HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2018
19. Jahrgang
PDF-Download

Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

392. BGH 4 StR 158/17 - Urteil vom 1. März 2018 (LG Frankfurt am Main)

Eventualvorsatz (Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit: erforderliche Gesamtschau, Selbstgefährdung des Täters als Indiz, erforderliche Darstellung im Urteil); Verhängung von Jugendstrafe (Vorliegen schädlicher Neigungen des Jugendlichen: zeitnahe Begehung weiterer Straftaten als Indiz; Bildung einer nachträglichen Gesamtjugendstrafe unter Einbeziehung einer Tat im Erwachsenenalter: Schwergewicht bei der Tat im Heranwachsendenalter).

§ 15 StGB; § 17 Abs. JGG; § 31 Abs. 2 JGG; § 32 JGG; § 105 JGG

1. Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (vgl. BGHSt 57, 183, 186 f.). Dabei ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes (vgl. BGH NStZ-RR 2016, 79, 80). Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. BGH NStZ 2006, 446). Dabei hat der Tatrichter die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. BGH NStZ 2015, 516, 517).

2. Ein wesentlicher vorsatzkritischer Gesichtspunkt ist in Fällen, in denen dies naheliegt, die Eigengefährdung des Täters. Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Zwar gibt es keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht (vgl. BGH NStZ 2000, 583, 584). Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat.

3. Dementsprechend muss sich der Tatrichter beim Vorliegen einer solchen Konstellation einzelfallbezogen damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte. Hierfür können sich wesentliche Indizien aus den objektiven Tatumständen ergeben, namentlich dem täterseitig genutzten Verkehrsmittel und den konkret drohenden Unfallszenarien. So kann es sich etwa unterschiedlich auf das Vorstellungsbild des Täters zu seiner Eigengefährdung auswirken, ob er sich selbst in einem Pkw oder auf einem Motorrad befindet und ob Kollisionen mit Fußgängern oder Radfahrern oder mit anderen Pkw oder gar Lkw drohen.

4. Schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 JGG sind erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie müssen auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen und weitere Straftaten befürchten lassen

(st. Rspr.). Wird der Täter nach der verfahrensgegenständlichen Tat zeitnah erneut straffällig, kann dies sowohl ein Indiz für bereits im Tatzeitpunkt entwickelte Persönlichkeitsmängel, als auch für deren Fortbestand sein und deshalb für die Annahme schädlicher Neigungen sprechen (vgl. BGH NStZ 2010, 280, 281).

5. In entsprechender Anwendung von § 31 Abs. 2 Satz 1, § 32 Satz 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 JGG kann in eine einheitliche Jugendstrafe auch eine rechtskräftige und noch nicht erledigte Verurteilung zu Freiheitsstrafe einbezogen werden, die wegen einer Tat verhängt worden ist, die der Angeklagte als Erwachsener begangen hat (vgl. BGHSt 40, 1). Voraussetzung dafür ist, dass eine oder mehrere noch im Heranwachsendenalter begangene Tat(en) zur Aburteilung anstehen, auf die Jugendstrafrecht anzuwenden wäre und eine zusammenfassende, die Erwachsenenstraftat einbeziehende Bewertung ergibt, dass das Schwergewicht im Sinne des § 32 Satz 1 JGG bei den nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Tat(en) liegt und deshalb einheitlich Jugendstrafrecht gilt (vgl. BGHSt 37, 34, 35 ff.). Liegt das Schwergewicht dagegen bei der Erwachsenenstraftat, ist entsprechend § 32 Satz 2 i.V.m. § 105 Abs. 2 JGG einheitlich das allgemeine Strafrecht anzuwenden. Schließlich kann die Jugendkammer aber auch nach § 31 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 105 Abs. 2 JGG von einer Einbeziehung absehen, wenn dies aus erzieherischen Gründen zweckmäßig ist.


Entscheidung

388. BGH 2 StR 252/17 - Beschluss vom 7. Dezember 2017 (LG Frankfurt a. M.)

Notwehr (Erforderlichkeit: lebensbedrohlicher Einsatz eines Messers, Pflicht zur Androhung; Einschränkung des Notwehrrechts bei Notwehrprovokation: keine Einschränkung allein wegen Neigung des Angreifers zu aggressiven Verhaltens).

