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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2021
22. Jahrgang
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Von Rechtsanwalt Dr. Mathis Bönte, Münster
Das Europäische Parlament hat den Klimanotstand ausgerufen und damit – wie zahlreiche weitere Institutionen weltweit – signalisiert, dass es die eindringlichen Warnungen seitens der Wissenschaft bemerkt hat.[1] In der Schweiz hat ein Bezirksgericht Klimaaktivist*innen wegen rechtfertigenden Notstandes freigesprochen, nachdem sie sich trotz Aufforderung nicht aus einer Bankfiliale entfernt hatten, wo sie auf klimaschädliche Investitionen aufmerksam gemacht hatten.[2]
In Deutschland finden ähnliche Aktionen statt. Schüler*innen bleiben ohne Beurlaubung dem Unterricht fern, um unter dem Namen "Fridays for Future" zu demonstrieren. Aktivist*innen von "Ende Gelände" besetzen Anlagen der Braunkohleindustrie und "Extinction Rebellion" blockiert Straßen. Gemeinsam ist diesen Aktionen, dass rechtliche Regelungen demonstrativ verletzt werden, um politische Aufmerksamkeit zu erregen. Häufig handelt es sich um Straf- oder Bußgeldtatbestände.
Im Folgenden wird untersucht, ob in solchen Fällen des zivilen Ungehorsams[3] eine Rechtfertigung nach § 34 StGB (bzw. § 16 OWiG) in Betracht kommt. Inwieweit die Norm letztendlich eingreift, hängt von den Verhaltensweisen, Erkenntnismöglichkeiten und Vorstellungen der Beteiligten ab. Die Strafbarkeit (bzw. Ordnungswidrigkeit) kann daher nur anhand des Einzelfalls beurteilt werden.
§ 34 StGB verlangt eine Gefahr, d.h. die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts, für ein beliebiges Rechtsgut.[4] Die geschilderten Aktionen haben zum Ziel, Gefahren der globalen Erwärmung zu begegnen. Zu welchen Schäden sie führen kann, ist für Laien schwer zu beurteilen.
Dies wirft die Frage auf, auf wessen Perspektive es im Rahmen des § 34 StGB ankommt. Nach einer Ansicht soll nur zu berücksichtigen sein, was nach dem Wissensstand der konkreten Person oder einer sorgfältigen Person aus deren Verkehrskreis erkennbar ist. Nach einer anderen Auffassung sind unabhängig davon Fachkenntnisse oder gar (theoretisch) das gesamte menschliche Erfahrungswissen zu berücksichtigen.[5] Im Rahmen die-
ses Aufsatzes kann weder die Perspektive einzelner Aktivist*innen noch der Wissensstand von Expert*innen oder gar das gesamte menschliche Wissen zu möglichen Folgen der globalen Erwärmung herausgearbeitet werden.
Es kann jedoch dargestellt werden, was interessierte Laien aus seriösen Quellen[6] in Erfahrung bringen können. Dies dürfte zum einen den Erkenntnismöglichkeiten vieler Aktivist*innen entsprechen. Zum anderen lässt sich damit ein Eindruck von wissenschaftlichen Erkenntnissen zur globalen Erwärmung und damit von dem Wissen verschaffen, über das Fachleute bzw. die Menschheit verfügen.
Mit globaler Erwärmung ist gemeint, dass die Temperaturen auf der Erde seit der Industrialisierung im Durchschnitt steigen (bisher um etwa 1,2°C), weil menschliche Emissionen zu einem Anstieg der Treibhausgaskonzentration (v.a. von CO2 durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas) in der Atmosphäre führen und dadurch mehr Wärmestrahlung innerhalb der Atmosphäre gehalten wird.[7]
Gefährlich sind die damit zusammenhängenden Veränderungen. Überall auf der Welt haben sich die Menschen auf die vor Ort herrschenden Umweltbedingungen eingestellt. Die globale Erwärmung verändert sie auf vielfältige, miteinander zusammenhängende und nicht überschaubare Weise.[8] Je drastischer sie sich verändern, desto weniger können sich Menschen anpassen,[9] was das Risiko von Fluchtbewegungen und Kriegen erhöht.[10]
Welches Ausmaß die Folgen annehmen können, lässt die (Klima-)Geschichte der Menschheit erahnen. Die ältesten menschlichen Knochen, die bisher gefunden wurden, sind etwa 300.000 Jahre alt.[11] Während dieses Zeitraums herrschten lange Eiszeiten, die regelmäßig von kurzen Warmzeiten unterbrochen wurden. Wie Abbildung 1 erkennen lässt, hat sich das Klima vergleichsweise stark verändert.
Abbildung 1: CO2-Konzentration und Temperaturschwankungen über die letzten 400.000 Jahre anhand eines Eisbohrkerns aus der Antarktis. Ursache für die natürlichen Klimawandel waren Veränderungen der Erdumlaufbahn und der Erdachse. Infolge des daraus resultierenden Temperaturanstiegs haben die Meere CO2 abgegeben, was zu weiterer Erwärmung führte (klimafakten.de v. 07.2014, abrufbar unter https://www.klimafakten.de/behauptungen/behauptung-der-co2-anstieg-ist-nicht-ursache-sondern-folge-des-klimawandels (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021)).
Die meiste Zeit waren Menschen als nomadisch lebende Jäger*innen und Sammler*innen in kleinen Gruppen organisiert. Änderten sich die Umweltbedingungen vor Ort, waren ihre Lebensgrundlagen unmittelbar bedroht. Sie konnten jedoch häufig weiterziehen, ohne Konflikte mit anderen Gruppen heraufzubeschwören, weil es vergleichsweise wenig Menschen gab. Kam es trotzdem zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, blieben die Auswirkungen regional begrenzt.[12]
Wie Abbildung 2 zeigt, herrscht seit rund 10.000 Jahren eine relativ stabile Warmzeit (das Holozän). Erst in dieser Zeit sind die Menschen sesshaft geworden, haben die Landwirtschaft und alle weiteren Errungenschaften der Zivilisation entwickelt. Auch haben sie sich stark vermehrt und sind mittlerweile global vernetzt.[13]
Abbildung 2: Veränderung der weltweiten Durchschnittstemperatur seit der letzten Eiszeit sowie Projektionen bei verschiedenen Emissionsszenarien (RCP2.6-RCP8.5). Gelb bis rot markiert sind Bereiche, in denen Kippelemente ihren Kipppunkt erreichen können (Schellnhuber/Rahmstorf/Winkelmann, Nature Climate Change 6, 649-653 (2016), https://doi.org/10.1038/nclimate3013 ). Die Daten für den Zeitraum vor der Industrialisierung beruhen nicht auf Messungen mit Thermometern, sondern auf der Untersuchung von Eisbohrkernen, Baumringen, Sedimenten usw. Es handelt sich um Mittelwerte für längere Zeiträume, die allerdings eine derartige Erwärmung wie seit der Industrialisierung nicht verstecken würden (vgl. dazu Rahmstorf, KlimaLounge v. 17.06.2013, abrufbar unter: https://scilogs.spektrum.de/klimalounge/palaeoklima-das-ganze-holozaen/ (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021)).
