Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2022
23. Jahrgang
PDF-Download
1. Mittäter treten einheitlich in das Versuchsstadium ein, sobald auch nur einer von ihnen zu der tatbestandlichen Ausführungshandlung unmittelbar ansetzt.
2. Nach den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung von Vorbereitungshandlungen zum strafbaren Versuch liegt ein unmittelbares Ansetzen bei solchen Handlungen vor, die nach der Vorstellung des Täters in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht, wobei auf die strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Tatbestände Bedacht zu nehmen ist.
3. Nicht als Zwischenakte in diesem Sinne anzusehen sind Handlungen, die wegen ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tathandlung nach dem Plan des Täters als deren Bestandteil erscheinen, weil sie an diese zeitlich und räumlich angrenzen und mit ihr im Falle der Ausführung eine natürliche Einheit bilden; dies kann auch für ein notwendiges Mitwirken des Opfers gelten. Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung im Einzelfall sind u. a. die Dichte des Tatplans und der Grad der Rechtsgutsgefährdung.
4. § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB, der als persönlicher Strafaufhebungsgrund für jeden Tatbeteiligten gesondert zu prüfen ist, verlangt ohne Rücksicht auf die Frage, ob ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt, die bewusste Verhinderung der Tatvollendung. Dabei bestehen grundsätzlich die gleichen Anforderungen wie beim Alleintäter, so dass insbesondere das Verhalten des Zurücktretenden für das Ausbleiben der Vollendung zumindest mitursächlich werden muss.
5. Das die Tatvollendung verhindernde Verhalten muss dabei nicht notwendig in einem auf die Erfolgsabwendung gerichteten aktiven Tun liegen. Kann einer von mehreren Tatbeteiligten den noch möglichen Eintritt des Taterfolgs allein dadurch vereiteln, dass er seinen vorgesehenen Tatbeitrag nicht erbringt oder nicht fortführt, so verhindert bereits seine Untätigkeit oder sein Nichtweiterhandeln die
Tatvollendung. Ist dem Beteiligten dies im Zeitpunkt der Verweigerung oder des Abbruchs seiner Tatbeteiligung bekannt und handelt er dabei freiwillig, liegen damit die Voraussetzungen für einen Rücktritt nach § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB vor.
6. Ein solcher Rücktritt eines Tatbeteiligten durch schlichtes Unterlassen kommt in Betracht, wenn nach seiner Vorstellung ohne ihn der verabredete Plan nicht zu verwirklichen ist, etwa wenn nur er über die erforderlichen Tatwerkzeuge oder Fertigkeiten verfügt. Gleiches gilt, wenn ein Beteiligter seinen Tatbeitrag in der begründeten Überzeugung verweigert, die anderen Tatbeteiligten würden die Tat allein aufgrund seiner Untätigkeit nicht weiter durchführen. Denn der Tatbeteiligte gibt auch in diesem Fall seinen Vollendungsvorsatz vollständig auf und wählt eine Rettungsmöglichkeit, die er für geeignet und ausreichend hält, den Taterfolg zu verhindern. Geht der Tatbeteiligte hingegen von der Gefahr der Tatvollendung durch den oder die Mittäter aus, bedarf der Rücktritt wie beim beendeten Versuch des Einzeltäters eines auf die Erfolgsabwendung gerichteten aktiven Tuns.
7. Darüber hinaus kann ein Rücktritt aller Tatbeteiligten zu bejahen sein, wenn sie im Falle eines unbeendeten Versuchs einvernehmlich nicht mehr weiterhandeln, obwohl sie den Taterfolg noch herbeiführen könnten.
8. Maßgeblich ist in allen Fällen die subjektive Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont). Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei besonders gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an. Das Tatgericht hat eine Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände vorzunehmen.
2. Bei spontanen, unüberlegt oder in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus der Kenntnis der Gefahr des möglichen Todeseintritts nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das voluntative Vorsatzelement gegeben ist.
1. Auch wenn es keinen gesicherten medizinischstatistischen Erfahrungssatz gibt, nach dem allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit vom Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden muss, ist der im Einzelfall festzustellende Wert ein gewichtiges Beweisanzeichen für eine erhebliche alkoholische Beeinflussung. Maßgeblich für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, ist dementsprechend eine Gesamtwürdigung, in die sowohl die Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch psychodiagnostische Kriterien einzustellen sind.
2. Im Rahmen der Anwendung psychodiagnostischer Kriterien sind nur solche Umstände zu berücksichtigen, die aussagekräftige Hinweise darauf geben können, ob das Hemmungsvermögen des Täters bei Begehung der Tat erhalten geblieben ist oder nicht. Aus planvollem und situationsgerechtem Vorgehen, das lediglich die Verwirklichung des Tatvorsatzes darstellt, oder der Flucht des Täters vom Tatort lassen sich regelmäßig keine tragfähigen Schlüsse auf die Steuerungsfähigkeit des Täters ziehen. Bei hoher Alkoholgewöhnung können äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit zudem durchaus weit auseinander fallen. Bei Alkoholikern zeigt sich oft eine durch ‚Übung‘ erworbene erstaunliche Kompensationsfähigkeit im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten.
1. Unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Handlungseinheit liegt eine Tat im sachlich-rechtlichen Sinne nur vor, wenn mehrere im Wesentlichen gleichartige Handlungen aufgrund ihres engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs so miteinander verbunden sind, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches Geschehen darstellt, und die Handlungen von einem einheitlichen Willen getragen werde.
