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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2024
25. Jahrgang
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Von RA Dr. Markus Gierok und RA Prof. Dr. Michael Tsambikakis, Köln [*]
Am 23.11.2023 veröffentlichte das Bundesministerium der Justiz (BMJ) sein Eckpunktepapier zur Modernisierung des Strafgesetzbuchs[1]. Für viele überraschend wird darin u.a. vorgeschlagen, die Straftatbestände der §§ 284 ff. StGB aufzuheben. Der Beitrag beleuchtet die dann noch verbleibenden Möglichkeiten, unerlaubtes Glücksspiel zu sanktionieren.
Anlass des Eckpunktepapiers war der im Koalitionsvertrag erteilte Auftrag, das Strafrecht systematisch auf Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche zu prüfen. Der Fokus sollte sich auf historisch überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die schnelle Entlastung der Justiz richten.[2] Das BMJ greift hierzu einige "Klassiker" auf, die bereits lange Gegenstand des rechtspolitischen Diskurses sind: Partielle Digitalisierung der Meldepflicht im Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB); Abstufung des sog. "Schwarzfahrens" (§ 265 Abs. 1 Var. 2 StGB) zur Ordnungswidrigkeit; Anpassung der sprachlich missglückten und dogmatisch irreführenden Fassung des aus der nationalsozialistischen Gesetzgebung stammenden Mordparagrafen (§ 211 StGB). Eine Entkriminalisierung des Glücksspielstrafrechts wurde bisher kaum diskutiert. Der Vorschlag, die Straftatbestände zum unerlaubten Glücksspiel (§§ 284 ff. StGB) aufzuheben, hat deshalb viele überrascht. Im Eckpunktepapier heißt es:
"Die §§ 284, 285, 287 StGB stellen es insbesondere unter Strafe, ohne behördliche Erlaubnis ein Glücksspiel, eine Lotterie oder eine Ausspielung zu veranstalten. Es ist aber kein Rechtsgut erkennbar, das die Aufrechterhaltung dieser Strafnormen rechtfertigen würde."
Der Vorschlag greift Strömungen in der Literatur auf, die schon länger die Legitimation, unerlaubtes Glücksspiel zu bestrafen, bezweifeln.[3] Die Entkriminalisierung ist daher zu begrüßen. Diese Diskussion soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Der Blick richtet sich vielmehr auf die praktischen Folgen eines solchen Schritts für laufende und abgeschlossene Strafverfahren sowie auf verbleibende Möglichkeiten, das Veranstalten von und die Teilnahme am unerlaubten Glücksspiel zu sanktionieren.
Ändert sich das Gesetz während eines laufenden, d.h. noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens, ist zu prüfen, welche Gesetzesfassung für die strafrechtliche Bewertung heranzuziehen ist. Die zeitliche Geltung von Strafgesetzen regelt bekanntlich § 2 StGB, wobei zwischen strafschärfenden und -mildernden Gesetzesänderungen zu unterscheiden ist. Im Falle strafmildernder Gesetzesänderungen ergeben sich die Rechtsfolgen – unabhängig von der Beendigung der in Rede stehenden Tat – aus § 2 Abs. 3 StGB.[4] Selbstredend stellt die Aufhebung eines Strafgesetzes eine Strafmilderung dar.[5]
Würden die §§ 284 ff. StGB aufgehoben, dürften sie wegen des in § 2 Abs. 3 StGB verankerten lex-mitior- Grundsatzes auf bereits begangene Taten nicht mehr angewandt werden. Zwar stünde es dem Gesetzgeber frei, eine ausdrückliche Ausnahme von diesem Grundsatz vorzusehen.[6] Hiermit ist angesichts der im Eckpapier festgehaltenen Begründung, wonach die strafrechtliche Sanktionierung des unerlaubten Glücksspiels als grundsätzlich nicht gerechtfertigt angesehen wird, aber nicht zu rechnen. Für noch
nicht rechtskräftig abgeschlossene Strafverfahren ergäben sich folgende Konsequenzen:
Gemäß § 2 Abs. 5 StGB gilt der lex-mitior-Grundsatz entsprechend für die Einziehung, sodass diese nach der Aufhebung der §§ 284 ff. StGB nicht mehr auf die §§ 73 ff. StGB gestützt werden dürfte (zur Vermögensabschöpfung nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht s.u., II. 2. B.).