Seit der industriellen Revolution steigt die globale Mitteltemperatur drastisch an. Das globale Netz kann die Auswirkungen von daraus resultierenden regionalen Umweltveränderungen in vielen Fällen noch abfangen. Es bedingt aber auch, dass sie sich weltweit auswirken können. Im Zusammenspiel können die unzähligen Umweltveränderungen dazu führen, dass die global vernetzten menschlichen Systeme reihenweise kollabieren. Dabei steht nicht in Zweifel, ob dies passieren kann. Offen ist lediglich die (im Rahmen der Gegenwärtigkeit zu diskutierende) Frage, ab welcher Erwärmung dies ein realistisches Szenario darstellt. Festgehalten werden kann, dass die globale Erwärmung eine existenzielle Gefahr für die menschliche Zivilisation darstellt.[14]
Stellenweise wird vertreten, dass "abstrakte Risiken, denen mehr oder weniger jedermann ausgesetzt ist und die im Allgemeinen als Preis des Lebens in einem modernen Industriestaat akzeptiert werden", keine Gefahr i.S.d. § 34 StGB begründen, solange sie sich nicht konkretisieren. Dies soll selbst für existenzielle Gefahren wie einen Atomkrieg gelten.[15] Nach diesem Grundgedanken könnten nicht die globale Erwärmung an sich, sondern lediglich dadurch bedingte Naturkatastrophen oder deren Folgen wie Fluchtbewegungen oder Kriege Notstandslagen begründen.
Diese Überlegung greift jedoch schon deshalb nicht, weil die globale Erwärmung nicht als allgemeines Lebensrisiko hingenommen wird. So wurde im Jahr 1992 mit der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen beschlossen, eine "gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems" zu verhindern. Deutschland hat diese Konvention im darauffolgenden Jahr ratifiziert.[16] Zur Umsetzung haben nahezu alle Staaten der Welt 2015 im Pariser Übereinkommen vereinbart, die Erwärmung "deutlich unter 2°C über dem vorindustriellen Niveau" zu halten. Auch sollen Anstrengungen unternommen werden, "den Temperaturanstieg auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen".[17] Jedenfalls sobald die globale Erwärmung 1,5°C übersteigt und sich nahe bei 2°C bewegt, begründet sie daher eine Gefahr, die nicht als allgemeines Lebensrisiko hinzunehmen ist.
Die Gegenwärtigkeit kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass sich die globale Erwärmung noch deutlich unter 2°C befindet. Maßgeblich ist vielmehr nach ganz h.M., bis wann die Gefahr noch mit mindestens der gleichen Erfolgsaussicht abgewendet werden kann.[18]
Um den Temperaturanstieg aufzuhalten, darf die Menschheit die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre nicht weiter erhöhen. Sie muss ihre Emissionen auf netto-null reduzieren. Dies erfordert beispiellose Übergänge in Energie-, Land-, Stadt- und Infrastruktur-
(einschließlich Verkehr und Gebäude) sowie in Industriesystemen.[19]
Die Gegenwärtigkeit der Gefahr wäre zu verneinen, wenn noch Zeit bliebe, um die Systemübergange ernsthaft in Angriff zu nehmen. Wie dringlich das Problem ist, lässt sich jedoch anhand der Abbildung 3 erkennen. Um wenigstens das Minimalziel des Pariser Übereinkommens ("deutlich unter 2°C") noch zu erreichen, müssen die fundamentalen Veränderungen innerhalb weniger Jahre in Angriff genommen werden. Die gegenwärtigen politischen Zielsetzungen und erst recht die Maßnahmen entsprechen diesen Erfordernissen nicht ansatzweise. Ist eine nicht hinnehmbare Gefahr ab dem Bereich von etwa 2°C Grad anzunehmen, ist sie daher gegenwärtig.
Abbildung 3: Historische Treibhausgasemissionen in CO2-Äquivalenten (schwarz), Emissionspfade für das 1,5°C – Ziel des Pariser Übereinkommens und das (hinfällige) 2°C-Ziel der Klimakonferenz von Cancún sowie Emissionspfade, die aus den Reduktionszielen (hellblau) und politischen Maßnahmen (dunkelblau) der Staaten folgen (Climate Action Tracker v. 23.09.2020, abrufbar unter: https://climateactiontracker.org/global/cat-emissions-gaps/ (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021)).
Ab welcher Erwärmung die menschliche Zivilisation zusammenbrechen kann und ob diese Bedrohung daher gegenwärtig ist, lässt sich angesichts der Komplexität der Folgen nicht über Prognosen zu einzelnen Kausalketten beurteilen. In solchen Situationen greifen Wissenschaftler*innen üblicherweise zu Experimenten. Beispielsweise kennen Mediziner*innen die komplexen Vorgänge im menschlichen Körper nicht in allen Einzelheiten. Bekanntlich testen sie die Wirkung von Mitteln daher an einer Gruppe von Menschen und vergleichen sie mit den Folgen bei einer Kontrollgruppe, die das Mittel nicht erhalten hat. Auf dieser Grundlage können sie wissenschaftlich belastbare Aussagen zur Wirkung des Mittels ab einer bestimmten Dosis treffen.[20]
Bei der globalen Erwärmung kann ein solches Experiment naheliegenderweise nicht durchgeführt werden. Um trotzdem zu wissenschaftlich belastbaren Aussagen zu gelangen, wird die Erde in Computermodellen nachgebildet, an denen verschiedene Szenarien durchgespielt werden. Tatsächlich hat sie sich bisher im Wesentlichen so erwärmt, wie es im Computer projiziert wurde.[21] Die Simulation der dadurch bedingten Umweltveränderungen ist deutlich komplexer. Die bisher beobachteten wurden tendenziell unterschätzt.[22] Ab welcher Erwärmung die menschliche Zivilisation zusammenbrechen kann, lässt sich nicht wissenschaftlich belastbar in Modellen projizieren.
Für eine gegenwärtige Gefahr i.S.d. § 34 StGB ist indes keine qualifizierte Form der Wahrscheinlichkeit und daher erst recht keine wissenschaftlich belegbare Quantifizierung erforderlich. Gerade im Hinblick auf immense drohende Schäden reicht vielmehr eine "ernst zu nehmende Möglichkeit".[23] Dass die menschliche Zivilisation bereits infolge einer Erwärmung von etwa 2 °C zusammenbrechen kann, lässt sich schon deshalb nicht ausschließen, weil sie sich bereits aus deren Erfahrungsbereich entfernt hat.[24]
Hinzu kommt, dass Kippelemente in diesem Bereich ihren Kipppunkt überschreiten können, was unaufhaltsame und langanhaltende Veränderungen in Gang setzen kann. Im schlimmsten Fall führt dies zu einer "Heißzeit", die langfristig durch etwa 4°C bis 5°C höhere Temperaturen charakterisiert ist, auch wenn die Menschheit die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre nicht weiter erhöht.[25] Das Risiko einer solchen Entwicklung
steigt mit jeder weiteren Erwärmung. Es begründet nach Auffassung einiger renommierter Forscher*innen eine gegenwärtige Gefahr für die Zivilisation. Danach befindet sich die Menschheit im planetaren Notstand.[26]
Die Gefahr ist nicht anders abwendbar, wenn die Tat das mildeste der zur Gefahrabwendung geeigneten Mittel darstellt.[27] Auch insoweit kommt es letztlich auf das tatbestandliche Verhalten und die Möglichkeiten der jeweiligen Aktivist*innen an.[28] Allgemein erörtert werden kann, ob Maßnahmen des zivilen Ungehorsams überhaupt geeignet sein können, die globale Erwärmung aufzuhalten, und inwieweit andere Mittel gleich geeignet erscheinen, die jede*r ergreifen kann.