§ 32 StGB

1. Eine Verteidigung ist nicht im Sinne des § 32 Abs. 1 StGB geboten, wenn von dem Angegriffenen aus Rechtsgründen die Hinnahme der Rechtsgutsverletzung oder eine eingeschränkte und risikoreichere Verteidigung zu fordern ist (vgl. BGH NStZ-RR 2016, 272, 273). Der Angegriffene muss sich daher insbesondere bei der Wahl eines lebensgefährlichen Verteidigungsmittels besondere Zurückhaltung auferlegen, wenn er die Auseinandersetzung schuldhaft provoziert hat (Notwehrprovokation).

2. Wer durch ein rechtswidriges, pflichtwidriges oder sozialethisch eindeutig zu missbilligendes Vorverhalten einen Angriff auf sich schuldhaft provoziert hat, auch wenn er ihn nicht in Rechnung gestellt haben sollte oder gar beabsichtigt hat, darf nicht bedenkenlos von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen (vgl. BGH NStZ 2016, 84, 85). Der Angegriffene ist in Fällen der Notwehrprovokation daher verpflichtet, dem Angriff gegebenenfalls auszuweichen oder das Risiko hinzunehmen, das mit der Wahl eines weniger gefährlichen Abwehrmittels verbunden ist (vgl. BGHSt 24, 356, 359). Allerdings ist das Notwehrrecht auch in Fällen eines rechtswidrigen oder sozialethisch zu missbilligenden Vorverhaltens nur eingeschränkt; ein vollständiger Ausschluss oder eine zeitlich unbegrenzte Ausdehnung der Beschränkungen des Notwehrrechts ist damit nicht verbunden (st. Rspr.).

3. Die bloße Neigung des Angreifers zu aggressivem Verhalten sowie die Kenntnis des Angegriffenen hiervon vermag eine Einschränkung des Notwehrrechts nicht zu begründen.

4. Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann erforderlich und durch Notwehr gerechtfertigt sein. Die Verpflichtung, den Gebrauch eines Messers vorher anzudrohen, besteht grundsätzlich nur gegenüber einem unbewaffneten Angreifer (vgl. BGHSt 26, 256, 258).


Entscheidung

425. BGH 2 StR 545/17 - Beschluss vom 7. Februar 2018 (LG Aachen)

Stufenverhältnis und Wahlfeststellung (räuberische Erpressung und Diebstahl: kein Stufenverhältnis, keine rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit).

§ 55 StGB; § 242 StGB; § 250 StGB ; § 255 StGB

1. Sieht sich der Tatrichter nicht in der Lage, den von ihm zu beurteilenden Tatvorgang eindeutig festzustellen, muss er vielmehr mehrere mögliche Geschehensabläufe in Rechnung stellen, dann ist das Verhältnis der möglichen das Tatgeschehen bildenden Verhaltensweisen zueinander dafür maßgebend, ob und aufgrund welcher Strafvorschrift der Angeklagte zu verurteilen ist. Stehen die zu beurteilenden Verhaltensweisen in einem Stufenverhältnis zueinander, so ist nach dem Grundsatz, dass im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden ist, aufgrund des milderen Gesetzes zu verurteilen. Wenn ein solches Stufenverhältnis nicht vorliegt, kommt im Einzelfall eine gesetzesalternative Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage in Betracht. Ist auch dies rechtlich nicht möglich, kann ein Auffangtatbestand zur Anwendung kommen.

2. Zwischen schwerer räuberischer Erpressung und Diebstahl besteht kein Stufenverhältnis, das den Rückgriff auf den Diebstahlstatbestand als günstigere Alternative ermöglichen würde. Ein derartiges Stufenverhältnis liegt nur vor, wenn die alternativ in Frage kommenden Tatbestände in einem Verhältnis von Mehr und Weniger zueinander stehen. Das ist aber ausschließlich dann der Fall, wenn ein Straftatbestand vollständig in dem anderen enthalten ist, wie etwa bei Diebstahl oder Raub, die jeweils die Wegnahme einer fremden Sache voraussetzen.

3. Eine gesetzesalternative Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage („echte Wahlfeststellung“) erfordert nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die verschiedenen in Frage kommenden Straftatbestände rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sind. Das ist bei den Alternativen von Diebstahl oder schwerer räuberischer Erpressung nicht der Fall, und zwar auch dann nicht, wenn Qualifikationen der Erpressung bei der Vergleichsbetrachtung weggelassen werden; denn Diebstahl und Erpressung unterscheiden sich so sehr, dass sie einander ausschließen. Der Erpresser bereichert sich nicht nur auf Kosten eines anderen, insoweit wertungsmäßig vergleichbar mit dem Dieb, sondern er wirkt mit

Gewalt oder Drohung auf die Freiheit der Willensentschließung des Opfers ein. Diese Verletzung eines anderen Rechtsguts steht der Annahme einer rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit entgegen.


Entscheidung

443. BGH 3 StR 612/17 - Beschluss vom 20. Februar 2018 (LG Wuppertal)

Keine wahlweise Verurteilung wegen (versuchten) Raubes und (versuchter) räuberischer Erpressung; rechtsfehlerhafte Verneinung eines Hanges trotz intensiver Neigung zum Betäubungsmittelkonsum.

§ 64 StGB; § 249 StGB; § 253 StGB; § 255 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

Eine wahlweise Verurteilung wegen (hier: versuchten) besonders schweren Raubes oder wegen (hier: versuchter) besonders schwerer räuberischer Erpressung kommt nicht in Betracht, weil der Tatbestand der räuberischen Erpressung den engeren Tatbestand des Raubes mitumfasst. Denn die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache im Sinne des § 249 StGB schließt auch die Nötigung eines anderen zur Duldung der Wegnahme im Sinne der §§ 253, 255 StGB ein.


Entscheidung

396. BGH 4 StR 516/17 - Beschluss vom 14. März 2018 (LG Dortmund)

Vergewaltigung (Konkurrenzverhältnis bei mehreren hintereinander begangenen Vergewaltigungen: Tateinheit bei einheitlicher Gewaltanwendung bzw. fortwirkender Drohung); Adhäsionsverfahren (erforderliche Angabe der Größenordnung des begehrten Schmerzensgelds).

§ 177 Abs. 1, Abs. 6 Nr. 1 StGB; § 52 StGB; § 404 Abs. 1 Satz 2 StPO; § 253 Abs. 2 BGB

Für die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses bei mehrfach hintereinander begangenen Vergewaltigungen kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblich darauf an, ob der Nötigung des Tatopfers ein einheitliches Tun des Angeklagten zugrunde liegt. Bei einheitlicher Gewaltanwendung liegt ebenso wie bei fortgesetzter oder fortwirkender Drohung trotz mehrfach dadurch erzwungener Beischlafhandlungen nur eine Tat im Rechtssinne vor (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 235).


Entscheidung

382. BGH 1 StR 83/18 - Beschluss vom 7. März 2018 (LG Hof)

Rücktritt vom Versuch (unbeendeter Versuch: erforderliche Feststellungen zum Rücktrittshorizont; Fehlschlag des Versuchs: kein zwangsläufiger Fehlschlag bei dem Täter bekannter Benachrichtigung der Polizei; Freiwilligkeit: Abstandnahme von der Tatvollendung aus selbstgesetzten Motiven).

§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 1 StPO

1. Der Annahme von Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB steht es nicht von vornherein entgegen, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt. Entscheidend ist vielmehr, dass der Täter die Tatvollendung aus selbstgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will und dementsprechend „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 241).

2. Die Benachrichtigung der Polizei und die Kenntnis des Täters davon rechtfertigen für sich genommen weder die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs, noch stehen sie grundsätzlich einer Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB entgegen, da ein Täter in der Zeit bis zum Eintreffen derselben grundsätzlich noch ungehindert weitere Ausführungshandlungen vornehmen kann, ohne dass damit für ihn eine beträchtliche Risikoerhöhung verbunden sein muss.


Entscheidung

409. BGH 4 StR 397/17 - Urteil vom 15. März 2018 (LG Bochum)

Rücktritt (Rücktrittshorizont: Möglichkeit einer nachträglichen Korrektur).

§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält.

