Nr. 6 StPO vorausgesetzten Beruhen gemacht zu haben. § 337 Abs. 1 StPO setze nur ein „Beruhen können“ voraus, was sich hier wie vorgetragen daraus ergebe, dass nicht ausgeschlossen sei, dass unter Beteiligung eines anderen Richters eine für die Beschwerdeführerin günstige Entscheidung gefällt worden wäre. Es sei unzutreffend, der konkreten Verfahrensweise in dem Verfahren gegen die Beschwerdeführerin Bedeutung beizumessen, wie es das Landgericht getan habe, da für diesen Fall die Beschwerdeführerin Ausführungen dazu machen müsste, wie unter diesen Umständen das Urteil fehlerhaft gewesen sein und auf der konventionswidrigen Teilnahme des Richters beruhen könne, sie also Nachweise für die Kausalität vorlegen müsste.

Mit Beschluss vom 8. Juli 2022 verwarf das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (nachfolgend: Oberlandesgericht) die sofortige Beschwerde als unbegründet, da im Antrag kein gesetzlicher Wiederaufnahmegrund hinreichend geltend gemacht worden sei. Zur Begründung wiederholte es die Ausführungen des Landgerichts. Darüber hinaus sei es nicht in erster Linie Aufgabe des Wiederaufnahmegerichts zu untersuchen, ob Feststellungen getroffen oder im Rahmen der Beweiswürdigung Schlüsse gezogen worden seien, die auf einer Voreingenommenheit beruhen könnten, beziehungsweise ob es ausgeschlossen sei, dass das Urteil auf der festgestellten Konventionsverletzung beruhe. Es sei vielmehr Aufgabe der Beschwerdeführerin darzutun, dass Anhaltspunkte vorlägen, aus denen sich ergebe, dass sich der Konventionsverstoß auf die Verurteilung ausgewirkt haben könne und ihre Verurteilung bei Beachtung der verletzten Konventionsnorm möglicherweise anders ausgefallen wäre. Wegen der Bedeutung der Rechtskraft sei die Anlegung eines engen Maßstabs, mithin die Feststellung des Beruhens, erforderlich, wozu die Beschwerdeführerin vorzutragen habe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe festgestellt, dass es keine Anzeichen dafür gebe, dass der Richter mit persönlicher Voreingenommenheit vorgegangen wäre, sodass von der persönlichen Unparteilichkeit auszugehen sei. Auch vor dem Hintergrund dieser Ausführungen des Gerichtshofs habe Vortrag dazu erfolgen müssen, aufgrund welcher Umstände davon auszugehen sei, dass das Urteil auf dem festgestellten Konventionsverstoß beruhe.

c) Die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin, der Beschluss des Landgerichts sowie der Beschluss des Oberlandesgerichts setzten sich mit dem Inhalt zweier Schriftsätze nicht auseinander, wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts vom 26. August 2022 als unbegründet zurückgewiesen.

II.

1. Mit am 26. August 2022 eingegangenem Schriftsatz hat die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt die Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör) durch die Entscheidungen des Landgerichts vom 10. März 2022 und des Oberlandesgerichts vom 8. Juli 2022 sowie die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 19 Abs. 4 GG (Garantie effektiven Rechtsschutzes) und Art. 3 Abs. 1 GG (Willkürverbot) durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts.

a) Die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ergebe sich im Hinblick auf den Beschluss des Landgerichts daraus, dass die Entscheidung den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiederaufnahme des Verfahrens als unzulässig erachte, weil er nur unter Bezugnahme auf § 338 Nr. 3 StPO begründet worden sei. Das Landgericht und das Oberlandesgericht hätten ihren konkretisierenden Vortrag zum Beruhen des Urteils auf dem Konventionsverstoß auch unter Zugrundelegung des Prüfungsmaßstabs aus § 337 Abs. 1 StPO ohne nachvollziehbaren Grund vollständig übergangen.

b) Darüber hinaus verletze der Beschluss des Oberlandesgerichts auch Art. 19 Abs. 4 GG, da die dort aufgestellten Forderungen auf Unmögliches hinausliefen. Der Beschluss verlange, dass die Beschwerdeführerin darlege, dass Anhaltspunkte vorlägen, aus denen sich ergebe, dass sich der Konventionsverstoß auf die Verurteilung durch das Ausgangsgericht ausgewirkt haben könne. Weiter verlange der Beschluss, dass sie die Feststellung des Beruhens des Urteils des Ausgangsgerichts auf der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten Konventionsverletzung belege. Dies sei nicht möglich, da die Beschwerdeführerin keine tatsächliche und rechtliche Möglichkeit habe, den Inhalt von gerichtlichen Beratungen zu erfahren, die zur Entscheidung über das Urteil des Ausgangsgerichts geführt hätten.