Die Eignung des tatbestandlichen Verhaltens wird verneint, wenn die Handlung die Rettungschancen nicht oder nur ganz unwesentlich erhöht.[29] Aus diesem Grund sollen beispielsweise Blockadeaktionen nicht geeignet sein, einen globalen Atomkrieg zu verhindern.[30]
Tatsächlich dürfte das tatbestandliche Verhalten einzelner Aktivist*innen meist schon die Erfolgsaussichten der jeweiligen Aktion nicht nennenswert beeinflussen. Noch ferner liegt die Annahme, es könne die Treibhausgasemissionen der gesamten Menschheit auf netto-null reduzieren. Konsequenz dieser Sichtweise ist, dass kein Verhalten eines Menschen geeignet scheint, die globale Erwärmung aufzuhalten.
Sie harmoniert indes nicht mit Zurechnungskriterien auf Tatbestandsebene. So ist beispielsweise der Nötigungserfolg einer Straßenblockade allen Beteiligten[31] zuzurechnen. Irrelevant ist dabei, ob bereits das Verhalten einer*eines Einzelnen für die Blockade ausreicht und ob es im Nachhinein überflüssig erscheint, weil es zum Stau auch dann gekommen wäre, hätte sich die jeweilige Person nicht auf die Straße gesetzt. Zu diesem Ergebnis gelangt auch, wer für eine mittäterschaftliche Beteiligung Kausalität verlangt.[32]
Sobald die Menschheit ihre Treibhausgasemissionen auf netto-null reduziert hat, wird dieser Erfolg auf einer Vielzahl von Klimaschutzbemühungen beruhen. Eine einzelne Handlung kann den Erfolg allein nicht herbeiführen und wird – im Nachhinein betrachtet – überflüssig erscheinen. Daher zielt ziviler Ungehorsam darauf ab, die Menschheit zum gemeinschaftlichen Klimaschutz zu bewegen. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, müssen diese Gesichtspunkte auch bei der Geeignetheit im Rahmen des § 34 StGB berücksichtigt werden.
Letztendlich gilt daher auch für die globale Erwärmung: "Soweit die Abwendung der Notstandsgefahr nicht durch punktuelle Maßnahmen möglich ist, sondern ein komplexes und ggf. längerfristiges Vorgehen erfordert, braucht selbstverständlich nicht jeder strafrechtlich relevante Einzelschritt schon für sich genommen eine Rettungschance zu eröffnen. Hier genügt stattdessen, dass die jeweiligen Verhaltensweisen sinnvolle Bestandteile eines Vorgehens bilden, durch das die Notlage am Ende bewältigt werden könnte."[33]
Entscheidend ist demnach, ob ziviler Ungehorsam dazu führen kann, dass andere sich (mehr) um Klimaschutz bemühen. Viele dürften noch die implizite oder explizite Einstellung haben, dass das Problem nicht dringlich sei oder es sich für Einzelne nicht lohne, (erheblichen) Einsatz zu leisten.[34] Sie wird dadurch stabilisiert, dass sich Menschen an dem orientieren, was sie als normal empfinden.[35] Und normal ist es für eine große Mehrheit noch, sich nicht (besonders) um eine Verringerung der Treibhausgasemissionen zu bemühen.
Ziviler Ungehorsam stellt diese Normalität in Frage. Wenn Menschen aus Klimaschutzgründen sogar das Risiko der Bestrafung eingehen, erregen sie nicht nur Aufmerksamkeit, die Voraussetzung für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Problem ist.[36] Sie machen auch deutlich, dass sie das Problem für so gravierend halten, dass sie dafür erhebliche Opfer bringen. Bleiben sie hartnäckig und begründen ihre Botschaft mit sachlichen Argumenten, besteht die Aussicht, die Mehrheitsmeinung zu beeinflussen.[37]
Das BVerfG argumentiert, angesichts dieses Zwecks seien Regelverletzungen notwendiger Bestandteil des zivilen Ungehorsams. Daher "erschiene es widersinnig, den Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als Rechtfertigungsgrund für Gesetzesverletzungen geltend zu machen."[38] Tatsächlich würde es weniger Aufmerksamkeit erregen und keine Opferbereitschaft signalisieren, wenn ziviler Ungehorsam keine Sanktionen nach sich ziehen könnte. Dies ist jedoch solange nicht der Fall, wie das Risiko der Bestrafung besteht. Erst wenn eine gefestigte Rechtsprechung die Strafbarkeit verneinen würde, könnte der Zweck insoweit verfehlt werden.[39]
Umso stärker würde dann ein jedoch anderer Effekt des zivilen Ungehorsams greifen. Kein Staat kann es hinnehmen, wenn Gesetze in großem Umfang außer Acht gelassen werden. Ansonsten verlieren die Normadressat*innen zunehmend das Vertrauen in deren Geltung und orientieren sich nicht mehr an ihnen.[40] Wenn sogar Gerichte Normen in einer erheblichen Zahl von Fällen nicht mehr anwenden, veranlassen sie Regierung und Gesetzgeber zu einer Auseinandersetzung mit dem Problem. Beispielsweise hat massenhafter richterlicher Ungehorsam in Form von Deals im Strafverfahren zu den Regelungen über die Verständigung geführt.[41]
Beim zivilen Ungehorsam besteht zum einen der Unterschied, dass der Gesetzgeber Aktionen wie Blockaden von Straßen oder Kohlekraftwerken offensichtlich nicht "reglementieren und[…] regulieren"[42] kann. Ihm bleibt daher nur die Möglichkeit, sich mit den Ursachen zu befassen.[43] Soweit der zivile Ungehorsam in einer mangelnden staatlichen Befassung mit Klimaschutz begründet ist, wird er enden, sobald der Staat das Problem ernsthaft in Angriff nimmt.
Zum anderen ist ziviler Ungehorsam demonstrativ und erregt daher Aufmerksamkeit. Daher veranlasst er Regierung und Gesetzgeber frühzeitig zu einer Reaktion. Deals im Strafverfahren hingegen haben sich schleichend über Jahrzehnte verbreitet und sich – vor einer Befassung durch Regierung und Gesetzgeber – als Verfahrensordnung jenseits der StPO etabliert.
Die Geeignetheit zur Beeinflussung staatlicher Entscheidungen könnte nur zu verneinen sein, wenn der Staat sich bereits ernsthaft mit dem Problem der globalen Erwärmung befassen würde. Insoweit mangelt es nicht an anerkennenden Worten. So schreibt beispielsweise die Bundesregierung:
"Die ohne effektiven Klimaschutz zu erwartende Bedrohung von Mensch und Umwelt kann je nach Szenario, Klimamodell und Studie zwar im Detail variieren, das gesamte Ausmaß stellt aber in jedem Fall eine existenzielle Gefahr für Milliarden von Menschen und zahlreiche Ökosysteme dar.
