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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2018
19. Jahrgang
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Von Kilian Wegner, Bucerius Law School, Hamburg/Berlin
Mit gleich vier Entscheidungen, die in der Rechtssache "Garlsson Real Estate u.a."[1], den verbundenen Rechtssachen "Di Puma" und "Zecca"[2] sowie der Rechtssache "Menci"[3] zusammen am 20. März 2018 ergangen sind, hat sich der EuGH jüngst eingehend zu der Frage geäußert, inwieweit das in Art. 50 GRC verankerte Mehrfachverfolgungsverbot in seiner innerstaatlichen Dimension[4] auf Sanktionen anwendbar ist, die nach dem Recht des betroffenen Staates nicht zum Kriminalstrafrecht i.e.S. zählen.
Diese Problematik hatte der EuGH zuvor bereits in den Entscheidungen "Bonda"[5] und "Åkerberg Fransson"[6] touchiert und dabei angedeutet, zur Bestimmung des sachlichen Anwendungsbereichs von Art. 50 GRC die sog. "Engel"-Kriterien[7] des EGMR zugrunde zu legen,[8] die der EGMR ursprünglich im Kontext von Art. 6 EMRK entwickelt und später – unter anderem – auf das innerstaatliche Doppelverfolgungsverbot nach Art. 4 des (durch die Bundesrepublik Deutschland nicht ratifizierten) 7. Zusatzprotokolls (ZP) zur EMRK übertragen hatte.[9] Für die Einstufung einer Sanktion oder Verfolgungsmaßnahme als "strafrechtlich" i.S.v. Art. 50 GRC, komme es demnach erstens auf die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht des betroffenen Staates, zweitens auf die Art der Zuwiderhandlung und drittens auf den Schweregerad der dem Betroffenen drohenden Sanktion an.[10]
Unter Verwendung dieses Maßstabs für die Auslegung von Art. 4 des 7. ZP zur EMRK hatte der EGMR lange eine eher beschuldigtenfreundliche Rechtsprechungslinie verfolgt und dabei den Anwendungsbereich der Vorschrift auch für vergleichsweise milde Verwaltungssanktionen eröffnet.[11] Nachdem der EuGH – wie schon er-
wähnt – in "Åkerberg Fransson" und "Bonda" auf diese Judikatur verwiesen hatte und der EMGR daraufhin in seinem "Grande Stevens vs. Italy"-Urteil vom 4. März 2014[12] nun seinerseits unter (die Entscheidung allerdings nicht tragendem) Hinweis auf das "Åkerberg Fransson"-Urteil[13] entschied, dass die italienische Staatsanwaltschaft gegen das innerstaatliche Doppelverfolgungsverbot gem. Art. 4 des 7. ZP zur EMRK verstoßen habe, indem sie die Manager des Autoherstellers FIAT nach rechtskräftigem Abschluss einer Bußgeldverfahrens durch die italienische Finanzmarktaufsichtsbehörde CONSOB in derselben Sache erneut kriminalstrafrechtlich verfolgt hatte, deutete vieles auf eine Konvergenz der Rechtsprechung von EuGH und EGMR hin.
Schon kurze Zeit nach der "Grande Stevens"-Entscheidung leitete eine Kammer der Vierten Sektion des EGMR dann jedoch mit vier am 20. Mai 2014 ergangenen Urteilen eine abrupte Rechtsprechungswende ein.[14] Die genannten Urteile betrafen sehr ähnlich gelagerte Fälle, in denen die Beschwerdeführer – allesamt Finnen – jeweils der Steuerhinterziehung bezichtigt wurden, woraufhin die zuständigen finnischen Steuerbehörden nicht nur die Nachzahlung der betroffenen Steuern forderten, sondern zusätzlich auch hohe Steuerzuschläge festsetzten. Nachdem die Festsetzung dieser Steuerzuschläge rechtskräftig geworden war, verfolgte man die Betroffenen dann in derselben Sache erneut in Kriminalstrafverfahren. Die genannte Kammer des EGMR näherte sich dieser Konstellation zunächst im Fahrwasser der bisherigen EGMR-Rechtsprechung und subsumierte die finnischen Steuerzuschläge anhand der "Engel"-Kriterien unter den Sanktionsbegriff des Art. 4 des 7. ZP zur EMRK.[15] Im weiteren Verlauf der Entscheidungsbegründungen entwickelte die Kammer dann allerdings den Gedanken, dass eine erneute Bestrafung in derselben Sache nach Rechtskraft der Erstsanktion ausnahmsweise mit Art. 4 des 7. ZP zur EMRK zu vereinbaren sei, wenn zwischen den Strafen eine hinreichende sachliche und zeitliche Verbindung ("sufficiently close connection in substance and in time") bestünde, was in den vorliegenden Sachverhalten allerdings nicht der Fall sei.