HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2022
23. Jahrgang
PDF-Download

III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

503. BGH 2 StR 444/21 - Beschluss vom 23. Februar 2022 (LG Aachen)

Strafzumessung (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: in den Verkehr Geraten der gehandelten Drogen; erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden zulässigen Strafzumessungserwägungen nicht notwendig; Darlegung in den Urteilsgründen); Einziehung des Wertes von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten (Vereitelung der Einziehung von Tatmitteln: bestimmungsgemäße Verwendung); Einziehung des Wertes von Taterträgen (Verzicht des Angeklagten auf sichergestellten Barbeitrag); Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten (Tatmittel: mehrdeutige Feststellungen, Spesengelder, Tatlohn).

§ 29 BtMG; § 46 StGB; § 74c StGB; § 73c StGB; § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO

1. Dass gehandelte Drogen zum großen Teil oder vollständig in den Verkehr geraten, gehört zu den regelmäßigen Umständen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Die Tatsache, dass verkauftes Rauschgift in den Verkehr gelangt, ist deshalb kein Strafschärfungsgrund.

2. Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden zulässigen Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Das Tatgericht ist gemäß § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden

Umstände darzulegen. Es bestimmt in erster Linie die Bewertungsrichtung und das Gewicht der Strafzumessungstatsachen, wobei ihm ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum eröffnet ist.

3. Spesengelder sind nur dann Tatmittel im Sinne des § 74 Abs. 1 StGB, wenn der Täter oder Teilnehmer diese im Vorfeld der beabsichtigten Tatbegehung von einer anderen Person mit der konkreten Maßgabe erhalten hat, davon notwendige Ausgaben zu bestreiten. Erhält der Täter oder Teilnehmer sein Geld hingegen pauschal, ohne dass zwischen Spesengeld und Tatlohn differenziert wird, handelt es sich bei dem erlangten Geldbetrag in Gänze um Tatlohn.


Entscheidung

547. BGH 6 StR 606/21 - Beschluss vom 23. März 2022 (LG Schwerin)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Darstellung im Urteil: sorgfältige Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen, Darstellung der wesentlichen Umstände; Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit: vom Tatgericht wertend zu entscheidende Rechtsfrage, Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit; Gefährlichkeitsprognose: frühere Taten).

§ 63 StGB; § 20 StGB

1. Bei der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist das Tatgericht – neben der sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen – auch dazu verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.).

2. Ob eine durch einen Sachverständigen diagnostizierte schizoide Persönlichkeitsstörung gemäß ICD-10 die Voraussetzungen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erfüllt, ist eine Rechtsfrage, die das Tatgericht wertend zu entscheiden hat.

3. Stützt das Tatgericht die Gefährlichkeitsprognose auch auf frühere Taten, so müssen die im Urteil dazu getroffenen Feststellungen belegen, dass auch sie auf der Erkrankung des Täters beruhen, die die Einschränkung seiner Schuldfähigkeit bei der Anlasstat begründet.


Entscheidung

555. BGH 3 StR 398/21 - Beschluss vom 8. März 2022 (LG Aurich)

Berücksichtigung der beruflichen Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf das Leben des Angeklagten als bestimmender Strafzumessungsgrund bei Verurteilung eines Anwalts wegen Beteiligung an einer Falschaussage.

§ 46 StGB; § 114 BRAO

Die beruflichen Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf das Leben des Angeklagten sind jedenfalls dann als bestimmender Strafzumessungsgrund ausdrücklich anzuführen, wenn dieser durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert. Dass dies droht, liegt regelmäßig nahe, wenn ein Rechtsanwalt wegen Beteiligung an einer Falschaussage verurteilt wird, da hier ein Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft als anwaltsrechtliche Sanktion in Betracht kommt.


Entscheidung

552. BGH 3 StR 3/22 - Beschluss vom 8. März 2022 (LG Mönchengladbach)

Erweiterte Einziehung von Taterträgen (Subsidiarität; keine Zuordnung zu konkreten Taten); Handeltreiben mit Betäubungsmitteln.

§ 73a StGB; § 29 BtMG

Die erweiterte Einziehung von Taterträgen kommt nur in Betracht, wenn die deliktisch erlangten Gegenstände nach durchgeführter Beweisaufnahme keinen konkreten rechtswidrigen Taten zugeordnet werden können. Werden aber - wie hier - konkrete Straftaten als Herkunftstaten festgestellt, kommt nur die vorrangige Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB in Betracht, die aber grundsätzlich im Rahmen eines gesonderten Strafverfahrens wegen der Herkunftstat angeordnet werden muss.


