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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2021
22. Jahrgang
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Von RiOLG Univ.-Prof. Dr. Dennis Bock, Kiel[*]
Der Beschluss des 4. Strafsenats des BGH hebt eine landgerichtliche Verurteilung wegen Zuhälterei (§ 181a StGB) auf; die Feststellungen belegten eine täterschaftliche Begehungsweise nicht – weder eine "alleintäterschaftliche" (Rn. 11) noch eine "mittäterschaftlich begangene" (Rn. 12). Gegenstand dieser knapp gehaltenen Anmerkung soll aber nicht die Anwendung des § 25 StGB[1] auf den mit etwas skurrilen Tatbestandsmerkmalen (v.a. "Beziehungen zu ihr unterhält"[2]) versehenen § 181a StGB sein, sondern vielmehr eine (wenn ggf. auch) haarspalterische Auseinandersetzung mit einem einzigen Satz der Entscheidung.
Im antizipierten Werben um Verständnis für ein solches Vorgehen sei die Perspektive des (Hochschul-)Lehrers angeführt, der seine Studenten zu begrifflicher und struktureller Akribie anhalten muss, damit diese nicht in (Prüfungs-)Situationen eine sprachliche und damit letztlich kognitive und stoffliche Unbekümmertheit an den Tag legen, die ihnen ein Prüfer nicht mehr durchgehen lässt (wenn auch der Hochschullehrer selbst manchmal bei Verstößen gegen die selbst aufgestellten Regeln zur Sorgfalt in der Sprache ertappt werden mag). Obschon der BGH andere Aufgaben sowie einen hochprofessionellen, kompetenten und verständigen Leserkreis hat, mag der Hinweis auf sprachliche Sorgfalt im Hinblick auf (in ihren Grundzügen auch zu Ausbildungszwecken heranzuziehenden) Entscheidungen daher von Interesse sein.
Der (mich) stutzig machende Satz lautet (Rn. 9):
"Nach § 25 Abs. 1 Fall 1 StGB ist unmittelbarer Täter einer Straftat nur, wer alle Tatbestandsmerkmale in eigener Person verwirklicht (vgl. BGH, Urteil vom 12. August 1998 – 3 StR 160/98; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 25 Rn. 3 mwN)."
1. Aus didaktischer Alltagssicht interessant ist bereits, dass der 4. Strafsenat die beiden durch "oder" in § 25 I StGB verknüpften Täterschaftsarten als "Fälle" bezeichnet, während in anderen Entscheidungen von "Varianten"[3] oder "Alternativen"[4] die Rede ist; bestehende Bedeutungsunterscheide dieser Begriffe sind außer in der Umgangssprache mittlerweile auch in der Rechtssprache nivelliert. Selbst das StGB verwendet "Alternative" – fehlerhaft – auch bei mehr als zwei Möglichkeiten oder dann, wenn die in Bezug genommenen Möglichkeiten nicht in einem logischen Ausschlussverhältnis stehen (so in § 140 StGB).
2. Der 4. Strafsenat behauptet, dass "nach" der angeführten Norm des StGB etwas zum "unmittelbaren Täter" zum Ausdruck gebracht wird. Gewiss ist es in Rspr. und Lehre absolut gängig, § 25 I 1. Var. StGB als unmittelbare Täterschaft zu bezeichnen; kein Ausbildungsliterat kann
das ignorieren. Im Normtext findet sich die Terminologie dennoch nicht (was auch für die sog. mittelbare Täterschaft gilt; anders verhält es sich mit der Mittäterschaft in § 25 II StGB). An sich wäre von Selbstbegehungstäterschaft o.ä. zu sprechen, was freilich aufgrund unästhetischer Sperrigkeit schlechte Chancen haben wird. Wer Studenten gesetzesnah ausbilden will/muss, kennt an typischen Stellen kritische (und daher zu Ausbildungszwecken besonders wertvolle) Rückfragen nach dem Ursprung gesetzesferner Begriffe (weitere Beispiele sind etwa aus dem Allgemeinen Teil die beim Rücktritt üblichen Begriffe "fehlgeschlagener", "unbeendeter" oder "beendeter" Versuch; ferner der Begriff der sog. Garantenstellung; eine begriffliche (und methodische) Katastrophe ist ferner die sog. objektive Zurechnung; aus dem Besonderen Teil etwa die sog. Täuschung beim Betrug oder gewisse Merkwürdigkeiten (etwa im Prüfungsaufbau) bei überschießenden Innentendenzen in den §§ 242 I, 263 I StGB). Insgesamt sei daher einmal die Beachtung der Problematik der Herkunft strafrechtlicher Begriffe angemahnt. Da der (begriffliche) Sprung vom "Conat" zum Versuch geglückt ist, gelingen vielleicht auch weitere Sprünge. Gemeint ist keine Abneigung gegenüber Fremdwörtern; auch und gerade deutsche Begriffe müssen sich darauf überprüfen lassen, ob sie den geltenden Normtext angemessen reflektieren, sofern man nicht Ziele de lege ferenda verfolgt.