Auf rechtskräftige Verurteilungen wegen einer Straftat gemäß §§ 284 ff. StGB hätte die Aufhebung dieser Straftatbestände per se keine Auswirkung. Wie zuletzt bei der Aufhebung des § 219a StGB mit Art. 316n EGStGB geschehen, dürfte jedoch davon auszugehen sein, dass der Gesetzgeber auch bereits erfolgte strafgerichtliche Verurteilungen aufheben und die Einstellung der zugrunde liegenden Strafverfahren anordnen würde. Eine solche Regelung wäre jedenfalls konsequent und zu begrüßen.
Die deutsche Glücksspielregulierung war bis vor wenigen Jahren – jedenfalls auf dem Papier – eher restriktiv. Beispielsweise war die Veranstaltung von Sportwetten zunächst den Ländern vorbehalten, bis das Bundesverfassungsgericht das staatliche Sportwettenmonopol für verfassungswidrig erklärte.[9] Der Glücksspielmarkt öffnete sich anschließend nur langsam: Der Glücksspielstaatsvertrag aus dem Jahr 2008 hielt noch an dem staatlichen Sportwettenmonopol fest. Erst mit der sogenannten Experimentierklausel für Sportwetten (§ 10a GlüStV 2012) wurde die Grundlage dafür geschaffen, einer limitierten Anzahl von Anbietern erstmals Konzessionen für die Veranstaltung von Sportwetten zu erteilen.[10] Vollständig verboten war bis vor Kurzem die Veranstaltung von Online-Casinospielen; lediglich Schleswig-Holstein hatte einen Sonderweg eingeschlagen und Online-Casinospiele legalisiert.[11] Mit dem Glücksspielneuregulierungsstaatsvertrag (GlüStV 2021) einigten sich die Länder darauf, künftig Konzessionen für die Veranstaltung von Online-Casinospielen zu vergeben. Während die zur Restriktion neigende Glücksspielregulierung in Deutschland in der Vergangenheit tendenziell unter dem Gesichtspunkt des "Rien ne va plus?"[12] beleuchtet wurde, würde sich nach einer Aufhebung der §§ 284 ff. StGB umgekehrt die Frage stellen, ob künftig zumindest in Straf- und bußgeldrechtlicher Hinsicht[13] doch alles geht.
Hierzu verhält sich das Eckpunktepapier des BMJ wie folgt:
"Entsprechende Verstöße [Anm.: Glücksspielveranstaltung ohne behördliche Erlaubnis] können schon heute als Ordnungswidrigkeit gemäß § 28a des Glücksspielstaatsvertrags der Länder geahndet werden, was nach Maßgabe des Ultima-Ratio-Grundsatzes ausreichend ist. Strafwürdiges Verhalten ist auch künftig strafbar. Wer ein Spiel manipuliert, macht sich wegen Betruges (§ 263 StGB) strafbar. Daneben kann abhängig von den Umständen des Einzelfalls insbesondere eine Steuerhinterziehung (§ 370 der Abgabenordnung) vorliegen. Die §§ 284, 285, 286 (Vorschrift zur Einziehung) und 287 StGB sollen daher aufgehoben werden."
Die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels per se unterläge nach der Aufhebung der §§ 284 ff. StGB keiner Strafandrohung mehr. Glücksspielveranstalter und ‑vermittler sind freilich, ebenso wie sonstige Unternehmen, nach wie vor den übrigen Straftatbeständen unterworfen.[14] Manche dieser allgemeinen Straftatbestände werden dabei regelmäßig mit dem Glücksspielsektor in Zusammenhang gebracht.
Teilweise wird vertreten, § 284 StGB schütze das immer wieder bestätigte Vertrauen des Einzelnen in die Gewährleistung einer manipulationsfreien Spielchance.[15] Diese
Ansicht, nach der § 284 StGB ein Vorfelddelikt des Betrugs darstellt, überzeugt zwar nicht: Zum einen schließt die Erlaubniserteilung Manipulationen der Gewinnchancen nicht aus.[16] Zudem sanktioniert § 284 StGB auch solche Anbieter, die ein manipulationsfreies Spiel veranstalten, hierfür aber keine Erlaubnis haben.[17] Es besteht also schlicht kein direkter Zusammenhang zwischen Erlaubniserteilung und Spielmanipulationen.
Bedeutsam ist diese Ansicht dennoch, denn sie weist auf ein strafwürdiges und ‑bedürftiges Verhalten von Glücksspielanbietern hin. Zu dessen Erfassung bedarf es aber keines speziellen Straftatbestandes wie § 284 StGB, da das Veranstalten von manipulierten Glücksspielen als Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB geahndet werden kann.[18] Höchstrichterlich geklärt ist bspw., dass Spieler, die Wetten auf ein zuvor von ihnen manipuliertes Sportereignis platzieren, einen Betrug gegenüber und zulasten des Wettveranstalters begehen.[19] Diese Rechtsprechung lässt sich dergestalt umkehren, dass die Veranstaltung einer Sportwette nach vorausgegangener manipulativer Einflussnahme auf das Sportereignis durch den Veranstalter einen Betrug gegenüber und zulasten des Spielers darstellt. Ebenso betrügerisch handeln Glücksspielveranstalter, wenn sie das dem Glücksspiel immanente Zufallsmoment zu eigenen Gunsten ausschalten.[20]
Darüber hinaus sanktionieren die §§ 265c, 265d StGB die Manipulation speziell von sportlichen Ereignissen. Die in den Absätzen 2 und 4 enthaltenen Allgemeindelikte[21] können grundsätzlich sowohl Spieler als auch Sportwettveranstalter verwirklichen. Allerdings dürften diese Straftatbestände für Veranstalter regelmäßig keine große Rolle spielen. Die bekannt gewordenen Fußballwettskandale haben gezeigt, dass Manipulationen der sportlichen Ereignisse regelmäßig auf die Initiative der wettenden Kunden, nicht aber der Veranstalter zurückgehen. Zudem dürften die Veranstalter allenfalls ein geringfügiges Interesse an Manipulationen haben, da sie ihren Gewinn durch geschickte Anpassung der Quoten unabhängig vom Spielausgang erzielen.
Als weiteren Straftatbestand, der je nach den Umständen des Einzelfalls einschlägig sein kann, benennt das Eckpunktepapier die Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO. Ein eindrückliches Beispiel für den Vorwurf der Steuerhinterziehung im Glücksspielsektor bietet ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, das im Frühjahr 2023 durch eine international konzertierte Durchsuchung bekannt wurde. Dort wurde einem Sportwettanbieter vorgeworfen, über Jahre hinweg Sportwettsteuern in Millionenhöhe hinterzogen zu haben.[22]
Die Steuerhinterziehung kann jedoch grundsätzlich für jeden Wirtschaftsteilnehmer relevant werden und stellt insofern keine Eigenheit der Glücksspielbranche dar. Besonderheiten ergeben sich allein daraus, dass der Fiskus im Glücksspielsektor spezielle Steuern erhebt.[23] Zudem ist zu konstatieren, dass Glücksspielveranstalter häufig nicht nur wegen der unerlaubten Veranstaltung von Glücksspielen, sondern zugleich auch wegen Steuerhinterziehung verfolgt werden.[24] Bei der Verfolgung von Anbietern von Online-Glücksspiels dürfte gar ein Übergewicht zugunsten der Steuerdelikte bestehen, da die Anbieter regelmäßig aus dem Ausland heraus operieren und das deutsche Glücksspielstrafrecht daher unanwendbar ist.[25]
Hingegen wären nach der Entkriminalisierung der Veranstaltung und Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel solche Handlungen nicht länger geeignete Geldwäschevortaten. Die Verwendung von Einnahmen aus unerlaubtem Glücksspiel wäre nicht mehr gemäß § 261 Abs. 1 StGB strafbar. Würde allerdings z.B. Tatbeute in der Absicht, die Ermittlung ihrer Herkunft zu vereiteln, in unerlaubten Glücksspielen verwendet, bliebe es bei entsprechendem Vorsatz oder entsprechender Leichtfertigkeit bei einer Geldwäschestrafbarkeit der Beteiligten.
Strafwürdige und ‑bedürftige Verhaltensweisen können damit unabhängig von den §§ 284 ff. StGB strafrechtlich sanktioniert werden.
Daneben eröffnet das Ordnungswidrigkeitenrecht bereits heute vielfältige Möglichkeiten, auf Verstöße gegen das Glücksspielverwaltungsrecht zu reagieren. Es ist das erklärte Ziel des Eckpunktepapiers, Verwaltungsungehorsam im Glücksspiel dorthin zu verlagern, wo es typischerweise hingehört: in das Ordnungswidrigkeitenrecht. Die Staatsanwaltschaften werden dadurch entlastet. Die Sanktionierung erfolgt dann durch die fachnäheren Verwaltungsbehörden (s.u., III. 1.).
Dies betrifft vor allem Verstöße gegen verwaltungsrechtliche Pflichten der Veranstalter. Glücksspielrechtliche Bußgeldtatbestände bzw. Tatbestände mit Bezug zum Glücksspielrecht finden sich in diversen Gesetzen. Dazu gehören bspw. § 28a GlüStV 2021, § 23 AGGlüStV NRW[26], § 144 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) GewO, § 19 SpielV, § 5 RennwLottG, §§ 2 Abs. 1 Nr. 15, 56 GwG oder § 28 Abs. 1 Nr. 7 und 8 JuSchG.
Im Fokus dieses Beitrags stehen allerdings die Bußgeldtatbestände, die bei Aufhebung der §§ 284 ff. StGB an deren Stelle treten und so die entstehenden "Lücken" schließen würden. Die Veranstaltung von (Online-)Glücksspiel ohne behördliche Erlaubnis stellt bereits heute eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 28a Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 4 GlüStV 2021 dar. Nach diesen Bußgeldtatbeständen handelt ordnungswidrig, wer entgegen § 4 Abs. 1 S. 1 GlüStV 2021 ohne Erlaubnis ein Glücksspiel veranstaltet oder vermittelt (Nr. 1) oder entgegen § 4 Abs. 4 S. 1 oder S. 2 GlüStV 2021 öffentliche Glücksspiele unerlaubt im Internet veranstaltet, vermittelt oder vertreibt (Nr. 4). Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit dieser Tatbestände mit § 284 Abs. 1 StGB kann zur Auslegung ihrer Merkmale weitgehend auf die bekannten Grundsätze zurückgegriffen werden. Die zweite (Halten eines Glücksspiels) und dritte (Bereitstellen von Einrichtungen) Tathandlungsvariante des § 284 Abs. 1 StGB finden zwar keine Entsprechung in den vorbezeichneten Bußgeldtatbeständen, könnten jedoch als Beteiligung (§ 14 OWiG) hieran geahndet werden.
Die praktische Bedeutung der beiden vorstehenden Ordnungswidrigkeiten ist wegen § 21 Abs. 1 S. 1 OWiG derzeit noch gering,[27] da auf eine Handlung, die gleichzeitig Straftat und Ordnungswidrigkeit ist, nur das Strafgesetz angewendet wird. Den Ordnungswidrigkeiten kommt also keine eigenständige Bedeutung zu. Bei Aufhebung der §§ 284 ff. StGB entfiele die strafrechtliche Relevanz der Handlung, sodass künftig allein die Ordnungswidrigkeit zu verfolgen wäre. Vorsätzliche Verstöße gegen § 28a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 GlüStV wären dann – vorbehaltlich einer Erhöhung durch die Landesgesetzgeber – mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 500.000 EUR (§ 28a Abs. 2 GlüStV 2021), fahrlässige Verstöße mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 250.000 EUR (§ 17 Abs. 2 OWiG) zu ahnden.
Im Gegensatz zum Strafrecht (§ 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB) stellt die Einziehung des durch die Tat Erlangten im Ordnungswidrigkeiten nicht den Regelfall dar. Grundsätzlich sind die aus dem Glücksspiel gewonnenen Einnahmen als wirtschaftlicher Vorteil i.S.d. § 17 Abs. 4 OWiG über die Geldbuße abzuschöpfen (sog. Abschöpfungsanteil der Geldbuße). Anderes gilt nur, wenn gegen den Täter keine Geldbuße festgesetzt wird. In diesem Fall erlaubt § 29a OWiG die isolierte Einziehung des Wertersatzes in Höhe der Einnahmen; zur Sicherung der Wertersatzeinziehung kann gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 111e Abs. 1 StPO der Arrest angeordnet werden.
Darüber hinaus können Gegenstände, auf die sich die Ordnungswidrigkeit bezieht (Beziehungsgegenstände) oder die durch sie hervorgebracht (producta sceleris) oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind (instrumenta sceleris), gemäß § 28a Abs. 3 S. 1 GlüStV 2021 i.V.m. §§ 22 Abs. 2, 23 OWiG eingezogen werden. Hierunter fallen insbesondere die Einrichtungen, die zur Durchführung des Glücksspiels gebraucht wurden.