Selbst wenn im Rahmen der o. g. Unsicherheitsbereiche die konservativsten Werte für bestimmte Parameter des Klimawandels gewählt werden (sogenannte ‚best-case-scenarios‘), zeigen die entsprechenden Erkenntnisse in den IPCC-Berichten, dass drastische Maßnahmen zum Klimaschutz nicht nur gerechtfertigt sind, sondern unbedingt erforderlich. Die wissenschaftlich wahrscheinlichsten Werte innerhalb der Konfidenzintervalle gehen jedoch über diese Minimal-Ergebnisse deutlich hinaus und werden wiederum von den ebenfalls plausiblen ‚worst-case‘-Szenarien weit übertroffen." [44]
Auch soll nach § 1 des Ende 2019 verabschiedeten Klimaschutzgesetzes (KSG) das Pariser Übereinkommen die Grundlage des deutschen Klimaschutzes darstellen.
Ob die in Paris vereinbarten Ziele eingehalten werden, hängt maßgeblich davon ab, welche Menge des für die Erwärmung relevantesten Treibhausgases CO2 die Menschheit insgesamt noch emittiert.[45] Weil die Vertragspartner nach Art. 4 des Übereinkommens ihre Beiträge zur Erreichung der Ziele selbst bestimmen sollen, stellt sich für sie die Frage, welchen Anteil an diesem sog. CO2-Budget sie für sich beanspruchen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat berechnet, dass Deutschland längst kein CO2 mehr ausstoßen dürfte, wenn berücksichtigt würde, welche Menge es emittiert hat, seitdem das Problem bekannt ist.[46] Würde das seit Abschluss des Pariser Übereinkommens verbliebene globale Budget nach Bevölkerungsanteilen verteilt, müsste Deutschland in den 2030er Jahren netto-null erreichen, wenn es bis dahin die Emissionen gleichmäßig reduziert.[47]
Die Bundesregierung hingegen befasst sich nicht mit Emissionsbudgets.[48] Der Bundestag hat es abgelehnt, die Bundesregierung aufzufordern, Deutschlands Teil des globalen Budgets als gerechten Beitrag zum Pariser Übereinkommen transparent zu machen.[49] Dementsprechend wurde es bei den Reduktionszielen der §§ 1, 3 Abs. 1 KSG (Reduktion der Treibhausgasemissionen um 55 % bis 2030 im Vergleich zu 1990 und Treibhausgasneutralität bis 2050) nicht beachtet.[50] Auch kann selbst das unzureichende Ziel für 2030 mit den beschlossenen Maßnahmen wohl nicht erreicht werden. Deutschlands Klimaschutzpolitik entspricht eher einer globalen Erwärmung von 3°C bis 4°C.[51]
Politikwissenschaftlich lässt sich dies damit erklären, dass viele Politiker*innen nicht in hohem Maße daran interessiert sind, Probleme zu lösen. Sie sind konkurrierenden Forderungen von verschiedenen Interessengruppen ausgesetzt, auf die sie mal mit Worten, mal mit Taten eingehen. Dies erfordert Flexibilität, in der sie eingeschränkt werden, sobald sie sich ernsthaft mit Sachfragen auseinandersetzen und auf dieser Grundlage entscheiden.[52]
Als gegenüber dem zivilen Ungehorsam mildere Mittel kommen Maßnahmen der politischen Einflussnahme in Betracht, die keinen Straftatbestand erfüllen, wie beispielsweise Demonstrationen. Fraglich ist jedoch bereits, ob sie dieselbe Aufmerksamkeit erregen und Opferbereitschaft signalisieren können wie ziviler Ungehorsam. Nur dann könnten sie eine anderweitige Abwendbarkeit der Gefahr begründen.[53] So hat sich gezeigt, dass zahlreiche Demonstrationen nicht ansatzweise dieselbe Wirkung hatten wie die sog. Schulstreiks durch die Bewegung Fridays for Future.[54] Jedenfalls können sie Bundesregierung und Bundestag nicht in vergleichbarem Maße zu einer Auseinandersetzung provozieren wie ziviler Ungehorsam.
Die öffentliche Meinungsbildung kann auch mit Werbung beeinflusst werden. Dabei handelt es sich um ein Mittel, dessen Wirksamkeit vielfach wissenschaftlich belegt wurde.[55] Um Einfluss auf politische Parteien und infolgedessen auf die Arbeit von deren Mitgliedern in Parlament und Regierung zu nehmen, kommen nicht nur die Mitgliedschaft, sondern auch Gespräche mit Parteivertreter*innen sowie Parteispenden in Betracht. Nicht zuletzt besteht die Möglichkeit, direkt mit Gesprächen und Vorteilsgewährungen[56] auf Bundestagsabgeordnete einzuwirken. All diese Mittel haben jedoch die Gemeinsamkeit, dass ihre Wirksamkeit davon abhängt, über welche finanziellen Mittel die jeweilige Interessengruppe verfügt bzw. welchen gesellschaftlichen Status sie hat. Solange Klimaschutz nicht gesellschaftliche Normalität ist und der größte Teil der Energieversorgung aus fossilen Quel-
len stammt,[57] liegt es nahe, dass Gruppen mit konkurrierenden Interessen auf diesen Wegen deutlich mehr erreichen. Häufig bewirken sie politische Taten, während für den Klimaschutz Worte bleiben.
Schließlich besteht noch die Möglichkeit des Rechtsschutzes beim BVerfG. Bereits im November 2018 wurde eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, in der argumentiert wird, dass der Gesetzgeber seiner grundrechtlichen Schutzpflicht nicht in ausreichendem Maße nachkommt. Auch nach mehr als zwei Jahren liegt keine Entscheidung vor.[58] Es ist nicht ersichtlich, dass eine weitere Verfassungsbeschwerde zu einer Behandlung durch das BVerfG führen könnte, die der Dringlichkeit gerecht würde. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass kein milderes Mittel ebenso geeignet sein kann wie ziviler Ungehorsam.
Ob im Einzelfall das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt, könnte dahinstehen, wenn es sich beim zivilen Ungehorsam ohnehin nicht um ein angemessenes Mittel i.S.d. § 34 S. 2 StGB handeln würde. Dies wird von einigen angenommen, "weil damit der Rahmen des Verfahrens verlassen wird, das der demokratische Rechtsstaat für die politische Willensbildung vorsieht."[59]
Allgemein ist das Notstandsrecht indes nach h.M. nur insoweit ausgeschlossen, als die zur staatlichen Gefahrenabwehr vorgesehenen "rechtlich geordneten Verfahren" abschließenden Charakter haben. Soweit dies nicht der Fall ist, kann im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigt werden, dass prinzipiell (andere) Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um eine staatliche Befassung mit der Gefahr zu veranlassen (auch wenn sie im konkreten Fall nicht mit gleicher Aussicht zum Erfolg führen).[60] Für die Beurteilung des zivilen Ungehorsams muss dementsprechend maßgeblich sein, inwieweit Verfahrensregelungen die politische Willensbildung abschließend normieren.
Ziviler Ungehorsam ist demonstrativ. Er soll öffentliche Aufmerksamkeit erregen und Regierung sowie Gesetzgeber zu einer Auseinandersetzung bewegen. Wie bereits ausgeführt kann eine politische Auseinandersetzung mit vielfältigen Maßnahmen herbeigeführt werden, die von Demonstrationen über öffentliche Werbung bis zu Vorteilsgewährungen an Abgeordnete reichen (II.3.b)). Vor diesem Hintergrund lässt sich zum einen kaum behaupten, dass insoweit abschließende Verfahrensregelungen bestünden.