2. Gewerbsmäßig handelt ein Täter, wenn er die Absicht hat, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang
zu verschaffen. Gewerbsmäßigkeit setzt nicht voraus, dass mehrere Taten begangen sind. Vielmehr genügt bereits eine Tat, wenn sie auf einem auf Wiederholung gerichteten Willen beruht. Die Einnahmen müssen auch nicht die Haupteinnahmequelle sein, ein Nebenerwerb genügt, sofern die daraus erwarteten Einnahmen einigen Umfang und einiges Gewicht haben.
3. Nach § 18 Abs. 2 JGG ist die Höhe der Jugendstrafe in erster Linie an erzieherischen Gesichtspunkten auszurichten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist.
1. In Verdeckungsabsicht im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB handelt, wer als Täter ein Opfer deswegen tötet, um dadurch eine vorangegangene Straftat als solche oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände geben könnten. Zu den einer Verdeckung zugänglichen Tatumständen gehört insbesondere die eigene Beteiligung an der vorangegangenen Tat.
2. Schon begrifflich scheidet eine Tötung zur Verdeckung einer Straftat dagegen aus, wenn diese bereits aufgedeckt ist. Für die Beurteilung dieser Frage kommt es nicht auf die objektiv gegebene Sachlage, sondern ausschließlich auf die subjektive Sicht des Täters an. Solange der Täter subjektiv davon ausgeht, dass die Umstände der Tat noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang bekannt sind, kommt eine Tötung aus Verdeckungsabsicht in Betracht.
3. Auch der mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgehende Täter kann mit Verdeckungsabsicht handeln. Dies setzt indessen voraus, dass der Täter davon ausgeht, die Aufdeckung der vorangegangenen Straftat durch die mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführte Tathandlung als solche unabhängig vom Eintritt eines Todeserfolgs verhindern zu können. Hält er dagegen den erstrebten Verdeckungserfolg nur durch den Tod des Opfers für erreichbar, sind bedingter Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht nicht miteinander in Einklang zu bringen. Denn der zielgerichtete Wille, eine Straftat gerade durch Herbeiführung eines Todeserfolgs zu verdecken, und die bloße Billigung einer nur als möglich erkannten Todesfolge schließen sich gegenseitig aus.
1. Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung). Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungsbetrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung.
2. Ist der Getäuschte ein Risikogeschäft eingegangen, so stellt im Rahmen der vorzunehmenden Saldierung ein drohender, ungewisser Vermögensabfluss erst dann einen Schaden dar, wenn der wirtschaftliche Wert des Vermögens bereits gesunken ist, wenn also der Geldwert des seitens des Getäuschten erworbenen Anspruchs infolge der Verlustgefahr geringer ist als derjenige der eingegangenen Verpflichtung. Dieser Minderwert des im Synallagma Erlangten ist unter wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu bestimmen und festzustellen. Erwirbt der Getäuschte einen (Rückzahlungs-)Anspruch gegen eine Gesellschaft, bedarf es im Rahmen der vorzunehmenden Saldierung für die wirtschaftliche Feststellung des Anspruchswertes einer Bewertung des vorhandenen Unternehmensvermögens und der zu prognostizierenden Unternehmensentwicklung, die – ggf. mit sachverständiger Hilfe – nach wirtschaftswissenschaftlichen Bewertungsverfahren beziffert und in den Urteilsgründen dargelegt werden müssen.
Ein Täter, der sich eine fremde Sache bereits durch eine strafbare Handlung zugeeignet hat, kann sich diese in einem späteren Zeitpunkt nicht noch einmal im Sinne von § 246 Abs. 1 StGB zueignen, ohne vorher seine Scheineigentümerposition wieder aufgegeben zu haben (vgl. BGHSt 14, 38, 46 f.); dies gilt nicht nur im Verhältnis der Unterschlagung zu einem anderen Eigentums- oder Vermögensdelikt wie etwa Diebstahl oder Betrug, sondern auch für Unterschlagungen zueinander.
1. Ein Beweggrund ist niedrig i.S.d. § 211 StGB, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind.
2. Ist eine vorsätzliche Tötung von dem Motiv des Angeklagten getragen, ein kindliches (hier: 13 Jahre altes) Opfer für dessen aus Sicht des Angeklagten „respektloses“ Verhalten mit dem Tod zu bestrafen, legt das die Annahme niedriger Beweggründe regelmäßig nahe. Dies gilt umso mehr, wenn der Angeklagte das von ihm als „respektlos“ angesehene Verhalten durch eigene Provokationen erst ausgelöst hat. Das spontane Fassen des Tatentschlusses schließt die Annahme niedriger Beweggründe insofern nicht aus.
Für das Merkmal „auf der Stelle zur Tat hingerissen“ im Sinne des § 213 StGB ist nicht entscheidend, ob sich die Tat als „Spontantat“ darstellt. Vielmehr kommt es darauf an, ob der durch eine schwere Provokation, die in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls auch bereits in Ohrfeigen liegen kann, hervorgerufene Zorn noch angehalten und als nicht durch rationale Abwägung unterbrochene Gefühlsaufwallung fortgewirkt hat. Entscheidend ist, dass ein motivationspsychologischer Zusammenhang zwischen der Misshandlung oder Beleidigung durch das Opfer und der Körperverletzungshandlung des Täters. War der Täter dagegen schon vor der Provokation zur Tat entschlossen, ist § 213 StGB nicht gegeben.
Der Täter muss durch die körperliche Misshandlung im Sinne des § 213 Var. 1 StGB nicht in einen Affekt im Sinne der §§ 20, 21 StGB versetzt werden. Es reicht vielmehr aus, wenn er durch die körperliche Misshandlung im unmittelbaren Handlungszusammenhang zu einer eigenen Körperverletzungshandlung hingerissen wurde.