Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2021
22. Jahrgang
PDF-Download
1. Zur Bestimmung des erlangten Etwas im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB in Fällen der Marktmanipulation. (BGHR)
2. § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO erlaubt den Zugriff auf beim Provider zwischen- oder endgespeicherte („ruhende“) E-Mails. (BGHR)
3. In Fällen informations- und handlungsgestützter Marktmanipulationen (§ 38 Abs. 2 Nr. 1, § 39 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 11, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 WpHG aF) ist für die Einziehung nach §§ 73 ff. StGB die infolge der strafbaren Einwirkung auf den Aktienpreis eingetretene Wertsteigerung der gehaltenen Aktien maßgebend. Hinsichtlich des Erlöses aus dem nachfolgenden Verkauf der Aktien fehlt es hingegen an dem erforderlichen Kausalzusammenhang mit der rechtswidrigen Tat. Die Höhe der Wertsteigerung und damit des Einziehungsumfangs kann regelmäßig nach dem Veräußerungsgewinn bestimmt werden. (Bearbeiter)
4. In Fällen handelsgestützter Marktmanipulationen (§ 38 Abs. 2 Nr. 1, § 39 Abs. 1 Nr. 1, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG aF) unterliegt der gesamte Erlös aus den Aktienverkäufen durch den Täter der Einziehung nach §§ 73 ff. StGB. Die Erwerbskosten für die – wie hier plangemäß – später verkauften Aktien bleiben außer Betracht, weil sie für Vorbereitung der handelsgestützten Marktmanipulation aufgewendet werden und deshalb dem Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB unterfallen. (Bearbeiter)
5. Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation sind – regelmäßig ohne Wissen des Betroffenen durchgeführte – Eingriffe der öffentlichen Gewalt in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG, um zur Aufklärung bestimmter schwerwiegender Straftaten oder Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten insbesondere Telekommunikationsinhalte zu erfassen. Die Erfassung von E-Mails, die beim Provider und damit nicht in einer ausschließlich vom betroffenen Kommunikationsteilnehmer beherrschten Sphäre abgelegt sind, stellt einen solchen Eingriff dar und die Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO ist mithin eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für den Zugriff auf beim Provider gespeicherte E-Mails. (Bearbeiter)
6. Soweit eingewandt wird, § 100a StPO „passe“ nicht, weil es der auf eine Kooperation mit den Providern ausgerichteten Befugnisnorm an den für den Zugriff auf bei diesen „ruhenden“ E-Mails typischen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeelementen mangele, stellt dies die Anwendung des § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO nicht in Frage. Zum einen wird der Zugriff auf gespeicherte E-Mails durch die Strafverfolgungsbehörden regelmäßig – wie hier – im Wege einer durch den Provider ermöglichten Ausleitung der Nachrichten und damit in Kooperation mit diesem vollzogen werden (vgl. § 100a Abs. 4 Satz 1 StPO). Zum anderen bedarf es für den Zugriff auf gespeicherte E-Mails im Rahmen der Überwachung eines bestimmten E-Mail-Accounts gerade keiner Durchsuchung beim Provider. (Bearbeiter)
7. Dem Zugriff auf beim Provider zwischen- oder endgespeicherte E-Mails nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO steht nicht entgegen, dass beim Provider gespeicherte E-Mails mit der offenen Maßnahme des § 94 StPO beschlagnahmt werden können. Ebenso wenig wie § 94 StPO von § 100a StPO verdrängt wird, wird § 100a StPO von § 94 StPO ausgeschlossen. Vielmehr ergänzen sich die beiden Ermittlungsmaßnahmen. Während die Beschlagnahme nur als offene Maßnahme zulässig ist, erlaubt § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO auch den verdeckten Zugriff auf Telekommunikationsinhalte. Die mit der Heimlichkeit der Maßnahme verbundene gesteigerte Eingriffstiefe korrespondiert mit der im Vergleich zu § 94 StPO deutlich höheren Eingriffsschwelle. (Bearbeiter)
8. Der Eingriff nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO ist nicht auf E-Mails beschränkt, die ab dem Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme versandt oder empfangen wurden. Dies folgt schon daraus, dass beim Provider endgespeicherte – von Art. 10 Abs. 1 GG geschützte – E-Mails grundsätzlich ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt ihrer Speicherung nach § 94 StPO beschlagnahmt werden dürfen. Angesichts der im Vergleich zur Beschlagnahme deutlich strengeren Anforderungen muss dieser Zugriff erst recht mit einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO zulässig sein. (Bearbeiter)
1. Beschäftigung im Sinne des § 266a StGB ist die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
2. Soweit Tätigkeiten sowohl in abhängiger Beschäftigung als auch im Rahmen einer Selbstständigkeit ausgeübt werden können, ist die sozialversicherungsrechtliche Bewertung nicht von einem abstrakten Tätigkeitsbild, sondern von der konkreten Gestaltung der jeweiligen Tätigkeit abhängig. Entscheidend für die Abgrenzung sind – ausgehend vom Vertragsverhältnis der Beteiligten – die tatsächlichen Gegebenheiten ihrer „gelebten Beziehung“, die einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind. Ob jemand bei Tätigkeiten, die sowohl in abhängiger Beschäftigung als auch im Rahmen einer Selbstständigkeit ausgeübt werden können, abhängig beschäftigt ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (st. Rspr.).
3. Der subjektive Tatbestand des § 266a StGB verlangt das Bewusstsein und den Willen, die Beiträge in Kenntnis der Umstände, welche die Abführungspflicht begründen, bei Fälligkeit nicht abzuführen. Der Arbeitgeber oder sein gesetzlicher Vertreter muss in einer zumindest laienhaften Bewertung erkannt haben, dass er selbst möglicherweise Arbeitgeber ist, dass eine Abführungspflicht besteht und er durch das Unterlassen einer Anmeldung oder unvollständige oder unrichtige Angaben die Heranziehung zum Abführen von Sozialabgaben ganz oder teilweise vermeiden könnte; eine bloße Erkennbarkeit reicht insofern nicht aus (vgl. BGHSt 64, 195).
4. Eine analoge Anwendung des § 73e Abs. 1 StGB auf Fälle, in denen der Verletzte seine Forderung gegen den Täter nicht geltend macht, scheidet mangels planwidriger Regelungslücke aus.
Das Kriegswaffenkontrollgesetz ist auf Munition anwendbar, allerdings gilt dies nur für Munition mit Hartkerngeschossen, Patronenmunition mit Vollmantelweichkerngeschossen sind vom Kriegswaffenkontrollgesetz ausgenommen.
Nach § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG ist bei der Ahndung von Straftaten nach Jugendstrafrecht, wenn eine anderweitige, bereits rechtskräftige Verurteilung zu einer Sanktion noch nicht erledigt ist, grundsätzlich auf eine einheitliche Rechtsfolge zu erkennen. Die Einbeziehung der früheren Verurteilung darf nach dem gemäß § 105 Abs. 2 JGG entsprechend anzuwendenden § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG nur ausnahmsweise unterbleiben, wenn dies aus erzieherischen Gründen zweckmäßig ist. Dies erfordert Gründe, die unter dem Aspekt der Erziehung von besonderem Gewicht sind und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Strafen notwendig erscheinen lassen.
1. Nach der in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof angewandten Methode zur Bestimmung des Grenzwertes eines Betäubungsmittels ist dieser stets in Abhängigkeit von der konkreten Wirkungsweise und Wirkungsintensität des Betäubungsmittels festzulegen. Bei Opium besteht die Besonderheit, dass es nicht nur als Rohstoff ein Betäubungsmittel darstellt. Es dient auch als Ausgangsmaterial zur Herstellung von Opium-Alkaloiden, wie zum Beispiel Morphin, Kodein oder Papaverin. Dementsprechend gilt die Festlegung des Bundesgerichtshofs, dass bei einer überwiegend intravenös injizierten Morphinzubereitung ein Grenzwert von 4,5 g
Morphinhydrochlorid für die Annahme einer nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zugrunde zu legen ist, aufgrund der divergierenden Applikationsformen nicht für alle Opiumprodukte. Denn die Bioverfügbarkeit unterscheidet sich etwa bei einem oralen Konsum signifikant von einer intravenösen Zuführung.
2. Für die Festlegung eines Grenzwerts ist daher maßgeblich, ob Rohopium, das auch gegessen, getrunken oder geraucht werden kann, oder eine gefährlichere Verarbeitungsform wie beispielsweise Rauchopium oder Rohmorphin Gegenstand des Handelns war. Denn für die Gefährlichkeit der Dosis kommt es auf die Wirkmenge an, die bei der regelmäßig zu erwartenden Darreichungsform auf den Konsumenten einwirkt.
3. Für die Bestimmung des Grenzwertes einer nicht geringen Menge Rohopium oder Rauchopium im Sinne der § 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG existiert bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung.
1. Bei der Aufzucht von Pflanzen zum Gewinnen von Rauschgift kommt es zur Abgrenzung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) vom Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) auf den Umfang des geplanten Umsatzes an, auf welchen die Aufzucht gerichtet ist. Maßgeblich ist die Menge, die mit der bereits begonnenen Aufzucht der Pflanzen letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll.
2. Ein Vermögenswert ist im Rechtssinne aus der Tat erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Faktische Verfügungsgewalt liegt jedenfalls dann vor, wenn der Tatbeteiligte im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen kann. Unerheblich ist dabei im Regelfall, ob das Erlangte beim Täter oder Teilnehmer verbleiben oder es von diesem absprachegemäß an einen anderen weitergegeben werden soll.
Der Tatbestand der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln erfordert zwar keinen eigenhändigen Transport der Betäubungsmittel über die Grenze, so dass Mittäter nach § 25 Abs. 2 StGB grundsätzlich auch ein Beteiligter sein kann, der das Rauschgift nicht selbst in das Inland verbringt. Es müssen aber die Voraussetzungen für ein täterschaftliches Handeln nach den Grundsätzen des allgemeinen Strafrechts vorliegen. Hierzu ist eine wertende Gesamtbetrachtung erforderlich. Von besonderer Bedeutung sind dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Einfluss bei der Vorbereitung der Tat und der Tatplanung, der Umfang der Tatbeteiligung und die Teilhabe an der Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille dazu, sodass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch von dem Willen des Betreffenden abhängen. Entscheidender Bezugspunkt ist dabei der Einfuhrvorgang selbst. Das bloße Interesse an dessen Gelingen genügt nicht, wenn der Betreffende keine Tatherrschaft oder zumindest Tatherrschaftswillen hat.
1. Eine Revisionsbeschränkung ist nur wirksam, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbstständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen. Weiterhin muss gewährleistet sein, dass die infolge des Teilrechtsmittels stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt.
2. Angaben des Angeklagten, für deren Richtigkeit keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen, sind nicht ohne Weiteres als unwiderlegt hinzunehmen und der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn es für ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit keine Beweise gibt. Vielmehr ist die Einlassung des Angeklagten – ebenso wie andere Beweismittel – auf ihre Plausibilität und ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
3. Im Rahmen der Strafzumessung kann gegebenenfalls tatschulderhöhend berücksichtigt werden, dass der Angeklagte die für das Rechtsgut der Volksgesundheit riskante Einfuhrfahrt angetreten hat, ohne die Menge der transportierten Drogen zu prüfen. Gleiches gilt auch für die Art des transportierten Rauschgifts. Der Beschluss des 1. Strafsenats vom 21. März 1989 steht dieser Rechtsauffassung nicht entgegen, weil er sich zu der Frage tatschulderhöhender Berücksichtigung eines Fahrlässigkeitsvorwurfs im Hinblick auf die vom Vorsatz nicht umfasste Betäubungsmittelart nicht verhält.
4. Untersuchungshaft ist grundsätzlich kein Strafmilderungsgrund, wenn der Angeklagte zu einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe verurteilt wird; diese wird grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet. Ande-
res gilt nur in Fällen, in denen der Vollzug der Untersuchungshaft ausnahmsweise mit ungewöhnlichen, über das übliche Maß deutlich hinausgehenden Beschwernissen verbunden ist. Will das Tatgericht den Vollzug der Untersuchungshaft bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigen, so müssen die hierdurch bewirkten besonderen Nachteile nachvollziehbar festgestellt und belegt werden.
Bei erworbenen Betäubungsmitteln handelt es sich regelmäßig nicht um Taterträge (vgl. § 73 StGB), sondern um Tatobjekte, die gemäß § 33 Satz 1 BtMG, § 74 Abs. 2 StGB einzuziehen sind. Soweit die Betäubungsmittel verkauft oder zum Eigenkonsum verbraucht wurden, kommt eine Einziehung des Wertes der Tatobjekte nicht in Betracht. Denn eine solche Einziehung setzt nach § 74c Abs. 1 StGB voraus, dass die Gegenstände dem von der Anordnung Betroffenen gehörten. Für im Inland erworbene Betäubungsmittel ist das nicht der Fall, da dem Eigentumserwerb § 134 BGB entgegensteht.