2. Der sogenannte Rücktrittshorizont kann in engen Grenzen allerdings noch nachträglich korrigiert werden: Wenn der Täter, der nach der letzten Ausführungshandlung den Erfolgseintritt zunächst für möglich hält, unmittelbar darauf erkennt, dass er sich geirrt hat, kann er durch Abstandnahme von weiteren möglichen Ausführungshandlungen mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurücktreten.

3. Rechnet der Täter zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, ist auch eine sogenannte umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizontes möglich, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall liegt ein beendeter Versuch vor. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Korrektur der Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser erfolgt.


Entscheidung

402. BGH 2 StR 353/17 - Beschluss vom 7. März 2018 (LG Aachen)

Rücktritt (Rücktrittshorizont: Definition, Anforderungen an die Feststellungen; unbeendeter Versuch nach Erreichen eines außertatbestandlichen Handlungszieles).

§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB

1. Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Erkennt der Täter, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte oder glaubt er subjektiv, dass er sein Ziel im

unmittelbaren Handlungsfortgang nicht mehr erreichen kann, so liegt ein fehlgeschlagener Versuch vor.

2. Fehlt es an den erforderlichen Feststellungen zum Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung, so hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

3. Der Umstand, dass ein Täter sein außertatbestandliches Handlungsziel erreicht hat, einen (freiwilligen) Rücktritt vom unbeendeten Versuch nicht aus.


Entscheidung

441. BGH 3 StR 482/17 - Urteil vom 11. Januar 2018 (LG Bad Kreuznach)

Fehlgeschlagener Versuch (Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten; Rücktrittshorizont; revisionsrechtliche Prüfung; sachlich-rechtlicher Mangel bei fehlenden Feststellungen); Bestimmen einer minderjährigen Person zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Begriff des Bestimmens; kommunikative Handlung; Förderung; konkurrenzrechtliche Bewertung bei ein- und demselben Güterumsatz); Strafmilderung wegen Aufklärungshilfe trotz ausgebliebenem Aufklärungserfolg.

§ 29 BtMG; § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG; § 31 BtMG; § 24 StGB; § 46 StGB; § 52 StGB

1. Fehlgeschlagen ist der Versuch, wenn der Taterfolg aus der Sicht des Täters mit den bereits eingesetzten oder zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt wird. Daher sind zur Annahme eines Fehlschlags regelmäßig Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten im Moment seines Nichtweiterhandelns (Rücktrittshorizont) erforderlich; lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

2. Die Handlungsalternative des „Bestimmens“ im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG stellt sich als Parallele zu § 26 StGB dar und erhebt die Anstiftungshandlung zur eigentlichen Haupttat. Unter „Bestimmen“ ist dabei die Einflussnahme auf den Willen eines anderen zu verstehen, die diesen zu dem im Gesetz beschriebenen Verhalten bringt. Dies setzt einen kommunikativen Akt voraus.

3. § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG in der Variante des Bestimmens eines Minderjährigen zum Fördern einer der dort genannten Handlungen erfordert darüber hinaus, dass der angestiftete Minderjährige neben den objektiven auch die subjektiven Voraussetzungen einer Beihilfehandlung im Sinne des § 27 StGB verwirklicht. Die Vorschrift erfasst auch das Bestimmen zur Förderung einer inkriminierten Handlung durch den Bestimmenden selbst.

4. Soweit ein und derselbe Güterumsatz Gegenstand der strafrechtlichen Bewertung ist, ist bei Absatzdelikten eine Tat anzunehmen. Bestimmt der Täter bei seinem auf den Umsatz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gerichteten Handeln zugleich eine Person unter 18 Jahren dazu, mit diesen Betäubungsmitteln selbst Handel zu treiben oder das Handeltreiben des Täters zu fördern, so stehen § 29a Abs. 1 Nr. 2 und § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG wegen ihres verschiedenartigen Unrechtsgehalts in Tateinheit.


Entscheidung

440. BGH 3 StR 451/17 - Beschluss vom 23. Januar 2018 (LG Hannover)

Rechtsfehlerhafte Zurechnung einer versuchten Totschlagshandlung über die Mittäterschaft (Exzess; sukzessive Mittäterschaft; einseitige Kenntnisnahme; Voraussetzungen der Mittäterschaft); erforderliche Feststellungen zum Rücktrittshorizont beim fehlgeschlagenen Versuch.

§ 24 StGB; § 25 Abs. 2 StGB

1. Sukzessive Mittäterschaft setzt voraus, dass ein weiterer Beteiligter in Kenntnis und Billigung des von einem anderen begonnenen Handelns in das tatbestandsmäßige Geschehen als Mittäter eingreift und sich mit dem anderen vor Beendigung der Tat zu gemeinschaftlicher weiterer Ausführung verbindet. Eine bloß einseitige Kenntnisnahme und Billigung des bisherigen Geschehens genügt nicht.

2. Zur Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs sind regelmäßig Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten im Moment seines Nichtweiterhandelns (Rücktrittshorizont) erforderlich; fehlen in den Urteilsfeststellungen entsprechende Ausführungen, die zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch im Allgemeinen unerlässlich sind, so hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung in der Regel nicht stand. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die festgestellte objektive Sachlage sichere Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Angeklagten gestattet.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

459. BGH 5 StR 652/17 - Beschluss vom 7. März 2018 (LG Görlitz)

Vergewaltigung (Narkosemittel; gefährliches Werkzeug; Verwenden bei der Tat; sonstiges Werkzeug oder Mittel; Absicht zur Verhinderung oder Überwindung von Widerstand; Zeitpunkt der Fassung des Vergewaltigungsvorsatzes).

§ 177 Abs. 2, Abs. 7, Abs. 8 StGB

Betäubt der Täter einer Vergewaltigung das Opfer mit einem Narkosemittel, kommt eine Qualifikation der Tat weder nach § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB noch nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB in Betracht, wenn die Verwendung des Narkosemittels zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem noch kein Vergewaltigungsvorsatz vorliegt. Denn unter diesen Umständen fehlt es sowohl an der in § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB bezeichneten Absicht als auch am Merkmal des Verwendens bei der Tat im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB.


Entscheidung

379. BGH 1 StR 412/16 - Beschluss vom 27. Juli 2017 (LG Kempten)

Datenveränderung (Verändern von Daten: Voraussetzungen, hier: Hinzufügen von Einträgen in einer Registry-Datei); Ausspähen von Daten (erforderliche Dokumentation des Geheimhaltungsinteresses durch besondere Sicherungsvorkehrungen: Firewall); Anordnung des Verfalls (Krypto-Währung als erlangtes Etwas; Verschlechterungsverbot: Anwendbarkeit auf Verfallsanordnung, hier: Wertobergrenze der Verfallsanordnungen bei für verfallen erklärter Krypto-Währung mit hoher Wertvolatilität)

§ 303a Abs. 1 StGB; § 202a Abs. 1 StGB; § 73 Abs. 1 aF StGB; § 73e aF StGB; § 331 StPO

1. Das Hinzufügen von Einträgen in der Registry-Datei eines Computers zum automatischen Starten heimlicher Hintergrundprogramme stellt ein Verändern von Daten im Sinne des § 303a Abs. 1 StGB dar.

2. Ein Verändern von Daten im Sinne des § 303a Abs. 1 StGB liegt vor bei einem Herbeiführen von Funktionsbeeinträchtigungen der Daten, die eine Änderung ihres Informationsgehalts oder des Aussagewerts zur Folge haben. Hierunter fällt jede Form der inhaltlichen Umgestaltung von gespeicherten Daten, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese eine objektive Verbesserung darstellt. Entscheidend ist vielmehr, dass ein vom bisherigen abweichender Zustand herbeigeführt wird.

3. Geschützt sind Daten durch den § 202a StGB nur dann, wenn der Verfügungsberechtigte das Interesse an ihrer Geheimhaltung durch besondere Sicherungsvorkehrungen dokumentiert hat (vgl. BGH NStZ 2016, 339). Um von einer Dokumentation an der Geheimhaltung der Daten ausgehen zu können, bedarf es einer zum Tatzeitpunkt bestehenden Zugangssicherung, die darauf angelegt sein muss, den Zugriff Dritter auf die Daten auszuschließen oder wenigstens nicht unerheblich zu erschweren. Darunter fallen insbesondere Schutzprogramme wie Firewalls, die geeignet sind, unberechtigten Zugriff auf die auf einem Computer abgelegten Daten zu verhindern, und die nicht ohne fachspezifische Kenntnisse überwunden werden können und den Täter zu einer Zugangsart zwingen, die der Verfügungsberechtigte erkennbar verhindern wollte (vgl. BGH NStZ 2011, 154).