Zum anderen wird – entgegen einer verbreiteten Auffassung[61] – das Mehrheitsprinzip nicht durch zivilen Ungehorsam verletzt. Als Bestandteil des Demokratieprinzips wird das Mehrheitsprinzip dadurch umgesetzt, dass bei der Wahl von Bundestagsabgeordneten jede Stimme gleich zählt (Art. 38 Abs. 1 GG) und für die Beschlüsse des Bundestags grundsätzlich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich und ausreichend ist (Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG). Soweit ziviler Ungehorsam darauf angelegt ist, die Aufmerksamkeit von Wähler*innen und Bundestagsabgeordneten zu erregen, stellt er weder in Frage, dass jede Stimme gleich zählt, noch dass im Bundestag Mehrheitsbeschlüsse gefasst werden.
Zwar trifft es zu, dass er nur funktionieren kann, wenn lediglich eine Minderheit ihn ausübt und dass diese Minderheit besondere Aufmerksamkeit für ihr Anliegen beansprucht. Jedoch gilt dies in ähnlicher Weise für Demonstrationen, die auch nur wahrgenommen werden, wenn sie aus der Masse herausragen.[62] Andere Maßnahmen der politischen Einflussnahme wie Werbung, Gespräche mit Bundestagsabgeordneten, Parteispenden usw. haben umso mehr Erfolg, je mehr finanzielle Möglichkeiten die jeweilige Person hat und je höher ihr gesellschaftlicher Status ist. Nur eine einflussreiche Minderheit kann sie daher erfolgreich ergreifen. Ziviler Ungehorsam erscheint vor diesem Hintergrund als ein Mittel, mit dem auch weniger mächtige Personen Einfluss ausüben können.[63] Er kann im Einzelfall nach § 34 StGB gerechtfertigt sein, wenn das Interesse an einer politischen Befassung mit der Gefahrenabwehr das Interesse
an der Friedens- und Ordnungsfunktion des Rechts wesentlich überwiegt.[64]
Soweit Gesetzesverletzungen hingegen darauf angelegt sind, eigenmächtig Maßnahmen durchzusetzen, die einer Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers bedürfen, missachten sie abschließende Verfahrensregelungen, die Ausdruck des Mehrheitsprinzips sind. Dies verdeutlicht der Blick auf Deals im Strafverfahren. Selbst wenn Richter*innen einen Zusammenbruch der Strafjustiz aufgrund Überlastung verhindern wollten,[65] durften sie keinesfalls selbst eine Verfahrensordnung jenseits der StPO einführen. Solche Änderungen bleiben dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorbehalten.
Hingegen haben Schulstreiks nicht die Ambition, die Schulpflicht an Freitagen aufzuheben. Ebenso sollen Straßenblockaden nicht dazu führen, dass die Straßenverkehrsregeln nicht mehr gelten. Auch Blockaden von Kohlekraftwerken können nur für punktuelle Störungen sorgen, aber weder die Geltung des Hausrechts beseitigen noch eigenmächtig den Kohleausstieg durchsetzen. Es handelt sich um symbolische Maßnahmen wie sie charakteristisch für den zivilen Ungehorsam sind.[66]
Angesichts des existentiellen Risikos der globalen Erwärmung erschiene es indes nicht ausgeschlossen, auch die eigenmächtige Durchsetzung von Klimaschutzmaßnahmen zu rechtfertigen. Wenn die Zivilisation zusammenbricht, wird auch die verfassungsmäßige Ordnung beseitigt. Art. 20 Abs. 4 GG berechtigt eine Minderheit, eine solche Gefahr auch gegen den Willen der demokratisch legitimierten Staatsorgane abzuwenden. Die systematische Stellung im Zusammenhang mit den Art. 20 Abs. 1 – 3 GG spricht dafür, dass die Bedrohung der verfassungsmäßigen Ordnung den Kern des Widerstandsrechts ausmacht.[67]
Zwar ist das Widerstandsrecht selbst weder unmittelbar noch analog einschlägig. Ähnlich wie die Notwehr berechtigt es zu jeglichen Widerstandshandlungen, die erforderlich sind um die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung abzuwenden. Sie müssen nicht verhältnismäßig sein.[68] Dies lässt sich nur rechtfertigen, wenn Art. 20 Abs. 4 GG auf Verteidigungen gegen unmittelbar bevorstehende Angriffe beschränkt ist.[69] Eine solche Situation ist nicht gegeben.
Ähnlich wie in der notwehrähnlichen Lage schließt dies eine Rechtfertigung von vorbeugenden Widerstandsmaßnahmen nach § 34 StGB jedoch nicht aus.[70] Vielmehr kann im Rahmen der Interessenabwägung hinreichend berücksichtigt werden, dass sich die eigenmächtige Durchsetzung von Klimaschutzmaßnahmen nicht gegen Personen richtet, deren Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung unmittelbar bevorsteht. Selbstverständlich überwiegt das Interesse am Klimaschutz nicht, wenn sie die Gesellschaft soweit destabilisieren kann, dass staatlicherseits einer Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung nicht mehr begegnet werden könnte. Kategorische Schutzlücken für ein derart gewichtiges Rechtsgut erscheinen jedoch nicht akzeptabel.
Gerichte stehen also vor der Aufgabe, sich in Fällen des zivilen Ungehorsams für mehr Klimaschutz ernsthaft mit einer Rechtfertigung nach § 34 StGB zu befassen. Sie müssen äußerst gewichtige Interessen gegeneinander abwägen und dabei einige Unsicherheiten berücksichtigen. Soweit nicht schon die subjektive Rechtfertigung die Strafbarkeit ausschließt, müssen sie sich dafür ein Bild von wissenschaftlichen Erkenntnissen zur globalen Erwärmung und staatlichen Gegenmaßnahmen machen.
Angesichts der Komplexität und Dimension der sich dabei stellenden Fragen besteht die Versuchung, sie auszublenden oder – wenn sich ernstzunehmender Widerstand regt – Verfahren einvernehmlich zu erledigen. Mit solchen Deals werden sie jedoch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung genauso wenig gerecht wie Politiker*innen, die das Problem über Jahrzehnte kaum beachtet haben und Kompromissbereitschaft von Aktivist*innen einfordern, wenn sich deren Protest nicht ignorieren lässt.
Vielmehr müssen sich Entscheidungsträger*innen auch mit komplexen sachlichen Fragen auseinandersetzen, auf dieser Grundlage Interessen gegeneinander abwägen und als Vertreter*innen des ganzen Volkes (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, § 268 Abs. 1 StPO) Entscheidungen treffen, selbst wenn sie unbequem sind.
[1] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 28. November 2019 zum Klima- und Umweltnotstand, abrufbar unter https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2019-0078_DE.html (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021). Zum Klimanotstand aus der Perspektive von Wissenschaftler*innen und dessen Ausrufung durch andere Institutionen Scientific American v. 06.01.2021, abrufbar unter: https://www.scientificamerican.com/article/the-climate-emergency-2020-in-review/ (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021).
[2] NZZ v. 13.01.2020, abrufbar unter https://www.nzz.ch/schweiz/klimaaktivisten-wegen-protest-bei-der-credit-suisse-verurteilt-ld.1533574 (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021); vgl. zu den Gründen Stucki, In Defence of Green Civil Disobedience: Judicial Courage in the Face of Climate Crisis and State Inaction, VerfBlog, 2020/10/30, DOI: 10.17176/20201030-235847-0; in 2. Instanz wurden sie trotz Unterstützung durch einige renommierte Klimawissenschaftler*innen – die anders als in 1. Instanz nicht persönlich angehört wurden – verurteilt (ETH-News v. 24.09.2020, abrufbar unter https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2020/09/zukunftsblog-sonia-seneviratne-ja-wir-sind-besorgt.html (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021)).