c) Der Beschluss des Oberlandesgerichts sei nicht nur fehlerhaft, sondern unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar und verletze daher das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Willkürverbot. Er sei als Obstruktion gegen eine konventionsfreundliche Auslegung des Wiederaufnahmegrundes aus § 359 Nr. 6 StPO zu qualifizieren. Dem Senat des Oberlandesgerichts müsse erkennbar gewesen sein, dass die mit dem Beschluss vom 8. Juli 2022 aufgestellten Bedingungen für das Beruhen von der Beschwerdeführerin nicht einzulösen seien. Der Beschluss enthalte keine Andeutung, wie die Beschwerdeführerin den Versuch unternehmen könnte, Informationen über die gerichtlichen Beratungen, die zu dem Urteil des Ausgangsgerichts geführt hätten, zu erhalten. Das Gericht habe sich weder mit dem von der Beschwerdeführerin unter Zugrundelegung des Maßstabs des § 337 Abs. 1 StPO zum Beruhen Vorgetragenen befasst noch sich mit den Folgen seiner aufgestellten Bedingungen für das Vorliegen des Beruhens auseinandergesetzt. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts stehe auch in Widerspruch zu der Entscheidung BVerfGK 11, 215, wonach es dem Wiederaufnahmegericht verfassungsrechtlich verwehrt sei, im Zulassungsverfahren im Wege der Eignungsprüfung Beweise zu würdigen und Feststellungen zu treffen, die nach der Struktur des Strafprozesses der Hauptverhandlung vorbehalten seien. Das Oberlandesgericht verfechte aber in der angegriffenen Entscheidung genau den vom Bundesverfassungsgericht verworfenen Standpunkt.

2. Das Hessische Ministerium der Justiz und der Generalbundesanwalt haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

a) Der Generalbundesanwalt macht gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde insbesondere eine mangelnde Erschöpfung des Rechtswegs geltend.

Zwar sei gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts kein weiteres Rechtsmittel statthaft und der unmittelbar zur Verfügung stehende Rechtsweg damit erschöpft. Da indes die Verwerfung eines Wiederaufnahmeantrags, wenn sie - wie hier - wegen Formmängeln als unzulässig erfolge, nicht zu einem Verbrauch der Wiederaufnahmegründe führe, stehe es der Beschwerdeführerin frei, einen formal nachgebesserten, inhaltlich identischen Wiederaufnahmeantrag zu stellen.

Der Beschwerdeführerin sei es auch zumutbar, diesen Weg zu beschreiten. Die Fachgerichte hätten als formale Anforderung für einen Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr. 6 StPO lediglich eine aus sich heraus verständliche, in sich geschlossene Sachverhaltsdarstellung verlangt, aus der sich ergebe, weshalb das Urteil des Erstgerichts auf der vom Gerichtshof festgestellten Konventionsverletzung beruhe. Dies entspreche dem hergebrachten Verständnis zum Beruhen im deutschen Strafprozessrecht und umgrenze nach dem Willen des Gesetzgebers in § 359 Nr. 6 StPO die Fälle, in denen ein Konventionsverstoß zu einer Wiederaufnahmemöglichkeit führen solle. Auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der konventionsfreundlichen Auslegung ergäben sich keine Anhaltspunkte für ein vom üblichen Maßstab abweichendes Begriffsverständnis.

Zur Beruhensfrage habe die Beschwerdeführerin nicht genügend vorgetragen. Soweit sie meine, es bestünden - entgegen der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - Anhaltspunkte für eine persönliche Voreingenommenheit des Vorsitzenden, könne es auf seine innere Haltung schlechterdings nicht ankommen, denn es stehe bereits bindend fest, dass der Vorsitzende nicht an der Entscheidungsfindung hätte teilnehmen dürfen. Entscheidend könne vielmehr nur sein, ob ein anders besetztes Gericht zu einem anderen Urteil gekommen wäre. Insoweit habe die Beschwerdeführerin bislang in der Sache lediglich vorgetragen, dies verstehe sich von selbst, sie habe dies aber nicht in der erforderlichen Weise näher ausgeführt und begründet.

Für diese Fragestellung könne es zwar nicht auf die Abstimmungsverhältnisse innerhalb der Strafkammer ankommen, unabhängig davon, dass ein Verurteilter hierzu schon wegen des Beratungsgeheimnisses nichts vortragen könne.

Es könne aber durchaus - wenn auch selten - Fälle geben, in denen „bestimmt erhellt, dass die Verletzung einen Einfluss auf das Urteil nicht gehabt haben könne“ (vgl. Motive zu dem Entwurf einer Deutschen Strafprozeß-Ordnung, 1872, S. 218 f.), weil jeder andere gesetzmäßig, das heiße auch rational entscheidende Richter in der konkreten Prozesssituation zu demselben Ergebnis gekommen wäre. Ein Angeklagter könne beispielsweise ein Geständnis abgegeben haben, das keinen Anlass zu irgendwelchen Zweifeln gebe, oder es könnten anderweitig zwingende Beweismittel für seine Schuld vorliegen. Auch sonst könne der in den Urteilsgründen mitgeteilte Sachverhalt eine so hochgradige Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Geschehensablaufs begründen, dass dieser in die Nähe einer für jeden Verständigen anzunehmenden Gewissheit rücke und subjektive Zweifel hieran nicht mehr rational vermittelbar seien. Ein Einfluss der Person des Richters auf die Strafhöhe könne zumindest dort auszuschließen sein, wo das Gesetz - wie bei § 211 StGB - eine bestimmte Strafe vorsehe.