4. Erlangtes Etwas im Sinne der § 73 Abs. 1 aF StGB ist die Gesamtheit des materiell aus der Tat tatsächlich Erlangten. Hiervon werden – ungeachtet ihrer Rechtsnatur – auch Bitcoins erfasst. Sie stellen angesichts ihres Marktwertes einen realisierbaren Vermögenswert dar, für den der Angeklagte sowohl materiell Berechtigter ist als auch die faktische Verfügungsgewalt hat. Sie sind angesichts der Speicherung in der Blockchain und der Kombination aus öffentlichen und dem Angeklagten bekannten privaten Schlüssel der Wallet hinreichend abgrenzbar und damit tauglicher, wenn auch nicht körperlicher Gegenstand einer Verfallsanordnung. Soweit dagegen geltend gemacht wird, Bitcoins könnten allein deswegen kein Verfallsgegenstand sein, da sie weder Sache noch Recht seien und deswegen der Wortlaut des § 73e aF StGB auf sie nicht anwendbar sei, kann dem nicht gefolgt werden. Die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 1 aF StGB enthält gerade keine solche Begrenzung auf Sachen oder Rechte.

5. Das Verschlechterungsverbot gilt auch für die Verfallsvorschriften (vgl. BGH NStZ 2011, 229) und bewirkt, dass die Maßnahme im Falle einer Anordnung nicht über den ursprünglichen Gegenstand hinaus erweitert werden darf (vgl. BGH NStZ 2014, 32). Zwar bleibt die Vermögensabschöpfung auf die Bitcoins beschränkt und erfasst unmittelbar keinen darüber hinausgehenden Gegenstand. Das Entfallen einer Wertgrenze für die Vermögensabschöpfung, die dem Angeklagten im ersten Rechtsgang als Begünstigung gewährt worden war, stellt aber nach der gebotenen faktischen Betrachtungsweise (vgl. hierzu BGH StraFo 2007, 510) eine den Angeklagten – je nach volatiler Entwicklung der Bitcoins – möglicherweise ungleich stärker belastende und damit schwerere Rechtsfolge dar.


Entscheidung

393. BGH 4 StR 311/17 - Urteil vom 1. März 2018 (LG Bremen)

Gefährdung des Straßenverkehrs durch zu schnelles Fahren an Straßeneinmündungen (Begriff der Straßeneinmündung: Fußgängerfurten als Teil der Einmündung; erforderliche Risikozusammenhang zwischen zu schnellem Fahren und Gefährdung: keine Unterbrechung durch Rotlichtverstoß des gefährdeten Fußgängers); Eventualvorsatz (Totschlag; Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit im Straßenverkehr: erkannte Eigengefährdung als Indiz).

§ 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB; § 37 StVO; § 15 StGB; § 212 StGB

1. Zum Einmündungsbereich einer Straße im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB gehören auch kurz vor der eigentlichen Einmündung befindliche Fußgängerfurten, selbst wenn diese vom eigentlichen Kreuzungsbereich um einige Meter abgesetzt sind.

2. Der für § 315c Abs. 1 StGB erforderliche Risikozusammenhang entfällt nicht dadurch, dass der Geschädigte die Fußgängerfurt – entgegen § 37 StVO – bei rotem Ampelsignal betrat. Die Strafvorschrift des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB dient anerkanntermaßen auch dem Schutz von Fußgängern, die an Kreuzungen oder Einmündungen die Fahrbahn überqueren. An innerstädtischen Kreuzungen und Einmündungen sind, insbesondere am späten Abend, Rotlichtverstöße an Fußgängerüberwegen nicht unüblich und gehören damit zum typischen Risiko eines solchen Verkehrsbereichs. Auch um auf ein solches Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer angemessen reagieren zu können, verbietet sich an diesen Stellen ein zu schnelles Fahren.

3. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraute und deshalb nicht mit Verletzungsvorsatz handelte. Dementsprechend muss sich der Tatrichter beim Vorliegen einer solchen Konstellation einzelfallbezogen damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte. Hierfür können sich wesentliche Indizien aus den objektiven Tatumständen ergeben, namentlich dem täterseitig genutzten Verkehrsmittel und den konkret drohenden Unfallszenarien.


Entscheidung

395. BGH 4 StR 469/17 - Beschluss vom 15. März 2018 (LG Bremen)

Gefährdung des Straßenverkehrs (Begriff des falschen Fahrens beim Überholen; erforderlicher Zusammenhang zwischen den spezifischen Risiken der Tatbestandsvarianten und der eingetretenen Gefahr); Strafzumessung (keine strafschärfende Berücksichtigung der Beseitigung von Tatspuren).

§ 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b) StGB; § 5 StVO; § 46 StGB

1. Überholen im Sinne der Strafvorschrift des § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB meint das Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen auf derselben Fahrbahn oder unter Benutzung von Flächen, die mit der Fahrbahn nach den örtlichen Gegebenheiten einen einheitlichen Straßenraum bilden (vgl. BGHSt 61, 249).

2. Ein falsches Fahren beim Überholen ist gegeben, wenn der Täter eine der in § 5 StVO normierten Regeln verletzt oder einen anderweitigen Verkehrsverstoß begeht, der das Überholen als solches gefährlicher macht, sodass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Verkehrsverstoß und der spezifischen Gefahrenlage des Überholens besteht (vgl. BGH NZV 2017, 135, 136). Unbeschadet des Umstands, dass ein solches Verhalten nicht gegen § 5 StVO verstößt (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 91, 144), kann ein falsches Überholen daher darin liegen, dass der Täter unter Missachtung der auf einer Abbiegespur durch Zeichen 297 nach Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO getroffenen Anordnung über die einzuhaltende Fahrtrichtung überholt.

3. Der Tatbestand des § 315c Abs. 1 StGB setzt voraus, dass die unter eine der verschiedenen Begehungsvarianten zu subsumierende Tathandlung zu einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert geführt hat. Wie dem Wortlaut der Norm („und dadurch“) zu entnehmen ist, muss ein innerer Zusammenhang zwischen der herbeigeführten Gefahr und den mit den verschiedenen Tatbestandsalternativen typischerweise verbundenen Risiken in der Weise bestehen, dass sich in der eingetretenen Gefahrenlage gerade das spezifische Risiko der Tathandlung verwirklicht hat. Dass der Gefahrenerfolg nur gelegentlich der Tathandlung des § 315c Abs. 1 StGB eintritt, reicht dagegen nicht (vgl. BGH NStZ 2007, 222).

4. Der Versuch, sich selbst durch Beseitigung von Tatspuren der Strafverfolgung zu entziehen, darf nicht strafschärfend gewertet werden, selbst wenn die Spurenbeseitigung umsichtig oder kaltblütig vorgenommen wird. Anders kann es sich dann verhalten, wenn der Täter neues Unrecht schafft oder mit seinem Verhalten weiter gehende Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen (vgl. BGH NStZ 2011, 512).


Entscheidung

378. BGH 1 StR 351/17 - Urteil vom 21. Februar 2018 (LG Ansbach)

Mord (niedrige Beweggründe: Tötung des sich vom Täter abwendenden Intimpartners; Heimtücke); minderschwerer Fall des Totschlags (Gesamtbetrachtung: kein zwingendes Erfordernis einer bewussten Provokation durch das Opfer).

§ 211 StGB; § 212 Abs. 1 StGB; § 213 StGB

1. Die Tötung des Intimpartners, der sich vom Täter abwenden will, muss nicht zwangsläufig als durch niedrige Beweggründe motiviert bewertet werden. Gerade der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, darf als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 340, 342).

