HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2020
21. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

422. BGH 2 StR 291/19 - Beschluss vom 12. Februar 2020 (LG Wiesbaden)

Untreue (Entziehung von Vermögenswerten: Schwerpunkt der Pflichtwidrigkeit; Vermögensnachteil: schadensgleiche Vermögensgefährdung, schwarze Kassen); rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (keine Auswirkung der Aufhebung des Urteils im Strafausspruch).

Art. 2 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 1 EMRK; § 266 Abs. 1 StGB

1. Eine Strafbarkeit wegen Untreue – in der Variante des Missbrauchs- oder Treubruchstatbestands – kann gegeben sein, wenn der Angestellte einer juristischen Person, insbesondere auch einer Kapitalgesellschaft, dieser ohne wirksame Einwilligung Vermögenswerte entzieht, um sie nach Maßgabe eigener Zwecksetzung, wenn auch möglicherweise im Interesse des Treugebers, zu verwenden. Zum Kernbereich einer Vermögensbetreuungspflicht eines Angestellten mit eigenständiger Dispositionsmacht über fremdes Vermögen gehört es auch, seiner Arbeitgeberin verborgene Geldmittel auf verdeckten, nicht unter ihrem Namen geführten, Konten zu offenbaren. Das Schwergewicht der Pflichtwidrigkeit liegt in diesem Fall regelmäßig nicht auf einzelnen Verwaltungs- und Verschleierungshandlungen des Treunehmers, sondern in dem Unterlassen der Offenbarung durch ordnungsgemäße Verbuchung der Geldmittel.

2. Ein Vermögensnachteil im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB kann bereits durch das Einrichten und Führen einer solchen sog. schwarzen oder verdeckten Kasse eintreten, ohne dass es auf die Grundsätze einer schadensgleichen Vermögensgefährdung ankommt. Maßgeblich ist, ob die Treugeberin nach der konkreten Ausgestaltung der verdeckten Kasse auf diese nicht mehr zugreifen kann und die ausgegliederten Vermögenswerte damit nicht nur in ihrem wirtschaftlichen Wert gemindert, sondern der Treugeberin dauerhaft entzogen sind. Dies kommt nicht nur in Betracht, wenn die Kasse ohne Kenntnis des Vorstands bzw. der Geschäftsführung und unter Verstoß gegen Unternehmensrichtlinien eingerichtet und geführt wird, sondern auch bei bewusstem Ausschluss der Kontrolle und Aufsicht durch die Gesellschaftsorgane. Die dauerhafte Entziehung der Verfügungsmöglichkeit der Treugeberin über die Vermögenswerte stellt einen endgültigen Vermögensverlust dar, der zur Vollendung des Tatbestands der Untreue und zu einem Vermögensnachteil in Höhe der in der verdeckten Kasse vorenthaltenen Mittel führt; die Verwendung der entzogenen Mittel ist danach nur eine Schadensvertiefung und ihre Rückführung allenfalls Schadenswiedergutmachung.

3. Die Aufhebung eines tatrichterlichen Urteils durch das Revisionsgericht im Strafausspruch erfasst grundsätzlich nicht die Frage der Kompensation der bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.


Entscheidung

351. BGH 1 StR 421/19 - Beschluss vom 29. Januar 2020 (LG Bochum)

Untreue (Vermögensbetreuungspflicht: Voraussetzungen); Bestechung im geschäftlichen Verkehr (Wettbewerb); Inbegriffsrüge (Beruhen).

§ 266 Abs. 1 StGB; § 299 StGB; § 261 StPO; § 337 Abs. 1 StPO

1. Allgemeine schuldrechtliche Verpflichtungen, insbesondere aus Austauschverhältnissen, reichen nicht aus, um eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne von § 266 StGB zu begründen, und zwar auch dann nicht, wenn sich hieraus Rücksichtnahme- oder Sorgfaltspflichten ergeben. In der Regel wird sich eine Treuepflicht nur aus einem fremdnützig typisierten Schuldverhältnis ergeben, in welchem der Verpflichtung des Täters Geschäftsbesorgungscharakter zukommt. Bei rechtsgeschäftlicher Grundlage kommt es im Einzelfall auf die vertragliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses an (vgl. zum Ganzen BGHSt 60, 94 Rn. 26).

2. Dient eine vereinbarte Zahlung nach der Vorstellung des Angeklagten dazu, einen durch Konkurrenten ungestörten Absatzweg zu gewährleisten, handelt er zugunsten einer Bevorzugung im Wettbewerb im Sinne des § 299 StGB.


Entscheidung

389. BGH 5 StR 395/19 - Urteil vom 4. März 2020 (LG Cottbus)

Untreue zum Nachteil einer Kommanditgesellschaft (Unmittelbarkeit zwischen Pflichtverletzung und Schaden; Schädigung des Gesamthandsvermögens; Schädigung der Gesellschafter; Vermögensbetreuungspflicht).

§ 266 StGB

Ein in der Rechtsprechung teilweise geforderter Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Nachteil (hier: in Form eines Gefährdungsschadens) i.S.d. § 266 StGB liegt vor, sofern im Tatzeitpunkt aufgrund der Rahmenumstände sicher zu erwarten ist, dass ein bevorstehender Schadensfall (hier: Transfer von Geldern des Treugebers) auch tatsächlich eintreten wird (vgl. bereits BGH HRRS 2016 Nr. 522). Im Hinblick auf die zeitlichen Abläufe kommt dem Unmittelbarkeitskriterium hingegen nicht die Bedeutung zu, dass Pflichtwidrigkeit und Nachteil in einem engen zeitlichen Verhältnis zueinanderstehen müssen.


Entscheidung

400. BGH 5 StR 595/19 - Beschluss vom 3. März 2020 (LG Berlin)

Vorenthalten und Veruntreuen von Sozialversicherungsbeiträgen (subjektiver Tatbestand; Tatum-

standsirrtum; formeller und faktischer Geschäftsführer; Überwachungspflichten; Anhaltspunkte für Fehlverhalten).

§ 266a StGB; § 16 Abs. 1 S. 1 StGB

Den formellen Geschäftsführer, der einen faktischen Geschäftsführer neben sich gewähren lässt, treffen hinsichtlich des die operativen Unternehmensaufgaben wahrnehmenden faktischen Geschäftsführers Überwachungspflichten, die er insbesondere dann verletzt, wenn er Anhaltspunkte für dessen Fehlverhalten hatte und nichts unternimmt. Unter diesen Umständen kommt ein vorsätzliches pflichtwidriges Handeln i.S.d. § 266a StGB (vgl. insofern bereits BGH HRRS 2020 Nr. 237) auch dann in Betracht, wenn sich die Verdachtsmomente nicht unmittelbar auf die Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten beziehen.


Entscheidung

365. BGH 3 StR 26/19 - Beschluss vom 23. Januar 2020 (LG Koblenz)

Zurechnung von aus einer Bande heraus begangenen Straftaten (hier: Handeltreiben mit Betäubungsmitteln) zum einzelnen Bandenmitglied; Schätzung des Wertes des Erlangten bei der Einziehungsanordnung.

§ 30a Abs. 1 BtMG; § 73d StGB

1. Aus einer Bande heraus begangene Straftaten (hier: Handeltreiben mit Betäubungsmitteln) können dem einzelnen Bandenmitglied nicht allein aufgrund der von ihm getroffenen Bandenabrede als eigene zugerechnet werden. Vielmehr ist hinsichtlich jeder Tat nach den allgemeinen Kriterien zu prüfen, inwieweit sich das betreffende Mitglied daran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe beteiligte oder ob es insoweit keinen strafbaren Tatbeitrag leistete.

2. Bei der Schätzung des Wertes des Erlangten (§ 73d StGB) darf das Tatgericht nicht willkürlich vorgehen und muss jedenfalls über eine sichere Schätzungsgrundlage verfügen, die im Urteil darzulegen ist. Das bedeutet, den Urteilsgründen müssen die Schätzungsgrundlagen nachvollziehbar zu entnehmen sein.


Entscheidung

433. BGH 4 StR 22/20 - Beschluss vom 11. Februar 2020 (LG Detmold)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (fakultative Strafmilderung).

§ 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG

Nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG setzt die fakultative Strafmilderung voraus, dass der Täter durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, dass eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a BtMG, die mit seiner Tat in Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte. Wird dem Angeklagten eine Mehrzahl von Taten vorgeworfen, so müssen die Voraussetzungen der Aufklärungshilfe für jede dieser Taten gesondert geprüft werden. Nicht erforderlich ist, dass die Aufklärungshilfe in dem der jeweiligen Verurteilung zugrunde liegenden Verfahren geleistet wird.