Entscheidung

528. BGH 4 StR 475/21 - Urteil vom 17. März 2022 (LG Landshut)

Aussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zugleich mit der Anordnung (besondere Umstände: Vorliegen, Eingreifen außerstrafrechtlicher Sicherungssysteme, zivilrechtliche Unterbringung in einer betreuten Wohneinrichtung, Reduktion der fortbestehenden Gefährlichkeit auf ein vertretbares Maß).

§ 67b StGB

1. Gemäß § 67b Abs. 1 Satz 1 StGB kann die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Besondere Umstände in diesem Sinne sind Umstände in der Tat, in der Person des Täters oder in seiner gegenwärtigen oder künftigen Lage, die erwarten lassen, dass die von ihm ausgehende Gefahr weiterer Taten abgewendet oder doch so abgeschwächt werden kann, dass trotz fortbestehender Gefährlichkeit zunächst ein Verzicht auf den Vollzug der Maßregel gewagt werden kann.

2. Als besonderer Umstand in diesem Sinne kommt dabei auch das Eingreifen außerstrafrechtlicher Sicherungssysteme wie etwa die zivilrechtliche Unterbringung in einer betreuten Wohneinrichtung in Betracht. Insbesondere ist auch zu prüfen, ob die im Fall einer Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung nach § 67b Abs. 2 StGB kraft Gesetzes eintretende Führungsaufsicht und damit verbundene Überwachungsmöglichkeiten sowie die Aussicht auf einen im Falle des Weisungsverstoßes drohenden Bewährungswiderruf eine hinreichende Gewähr dafür bieten, dass die fortbestehende Gefährlichkeit auf ein vertretbares Maß reduziert wird.


Entscheidung

544. BGH 6 StR 63/22 - Beschluss vom 23. März 2022 (LG Weiden)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang; Absehen von einer Begutachtung des Angeklagten; sog. „Evidenzfälle“; eigene Angaben des Angeklagten).

§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO; § 64 StGB

1. Das Tatgericht darf von einer Begutachtung des Angeklagten auch dann absehen, wenn es eine grundsätzlich in Betracht kommende Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht in Erwägung zieht, weil nach den Umständen des Einzelfalls das Fehlen der Anordnungsvoraussetzungen

auf der Hand liegt. Dies gilt nicht nur für Fälle offensichtlich fehlender Erfolgsaussicht, sondern auch für Konstellationen evident fehlenden Hangs.

2. Verschafft sich das Tatgericht etwa die sichere Überzeugung, dass der Angeklagte unter dem Eindruck des Strafverfahrens den Drogenkonsum eingestellt hat und nach längerem Zeitablauf im maßgebenden Zeitpunkt des Urteils weiterhin abstinent lebt, so bedarf es keiner Hilfe durch einen Sachverständigen mehr.

3. Die Feststellung einer stabilen Abstinenz mit der Folge des Vorliegens eines Evidenzfalles ist nicht hinreichend belegt, wenn sich das Tatgericht ausschließlich auf die eigenen Angaben des Angeklagten stützt, ohne diese jedoch in irgendeiner Weise zu hinterfragen.


Entscheidung

520. BGH 4 StR 357/21 - Beschluss vom 1. März 2022 (LG Hagen)

Einziehung von Taterträgen (durch die Tat erlangt: Vorliegen); Betrug (Vermögensschaden: Gefährdungsschaden, Besitz einer Bankkarte, Geheimzahl, Vertiefung und Verfestigung des Schadens; Beendigung: Tatplan, Vermögensvorteil).

§ 73 StGB; § 73c StGB; § 263 StGB

1. Ein Vermögenswert ist nach § 73 Abs. 1 StGB „durch die Tat“ erlangt, wenn er dem Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann, und ihm so aus der Tat unmittelbar messbar zugutegekommen ist.

2. Ein Betrug ist erst beendet, wenn der Vermögensvorteil beim Täter endgültig eingetreten ist. Maßgeblich ist hierbei die Erlangung des (letzten) vom Tatplan umfassten Vermögensvorteils.