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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2019
20. Jahrgang
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1. Liegen die Voraussetzungen des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vor, stellt das Fehlen eines den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Schlussvorträge anordnenden Gerichtsbeschlusses keinen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 6 StPO dar. (BGHSt)
2. Die Verletzung des § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG vermag auch nach § 337 StPO die Revision nicht zu begründen, weil das Urteil auf dem Verfahrensverstoß nicht beruht. Angesichts der dargestellten gesetzlichen Ausgestaltung des Ausschließungsgrundes des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist auszuschließen, dass eine Beschlussfassung der Strafkammer zu einem abweichenden Verfahrensablauf geführt hätte. (Bearbeiter)
1. Zur Berücksichtigung von für die Verfahrensdauer (mit-)ursächlichem Verteidigungsverhalten bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Untersuchungshaft. (BGHR)
2. Bleibt der Wahlverteidiger trotz Anreise zum und Anwesenheit am Verhandlungsort der Hauptverhandlung fern, um damit entgegen der ihm bekannten Rechtsauffassung des insoweit allein zur Entscheidung befugten Vorsitzenden des Strafsenats des Oberlandesgerichts eine Beiordnung als Pflichtverteidiger zu erzwingen, ist eine darauffolgende Aussetzung der Verhandlung und einer Verlängerung der Verfahrensdauer wesentlich auf das Verteidigerverhalten zurückzuführen. Es kommt für dessen Berücksichtigungsfähigkeit nicht maßgeblich darauf an, ob das Verteidigerverhalten sachdienlich ist. (Bearbeiter)
3. Gegen die Bewertung des unter (2.) geschilderten Verteidigerverhaltens als sachdienlich könnte sprechen, dass der Verteidiger um der Durchsetzung seiner Überzeugung von der Notwendigkeit eines zweiten Pflichtverteidigers willen eine Aussetzung der Hauptverhandlung in Kauf nahm, was im Ergebnis mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einer längeren Dauer des Strafverfahrens und der den Angeklagten besonders belastenden Untersuchungshaft führen wird. (Bearbeiter)
Fehlerhaft zustande gekommene richterliche Vernehmungen, die wegen eines Verstoßes gegen § 168c StPO nicht verwertet werden können, dürfen als nichtrichterliche Vernehmung in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Anforderungen des § 251 Abs. 1 StPO erfüllt sind, dass der Tatrichter sich des minderen Beweiswertes bewusst ist und dass dieser die Verfahrensbeteiligten auf die beabsichtigte Verwertung als nichtrichterliche Vernehmung gemäß § 265 StPO hingewiesen hat.
Grundsätzlich kann das Urteil nur auf dem Unterlassen einer Entscheidung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO), wenn die beanstandete Maßnahme des Vorsitzenden gegen das Verfahrensrecht verstoßen hat. War diese hingegen rechtmäßig, kann das Urteil allenfalls dann ausnahmsweise auf der unterbliebenen Entscheidung nach § 238 Abs. 2 StPO beruhen, wenn sich der Angeklagte bei Kenntnis der Gründe für die Zurückweisung seiner Beanstandung anders und erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können.
Eine Begründungspflicht für letztinstanzliche, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare Entscheidungen besteht nicht. Das gilt auch dann, wenn in einer Gegenerklärung zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts und in späteren Schriftsätzen die Sachrüge erstmals näher ausgeführt wird. Eine Mitteilung des Gerichts, warum es nachgeschobene Beanstandungen für unbegründet erachtet, ist nicht erforderlich.
1. Eine Beschränkung der Revision nach § 344 Abs. 1 StPO ist nur zulässig, soweit die Beschwerdepunkte nach dem inneren Zusammenhang des Urteils – losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil – tatsächlich und rechtlich unabhängig beurteilt werden können, ohne eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen. Weiter muss gewährleistet sein, dass die nach Teilanfechtung stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleiben kann. Die Revisionsbeschränkung unter Ausklammerung eines Maßregelausspruchs ist deshalb unwirksam, wenn zugleich jedenfalls auch der Schuldspruch angegriffen wird, der von der Maßregelfrage nicht getrennt werden kann.