[3] Vgl. zur Definition des zivilen Ungehorsams Radtke, GA 2000, 19 ff.; Roxin, in: Albrecht u.a. (Hrsg.), Festschrift für Horst Schüler-Springorum (1993), S. 441 f.
[4] Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. (2020), § 34 Rn. 4. Soweit vertreten wird, dass nur Individualrechtsgüter notstandsfähig seien, wirkt sich dies beim Notstand – anders als bei der Notwehr, wo die Gegenwärtigkeit enger verstanden wird – im Ergebnis nicht aus, soweit eine Bedrohung für Rechtsgüter der Allgemeinheit mittelbar Individualrechtsgüter betrifft (Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2018), 17. Kap. Rn. 3, 6).
[5] Vgl. zum Streit Hoyer, in: Wolter (Hrsg.), Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 1, 9. Aufl. (2017), § 34 Rn. 16; Erb, in: Joecks u.a. (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 1, 4. Aufl. (2020), § 34 Rn. 78 ff.
[6] Als seriöse Quellen dienen vor allem Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Im Einzelnen handelt es sich um Arbeiten der einzelnen Arbeitsgruppen (Working Groups = WG) zum letzten Sachstandsbericht (Assessment Report = AR) sowie um den Sonderbericht über 1,5°C globale Erwärmung (SR1.5). Zitiert wird jeweils aus den Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger (Summary for Policymakers = SPM), die auch ins Deutsche übersetzt wurden (abrufbar unter https://www.de-ipcc.de/ (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021)). Schon weil der letzte umfassende Sachstandsbericht aus den Jahren 2013 und 2014 stammt und damit wenig aktuell ist, wird darüber hinaus auf weitere für Laien verständliche Quellen mit wissenschaftlichem Hintergrund zurückgegriffen.
[7] Im letzten Sachstandsbericht schrieb der IPCC noch, es sei äußerst wahrscheinlich, dass der Mensch mehr als die Hälfte des Anstiegs von 1951-2010 verursacht habe und die beste Abschätzung des menschlichen Anteils entspreche der Erwärmung (IPCC 2013, AR5, WG 1, SPM, S. 15). Im Sonderbericht über 1,5°C globale Erwärmung schrieb er fünf Jahre später: "Menschliche Aktivitäten haben etwa 1,0°C globale Erwärmung gegenüber vorindustriellem Niveau verursacht […]" (IPCC 2018, SR1.5, SPM, S. 8).
[8] Vgl. zu den klimatischen Veränderungen IPCC 2013, AR5, WG 1, SPM und zu den daraus folgenden Veränderungen der natürlichen Systeme IPCC 2014, AR5, WG 2, SPM.
[9] IPCC 2014, AR5, WG 2, SPM, S. 28.
[10] IPCC 2014, AR5, WG 2, SPM, S. 20.
[11] Nature News v. 07.06.2017, https://doi.org/10.1038/nature.2017.22114 ; nicht gemeint sind andere Menschenarten als der homo sapiens, die schon vorher existierten, aber ausgestorben sind (Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, 18. Aufl. (2015), S. 11 ff.).
[12] Näher zu den Lebensverhältnissen vor der landwirtschaftlichen Revolution Harari a.a.O. (Fn. 11), S. 34 ff.
[13] Überblick zur landwirtschaftlichen Revolution und der folgenden Entwicklung bei Harari a.a.O. (Fn. 11), S. 101 ff.
[14] Warnungen vor einem solchen Szenario sind vor allem deshalb bemerkenswert, weil auch Klimawissenschaftler*innen eher zur Untertreibung neigen (Spratt/Dunlop/Schellnhuber, What lies beneath: The Understatement of existential climate risk (2018), abrufbar unter: https://www.researchgate.net/publication/328413289_WHAT_LIES_BENEATH_THE_UNDERSTATEMENT_OF_EXISTENTIAL_CLIMATE_RISK (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021)). Anschaulich beschrieben hat dies der Klimaforscher Lonnie Thompson: "We are not given to theatrical rantings about falling skies. Most of us are far more comfortable in our laboratories or gathering data in the field than we are giving interviews to journalists or speaking before Congressional committees. Why then are climatologists speaking out about the dangers of global warming? The answer is that virtually all of us are now convinced that global warming poses a clear and present danger to civilization." (The Behavior Analyst 33, 153 (2010), https://doi.org/10.1007/BF03392211 ).
[15] Erb a.a.O. (Fn.5), § 34 Rn. 89 m.w.N.; zurecht kritisch Reichert-Hammer, Politische Fernziele, 1991, S. 182 f., weil die Frage, inwieweit Gefahren hingenommen werden müssen, gerade mit der Prüfung des § 34 StGB (insbesondere der Interessenabwägung und Angemessenheit) beantwortet wird.
[16] BGBl. 1993 II, 1783; das Ziel findet sich in Art. 2 der Klimarahmenkonvention.
[17] Art. 2 Abs. 1 a) des am 28.09.2016 von Deutschland ratifizierten Übereinkommens (BGBl. 2016 II, 1082).
[18] Fischer a.a.O. (Fn. 4), § 34 Rn. 7; Hoyer a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 21 ff.; Erb a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 99 ff; a.A.: Dencker, in Freund u.a. (Hrsg.), Grundlagen und Dogmatik des gesamten Strafrechtssystems, Festschrift für Wolfgang Frisch zum 70. Geburtstag (2013), S. 477, der darauf hinweist, dass das Merkmal der Gegenwärtigkeit bei dieser Auslegung überflüssig ist.
[19] IPCC 2018 SR1.5, SPM, S. 19. Konkret bezog sich der IPCC auf Reduktionspfade, die zu keiner oder nur einer vorübergehenden Überschreitung von 1,5°C führen. Dabei ging er davon aus, dass die Menschheit in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts der Atmosphäre deutlich mehr Treibhausgase entzieht als sie emittiert, auch wenn dies "vielfältigen Einschränkungen bezüglich Machbarkeit und Nachhaltigkeit" unterliegt (IPCC 2018 SR1.5, SPM, S. 19) und bisher kein Staat netto-negative Emissionen plant.
[20] Ein mit der Emission von Treibhausgasen vergleichbares Experiment am Menschen würde die Verabreichung eines neuartigen leistungssteigernden Mittels darstellen. Bekannt ist, dass die Proband*innen kollabieren werden. Unklar ist, ab welcher Dosis dies geschehen kann. Soweit sich bisher Nebenwirkungen gezeigt haben, waren sie stärker als gedacht. Statt das Experiment möglichst bald abzubrechen, wird die Dosis weiter erhöht.
[21] Klimafakten.de v. 08.2017, abrufbar unter https://www.klimafakten.de/behauptungen/behauptung-klimamodelle-sind-nicht-verlaesslich (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021).
[22] Klimafakten.de v. 02.2015, abrufbar unter https://www.klimafakten.de/behauptungen/behauptung-der-ipcc-betreibt-panikmache (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021).
[23] Hoyer a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 14; vgl. auch Erb a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 84 ff.; Reichert-Hammer a.a.O. (Fn. 15), S. 181 f.; Laker, Ziviler Ungehorsam (1986), S. 231.