Bereits de lege lata erfolgt die Sanktionierung von juristischen Personen und Personenvereinigungen (Verbänden) in Deutschland ebenfalls über das Ordnungswidrigkeitenrecht, konkret über die sog. Verbandsgeldbuße i.S.d. § 30 OWiG. Hieran würde sich durch die Aufhebung der §§ 284 ff. StGB nichts ändern, sodass die Streichung für diesen Personenkreis auf den ersten Blick keine Bedeutung zu haben scheint. Allerdings führt die Eliminierung der Straftatbestände zu erheblichen Verschiebungen des Bußgeldrahmens: Gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG liegt die Bemessungsgrenze für den Ahndungsanteil der Geldbuße aktuell bei zehn Millionen Euro (zuzüglich des Abschöpfungsanteils, §§ 30 Abs. 3, 17 Abs. 4 OWiG). Künftig würde sich das Höchstmaß der Verbandsgeldbuße – mangels eines Verweises i.S.d. § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG – gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 OWiG nach dem Höchstmaß der Geldbuße bestimmen, das für die Ordnungswidrigkeit (Anknüpfungstat) angedroht ist. Bei vorsätzlichen Verstößen einer Person i.S.d. § 30 Abs. 1 OWiG könnte gegen einen Verband eine Geldbuße i.H.v. 500.000 EUR, bei fahrlässigen Verstößen i.H.v. 250.000 EUR festgesetzt werden.
Hinsichtlich der Einziehung bei Verbänden gilt wegen § 30 Abs. 5 OWiG, der auf § 17 Abs. 4 OWiG verweist, das zur Einziehung bei natürlichen Personen Ausgeführte grundsätzlich entsprechend.
Bislang stellt § 285 StGB die Beteiligung am unerlaubten Glücksspiel unter Strafe. Entsprechend auf den Spieler zugeschnittene Bußgeldtatbestände kennt das geltende Recht nicht, sodass nach der Streichung des § 285 StGB lediglich eine Beteiligung (§ 14 OWiG) an Ordnungswidrigkeiten des Veranstalters oder Vermittlers (§ 28a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 GlüStV 2021) in Betracht käme. Eine Beteiligung ist zwar nicht nur Personen, die selbst die Eigenschaft als Veranstalter oder Vermittler erfüllen, sondern wegen § 9 Abs. 1 S. 2 OWiG jedermann möglich. Jedoch liegt in der bloßen Teilnahme am unerlaubten Glücksspiel noch keine bußgeldrechtlich relevante Beteiligung. Insofern lässt sich eine Parallele zur Straflosigkeit des Lotteriespielers ziehen: Der Lotteriespieler ist nach geltendem
Recht weder gemäß § 285 StGB, der lediglich die Beteiligung am Glücksspiel gemäß § 284 StGB erfasst,[28] noch als Täter oder Teilnehmer des § 287 StGB strafbar.[29] Der Spieler bliebe also unsanktioniert.
Die Verschiebung der Sanktionierung von unerlaubtem Glücksspiel in das Recht der Ordnungswidrigkeiten würde – trotz grundsätzlicher sinngemäßer Anwendbarkeit der StPO (§ 46 Abs. 1 OWiG) – einige praxisrelevante Konsequenzen nach sich ziehen.
Mit der Aufhebung der §§ 284 ff. StGB entfiele die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften, die lediglich bei dem Anfangsverdacht einer Straftat einschreiten müssen (§ 152 Abs. 2 StPO). Künftig wäre allein die Glücksspielaufsichtsbehörde für die Verfolgung des unerlaubten Glücksspiels als Ordnungswidrigkeit zuständig (§§ 28a Abs. 4, 9 GlüStV). Welche Behörde die Glücksspielaufsicht ausübt, hängt u.a. vom jeweiligen Landesrecht[30] ab und ist daher stets im Einzelfall zu prüfen. Hervorgehobene Bedeutung dürfte die Zuständigkeitsverschiebung für die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) haben, die nach § 27e Abs. 1 GlüStV 2021 als Erlaubnis- und Aufsichtsbehörde für länderübergreifende Glücksspielangebote insbesondere im Internet tätig wird. Zwar betrafen von den in der Polizeilichen Kriminalstatistik 2022 insgesamt erfassten 1.861 Fällen "nur" 102 den Vorwurf des unerlaubten Online-Glücksspiels. Allerdings gestalten sich die Ermittlungen gerade bei Online-Glücksspiel wegen der regelmäßig gegebenen Auslandsbezüge umfangreich und schwierig. Jedenfalls derzeit dürfte die GGL nicht über die notwendigen Kapazitäten verfügen, um solche Fälle effektiv zu bearbeiten.
Praktisch besonders relevant ist der Wegfall der Möglichkeit, Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage einzustellen. Die Einstellung gemäß § 153a StPO hat sich im Glücksspielstrafrecht – wie in vielen anderen Bereichen des Wirtschaftsstrafrechts – als geeignetes Instrument zur einvernehmlichen und flexiblen Verfahrensbeendigung erwiesen, bspw. in Fällen, in denen der Veranstalter zwar über keine behördliche Erlaubnis verfügte, ihm eine solche auf Antrag aber hätte erteilt werden müssen. Künftig wäre die Glückspielaufsichtsbehörde bei Verwirklichung eines Bußgeldtatbestands auf die Festsetzung eines Bußgelds, die Erteilung einer Verwarnung, ggf. nebst Erhebung eines Verwarngelds (§ 56 OWiG) oder die Einstellung gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 OWiG beschränkt. Die Einstellung gemäß § 47 Abs. 3 OWiG darf hingegen nicht von der Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung oder sonstige Stelle abhängig gemacht oder damit in Zusammenhang gebracht werden – hiermit ist jede Analogie zum Rechtsgedanken des § 153a StPO verboten.[31]
Darüber hinaus stünden die Glücksspielaufsichtsbehörden unter größerem zeitlichen Druck als die Staatsanwaltschaften, da die Verfolgungsverjährung im Ordnungswidrigkeitenrecht spürbar kürzer ist. Während die Verfolgungsfrist für Straftaten gemäß § 284 StGB fünf Jahre beträgt (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) und die absolute Verjährung daher erst nach zehn Jahren eintritt (§ 78c Abs. 4 S. 2 StGB), bleiben der Glücksspielaufsicht grundsätzlich nur drei Jahre (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Die absolute Verjährung tritt schon nach sechs Jahren ein (§ 33 Abs. 3 S. 2 OWiG). Angesichts der Komplexität und des Umfangs, die bzw. den Ermittlungen wegen unerlaubter Glücksspielveranstaltung erreichen können, sowie der jedenfalls bislang nicht vorhandenen personellen Kapazitäten, erscheint es fraglich, ob dieser Zeitraum den Glücksspielaufsichtsbehörden genügen würde, um gerichtsfeste Ergebnisse zu erzielen.
Die räumliche Geltung des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts ist hinsichtlich des unerlaubten Glücksspiels identisch, sodass sich durch die Entkriminalisierung keine Unterschiede ergeben würden. Sowohl die Straftatbestände der §§ 284 ff. StGB[32] als auch die Bußgeldtatbestände der § 28a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 GlüStV 2021 finden im Ergebnis nur dann Anwendung, wenn der Täter im Inland gehandelt hat. In beiden Fällen handelt es sich um abstrakte Gefährdungsdelikte. Solche haben keinen Erfolgsort i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 oder 4 StGB[33] oder § 7 Abs. 1 Var. 3 oder 4 OWiG[34]. Ein solcher liegt auch nicht in der – etwa über das Internet vermittelten – Möglichkeit zur Spielbeteiligung vom Inland aus.[35] Der damit allein maßgebliche inländische Handlungsort ist nur gegeben, wenn sich der Täter bei der Vornahme der Tathandlung physisch in Deutschland aufhält.
Durch die angestrebte Entkriminalisierung wäre das Verwenden von Einnahmen aus unerlaubtem Glücksspiel nicht mehr gemäß § 261 Abs. 1 StGB strafbar (s.o., II. 1. d.).
Darüber hinaus entfiele für Banken und Zahlungsdienstleister die Pflicht zur Abgabe einer Geldwäscheverdachtsmeldung gemäß § 43 Abs. 1 GwG, wenn ersichtlich ist,
dass auffällige Transaktionen auf die Veranstaltung oder Teilnahme an Glücksspiel(en) zurückgehen. Dementsprechend würde die Aufhebung der §§ 284 ff. StGB zur Entlastung der Financial Intelligence Unit (FIU) beitragen. Ob dies allerdings zu einer spürbaren Entlastung führen würde, lässt sich nicht beurteilen, da – soweit hier bekannt – keine Statistiken dazu veröffentlich werden, wie groß der Anteil der den Verdacht des Glücksspiels betreffenden Geldwäscheverdachtsmeldungen ist.
Die Entkriminalisierung des unerlaubten Glücksspiels würde zu erheblichen Verschiebungen sowohl in materieller als auch prozessualer Hinsicht führen. Der (redliche) Spieler könnte überhaupt nicht mehr, der (redliche) Veranstalter jedenfalls nicht mehr strafrechtlich sanktioniert werden. Die Befreiung nicht nur des Spielers, sondern auch des Veranstalters von dem mit der Strafe verbundenen sozialethischen Unwerturteil ist zu begrüßen: Der Verstoß gegen den Erlaubnisvorbehalt des § 4 GlüStV stellt per se kein strafwürdiges Unrecht, sondern bloßen Verwaltungsungehorsam dar. Eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit genügt. Für einen flächendeckenden Vollzug müssten die Glücksspielaufsichtsbehörden mit den notwendigen personellen Kapazitäten ausgestattet werden.
Der eingeschlagene Weg überzeugt: Bei der Eindämmung der – nicht zu leugnenden – Glücksspielrisiken ausschließlich oder auch nur maßgeblich auf das Strafrecht zu setzen, wäre verfehlt. Dieser Ansatz ist gescheitert und er widerspricht dem Grundgedanken, das Strafrecht immer nur das letzte Mittel des Gesetzgebers sein darf, um ein Problem zu lösen. Das gilt erst recht, wenn sich der Staat widersprüchlich verhält und an anderer Stelle Fehlanreize setzt: Solange er weiterhin eigenes Glücksspiel anbietet und die Gewinne großzügig in den eigenen Haushalt einstellt, erscheint die strafrechtliche Verfolgung der Konkurrenz ohnehin heuchlerisch.[36] Wichtiger ist neben weitgefächerter Suchtprävention die konsequente und effektive Durchsetzung der dem Spielerschutz dienenden Regelungen, insbesondere die Verhinderung des illegalen Angebots, bspw. durch Payment-Blocking[37]. Stets ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine zu strenge Regulierung die Gefahr birgt, dass sich Anbieter vermehrt auf den Schwarzmarkt zurückziehen. Dies zu vermeiden, sollte hohe Priorität genießen, da auf dem Schwarzmarkt nach einhelliger Auffassung keinerlei Spielerschutz gewährleistet ist.
[*] Die Autoren sind Rechtsanwälte der auf das Wirtschaftsstrafrecht spezialisierten Kanzlei Tsambikakis & Partner Rechtsanwälte mbB, mit Sitz in Köln, Berlin, Frankfurt und Hamburg. Der Autor Tsambikakis ist zudem Honorarprofessor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Passau.
[1] Das Eckpunktepapier ist abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/Eckpunkte/1123_Eckpunkte_Modernisierung_Strafrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=3, zuletzt abgerufen am 10.12.2023.
[2] Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP), S. 106.
[3] Sarafi ZfWG 2019, 469; NK-StGB/Gaede, 6. Aufl. 2023, StGB § 284 Rn. 4 ff.
[4] MüKoStGB/Schmitz, 4. Aufl. 2020, StGB § 2 Rn. 20; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 58. Ed. 1.8.2023, StGB § 2 Rn. 4 mwN.
[5] BGH NJW 1965, 453. Dies gilt auch dann, wenn an die Stelle der Strafandrohung eine Bußgeldbewehrung tritt, BGH NJW 1969, 1452; BGH NJW 1959, 252 (253).
[6] BGH NStZ 2010, 523 (524) mwN.
[7] Vgl. BayObLG NJW 1969, 1452; KK-OWiG/Lutz, 5. Aufl. 2018, OWiG § 82 Rn. 19.
[8] MüKoStGB/Schmitz, StGB§ 2 Rn. 86.
[9] BVerfG NJW 2006, 1261.
[10] Konzessionen wurden aufgrund der Entscheidung des VGH Kassel NVwZ 2016, 171 nicht erteilt.
[11] § 19 des Gesetzes zur Neuordnung des Glücksspiels vom 20.10.2011.
[12] So überschrieb bspw. Schenke (ZfWG 2015, 170) seinen Aufsatz zum in § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 kodifizierten Totalverbot für Online-Casinospiele. Vgl. ferner von Detten/Frenzel JuS 2010, 811; Heidfeld DVBl 2010, 1547; Leupold/Walsh WRP 2006, 97; Rinderle/Fritzemeyer CR 2004, 367.