Demzufolge sei von einem Verurteilten Vortrag dazu zu erwarten, dass ein anderer Richter bei einer rational begründeten Entscheidungsfindung aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung auch zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Dies erfordere eine nachvollziehbare, geordnete und die wesentlichen Beweisergebnisse erschöpfende Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Hauptverhandlung. Zu erwarten wäre demnach, dass sich die Beschwerdeführerin hinreichend mit den im Urteil dargestellten, aufgrund einer für sich genommen beanstandungsfreien Beweiserhebung zusammengetragenen Verdachtsmomenten befasse und aufzeige, warum diese gleichwohl keinen zwingenden Schluss auf ihre Täterschaft begründeten, sondern bei verständiger Würdigung auch in der Zusammenschau einen in den relevanten Punkten abweichenden Geschehensablauf als möglich erscheinen ließen. Eine solche Darlegungsobliegenheit stelle keine Überforderung des Verurteilten dar. Letztlich sei in schriftlicher Form nur das vorzutragen, was ein ordnungsgemäß handelnder Verteidiger mündlich in seinem Schlussvortrag (§ 258 Abs. 1 StPO) ausführen würde. Derartiger Vortrag sei offensichtlich zumutbar. Es handele sich auch nicht um eine leere Förmlichkeit, weil die Frage, worin ein Verurteilter selbst die relevanten Fehlerquellen des rechtskräftigen Urteils sehe, für die Entscheidungen im Hauptverfahren und für die Durchführung einer etwaigen neuen Hauptverhandlung von erheblicher Wichtigkeit sei.

b) Darüber hinaus hält der Generalbundesanwalt die Verfassungsbeschwerde auch für unbegründet. Die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens sei weder vom Grundgesetz noch von der Konvention geboten. Zwar halte das Ministerkomitee des Europarats, soweit eine solche Möglichkeit bestehe, eine Wiederaufnahme gerade im Strafrecht grundsätzlich für angezeigt, wenn ein Verfahrensfehler zu schweren Zweifeln an der von den nationalen Gerichten getroffenen Entscheidung führe. Könnten aber die nationalen Stellen überzeugend begründen, dass kein solcher Zweifel bestehe, könne das Ministerkomitee dem folgen.

3. Auf die Stellungnahme des Generalbundesanwalts hat die Beschwerdeführerin erwidert. Die Anforderung, im Wiederaufnahmeverfahren dazu vorzutragen, dass ein anderer Richter bei einer rational begründeten Entscheidungsfindung aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung auch zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, habe mit den Gesetzesmaterialien zur Schaffung von § 359 Nr. 6 StPO nichts gemein und sei mit dem Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland nicht zu vereinbaren. Die Feststellung strafrechtlicher Schuld oder Nichtschuld sei ausschließlich Sache des Richters am Ende einer den Verfahrensregeln entsprechenden Beweisaufnahme. Daran habe es im hier gegenständlichen Verfahren offensichtlich gefehlt. Dieser Mangel habe sich auch auf die Darstellung des Beweisergebnisses in den vorliegenden Urteilsgründen auswirken können. Die Schuld müsse prozessordnungsgemäß nachgewiesen werden; das Urteil eines befangenen Richters könne nicht durch eine hypothetische Beurteilung eines unbefangenen Richters im Wiederaufnahmeverfahren, noch dazu nach Aktenlage, ersetzt werden.

III.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts richtet, zur Durchsetzung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (§ 93b Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) zur Entscheidung an. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind vom Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

1. Die fristgerecht eingelegte Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

a) Die Beschwerdeführerin hat die der Sache nach geltend gemachte Rüge, in ihrem allgemeinen Justizgewährungsanspruch verletzt zu sein, hinreichend begründet.

aa) Eine ausreichende Begründung der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass die Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des als verletzt gerügten Rechts und des die Verletzung enthaltenden Vorgangs substantiiert und schlüssig vorgetragen wird (vgl. nur BVerfGE 99, 84 <87>; 113, 29 <44 f.>), was eine ins Einzelne gehende Auseinandersetzung mit den angegriffenen Entscheidungen und deren konkreter Begründung notwendig macht (vgl. BVerfGE 101, 331 <345>; 130, 1 <21>). Dabei muss der Beschwerdeführer detailliert darlegen, dass die Entscheidung auf dem gerügten Grundrechtsverstoß beruht (vgl. BVerfGE 89, 48 <60>) und insofern alle die Entscheidung tragenden Gründe substantiiert in Zweifel ziehen (vgl. BVerfGE 105, 252 <264>). Die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung muss anhand der verfassungsrechtlichen Maßstäbe aufgezeigt werden, die das Bundesverfassungsgericht für einen Verstoß gegen das betreffende Grundrecht aufgestellt hat; es muss deutlich werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>; 115, 166 <179 f.>; 123, 186 <234>; 140, 229 <232>). Zur Substantiierung kann außerdem die Vorlage von Dokumenten erforderlich sein, damit dem Bundesverfassungsgericht die Prüfung der Verfassungsbeschwerde ohne weitere Ermittlungen möglich ist (vgl. BVerfGE 93, 266 <288>; BVerfGK 5, 170 <171>). Dementsprechend kann sich das Erfordernis der Vorlage angegriffener Entscheidungen, vorinstanzlicher Entscheidungen, gerichtlicher Schreiben, Sachverständigengutachten, in Bezug genommener Anlagen sowie von Schriftsätzen, Anträgen und Stellungnahmen sämtlicher Beteiligter ergeben (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfGK 5, 170 <171>; 20, 249 <254>).