Wird nämlich die Unmittelbarkeit herausgehoben (gewiss als Gegenstück zur Mittelbarkeit, die leichter von der Zunge geht als – wortlautnäher – ein Durch-einen-anderen-Begehen o.ä.), so birgt das gefährliche Missverständnisse, zumindest in Ansehung der üblichen Auslegungsergebnisse.[5] Rasch dürfte es zwar einleuchten, dass es nicht auf einen eigenkörperlichen Kontakt o.ä. ankommt: Auch wer einen Hund hetzt oder ein Messer wirft, ist sog. unmittelbarer Täter. Schwierig wird es aber dann, wenn nach der Handlung ein weiterer Mensch tätig wird. Der sog. mittelbare Täter mag noch nach einem Defekt des Werkzeugs (um weitere gängige gesetzesferne Begriffe aufzugreifen) abzuschichten sein; mit einer nachgelagerten Beihilfe verliert der Begriff der Unmittelbarkeit endgültig an Plausibilität, jedenfalls wenn man nicht täterschaftsbegründend auf eine Letztkomplettierung der Ursachengesamtheit abstellen möchte.[6]
Der 4. Strafsenat selbst spricht in der Entscheidung kurz danach auch von "alleintäterschaftlich", was nicht nur ein anderer Begriff ist, sondern auch inhaltlich ganz andere Konnotationen birgt. Ist überhaupt nur ein einziger Mensch für einen tatbestandlichen Erfolg ursächlich geworden, besteht in den üblichen Bahnen der Äquivalenzlehren an einem Begehen und mithin an einer Täterschaft kein Zweifel. Erst das Zusammenwirken mehrerer menschlicher Kausalfaktoren lässt das Bedürfnis nach einer Zuordnung der einzelnen Handlungen zu der im deutschen StGB angelegten Beteiligungsdogmatik entstehen. Betrachtet man wiederum eine nachgelagerte Beihilfe (z.B. durch einen Kurier, der etwa eine – von jemand anderem scharf geschaltete – Bombe dem Tatopfer überbringt), so ist der Begriff der Alleintäterschaft selbst als prägnant summarisches Ergebniswort um keinen Deut besser. Ob ferner überhaupt dem § 25 StGB ein eigener Sachgehalt jenseits der ursächlichen Handlung beizumessen ist (zumindest im Lichte der Existenz der §§ 26, 27 StGB) und inwiefern es der ergänzenden Bestimmungen zur sog. mittelbaren Täterschaft und zur Mittäterschaft überhaupt bedürfte, sind grundlegende Fragen[7], deren Beantwortung durch ein etabliertes System gesetzesfremder Strukturbegriffe (und inhaltlicher Vorstellungen?) nicht erleichtert wird.