[24] Vgl. zu den derzeit absehbaren Folgen einer Erwärmung von 2°C im Vergleich zu denen bei 1,5°C IPCC 2018 SR1.5, SPM, S. 11 ff. Diskutiert werden existenzielle Gefahren für die menschliche Zivilisation vor allem für den Bereich um etwa 3°C oder mehr, auf den die Welt derzeit zusteuert (Spratt/Dunlop/Schellnhuber a.a.O. (Fn. 14), S. 13 ff.).
[25] Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung v. 06.08.2018, abrufbar unter https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/auf-dem-weg-in-die-heisszeit-planet-koennte-kritische-schwelle-ueberschreiten (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021).
[26] Lenton et al., Nature 575, 592-595 (2019), https://doi.org/10.1038/d41586-019-03595-0 .
[27] Fischer a.a.O. (Fn. 4), § 34 Rn. 9; Hoyer a.a.O. (Fn. 5) § 34 Rn. 24.
[28] Vgl. zur Beurteilungsperspektive Erb a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 105 ff.; Hoyer a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 25 f.
[29] Hoyer a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 27 f. m.w.N.
[30] Erb a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 110 m.w.N.
[31] Der BGH ging wohl von Gemeinschaftlichkeit i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB aus, als er die sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung begründete (BGHSt 41, 182; vgl. zum Hintergrund der Entscheidung Fischer a.a.O. (Fn. 4) § 240 Rn. 10 ff.).
[32] Die Zurechnungsproblematik entspricht insoweit der bei Gremienentscheidungen, für die eine Stimme nicht ausreicht und mehr Stimmen abgegeben werden als notwendig (vgl. dazu Frister a.a.O. (Fn. 4), 9/9 ff.; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 5. Aufl. (2020), § 11 Rn. 19 ff.).
[33] Erb a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 113, der sich im zitierten Beitrag (GA 2018, 399) auf das Verhalten eines einzelnen Menschen bezog; speziell zum zivilen Ungehorsam Reichert-Hammer a.a.O. (Fn. 15), S. 186 ff.; ähnlich Schüler-Springorum, in: Glotz, Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat (1983), S. 76 (88 f.); Lenckner, JuS 1988, 349, 354.
[34] Nicht selten anzutreffen ist die explizite (d.h. bewusste und ausdrücklich geäußerte) Einstellung, Klimaschutz sei wichtig. Das Verhalten verrät aber meist die implizite (d.h. intuitive) Einstellung, das Problem sei nicht gravierend oder der Einsatz lohne sich jedenfalls nicht (zum Unterschied zwischen den Einstellungsarten Aronson/Wilson/Akert, Sozialpsychologie, 8.Aufl. (2014), 7.1.2). Intuitiv verdrängen Menschen Probleme umso eher, je furchterregender sie sind und je weniger sie dagegen ausrichten können (Aronson/Wilson/Akert, 7.1.6). Auch neigen sie dazu, die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen zu unterschätzen, zu denen sie keine Erfahrungswerte haben, die sich langfristig entwickeln und die sie sich schwer vorstellen können. Das menschliche Verhalten wird aber vor allem intuitiv gesteuert. "Für die Bewohner eines Planeten, dem möglicherweise Ereignisse bevorstehen, die bislang noch niemand erlebt hat, sind dies keine guten Neuigkeiten." (Kahneman, Schnelles Denken, Langsames Denken, 17. Aufl. (2012), S. 410).
[35] Menschen orientieren sich am Verhalten anderer sowohl um zu wissen, was "richtig" ist als auch um akzeptiert zu werden (Aronson/Wilson/Akert a.a.O. (Fn. 34), 8.1.).
[36] Weil eine rationale Auseinandersetzung – erst recht wenn sie fundamentale Veränderungen nahelegt – mühsam ist, versuchen Menschen sie intuitiv zu vermeiden (Kahneman a.a.O. (Fn. 34), S. 45 ff.). Sie lässt sich daher nicht herbeiführen ohne zu stören. Dies verkennt die Argumentation, ziviler Ungehorsam könne kontraproduktiv wirken, weil wegen der Art der Methode Menschen sich nicht auf eine inhaltliche Auseinandersetzung einlassen könnten (Radtke GA 2000, 19 (30)).
[37] "Mehrheiten erhalten häufig öffentliche Zustimmung aufgrund von normativem sozialem Einfluss, während es wahrscheinlicher ist, dass Minderheiten durch informationalen sozialen Einfluss private Akzeptanz erzielen." (Aronson/Wilson/Akert a.a.O. (Fn. 34), 8.3.6).
[38] BVerfGE 73, 206, 252. Ebenso die h.L.: Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. (2017), § 9, Rn. 111; Rönnau, in: Cirener u.a. (Hrsg.), Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar, Bd. 3, 13. Aufl. (2019), Vor §§ 32 ff, Rn. 142; Lenckner, JuS 1988, 349, 355; Perron, in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar, 30. Aufl. (2019), § 34 Rn. 41a; Fischer a.a.O. (Fn. 4), Vor § 32 Rn. 10a; Hirsch, Strafrecht und Überzeugungstäter (1996), S. 31.
[39] So auch Dreier, in Glotz (Hrsg.), Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat (1983), S. 54, 70; kritisch zur Entscheidung des BVerfGE insoweit auch Roxin a.a.O. (Fn. 3), S. 441, 443, der darauf hinweist, dass die vermeintliche Widersinnigkeit nicht terminologisch begründet werden kann.
[40] Dies ist der Hintergrund für den Strafzweck der positiven Generalprävention (Frister a.a.O. (Fn. 4), 2. Kap. Rn. 20 ff.).
[41] Stuckenberg, in: Erb u.a. (Hrsg.), Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Bd. 6/2, 26. Aufl. (2013), § 257c Rn. 1; Velten, in Wolter (Hrsg.), SK-StPO, Bd. V, 4. Aufl. (2012), § 257c Rn. 1; zur Strafbarkeit Fischer, HRRS 2014, 324.
[42] Velten a.a.O. (Fn. 41), § 257c Rn. 1
[43] Die Befassung mit den Ursachen wäre auch die adäquate Reaktion auf Deals gewesen (vgl. Stuckenberg a.a.O. (Fn. 41), § 257c Rn. 2, 11 ff.). So hat sich gezeigt, dass trotz der Verständigungsvorschriften und mahnender Worte des BVerfG (BVerfGE 133, 168) "informelle Absprachen unzweifelhaft immer noch ein Bestandteil der strafrechtlichen Praxis sind." (Altenhain/Jahn/Kinzig, Die Praxis der Verständigung im Strafprozess (2020), S. 273).
[44] BT-Drs. 19/20928, S. 2 f.
[45] Weil CO2 sich im Gegensatz zu anderen Treibhausgasen lange in der Atmosphäre hält, wird der Budgetansatz häufig auf CO2 beschränkt. Insbesondere wenn es um kurze Zeiträume geht, können allerdings – wie in Abbildung 3 – auch andere Treibhausgase wie Methan als CO2-Äquivalente einbezogen werden (Sachverständigenrat für Umweltfragen, Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa, Umweltgutachten 2020, S.40, abrufbar unter https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/2016_2020/2020_Umweltgutachten_Entschlossene_Umweltpolitik.html (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021)).
[46] Sachverständigenrat für Umweltfragen a.a.O. (Fn. 45), S. 50.