2. Die Beweiswürdigung ist originäre Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Allein ihm obliegt es, die Ergebnisse der Hauptverhandlung festzustellen und abschließend zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein. Es genügt, dass sie möglich sind. Das Revisionsgericht hat die Beweiswürdigung des Tatrichters selbst dann hinzunehmen, wenn eine anderweitige Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre. Es ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweis-
würdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich so weit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich hierzu gezogene Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen. Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen.
Die Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbots nach § 136a StPO sind in der Revisionsinstanz im Wege des Freibeweises aufzuklären; insoweit ist das Revisionsgericht zu eigener Prüfung berufen. Es ist grundsätzlich weder auf die Feststellungen des Tatgerichts beschränkt noch an dessen Beweiswürdigung gebunden.
1. Ist dem Tatgericht mangels Sachkunde eine eigene Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gutachtens eines Sachverständigen nicht möglich, so genügt es zwar, dass er sich von der Sachkunde des Gutachters überzeugt und sich danach dem Ergebnis des Gutachtens anschließt. Jedoch muss es in diesem Fall die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Sachverständigen im Urteil so wiedergeben, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.). Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich dabei nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (vgl. BGH NStZ 2013, 177, 178). Liegt dem Gutachten ein standardisiertes Verfahren zugrunde, wie es etwa beim daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung von Blutgruppen der Fall ist, so genügt die bloße Mitteilung des erzielten Ergebnisses (vgl. BGH NStZ 2011, 171 mwN).
2. Für molekulargenetische Vergleichsgutachten gilt nichts anderes. Nach der neueren Rechtsprechung muss in den in der forensischen Praxis gebräuchlichen Verfahren lediglich das Gutachtenergebnis in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form mitgeteilt werden, sofern sich die Untersuchungen auf eindeutige Einzelspuren beziehen und keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen (vgl. BGH NJW 2018, 3192, 3193).
3. Diese Vereinfachung gilt aber nicht für Mischspuren; solche Spuren weisen mehr als zwei Allele in einem DNA-System auf, mithin Zellmaterial von mehr als einer einzelnen Person. Insoweit ist nach wie vor grundsätzlich in den Urteilsgründen mitzuteilen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergaben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, ob dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war. Bei Mischspuren können je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls strengere Anforderungen gelten, auch in Bezug auf die Vergleichspopulation. Gegebenenfalls ist es notwendig, ergänzende molekulargenetische Untersuchungen durchzuführen (vgl. BGH NStZ 2014, 477, 479). Regelmäßig wird sich die Angabe empfehlen, wie viele Spurenverursacher in Betracht kommen und um welchen Typ von Mischspur es sich handelt.
4. Ein hinterlistiger Überfall im Sinne der § 224 Abs. 1 Nr. 4 setzt voraus, dass sich die Absicht des Täters, dem Geschädigten die Verteidigungsmöglichkeit zu erschweren, äußerlich manifestiert, der Täter also seine Verletzungsabsicht planmäßig verbirgt. Ein plötzlicher Angriff oder das bloße Ausnutzen eines Überraschungsmoments reichen für sich allein nicht aus.
Die „Nämlichkeit“ der Tat als geschichtlicher Vorgang ist gegeben, wenn ungeachtet möglicher erst durch die Hauptverhandlung aufgeklärter Einzelheiten bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges unverwechselbares Geschehen kennzeichnen. Auch bei Serienstraftaten wie hier den Missbrauchstaten zu Lasten eines Kindes bzw. einer Jugendlichen, die zudem erst nach längerer Zeit aufgedeckt werden, können der Ort und die Zeit des Vorgangs, das Täterverhalten, die ihm innewohnende Richtung, also die Art und Weise der Tatverwirklichung, und das Opfer die Vielzahl der Fälle ausreichend konkretisieren, sodass nicht nur die Umgrenzungsfunktion gewahrt ist, sondern auch die Übereinstimmung von angeklagtem und ausgeurteiltem Sachverhalt überprüft werden kann (vgl. BGHSt 32, 215, 218).
Gemäß § 45 Abs. 1 StPO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Demgemäß muss der Antrag Angaben nicht nur über die versäumte Frist und den Hinderungsgrund, sondern auch über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses enthalten. Dies gilt auch dann, wenn der Verteidiger eigenes Verschulden geltend macht.