Entscheidung

457. BGH 4 StR 605/19 - Beschluss vom 29. Januar 2020 (LG Dessau-Roßlau)

BGHSt; Anfechtung von Entscheidungen (Überprüfung von Erziehungsmaßregeln und Zuchtmitteln bei Aufrechterhaltung des Schuldspruchs).

§ 55 Abs. 1 Satz 1 JGG

Das Revisionsgericht hat auf eine unbeschränkt eingelegte und auch sonst zulässige Revision die vorinstanzlich angeordneten Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel ohne die Beschränkung in § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG auch dann auf Rechtsfehler zu überprüfen, wenn es den Schuldspruch unangetastet lässt. (BGHSt)


Entscheidung

415. BGH 5 ARs 20/19 - Beschluss vom 6. Februar 2020

Anfrageerfahren; Einziehung von Taterträgen und des Wertes von Taterträgen im Jugendstrafverfahren (Ermessen des Tatrichters).

§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG; § 73 Abs. 1 StGB; § 73c Satz 1 StGB; § 2 Abs. 1 JGG; § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO

1. Der Senat hält auf Anfrage des 1. Strafsenats (BGH HRRS 2019 Nr. 773) an seiner Rechtsprechung zur zwingenden Anwendung von § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB im Jugendstrafrecht fest.

2. Die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung gibt nach der Ansicht des Senats keinen Anlass zu einer Neubewertung der Einziehung von Taterträgen bzw. deren Wert (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) in dem Sinne, dass die Anordnung im jugendgerichtlichen Verfahren nunmehr im Ermessen der Jugendgerichte stünde. Die Statuierung einer Ermessensanordnung findet keinen Anhalt im Gesetz und widerstreitet dem Willen des Gesetzgebers.

3. Der Gesetzgeber verfolgt mit §§ 73 ff. StGB (wie bislang) das auch im Jugendstrafrecht legitime Ziel, möglichen Beeinträchtigungen des Vertrauens der Rechtsgemeinschaft in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung zu begegnen, die sich ergeben können, wenn Straftäter deliktisch erlangte Vermögenswerte dauerhaft behalten dürften. Mit der Entziehung des deliktisch Erlangten wird dem Täter ebenso wie der Rechtsgemeinschaft vor Augen geführt, dass strafrechtswidrige Bereicherungen nicht geduldet werden. Das gilt gleichermaßen gegenüber jugendlichen oder heranwachsenden Straftätern.

4. Es stellt eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers dar, die Verhältnismäßigkeitsprüfung aus dem Erkenntnisverfahren in das Vollstreckungsverfahren zu verlagern (§ 459g Abs. 5 Satz 1 StPO), die als solche bis zur Grenze einer – nach Auffassung des Senats nicht gegebenen – Verfassungswidrigkeit von der Judikative hinzunehmen ist. Einwände gegen das gesetzliche Grundkonzept oder Rechtsprobleme, die sich aus Detailregelungen ergeben könnten, berechtigen die ordentliche Gerichtsbarkeit nicht, das gesetzgeberische Konzept durch ein eigenes zu ersetzen.


Entscheidung

369. BGH 3 StR 331/19 - Urteil vom 6. Februar 2020 (LG Duisburg)

Absehen von der Verhängung der Jugendstrafe (schädliche Neigungen, Schwere der Schuld).

§ 17 Abs. 2 JGG

1. Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne

längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen.

2. Bei der Prüfung der Schuldschwere im Sinne von § 17 Abs. 2 Alternative 2 JGG kommt dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung im Strafgesetzbuch als Verbrechen keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können. Diese ermisst sich aus dem Gewicht der Tat und der persönlichkeitsbegründenden Beziehung des Täters zu dieser.


Entscheidung

461. BGH 4 StR 631/19 - Beschluss vom 12. Februar 2020 (LG Stendal)

Urteilsgründe (Zweifelsgrundsatz: Bewährungsbruch).

§ 267 StPO

Sind Tatzeiträume festgestellt, die jeweils auch bewährungsfreie Zeiten umfassen, gilt insoweit der Zweifelsgrundsatz. Deshalb hätte für jede einzelne Tat zugunsten des Angeklagten angenommen werden müssen, dass sie in einer bewährungsfreien Zeit begangen worden ist, sodass für die Annahme eines Bewährungsbruchs kein Raum bleibt.