2. An der Tragfähigkeit einer vorsätzlich oder zumindest im Bewusstsein des provozierenden Charakters erfolgten Provokation als eigenständiger notwendiger Bedingung des § 213 Alt. 1 StGB bestehen aus Sicht des Senats Zweifel. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für das Eingreifen von § 213 Alt. 1 StGB darauf an, ob das provozierende Verhalten des späteren Tatopfers nach seinem Gewicht und den Umständen des Einzelfalls geeignet ist, die „Jähtat als eine verständliche Reaktion“ des Täters auf das provozierende Verhalten des Opfers der nachfolgenden Tötungstat erscheinen zu lassen (vgl. BGH NStZ 2015, 582). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist auf der Grundlage einer Gesamtbewertung vorzunehmen, in die alle Umstände einzubeziehen sind, die dem konkreten Einzelfall unter dem Gesichtspunkt der Provokation durch das spätere Tatopfer sein Gepräge geben (vgl. BGH StV 2017, 543, 544 Rn. 15).

3. Nach diesen Grundsätzen erschließt sich die Erforderlichkeit einer subjektiven Komponente des provozierenden Opferverhaltens als notwendige Bedingung des § 213 Alt. 1 StGB nicht. Eigenständiges Gewicht als notwendige Anwendungsvoraussetzung kann einem Provokationsvorsatz oder -bewusstsein wegen der erforderlichen Auswirkungen der Provokation auf die Gemütslage des Täters nicht zukommen. Das Provokationsbewusstsein des späteren Opfers im Rahmen von § 213 Alt. 1 StGB ist aber regelmäßig als Abwägungsfaktor im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung des Gewichts des der Tötung vorausgehenden Opferverhaltens einzustellen. Fehlte dem späteren Opfer des Tötungsdelikts – für den Täter erkennbar – das Bewusstsein durch eine Misshandlung oder schwere Beleidigung den Täter zu provozieren, wäre dies typischerweise als das Gewicht der Provokation minderndes Kriterium zu berücksichtigen.


Entscheidung

416. BGH 4 StR 593/17 - Beschluss vom 27. März 2018 (LG Hagen)

Rücktritt (Rücktrittshorizont: fehlgeschlagener Versuch, beendeter und unbeendeter Versuch).

§ 24 Abs. 1 StGB

1. Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Auch dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Hält er die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten. Scheidet ein Fehlschlag aus, kommt es auf die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an.

2. Allen Fällen aber ist gemeinsam, dass das Vorstellungsbild des Täters im entscheidungserheblichen Zeitpunkt von maßgebender Bedeutung ist. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.


Entscheidung

408. BGH 4 StR 377/17 - Beschluss vom 18. Januar 2018 (LG Essen)

Bandendiebstahl (Definition: bandenmäßige Begehung); Urteilsgründe (Darlegung der Ergebnisse der molekulargenetischen Untersuchung).

§ 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 267 Abs. 1 StPO

1. Die bandenmäßige Begehung einer Straftat setzt voraus, dass der Täter die Tat unter Mitwirkung mindestens eines weiteren Bandenmitglieds begeht, wobei es ausreicht, dass beide bei der Tat in irgendeiner Weise zusammenwirken.

2. Bei der Darlegung der Ergebnisse der molekulargenetischen Untersuchung im Urteil muss der Tatrichter nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mitteilen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten ist. Nur dann kann das Revisionsgericht überprüfen, ob das Ergebnis einer auf einer DNA-Untersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung plausibel ist.


Entscheidung

437. BGH 3 StR 426/17 - Beschluss vom 6. Februar 2018 (LG Oldenburg)

Konkurrenzrechtliche Anwendung der als Mittel zur Begehung schwerwiegender Delikten begangenen Freiheitsberaubung (selbständiger Unrechtsgehalt; Erstreckung über längeren Zeitraum mit zwischenzeitlicher Beruhigung des Geschehens).

§ 239 StGB

§ 239 Abs. 1 StGB kommt konkurrenzrechtlich nicht zur Anwendung, wenn die Freiheitsberaubung nur das tatbestandsmäßige Mittel zur Begehung anderer, insbesondere schwerer wiegender Delikte bildet. Anders verhält es sich aber, wenn die Freiheitsberaubung über das hinausgeht, was zur Verwirklichung der anderen Delikte gehört und insoweit einen selbständigen Unrechtsgehalt erlangt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die Freiheitsberaubung sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, in dem – unterbrochen von Phasen der Beruhigung des Geschehens – weitere Delikte (hier u.a. körperliche Misshandlungen) begangenen werden.