1. Das StGB kennt durchaus die Begriffe "Tatbestand", "Verwirklichen" (s. etwa § 16 II StGB und auch – selten und in diverser Bedeutung – "Merkmal" (im hier interessierenden Kontext v.a. § 46 II StGB); und in der Tat muss für eine Strafbarkeit der (gesetzliche) Tatbestand verwirklicht sein (Passivpartizip!), es müssen also alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sein, positive Voraussetzungen müssen gegeben sein, negative dürfen es nicht. Nun realisiert sich aber eine gewisse Gefahr der Umformulierung von Normtexten: Nach § 25 StGB muss der Täter "die Straftat" begehen. Der Begriff der "Straftat" (erst recht der der "Tat") ist schlecht fassbar, da ihm selbst innerhalb des StGB verschiedene Bedeutungen zukommen.[8] Keinesfalls aber muss der Täter alle Tatbestandsmerkmale verwirklichen; er kann es auch nicht:
2. Selbst knappe Tatbestande sind so gestrickt, dass der Täter bestimmte Eigenschaften aufweisen muss, dass es einen Tatgegenstand gibt (Tatobjekt oder Tatopfer, terminologisch fasst § 23 III StGB beides zusammen), und dass der Täter eine Handlung vornehmen muss, die den Tatgegenstand verändert. I.R.d. § 303 I StGB muss der Täter ein Mensch sein (zumindest als Teil des strafrechtlichen Handlungsbegriffs), das Tatobjekt muss eine fremde Sache sein, seine Handlung muss eine solche sein, die das Tatobjekt beschädigt oder zerstört. Der Täter kann und muss die für ihn erforderlichen Eigenschaften an den Tag legen; er muss sich ferner im tatbestandsmäßigen Sinne verhalten. Selbst wenn man die Verhaltensfolgen (v.a. Erfolgseintritt) noch als Verwirklichen ansähe[9], keinesfalls verwirklichen kann er die Tatobjektsqualität "fremde Sache" (§ 303 I StGB verlangt schließlich nicht, dass der Täter das Tatobjekt selbst herstellt und vor Tatbegehung an einen Dritten übereignet!). Diese muss nur vorliegen und der Täter muss entsprechenden Vorsatz aufweisen (§§ 15, 16 I 1 StGB). Damit verwirklicht also niemand alle Tatbestandsmerkmale der Sachbeschädigung selbst. Jeder weiß, was der Strafsenat meinte; besser (wissenschaftlich und didaktisch) wäre es, wenn er es auch sagen würde. Um Präzision und ggf. Klarstellung zu erzwingen, kann es sinnvoll
sein, pedantisch (destruktiv?) zu sein. Es kann auch sinnvoll sein, einmal ein nicht sachgerechtes Ergebnis zu vertreten, um den Gesetzgeber dazu zu bewegen, eine missverständliche Norm zu verbessern.[10] Festzuhalten ist jedenfalls, dass sich die Wissenschaft vom Allgemeinen Teil des Strafrechts bisweilen zu sehr von Ausbildungserfordernissen (i.S. einer Rezeption hergebrachter "Üblichkeiten") und Bedürfnissen der Praxis vereinnahmen lässt.
3. Eine gewisse Folgewirkung zeigt die Vernachlässigung der Kategorisierung von Tatbestandsmerkmalen im Bereich des Vorsatzes: Sein eigenes Verhalten kann der Täter wissen und wollen; die Existenz eines Tatobjekts kann man nicht wollen (nur erkennen und davon sein Handeln beeinflussen lassen); den Erfolgseintritt kann der Täter nicht wissen (der liegt ja mit Blick auf den Zeitpunkt seines Verhaltens noch in der Zukunft; wissen kann er nur die diesbzgl. Gefahrschaffung[11]). Pedanterie oder Genauigkeit? Gebietet Ergebnisgleichheit Gleichgültigkeit bzgl. der Begrifflichkeit und Strukturierung?[12]
1. Während es in § 25 I 1. Var. StGB heißt, dass der Täter die Straftat "selbst" begeht, formuliert der Strafsenat um zu "in eigener Person". Dies ist eine nur scheinbare Definitionskomponente durch Verwendung eines synonymen Ausdrucks. Abgesehen von der methodisch beanstandenswerten Veränderung des Gesetzestexts ist der neue Begriff überdies missverständlich(er) dahingehend, dass die Assoziation der Eigenhändigkeit bzw. Eigenkörperlichkeit durch eine Art Näheverhältnis zum Rechtsgutsträger verstärkt wird, was wiederum nicht zu den Lehren äquivalenter Kausalität passt (die im Übrigen zwar ganz herrschend, aber keinesfalls unanfechtbar sind[13]), deren Abänderung § 25 I 1. Var. StGB nicht hergibt. Es bleibt die Trivialität, dass wir menschliche Handlungen bestrafen, welche sich unter Normtext des StGB subsumieren lassen. Insofern ist gegen das konkret vom BGH gefundene Ergebnis auch nichts zu erinnern.