Mit Blick auf eine Verletzung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs aus Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG ist es unschädlich, wenn eine Verfassungsbeschwerde auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) abhebt (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. März 2016 - 2 BvR 175/16 -, Rn. 39). Die beiden Grundrechte stehen im Verhältnis besonderer Sachnähe. Der allgemeine Justizgewährungsanspruch und dessen Spezialregelung, die Rechtsweggarantie des Art.19 Abs. 4 GG, unterscheiden sich im rechtsstaatlichen Kerngehalt nicht; Unterschiede bestehen lediglich hinsichtlich der Anwendungsbereiche (vgl. zum Justizgewährungsanspruch BVerfGE 107, 395 <403>). Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG beziehungsweise - soweit es um Rechtsschutz gegen Akte öffentlicher Gewalt geht - Art. 19 Abs. 4 GG verleihen dem Einzelnen ein Recht auf effektiven Rechtsschutz. Dieses Recht ist verletzt, wenn die Gerichte die prozessrechtlichen Möglichkeiten etwa zur Sachverhaltsfeststellung so eng auslegen, dass ihnen eine sachliche Prüfung der ihnen vorgelegten Fragen nicht möglich ist und das vom Gesetzgeber verfolgte Verfahrensziel deshalb nicht erreicht werden kann (vgl. BVerfGE 101, 275 <294 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2021 - 2 BvR 1985/16 -, Rn. 20).

bb) Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ist bei verständiger Würdigung zu entnehmen, dass sie in der Sache eine Verletzung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs aus Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG rügt. Dass sie dabei auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) abhebt, ist unschädlich.

Sie stellt auch die angegriffenen Entscheidungen im Einzelnen dar und zeigt die Kernfrage des vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens hinreichend auf, indem sie ausführt, dass die Gerichte bei der Auslegung der § 366 Abs. 1, § 337 Abs. 1 StPO für die Beschwerdeführerin unerfüllbare Darlegungsanforderungen aufgestellt hätten. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Entscheidungen nennt sie die nach Ansicht der Gerichte nicht ausreichende Darlegung zum Beruhen als tragendes Argument für die Unzulässigkeit der Wiederaufnahme und tritt diesem zum einen mit der Rechtsansicht entgegen, § 338 Nr. 3 StPO finde auch in Fällen des § 359 Nr. 6 StPO Anwendung. Zum anderen führt sie auch zur Unmöglichkeit einer weiteren Darlegung des Beruhens aus. Die Beschwerdeführerin bezieht dabei die - lediglich spärlich vorhandene - Literatur zur Frage des Beruhenszusammenhangs ein und hat ihren Vortrag entsprechend vertieft.

b) Der Grundsatz der Subsidiarität ist sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht gewahrt.

aa) Der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der formellen Subsidiarität verlangt, dass Beschwerdeführer alle nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung schon im fachgerichtlichen Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 95, 163 <171>; 107, 395 <414>; 110, 1 <12>; 112, 50 <60>; 134, 106 <115 Rn. 27>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10. März 2016 - 2 BvR 408/16 -, Rn. 3). Beschwerdeführer sind zur Wahrung des Subsidiaritätsgebots regelmäßig gehalten, im fachgerichtlichen Verfahren eine Gehörsverletzung mit den gegebenen Rechtsbehelfen, insbesondere mit einer Anhörungsrüge, selbst dann anzugreifen, wenn sie im Rahmen der ihnen insoweit zustehenden Dispositionsfreiheit mit der Verfassungsbeschwerde zwar keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG rügen wollen (vgl. BVerfGE 134, 106 <115 Rn. 27>), durch den fachgerichtlichen Rechtsbehelf aber die Möglichkeit wahren, dass bei Erfolg der Gehörsverletzungsrüge in den vor den Fachgerichten gegebenenfalls erneut durchzuführenden Verfahrensschritten auch andere Grundrechtsverletzungen, durch die sie sich beschwert fühlen, beseitigt werden (BVerfGE 134, 106 <115 Rn. 27>).

Der Grundsatz der materiellen Subsidiarität erfordert dabei, dass Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde den Rechtsweg nicht nur formell, sondern auch in der gehörigen Weise unter Nutzung der gegebenen Möglichkeiten durchlaufen, um auf die Vermeidung oder Korrektur des gerügten Grundrechtsverstoßes hinzuwirken (vgl. BVerfGE 112, 50 <60>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Februar 2020 - 2 BvR 336/19 -, Rn. 7). Beschwerdeführer müssen das ihnen Mögliche tun, damit eine Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Instanzenzug unterbleibt oder beseitigt wird, und alle nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. nur BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Februar 2020 - 2 BvR 336/19 -, Rn. 7; stRspr). Die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens sind allerdings grundsätzlich nicht gehalten, Rechtsausführungen zu machen, sofern nicht das einfache Verfahrensrecht rechtliche Darlegungen verlangt. Dementsprechend obliegt es Beschwerdeführern im Ausgangsverfahren einer Verfassungsbeschwerde lediglich, den Sachverhalt so darzulegen, dass eine verfassungsrechtliche Prüfung möglich ist; diese ist dann von den Gerichten vorzunehmen. Beschwerdeführer müssen das fachgerichtliche Verfahren nicht im Sinne eines vorgezogenen Verfassungsrechtsstreits führen (vgl. BVerfGE 112, 50 <60 ff.>; 129, 78 <92 f.>).

bb) Die Beschwerdeführerin hat mit Blick auf die Rüge des Justizgewährungsanspruchs den Grundsatz der formellen Subsidiarität gewahrt, indem sie die Anhörungsrüge erhoben hat.

