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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 437

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 426/17, Beschluss v. 06.02.2018, HRRS 2018 Nr. 437


BGH 3 StR 426/17 - Beschluss vom 6. Februar 2018 (LG Oldenburg)

Konkurrenzrechtliche Anwendung der als Mittel zur Begehung schwerwiegender Delikten begangenen Freiheitsberaubung (selbständiger Unrechtsgehalt; Erstreckung über längeren Zeitraum mit zwischenzeitlicher Beruhigung des Geschehens).

§ 239 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

§ 239 Abs. 1 StGB kommt konkurrenzrechtlich nicht zur Anwendung, wenn die Freiheitsberaubung nur das tatbestandsmäßige Mittel zur Begehung anderer, insbesondere schwerer wiegender Delikte bildet. Anders verhält es sich aber, wenn die Freiheitsberaubung über das hinausgeht, was zur Verwirklichung der anderen Delikte gehört und insoweit einen selbständigen Unrechtsgehalt erlangt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die Freiheitsberaubung sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, in dem - unterbrochen von Phasen der Beruhigung des Geschehens - weitere Delikte (hier u.a. körperliche Misshandlungen) begangenen werden.

Entscheidungstenor

Dem Beschwerdeführer wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 28. März 2017 auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Auf die Revision des Angeklagten A. S. wird das vorgenannte Urteil - auch soweit es den Angeklagten P. S. betrifft - dahin ergänzt, dass diese Angeklagten im Übrigen freigesprochen werden; insoweit fallen ihre notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Eine Erstattung der notwenigen Auslagen des Nebenklägers im Revisionsverfahren findet wegen dessen gleichfalls erfolgloser Revision nicht statt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 473 Rn. 10a).

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten A. S. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und Freiheitsberaubung unter Einbeziehung von früher gegen ihn verhängten Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dessen auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision führt zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Ergänzung des Urteilstenors; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass der Angeklagte A. S. und der - ebenfalls unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilte - nicht revidierende Angeklagte P. S. von weiteren Anklagevorwürfen „aus tatsächlichen Gründen freizusprechen“ waren. Da der Teilfreispruch indes nicht im Urteilstenor zum Ausdruck gekommen ist, hat der Senat diesen entsprechend ergänzt (§ 354 Abs. 1 analog StPO), in Bezug auf den Angeklagten P. S. gemäß § 357 Satz 1 StPO.

2. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten A. S. ergeben. Der Erörterung bedarf insoweit nur Folgendes:

a) Die konkurrenzrechtliche Bewertung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung stand.

aa) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen stellten der Angeklagte A. S. sowie die nicht revidierenden Angeklagten P. S. und T. den Nebenkläger während eines gemeinsamen Aufenthaltes in der Wohnung einer Freundin von T. zur Rede, weil der Nebenkläger sie im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung hinsichtlich einer anderen Straftat belastet hatte. Weil die Erklärungen des Nebenklägers den Angeklagten A. S. nicht zufrieden stellten, wurde dieser immer wütender, so dass er plötzlich begann, dem Nebenkläger Faustschläge zu versetzen. P. S. und T. schlugen sodann ebenfalls auf den Nebenkläger ein. Das Geschehen zog sich über einen längeren Zeitraum hin, während dessen alle drei Angeklagten den Nebenkläger immer wieder schlugen, unter anderem auch mit einem kleinen Bunsenbrenner und einer massiven Stabtaschenlampe, welche einem Schlagstock ähnelte. Zwischenzeitlich „kam das Geschehen auch wieder zur Ruhe“. Da der Nebenkläger blutete und die Wohnung nicht verschmutzt werden sollte, wurde er zudem mehrfach auf den Balkon der Wohnung geführt, wo er ebenfalls geschlagen wurde. Überdies drohten die Angeklagten ihm, ihn zu töten, falls er seine sie belastenden Angaben zu dem früheren Vorfall vor Gericht wiederhole. Während des gesamten Geschehens war es dem Nebenkläger nicht möglich, die Wohnung zu verlassen, worauf es den Angeklagten auch ankam. Als der Nebenkläger aufgrund der erlittenen Misshandlungen weinte und angesichts der gesamten Situation schließlich völlig verzweifelt war, ließen sie von ihm ab, so dass er aus der Wohnung gelangen konnte.

bb) Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Strafkammer zu Recht Tateinheit (§ 52 StGB) zwischen den dem Angeklagten A. S. zur Last fallenden Delikten der gefährlichen Körperverletzung, versuchten Nötigung und Freiheitsberaubung angenommen. Zwar kommt § 239 Abs. 1 StGB als das allgemeine Delikt nicht zur Anwendung, wenn die Freiheitsberaubung nur das tatbestandsmäßige Mittel zur Begehung anderer, insbesondere schwerer wiegender Delikte bildet (vgl. etwa BGH, Urteil vom 3. August 1962 - 4 StR 155/62, BGHSt 18, 26, 27 f.; Beschlüsse vom 26. Juli 1988 - 1 StR 379/88, BGHR StGB § 239 Abs. 1 Konkurrenzen 2; vom 8. Juni 1995 - 4 StR 262/95, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Konkurrenzen 11; vom 21. Januar 2003 - 4 StR 414/02, NStZ-RR 2003, 168). Anders verhält es sich aber, wenn die Freiheitsberaubung über das hinausgeht, was zur Verwirklichung der anderen Delikte gehört und insoweit einen selbständigen Unrechtsgehalt erlangt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 19. Juni 1991 - 3 StR 172/91, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Konkurrenzen 8).

Das war hier der Fall. Die Freiheitsberaubung erstreckte sich über einen längeren Zeitraum, in dem die Angeklagten den Nebenkläger immer wieder körperlich misshandelten und schließlich bedrohten, um ihn davon abzuhalten, sie künftig weiter zu belasten, während dessen sich das Geschehen aber auch zwischenzeitlich immer wieder beruhigte. Da es zudem beim Nötigungsversuch blieb und die Freiheitsberaubung gegenüber der versuchten Nötigung das deutlich schwerer wiegende Delikt darstellt, wird der Klarstellungsfunktion des Schuldspruchs, der das gesamte tatbestandsmäßig erfasste Unrecht einer Tat zum Ausdruck bringen soll (vgl. etwa BGH, Urteil vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 116), hier nur durch die Annahme von Tateinheit hinreichend Rechnung getragen.

b) Auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand.

Das Landgericht hat die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten aus der für die nunmehr abgeurteilte Tat verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten und „unter Einbeziehung der Einzelgeldstrafen“ aus einem Urteil gebildet, durch das der Angeklagte wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt worden war; die Höhe der Einzelstrafen hat die Strafkammer indes rechtsfehlerhaft nicht mitgeteilt. Dieser Rechtsfehler führt jedoch nicht zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe, weil trotz des Darstellungsmangels auszuschließen ist, dass das Landgericht eine den Angeklagten beschwerende unzulässige Gesamtstrafenbildung vorgenommen hat. Denn den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass die früher verhängte Gesamtgeldstrafe aus zwei Einzelstrafen gebildet worden war. Außerdem hat die Strafkammer die Einsatzfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten gemäß § 39 Halbsatz 2 StGB lediglich um einem Monat erhöht. Damit ist trotz der unterbliebenen Mitteilung der Höhe der beiden Einzelgeldstrafen hinreichend belegt, dass das Landgericht die Gesamtstrafe nicht rechtsfehlerhaft gebildet hat.

3. Da die Revision - abgesehen von der Ergänzung des Urteilstenors um den Teilfreispruch - in der Sache keinen Erfolg hat, erscheint es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 437

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 153

Bearbeiter: Christian Becker