[16] Diese Formulierung wurde daraufhin in zahlreichen weiteren Entscheidungen der 4. Sektion des EGMR aufgegriffen,[17] die schließlich in eine zusammenfassende Große-Kammer-Entscheidung vom 15. November 2016 in der Sache "A and B v. Norway" mündeten.[18] In diesem Urteil distanzierte sich die Große Kammer – ganz entgegen der nur zwei Jahre zuvor in "Grande Stevenson" zum Ausdruck kommenden Stoßrichtung – von der Linie des EuGH in "Åkerberg Fransson" und stützte seine Argumentation im Gegenteil sogar auf die Schlussanträge des Generalanwalts Villalón, dessen rechtlichen Ausführungen der EuGH in "Åkerberg Fransson" gerade nicht gefolgt war.[19] Der Versuch des Gerichts, das Kriterium der "sufficiently close connection in substance and in time" in den Entscheidungsgründen zu "A and B v. Norway" näher zu konkretisieren, scheiterte allerdings – wie insbesondere der EGMR-Richter Pinto de Albuquerque in einem spektakulären Sondervotum deutlich machte[20] – auf ganzer Linie. Denn: Wann dieses völlig konturenlose und von der 4. Sektion des EGMR selbst widersprüchlich verwendete Kriterium es zukünftig ausnahmsweise erlaubt, trotz Anwendbarkeit von Art. 4 des 7. ZP zur EMRK in derselben Sache mehrere Sanktionen i.S.d. "Engel"-Kriterien zu verhängen, ist weitgehend der Willkür der Einzelstaaten überlassen.[21]
Angesichts der skizzierten Volten in der Rechtsprechung des EGMR zur Auslegung von Art. 4 des 7. ZP zur EMRK, die auch vom Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache "Menci" mit (sehr diplomatisch verpackter) Kritik bedacht wurden,[22] war nun mit Spannung erwartet worden,
ob der EuGH sich dem EGMR auf seinem jüngst eingeschlagenen Weg anschließen würde.[23] Unter diesem Blickwinkel wird im Folgenden unter II. zunächst der Inhalt der nunmehr ergangenen EuGH-Entscheidungen wiedergegeben, bevor im Anschluss – unter III. – eine Analyse und Bewertung der Judikate erfolgt. Im Abschnitt IV. werden die gewonnenen Erkenntnisse sodann zusammengefasst und durch Hinweise auf einige Folgefragen ergänzt, die auch nach den hier zu besprechenden Entscheidungen des EuGH offen bleiben.
Der Ausgangssachverhalt im Vorabentscheidungsverfahren "Garlsson Real Estate u.a." betraf ein Ermittlungsverfahren, in dessen Rahmen die italienische Finanzmarktaufsichtsbehörde CONSOB am 9. September 2007 ein gesamtschuldnerisch zu tragendes Bußgeld in Höhe von 10,2 Millionen EUR gegen einen Individualbeschuldigten ("Herr Ricucci") sowie zwei von ihm geführte Unternehmen ("Garlsson Real Estate SA" und "Magiste International SA") wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation verhängte.
In der Berufungsinstanz wurde das Bußgeld mit Entscheidung vom 2. Januar 2009 auf 5,0 Millionen EUR reduziert, woraufhin alle Parteien des Ausgangsverfahrens Kassationsbeschwerde zum Corte suprema di cassazione einlegten. In diesem Kassationsverfahren berief sich der Individualbeschuldigte darauf, zwischenzeitlich bereits durch ein rechtskräftiges Urteil des Tribunale di Roma vom 10. Dezember 2008 in einem separaten Strafverfahren in derselben Sache wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden zu sein. Nach einem kurzen, hier nicht weiter relevanten Zwischenspiel vor dem italienischen Verfassungsgerichtshof[24] rief der Corte suprema di cassazione daraufhin den EuGH an und legte ihm (unter anderem)[25] die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob Art. 50 GRC der Fortführung des Bußgeldverfahrens gegen einen Individualbeschuldigten wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation entgegenstehe, wenn der Beschuldigte in derselben Sache bereits rechtskräftig in einem Kriminalstrafverfahren verurteilt worden ist.