Sie hat auch in materieller Hinsicht den Subsidiaritätsgrundsatz beachtet, indem sie im Fachprozess hinreichend darauf hingewirkt hat, dass die von ihr geltend gemachten Grundrechtsverstöße unterbleiben beziehungsweise beseitigt werden. Hierfür war es erforderlich, aber auch ausreichend, im Fachprozess geltend zu machen, dass die Gerichte aus ihrer Sicht überhöhte Anforderungen an die Darlegungen des Beruhenszusammenhangs stellen.

Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts erfordert der Grundsatz der Subsidiarität hingegen nicht, dass die Beschwerdeführerin einen weiteren Wiederaufnahmeantrag stellt, bei dem sie das Beruhen der Entscheidung auf dem Konventionsverstoß der Auffassung des Landgerichts und des Oberlandesgerichts entsprechend darlegen könnte. Die Beschwerdeführerin erblickt den Grundrechtsverstoß gerade darin, dass ihr unmöglicher Vortrag abverlangt wird. Dies umfasst, dass die Beschwerdeführerin nach ihrer Auffassung auch in einem erneuten Wiederaufnahmeantrag das Beruhen nicht weiter darlegen könnte. Verfahrensgegenstand ist mithin die Frage, welche Anforderungen an die Darlegung im Hinblick auf das Erfordernis des Beruhens des Urteils auf dem Konventionsverstoß gemäß § 359 Nr. 6 StPO gestellt werden dürfen. Das Ziel des Subsidiaritätsgrundsatzes, dem Bundesverfassungsgericht ein in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial zu verschaffen und ihm die Fall- und Rechtsanschauung der Gerichte zu vermitteln (vgl. zur Rechtswegerschöpfung BVerfGE 74, 102 <113 f.>), ist mit Blick auf den Verfahrensgegenstand erreicht. Denn die Gerichte haben ihre Rechtsauffassung zu den Darlegungsanforderungen hinsichtlich des Beruhenserfordernisses hinreichend deutlich gemacht. Ein weiterer Wiederaufnahmeantrag könnte hierzu keine zusätzlichen Erkenntnisse vermitteln. Ob diese Darlegungsanforderungen mit dem Verfassungsrecht in Einklang stehen, ist Frage der Begründetheit.

Gleiches gilt, soweit der Generalbundesanwalt auf andere Darlegungsanforderungen abstellt als die angegriffenen Entscheidungen. Die mögliche Grundrechtsverletzung durch die angegriffenen Entscheidungen wäre nicht durch ein auf andere Gesichtspunkte gestütztes, zeitlich späteres Verfahren beseitigt.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zur Entscheidung angenommen wird, in einem die Zuständigkeit der Kammer eröffnenden Sinne offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Das Oberlandesgericht hat den allgemeinen Justizgewährungsanspruch der Beschwerdeführerin (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt.

a) Das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes folgt im Wiederaufnahmeverfahren aus dem Justizgewährungsanspruch, der aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, abzuleiten ist (vgl. BVerfGK 11, 215 <224>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. September 2001 - 2 BvR 1491/01 -, Rn. 6; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juli 2002 - 2 BvR 18/02, 2 BvR 76/02 -, Rn. 13; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. Juli 2014 - 2 BvR 571/14 -, Rn. 16; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Februar 2019 - 2 BvR 2136/17 -, Rn. 20 ff.). Er gewährleistet nicht nur den Zugang zu den Gerichten sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter aufgrund einer grundsätzlich umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung des Streitgegenstands (vgl. BVerfGE 97, 169 <185>; 107, 395 <401>; 108, 341 <347>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Dezember 2016 - 2 BvR 1490/16 -, Rn. 11), sondern verbietet es dem Gericht auch, bei der Auslegung und Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 54, 94 <97>; 74, 228 <234>; 77, 275 <284>; 78, 88 <99>).

b) Das Oberlandesgericht stellt für den Wiederaufnahmeantrag Anforderungen an die Darlegung des Beruhens gemäß § 359 Nr. 6 StPO, die im Fall der Beschwerdeführerin unerfüllbar und unzumutbar sind, und erschweren damit den Zugang zu einer erneuten Hauptverhandlung in einer Weise, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist.

aa) Zur Bestimmung der Anforderungen an das Beruhen gemäß § 359 Nr. 6 StPO geht das Oberlandesgericht - im Ausgangspunkt auch von der Beschwerdeführerin nicht in Zweifel gezogen - vom Wortlaut und den Gesetzesmaterialien zu § 359 Nr. 6 StPO aus. Wie im Rahmen der Revision gemäß § 337 StPO (hierzu vgl. BGHSt 22, 278 <280>; 18, 290 <295>; stRspr) sei der Konventionsverstoß für das Urteil kausal, wenn anzunehmen sei, dass das Urteil ohne die Gesetzesverletzung möglicherweise anders ausgefallen wäre.