2. Es ist bei alledem ja gerade die Frage, was die Selbstbegehung der Straftat ausmacht, die durch die vom 4. Strafsenat verwendete Formel eher vernebelt wird. An sich angängig stellt der BGH verschiedene Beteiligungs(unter)formen nebeneinander bzw. prüft sie nacheinander. Freilich zeigt sich in der Art der Begründung, wie die sog. unmittelbare Täterschaft abgelehnt wird, eine verfahrensökonomisch verständliche, aber eben zu kurz gegriffene Verfahrensweise: Anstatt eine (ggf. aus den anderen Beteiligungsformen heraus entwickelte, ggf. nach Allein- oder Mehrpersonenhandeln differenzierte) Subsumtionshilfe für die sog. unmittelbare Täterschaft oder Alleintäterschaft in Gestalt einer vollständigen oder wenigstens partiellen Definition auch nur zu unternehmen, damit unter deren Merkmale eine Subsumtion der landgerichtlichen Feststellungen stattfinden kann, folgen zwei Fundstellen (wobei die Usance, den Aussagegehalt durch ein "vgl." zu verunklaren, auch zu konstatieren ist). Die in der zitierten BGH-Entscheidung[14] gemeinte Passage lautet: "Wer Betäubungsmittel durch Führen eines Fahrzeugs über die Grenze verbringt, ist, weil er alle Tatbestandsmerkmale in seiner Person verwirklicht, grundsätzlich auch dann Täter der unerlaubten Einfuhr, wenn er nur unter dem Einfluß und in Gegenwart des Mittäters in dessen Interesse handelt (BGHSt 38, 315)." Erstens unterläuft auch dieser Entscheidung der Lapsus bzgl. der Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale; zweitens zeigt sich, dass ein methodisch merkwürdiges Prüfvorgehen zu eher schief anmutenden Sätzen führt, freilich u.U. durch das angefochtene Urteil des Landgerichts bedingt. Sind die Voraussetzungen des § 25 I 1. Var. StGB erfüllt, bedarf es keiner Zurechnung mittäterschaftlicher Beiträge im Zusammenwirken mit anderen Menschen mehr. Auch die angeführte Kommentar-Fundstelle[15] ist fehlerhaft in der Gleichsetzung von Straftatbegehung und Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale; natürlich ist wiederum jedem klar, was gemeint ist. Aber ob das der Maßstab ist, den man an einen juristischen Satz, beginnend im ersten Semester, anlegt (oder jedenfalls anlegen sollte), bleibt dem Leser überlassen.
[*] Der Verfasser RiOLG Univ.-Prof. Dr. Dennis Bock ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Internationales Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
[1] Zu einigen Überlegungen § 25 II StGB betreffend Bock ZJS 2020, 427 (anlässlich BGH B. v. 26.3.2019 – 4 StR 381/18 = NStZ-RR 2019, 203 = HRRS 2019 Nr. 643).
[2] Zu diesem etwa (zu Recht kritisch) Renzikowski, in: MK-StGB, 4. Aufl. 2021, § 181a Rn. 31 ff.
[3] Z.B. BGH U. v. 04.03.1996 – 3 StR 494/94 – BGHSt 42, 65 (67).
[4] Übrigens bzgl. § 181a I Nr. 2 StGB auch in der hier besprochenen Entscheidung selbst.
[5] Was sog. unmittelbare Täterschafft ausmacht, ist in der Literatur und Rspr. ohnehin recht vernachlässigt, s. aber Hoyer, in: SK-StGB, 9. Aufl. 2017, § 25 Rn. 28 ff.
[6] Ausf. zum Stand der Debatte um notwendige und hinreichende Bedingungen im Rahmen strafrechtlich relevanter Verursachungen Kindhäuser ZIS 2016, 574.
[7] Hierzu m.w.N. Bock, AT, 2. Aufl. 2021, 2. Kap. B X.
[8] Vgl. nur in den §§ 1, 11 I Nr. 5 und 24 StGB.
[9] Grundlegend für die Scheidung von Verhalten und Verhaltensfolgen Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988.
[10] Z.B., falls man Bemühungen in Richtung der Pönalisierung eines sog. furtum usus (etwa i.R.d. § 242 I oder § 303 I StGB) anstoßen möchte.
[11] S. Freund/Rostalski, AT, 2. Aufl. 2019, 7/41.
[12] Zu etwaigem bloßen "Umräumen von Möbeln auf offener Bühne" (im Sinne einer bloßen Neubeschreibung der Begründung bei identischen Falllösungsergebnissen) s. Hoyer, in: FS Frisch, 2013, 224.
[13] Ausf. Haas, Kausalität und Rechtsverletzung, 2002.
[14] BGH U. v. 12.08.1998 – 3 StR 160/98.
[15] Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 25 Rn. 3: "Unmittelbarer Täter ist, wer die tatbestandsmäßige Tat selbst begeht, also sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht".