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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 369

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 331/19, Urteil v. 06.02.2020, HRRS 2020 Nr. 369


BGH 3 StR 331/19 - Urteil vom 6. Februar 2020 (LG Duisburg)

Absehen von der Verhängung der Jugendstrafe (schädliche Neigungen, Schwere der Schuld).

§ 17 Abs. 2 JGG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen.

2. Bei der Prüfung der Schuldschwere im Sinne von § 17 Abs. 2 Alternative 2 JGG kommt dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung im Strafgesetzbuch als Verbrechen keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können. Diese ermisst sich aus dem Gewicht der Tat und der persönlichkeitsbegründenden Beziehung des Täters zu dieser.

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 24. Mai 2018 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung, zu einem Jugendarrest von vier Wochen verurteilt und angeordnet, dass dieser aufgrund der vom Angeklagten erlittenen Untersuchungshaft nicht vollstreckt wird. Eine Entschädigung für die die Dauer des Jugendarrests übersteigende Untersuchungshaft hat die Jugendkammer nicht gewährt.

Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft ausschließlich gegen den Rechtsfolgenausspruch. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Ende des Jahres 2015 schlossen sich die gesondert Verfolgten M., C. und der Zeuge Mi. zusammen, um in erheblichem Umfang Diebstähle in metallverarbeitenden Unternehmen zu begehen. Bei den konkreten Tatausführungen hielten sich die genannten Haupttäter vorwiegend im Hintergrund, übernahmen die Organisation und Überwachung bzw. Absicherung der Einbrüche, während die Taten durch andere angeworbene Mittäter unmittelbar ausgeführt wurden. Als einer dieser Mittäter erklärte sich im Sommer 2015 der zwischenzeitlich rechtskräftig verurteilte Bruder des Angeklagten bereit, an der Entwendung von Metall mitzuwirken. Im Herbst 2015 wurde der Angeklagte unter dem Versprechen, in einer Autowaschanlage arbeiten zu können, nach Deutschland gelockt. Zu diesem Zweck holte ihn ein anderweitig Verfolgter in R. ab und brachte ihn zur Wohnung des M., dem Anführer der Gruppierung. Dort wurde dem Angeklagten sein r. Pass abgenommen. Unter Androhung von Schlägen wurde ihm ferner bedeutet, er müsse Schulden in Höhe von 1.300 € bei M. abarbeiten und zu diesem Zweck in metallverarbeitenden Betrieben auf Anweisung des Mi. Gegenstände aus Metall in ein Fahrzeug laden. Der sich anfangs sträubende Angeklagte war im Folgenden Bedrohungen und Gewalttätigkeiten des M. ausgesetzt. Letztlich erklärte er sich freiwillig zu der Mitwirkung bereit, weil er hoffte, von der Tatbeute anteilig zu profitieren. Der Angeklagte war an drei Taten beteiligt; zum Teil gelang es ihm, sich krank zu stellen, um sich so einer Teilnahme an weiteren Einbruchsdiebstählen zu entziehen.

Jeweils am 17.,18. und 20. Februar 2016 drang der Angeklagte gemeinsam mit Mi. und weiteren Beteiligten in die Lagerhallen metallverarbeitender Betriebe ein, wobei in zwei Fällen hierzu Fenster aufgebrochen und beschädigt wurden. Die Täter entwendeten Metall im Gesamtwert von 105.600,46 €, 35.205,56 € bzw. 37.594,08 €, um sich aus dem Verkaufserlös eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Aufgabe des Angeklagten war es jeweils, zusammen mit weiteren Beteiligten die metallischen Gegenstände in das Transportfahrzeug zu laden. Er erhielt weder einen Anteil an der Beute noch einen Lohn für seine Beteiligung.

2. Die Jugendkammer hat den Sachverhalt rechtlich als drei tatmehrheitliche Fälle des schweren Bandendiebstahls, in zwei Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung, gewürdigt (§ 244a Abs. 1, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, § 25 Abs. 2, § 303 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB). Sie hat auf den zum Tatzeitpunkt 19 Jahre und sechs Monate alten Angeklagten nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewendet und ihn zu einem Dauerarrest von vier Wochen verurteilt.

Das Landgericht hat gegen den Angeklagten keine Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 JGG verhängt. Nach der Würdigung der Jugendkammer lagen mit Blick auf die durch den Bandenchef geschaffene Zwangslage, die freiwillige Loslösung des Angeklagten aus seinem kriminellen Umfeld sowie den nachhaltigen Eindruck, den die gegen den Angeklagten vollstreckte Auslieferungs- und Untersuchungshaft auf ihn hinterließ, zumindest zum Entscheidungszeitpunkt keine schädlichen Neigungen (§ 17 Abs. 2 Alternative 1 JGG) mehr vor. Die Schwere der Schuld im Sinne des § 17 Abs. 2 Alternative 2 JGG hat das Landgericht anhand der konkreten Tatumstände als nicht gegeben erachtet.

II.

Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge dringt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch.

2. Auch die auf die Sachbeschwerde gebotene umfassende materiellrechtliche Prüfung des Rechtsfolgenausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten ergeben.

Das Absehen von der Verhängung einer Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 JGG ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Weder die Nichtannahme schädlicher Neigungen (§ 17 Abs. 2 Alternative 1 JGG) noch die der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 Alternative 2 JGG) erweisen sich als rechtsfehlerhaft. Die Rügen der Beschwerdeführerin erschöpfen sich insoweit - zum Teil unter Heranziehung urteilsfremder Aspekte und Mutmaßungen - weitgehend in einer revisionsrechtlich unbeachtlichen eigenen Würdigung der rechtsfehlerfrei festgestellten Strafzumessungstatsachen.

a) Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 27. November 2008 - 3 StR 219/18, juris Rn. 4; vom 4. Mai 2016 - 3 StR 78/16, NStZ 2016, 682).

Gemessen an diesen Maßstäben hat die Jugendkammer rechtsfehlerfrei das Vorliegen schädlicher Neigungen verneint. Das Landgericht hat dabei weder aus dem Blick verloren, dass der Angeklagte an drei Fällen des schweren Bandendiebstahls täterschaftlich mitwirkte, noch hat es rechtsfehlerhaft eine Vorstrafe nicht berücksichtigt. Denn die insoweit erforderliche eigene Feststellung der Begehung der früheren Tat und deren Umstände (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 - 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281; MüKoStGB/Radtke, 3. Aufl., § 17 JGG Rn. 38) hat das Landgericht nicht treffen können. Schließlich begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass sich die Jugendkammer nicht mit dem früheren, durch M. veranlassten Kokainkonsum des Angeklagten auseinandergesetzt hat, denn es liegen keine Anhaltspunkte für einen zum Zeitpunkt der Urteilsfindung noch bestehenden Betäubungsmittelmissbrauch oder gar eine -abhängigkeit des Angeklagten vor.

b) Auch die Beurteilung der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 Alternative 2 JGG) hält revisionsrechtlicher Nachprüfung im Ergebnis noch stand.

Bei der Prüfung der Schuldschwere im Sinne von § 17 Abs. 2 Alternative 2 JGG kommt dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung im Strafgesetzbuch als Verbrechen keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 - 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281 mwN). Diese ermisst sich aus dem Gewicht der Tat und der persönlichkeitsbegründenden Beziehung des Täters zu dieser (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2011 - 3 StR 353/11, NStZ 2012, 164; vom 29. August 2018 - 5 StR 214/18, NStZ-RR 2018, 358 f.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe trägt die knappe Begründung der Jugendkammer - im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe betrachtet - die Verneinung der Schuldschwere. Denn die für die Beurteilung durch das Landgericht maßgeblich herangezogenen Gesichtspunkte - die beherrschende und beeinflussende Stellung des M. und der von diesem auf den Angeklagten ausgeübte Druck zur Begehung der Straftaten - sind im Rahmen der Feststellungen ausführlich dargestellt.

c) Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten (vgl. § 301 StPO) hat die Überprüfung des Urteils im angefochtenen Umfang nicht ergeben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 369

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 738; StV 2020, 678

Bearbeiter: Christian Becker