Während die Beschwerdeführerin der Auffassung ist, diese Kausalität habe sie bereits dadurch dargelegt, dass sie darauf verwiesen habe, dass ohne den Konventionsverstoß das Gericht anders besetzt gewesen wäre, was stets die Möglichkeit beinhalte, dass das Urteil anders hätte ausfallen können, verlangt das Oberlandesgericht darüber hinaus weitere Darlegungen. Im Rahmen der Wiederaufnahme könne nicht auf die Darlegung von Anhaltspunkten aus den Feststellungen im Urteil oder aus Schlüssen im Rahmen der Beweiswürdigung verzichtet werden, aus denen sich ergebe, dass sich der Konventionsverstoß auf die Verurteilung ausgewirkt haben könnte. Eine Beruhensvermutung entsprechend § 338 Nr. 3 StPO genüge nicht. Vielmehr sei ein enger Maßstab, mithin die Feststellung des Beruhens gefordert.

Mit dieser Auslegung verlangt das Oberlandesgericht Unerfüllbares und Unzumutbares.

(1) Dies beruht nicht darauf, dass die Beschwerdeführerin zum Abstimmungsverhalten innerhalb der Strafkammer darlegen müsste. Dies scheidet schon wegen des Beratungsgeheimnisses (§ 43, § 45 Abs. 1 Satz 2 DRiG) aus, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist. Dahin lassen sich die Darlegungsanforderungen des Oberlandesgerichts - wie diejenigen des Landgerichts - auch nicht verstehen.

Ebenso wenig verlangt das Oberlandesgericht die Darlegung, dass durch das Ausgangsgericht Feststellungen getroffen oder im Rahmen der Beweiswürdigung Schlüsse gezogen wurden, die auf einer persönlichen Voreingenommenheit beruhen könnten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat für eine persönliche Voreingenommenheit keine Anhaltspunkte festgestellt (EGMR, M. v. Deutschland, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 53), so dass eine dem entgegenstehende Darlegung unmöglich wäre. Wie der Generalbundesanwalt ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, kann es daher hierauf nicht ankommen.

(2) Jedoch verlangt das Oberlandesgericht Unerfüllbares, indem es eine Darlegung dazu fordert, dass sich im Urteil gegen die Beschwerdeführerin Anhaltspunkte für eine Begründung der Besorgnis der Befangenheit finden.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts könne nicht außer Betracht bleiben und sei insoweit von Bedeutung, dass in dem Verfahren gegen die Beschwerdeführerin an 23 Hauptverhandlungstagen ein umfangreiches Beweisprogramm mit Zeugen und Sachverständigen durchgeführt wurde, auf das zuvor ergangene Urteil gegen den L. nicht Bezug genommen wurde und in mehreren Fällen abweichende Feststellungen getroffen wurden. Es sei von der Beschwerdeführerin darzulegen und nicht Aufgabe des Wiederaufnahmegerichts zu untersuchen, ob in dem umfangreichen Urteil gegen die Beschwerdeführerin Feststellungen getroffen oder im Rahmen der Beweiswürdigung Schlüsse gezogen wurden, die auf einer Voreingenommenheit beruhen könnten.

Hiermit verlangt das Oberlandesgericht Anhaltspunkte, die in einem Fall wie dem streitgegenständlichen nicht vorliegen können. Denn in einem Fall der Vorbefassung können sich aus dem späteren Urteil Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts dann ergeben, wenn zum einen Indikatoren gegen die Unparteilichkeit vorliegen und zum anderen solche fehlen, die für sie sprechen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs spricht für die Unparteilichkeit, dass das im Folgeprozess ergangene Urteil keine Verweise oder Bezugnahmen auf die Feststellungen im früheren Urteil enthält (vgl. EGMR, M. v. Deutschland, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 50). Umgekehrt spricht die Zitierung von Auszügen aus dem früheren Urteil in der späteren Rechtssache gegen die Unparteilichkeit (vgl. EGMR, M. v. Deutschland, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 50, unter Verweis auf EGMR, Ferrantelli und Santangelo v. Italien, Urteil vom 7. August 1996, Nr. 19874/92, § 59). Fehlen - wie im vorliegenden Fall - im späteren Urteil gegen die Unparteilichkeit sprechende Gesichtspunkte, können nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gleichwohl objektiv begründete Zweifel an der Unparteilichkeit bestehen, wenn sich dies aus der Prüfung des früheren Urteils ergibt (vgl. EGMR, M. v. Deutschland, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, §§ 57 ff.).

Wird für die Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 6 StPO dennoch gefordert, trotz der im Urteil des Gerichtshofs festgestellten Indikatoren für die Unparteilichkeit im späteren Urteil dem entgegenstehende gegen sie sprechende Anhaltspunkte in eben diesem Urteil darzulegen, wird Unmögliches verlangt. Denn beides schließt sich gegenseitig aus. Enthält ein Urteil keine Verweise oder Bezugnahmen auf Feststellungen im früheren Urteil und beruht es auf einer eigenständigen Beweiserhebung und Beweiswürdigung, können Auszüge aus dem früheren Urteil oder Bezugnahmen auf seine Feststellungen ohne eigene Beweiserhebung und Beweiswürdigung im späteren nicht enthalten sein. Jedenfalls ist eine solche Darlegung unzumutbar. Denn es ist nicht erkennbar, welche hiervon unabhängigen Anhaltspunkte gegen die Unparteilichkeit gemeint sein könnten, wenn die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Indikatoren im späteren Urteil gerade nicht vorliegen.