[47] Sachverständigenrat für Umweltfragen a.a.O. (Fn. 45), S. 52.
[48] Sie verweigert eine Antwort auf die Frage, welchen Teil von welchem globalen CO2-Budget die Bundesregierung für Deutschland beansprucht (BT-Drs. 19/16168, S. 2) bzw. welchen Anteil Deutschland trägt (BT-Drs. 19/16166, S. 2).
[49] BT-Drs. 19/15775; BT-PlPr 19/171, S. 21405.
[50] BT-Drs. 19/14337 S. 24, 27.
[51] Climate Action Tracker v. 30.07.2020, abrufbar unter: https://climateactiontracker.org/countries/germany/ (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021).
[52] Geden, Nature Geoscience 11 (2018), S.378–383, https://doi.org/10.1038/s41561-018-0143-3 . Diese Beschreibung der politischen Realität dürfte Strafrechtler*innen nicht überraschen, harmoniert aber nicht mit Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG: "Nicht die Vollziehung von Aufträgen ist Aufgabe von Abgeordneten, sondern das Erkennen von Problemen und das Finden und Durchsetzen von Lösungen hierfür." Morlok, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 38, Rn. 150. In die öffentliche Diskussion gelangt zunehmend der Vorschlag, Gremien mit zufällig ausgewählten Bürger*innen in politische Prozesse einzubeziehen ( www.buergerrat.de , zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021). Diese können unabhängiger von sachfremden Einflüssen arbeiten.
[53] Vgl. Erb a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 127; Hoyer a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 29 ff.
[54] Vgl. auch Reichert-Hammer a.a.O. (Fn. 15), S. 189 f.; gegen die Erforderlichkeit unter dem Gesichtspunkt der Erregung von Aufmerksamkeit Radtke GA 2000, 19, 30; Roxin a.a.O. (Fn. 3), S. 441, 446.
[55] Aronson/Wilson/Akert a.a.O. (Fn. 34), 7.4.
[56] Sie werden in § 108e StGB nur in sehr begrenztem Umfang (insbesondere im Vergleich zu § 333 StGB) verboten. Nachdem die Norm aufgrund eines noch engeren Anwendungsbereichs jahrzehntelang praktisch bedeutungslos war, hat auch die seit 2014 bestehende Fassung noch erhebliche Lücken (Fischer a.a.O. (Fn. 4), § 108e Rn. 5 ff.).
[57] Deren Anteil am Primärenergieverbrauch betrug 2019 knapp 80% (Umweltbundesamt v. 09.2020, abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/daten/energie/primaerenergieverbrauch#primarenergieverbrauch-nach-energietragern (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021)).
[58] Neuigkeiten können unter https://klimaklage.com/news/ abgerufen werden (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021). Über die große Mehrzahl der Verfassungsbeschwerden entscheidet das BVerfG innerhalb von 2 Jahren (vgl. dazu die Statistik der durchschnittlichen Verfahrensdauer von Verfassungsbeschwerden der Eingangsjahre 2009 bis 2019, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresstatistiken/2019/gb2019/A-IV-3.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021)); näher zur grundrechtlichen Schutzpflicht im Zusammenhang mit Klimaschutz Buser, DVBl. 2020, 1389.
[59] Erb a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 256; vgl. auch Kühl a.a.O. (Fn. 38), § 9, Rn. 110; Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. (1993), 15. Abschn Rn. 5b.
[60] Erb a.a.O. (Fn. 5), § 34 Rn. 254 ff.; Perron a.a.O. (Fn. 38), Rn. 41; ähnlich Roxin/Greco a.a.O. (Fn. 32), § 16 Rn. 51 ff., 93 f., die in solchen Fällen schon das wesentliche Überwiegen des geschützten Interesses verneinen. Dencker a.a.O. (Fn. 18), S. 477, 485 ff. will die Gegenwärtigkeit i.S.d. § 34 StGB auf die "akut zugespitzte Lage" beschränken, um außerhalb dieses Bereichs die staatliche Kompetenz zur Gefahrenabwehr zu wahren. Hingegen sollen nach Hoyer a.a.O. (Fn.5), § 34 Rn. 101 ff. staatliche Verfahren die privaten Gefahrenabwehr nicht ausschließen können, weil der Gesetzesvorbehalt für private Maßnahmen nicht gelte.
[61] Roxin/Greco a.a.O. (Fn. 32) § 16 Rn. 55; Roxin a.a.O. (Fn. 3), S. 441 (446); Rönnau a.a.O. (Fn. 38), Vor §§ 32 ff, Rn. 142; Perron a.a.O. (Fn. 38), § 34 Rn. 41a; Kröpil, JR 2011, 283, 285.
[62] Irritierend daher die Anmerkung von Perron a.a.O. (Fn. 38), § 34 Rn. 41a, dass ziviler Ungehorsam "als Mittel einer Minderheit, auf den öffentlichen Willensbildungsprozess einzuwirken, mit den Grundprinzipien des demokratischen Rechtsstaates schlechterdings unvereinbar[…]" sei.
[63] Insoweit ähnlich Prittwitz, JA 1987, 17, 24. Zwar ist plausibel, dass Menschen mit hohem sozialen Status auch mit zivilem Ungehorsam mehr bewirken können als andere. Er birgt jedoch das Risiko, an Status zu verlieren, und wird deshalb in aller Regel von Menschen mit wenig Einflussmöglichkeiten ausgeübt.
[64] Ähnlich Reichert-Hammer a.a.O. (Fn. 15), S. 204; Schüler-Springorum a.a.O. (Fn. 33), S. 76, 90 f.).
[65] Vgl. dazu Stuckenberg a.a.O. (Fn. 41), § 257c Rn. 2.
[66] Vgl. auch Reichert-Hammer a.a.O. (Fn. 15), S. 217 f.; treffend Jakobs a.a.O. (Fn. 59), 15. Abschn Rn. 5a, der zivilen Ungehorsam definiert als "Protest gegen ein staatliches Verhalten unter grundsätzlicher Anerkennung der Legitimität dieses Staates und des verletzten Rechts".
[67] Vgl. Wittreck, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. II, 3. Aufl. (2015), Art. 20 IV Rn. 14.
[68] Wittreck a.a.O. (Fn. 67), Art. 20 IV Rn. 23.
[69] Wittreck a.a.O. (Fn. 67), Art. 20 IV Rn. 18 ff.; nach Jakobs a.a.O. (Fn. 59), 15. Abschn Rn. 4 soll es Eingriffe in Rechtsgüter Unbeteiligter erlauben.
[70] So auch Jakobs a.a.O. (Fn. 59), 15. Abschn Rn. 2, der dies allerdings als sehr zweifelhaft bezeichnet; a.A. Roxin/Greco a.a.O. (Fn. 32), § 16 Rn. 131, die davon ausgehen, dass die Frage praktisch nicht bedeutsam sei. Nach Rönnau a.a.O. (Fn. 38), Vor §§ 32 ff. Rn. 142 und Wittreck a.a.O. (Fn. 67), Art. 20 IV Rn. 25 soll eine Rechtfertigung von zivilem Ungehorsam gerade deshalb ausscheiden, weil in den einschlägigen Fällen nicht die grundgesetzliche Ordnung als Ganze bedroht sei. Dies wirft die Frage auf, was gelten soll, wenn dies doch der Fall ist.