[13] Für die verwaltungsrechtlichen Regelungen des Glücksspiels hätte die Streichung der §§ 284 ff. StGB freilich keine Bedeutung.
[14] Vgl. auch Horn NJW 2004, 2047 (2053).
[15] Bspw. Schönke/Schröder/Heine/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 284 Rn. 5; MüKoStGB/Hohmann/Schreiner, StGB § 284 Rn. 1; jew. mwN.
[16] Vgl. BeckOK StGB/Hollering, StGB § 284 Rn. 6; vgl. auch NK-StGB/Gaede, StGB § 284 Rn. 4 mwN.
[17] Vgl. NK-StGB/Gaede, StGB § 284 Rn. 5.
[18] Fischer StGB, 67. Aufl. 2020, § 284 Rn. 2a; BeckOK StGB/Hollering, StGB § 284 Rn. 6 mwN.
[19] Fall Hoyzer: BGH NJW 2007, 782 (vorausg. LG Berlin BeckRS 2006, 5289, dazu Jahn JuS 2006, 567).
[20] NK-StGB/Gaede, StGB § 284 Rn. 11; Vgl. ferner BayObLG NJW 1993, 2820 f. sowie Sack NJW 1992, 2540 (2541).
[21] Zu § 265c StGB: NK-StGB/Hellmann, StGB § 265c Rn. 45. Zu § 265d StGB: NK-StGB/Hellmann, StGB § 265d Rn. 5.
[22] Razzia gegen Sportwetten-Anbieter in Köln – es geht um Millionen, abrufbar unter: https://www.ksta.de/koeln/lindenthal/braunsfeld/koeln-razzia-gegen-sportwetten-anbieter-tipster-1-554690, zuletzt abgerufen am 10.12.2023.
[23] Bspw. regelt das RennwLottG die Besteuerung von Rennwetten (§§ 8 ff.), Sportwetten (§§ 16 ff.), öffentlichen Lotterien und Ausspielungen (§§ 26 ff.), virtuellem Automatenspiel (§§ 36 ff.) und Online-Poker (§§ 46 ff.).
[24] Vgl. bspw. BGH NStZ 2018, 335. Auf die Relevanz der Steuerhinterziehung im Glücksspielsektor weist Kümmel, wistra 2023, 229 ff. hin.
[25] Hierzu Gierok wistra 2022, 231 ff.
[26] Die weiteren Länder haben in ihren Ausführungsgesetzen teils andere Bußgeldtatbestände vorgesehen, vgl. bspw. Art. 14 Abs. 1 AGGlüStV Bayern.
[27] MüKoStGB/Hohmann/Schreiner, StGB § 284 Rn. 47.
[28] MüKoStGB/Hohmann/Schreiner, StGB § 287 Rn. 31.
[29] AnwK-StGB/Putzke, 3. Aufl. 2020, StGB § 287 Rn. 7; Schönke/Schröder/Heine/Hecker, StGB § 287 Rn. 18 mwN.
[30] Bspw. § 23 Abs. 5 AGGlüStV NRW.
[31] KK-OWiG/Mitsch, OWiG § 47 Rn. 120; BeckOK OWiG/A. Bücherl, 40. Ed. 1.10.2023, OWiG § 47 Rn. 55.
[32] Hierzu ausführlich Gierok wistra 2022, 231 ff. mwN.
[33] Schönke/Schröder/Eser/Weißer, StGB § 9 Rn. 6a mwN.
[34] KK-OWiG/Rogall, OWiG§ 7 Rn. 13 mwN.
[35] A.A. Dünchheim/Bringmann, ZfWG 2018, 502 (503 f.); BeckOK/Hollering, StGB 51. Ed. 01.11.2021, StGB § 284 Rn. 2; Kümmel wistra 2023, 228.
[36] So führt die Staatliche Lotterie- und Spielbankverwaltung des Freistaat Bayerns bspw. jedes Jahr mehr als € 400 Mio. an den Bayerischen Staatshaushalt ab (vgl. https://blog-foerdermittel.de/2023/04/lotteriefonds-und-lottostiftungen-teil-2-lotteriefoerderung-bundeslaender/ zuletzt abgerufen am 10.12.2023).
[37] Dazu zuletzt OVG Magdeburg BeckRS 2023, 29293.