In der Sache verkennt das Oberlandesgericht letztlich, dass der vom Gerichtshof festgestellte Konventionsverstoß nicht darin liegt, dass (möglicherweise) ein tatsächlich voreingenommener Richter an dem gegen die Beschwerdeführerin geführten Verfahren und an der gegen sie ergangenen Entscheidung beteiligt war, sondern darin, dass ein Richter mitgewirkt hat, bezüglich dessen Unvoreingenommenheit bei objektiver Betrachtung aus Sicht der Beschwerdeführerin gerechtfertigte Zweifel bestanden. Anders als das Oberlandesgericht meint, wirkte sich der vom Gerichtshof festgestellte Konventionsverstoß mithin bereits in der Einflussnahme dieses Richters im gegen die Beschwerdeführerin geführten Verfahren als solcher und nicht nur dann aus, wenn eine etwaige Voreingenommenheit in der Entscheidung ihren Niederschlag gefunden hätte.

(3) Unzumutbar ist zudem die nicht von den angegriffenen Entscheidungen, sondern vom Generalbundesanwalt für möglich angesehene Darlegung, dass „ein anderer Richter bei einer rational begründeten Entscheidungsfindung aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung auch zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können“, die einer einem Schlussplädoyer vergleichbaren alternativen Würdigung der Ergebnisse der tatsächlich durchgeführten Hauptverhandlung entspreche.

Die richterliche Entscheidungsfindung erschöpft sich nicht in einem anhand gesetzlicher und rationaler Vorgaben vorhersehbaren Prozess (vgl. Frister, StV 2023, S. 84 <85 f.>; Sauer, NJW 2023, S. 2073 <2079>). Die Funktion des Tatrichters besteht vielmehr darin, sich einen eigenen, der persönlichen Würdigung unterliegenden Gesamteindruck von der angeklagten prozessualen Tat zu verschaffen. Sie beschränkt sich nicht auf die Entscheidungsfindung nach durchgeführter Hauptverhandlung, sondern umfasst gerade auch Verfahrensentscheidungen im Laufe der Hauptverhandlung selbst. Aus diesem Grund sichert Art. 101 Abs. 1 GG den Grundsatz des gesetzlichen Richters als objektives Verfassungsrecht - als Sicherung der Rechtsstaatlichkeit im gerichtlichen Verfahren schlechthin (vgl. BVerfGE 40, 356 <361>). Die Garantie der Entscheidung durch den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG soll der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es soll vermieden werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung - gleichgültig von welcher Seite - beeinflusst werden kann (vgl. BVerfGE 17, 294 <299>; 48, 246 <254>; 82, 286 <296>; 95, 322 <327>). Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 4, 412 <416, 418>; 95, 322 <327>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2021 - 2 BvR 2076/21, 2 BvR 2113/21 -, Rn. 28; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 2023 - 2 BvR 1122/22 -, Rn. 22). Nicht nur Eingriffe von außen, sondern auch justizorganisationsinterne Besetzungsentscheidungen sind hiervon erfasst (vgl. BVerfGE 3, 359 <364>; stRspr). Die strafprozessualen Vorschriften der §§ 22, 23 und 24 StPO über die Ausschließung und Ablehnung von Richtern dienen diesem durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Ziel, auch im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung berufenen Richter zu sichern (vgl. BVerfGE 21, 139 <146>; 30, 149 <153>; BVerfGK 5, 269 <280>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 2023 - 2 BvR 1122/22 -, Rn. 23 f.). Dies gilt für jede Lage des gerichtlichen Verfahrens.

Eine Pflicht darzulegen, dass am Ende einer durchgeführten Hauptverhandlung auch ein anderes Ergebnis rational begründbar wäre, unterstellt, dass die fehlerhafte Besetzung des Gerichts unschädlich sein kann. Dies negiert bereits die Möglichkeit, dass sich die fehlerhafte Besetzung des Gerichts im Rahmen der Verfahrensführung ausgewirkt haben kann und sich aufgrund der Verfahrensführung, etwa angesichts der erhobenen beziehungsweise nicht erhobenen Beweise, am Ende einer Hauptverhandlung nur ein Ergebnis als rational darstellt. Eine solche Annahme ist mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters als Sicherung der Rechtsstaatlichkeit im gerichtlichen Verfahren nicht vereinbar. Diese greift nicht erst zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung nach durchgeführter Hauptverhandlung, sondern sichert die Unabhängigkeit des Gerichts auch im Laufe der Hauptverhandlung.

bb) Die vom Oberlandesgericht aufgestellten Anforderungen sind auch sachlich nicht gerechtfertigt.

(1) Zwar trifft es zu, dass wegen der Bedeutung der Rechtskraft die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens grundsätzlich nur unter engen Voraussetzungen möglich ist (vgl. BVerfGE 22, 322 <329>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Februar 2019 - 2 BvR 2136/17 -, Rn. 20). Dies rechtfertigt jedoch keine Auslegung, durch die bestimmte Fälle, in denen ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention festgestellt wurde, schon dem Grunde nach von einer Wiederaufnahme gemäß § 359 Nr. 6 StPO ausgeschlossen sind. Dies wäre indes die Folge der unerfüllbaren Darlegungsanforderungen der Fachgerichte. Sie lassen die Wiederaufnahme schon dem Grunde nach nicht zu, wenn im Fall der Vorbefassung eines Richters der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen objektiv begründeter Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts allein auf Anhaltspunkte im früheren Urteil stützt.

Der Gesetzgeber hat mit § 359 Nr. 6 StPO die Möglichkeit zur Korrektur eines Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention geschaffen. Das Beruhenserfordernis schließt dabei die Wiederaufnahme in den Fällen aus, in denen sich ein Konventionsverstoß nicht ausgewirkt hat (vgl. BTDrucks 13/10333, S. 4 f.). Dies darf aber nicht dazu führen, dass bestimmte, in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannte Konstellationen einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention von vorneherein ausgeschlossen sind.

(2) Andernfalls bestünde im Übrigen ein Wertungswiderspruch zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die aus einer Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgen.

Im Gewährleistungsbereich des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hat bei Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften die Aufhebung eines Strafurteils schon dann zu erfolgen, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Verfahrensverstoß den Inhalt des Urteils beeinflusst hat; dies entspricht der Funktion dieser Norm, das Vertrauen in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte zu schützen (BVerfGE 4, 412 <417>; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 101 Rn. 27; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 101 Rn. 32 <August 2023>). Die Möglichkeit ist wegen der Bedeutung der Besetzung des erkennenden Gerichts für die Urteilsfindung bereits dann nicht auszuschließen, wenn das Gericht ohne den Verfahrensfehler anders besetzt gewesen wäre (vgl. BVerfGE 4, 412 <418>; BVerfGK 10, 474 <479 f.>; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 101 Rn. 27; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 101 Rn. 32 <August 2023>; Degenhart, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 101 Rn. 21). Die entscheidenden Richter verschaffen sich insbesondere in ihrer Funktion als Tatrichter einen der eigenen, persönlichen Würdigung unterliegenden Gesamteindruck von der angeklagten prozessualen Tat (vgl. zur Überzeugungsbildung als Aufgabe des Tatrichters BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 1380/90 -, juris, Rn. 22 f.). Grundlage hierfür ist die Hauptverhandlung in ihrer Gesamtheit (vgl. zur Funktion der Hauptverhandlung als alleinige Grundlage richterlicher Überzeugungsbildung BVerfGE 133, 168 <218 Rn. 90>).

Die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK wegen objektiv gerechtfertigter Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts führt zu einer fehlerhaften Besetzung des Gerichts, die den rechtsstaatlichen Anforderungen und damit auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG widerspricht. Der Grundsatz des gesetzlichen Richters enthält - als Sicherung der Rechtsstaatlichkeit im gerichtlichen Verfahren schlechthin - objektives Verfassungsrecht (vgl. BVerfGE 40, 356 <361>). Die Unparteilichkeit des zur Entscheidung berufenen Richters im Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 EMRK korrespondiert mit der Gewährleistung des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. nur BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 2023 - 2 BvR 1122/22 -, Rn. 31 ff.).

Verlangt Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dass bei fehlerhafter Besetzung des Gerichts Strafurteile aufgehoben werden - was im Rahmen der Revision gemäß § 338 Nr. 3 StPO gerügt und gegebenenfalls erreicht werden kann -, kann eine gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßende Besetzung eines Gerichts nicht weniger schwer wiegen. Dies ist auch bei der Auslegung und Anwendung des § 359 Nr. 6 StPO zu berücksichtigen.

(3) Gegen die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde spricht daher auch nicht der Hinweis des Generalbundesanwalts auf die Auffassung des Ministerkomitees des Europarats. Dieses halte zwar grundsätzlich bei Verfahrensfehlern, die zu schweren Zweifeln an der von den nationalen Gerichten getroffenen Entscheidung führten, eine Wiederaufnahme gerade im Strafrecht für angezeigt. Es könne aber den nationalen Stellen folgen, wenn diese überzeugend begründeten, dass kein solcher Zweifel bestehe.

Ist die nach deutschem Revisionsrecht mögliche und im Licht des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebotene Korrektur des Konventionsverstoßes nicht erfolgt, kann dies - wie im vorliegenden Fall (vgl. EGMR, M. v. Deutschland, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, § 64) - zu einer Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führen. Indem das Oberlandesgericht für die weitere, nach dem Wiederaufnahmerecht mögliche Korrektur fordert, dass weitergehende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Verurteilung auf dem Konventionsverstoß beruht, sieht es im Ergebnis den festgestellten Konventionsverstoß - weiterhin - nicht als solchen Verfahrensfehler an, der zu schweren Zweifeln an der getroffenen Entscheidung führte.

Dies steht weder mit der Bedeutung im Einklang, die der Gerichtshof der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Gerichte beimisst (vgl. EGMR, M. v. Deutschland, Urteil vom 16. Februar 2021, Nr. 1128/17, §§ 42 ff.), noch entspricht es der Wertung des Art. 101 Abs. 1 GG.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

IV.

1. Der die sofortige Beschwerde zurückweisende Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. Juli 2022 ist hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

3. Die Festsetzung des Gegenstandswerts findet ihre Grundlage in § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 105

Bearbeiter: Holger Mann