In seiner Entscheidungsbegründung stellt der EuGH zunächst fest, dass die einschlägigen italienischen Vorschriften zur Bekämpfung der Marktmanipulation der Umsetzung der Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 14 Abs. 1 der (mittlerweile außer Kraft getretenen)[26] Richtlinie 2003/6[27] dienen, Marktmissbrauchsdelikte wirksam, verhältnismäßig und abschreckend zu ahnden.[28] Es liege daher ein Fall der "Durchführung" von Unionsrecht i.S.v. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC vor, der zur Anwendbarkeit von Art. 50 GRC führe.[29]
Im nächsten Schritt setzt das Gericht sich sodann mit der Frage auseinander, ob die verfahrensgegenständlichen Sanktionen "strafrechtlicher Natur" i.S.v. Art. 50 GRC sind und somit dem sachlichen Anwendungsbereich der Norm unterfallen. Dazu greift der EuGH auf den bereits im "Bonda"- sowie im "Åkerberg Fransson"-Urteil herangezogenen und in der Sache der "Engel"-Rechtsprechung des EGMR entlehnten[30] Maßstab zurück, wonach es für die Beurteilung der strafrechtlichen Natur von Verfolgungsmaßnahmen und Sanktionen maßgeblich erstens auf die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht des betroffenen Staates, zweitens die Art der Zuwiderhandlung und drittens den
Schweregerad der dem Betroffenen drohenden Sanktion ankomme.[31]
Für die Anwendung dieser Kriterien auf den Einzelfall sei – wie der EuGH schon in "Åkerberg Fransson" betont hatte[32] – zwar das jeweilige nationale Ausgangsgericht zuständig; dem EuGH komme jedoch die Kompetenz zu, dem nationalen Gericht im Rahmen seiner Vorabentscheidung eine "Richtschnur" für seine Auslegung von Art. 50 GRC an die Hand zu geben.[33] Vor diesem Hintergrund falle die gegen den Individualbeschuldigten Ricucci verhängte Freiheitsstrafe schon ob ihrer formellen Einstufung als Kriminalstrafe unzweifelhaft in den Anwendungsbereich von Art. 50 GRC.[34] Darüber hinaus macht die Große Kammer aber deutlich, dass sie auch das durch die CONSOB verhängte Bußgeld tendenziell als Sanktion i.S.v. Art. 50 GRC ansieht, obwohl es sich dabei aus italienischer Sicht formell nicht um eine Kriminalstrafe handelt. Zur Begründung stellt das Gericht dabei auf die zumindest auch repressive Natur der Bußgeldentscheidung sowie die potentiell sehr hohe Bußgeldobergrenze von bis zu 5,0 Millionen EUR (die in Fällen des Art. 187 Abs. 5 italienischen Finanzmarktgesetzes Testo Unico della Finanza[35] sogar noch höher liegt) ab.[36]
Da sowohl das Strafverfahren als auch das Bußgeldverfahren gegen Herrn Ricucci ferner "dieselbe Tat" i.S.v. Art. 50 GRC betreffe,[37] geht der EuGH im weiteren Verlauf seiner Entscheidungsbegründung davon aus, dass durch die Fortsetzung des Bußgeldverfahrens gegen Herrn Ricucci trotz rechtskräftiger kriminalstrafrechtlicher Aburteilung in derselben Sache in den Schutzbereich des Art. 50 GRC eingegriffen werde. Allerdings sei Art. 50 GRC nicht schrankenlos gewährleistet, sondern könne ausweislich von Art. 52 Abs. 1 GRC eingeschränkt werden, wenn die Einschränkung durch Gesetz erfolge, einem legitimen Ziel diene und das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt bleibe.[38] Vor diesem Hintergrund könne insbesondere eine Kumulierung von Kriminalstrafen mit anderen Sanktionen und Verfolgungsmaßnahmen "strafrechtlicher" Natur i.S.v. Art. 50 GRC gerechtfertigt sein, wenn mit den unterschiedlichen Sanktionen und Verfolgungsmaßnahmen komplementäre Zwecke verfolgt würden, die verschiedene Aspekte desselben rechtswidrigen Verhaltens betreffen.[39] Voraussetzung dafür sei (kumulativ) jedoch, dass
Unter Anwendung dieses Maßstabs kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Fortsetzung des Bußgeldverfahrens gegen Herrn Ricucci trotz rechtskräftiger kriminalstrafrechtlicher Aburteilung in derselben Sache gegen Art. 50 GRC verstoße und daher unionsrechtswidrig sei (wobei der EuGH nicht müde wird zu betonen, dass hierüber letztlich das Vorlagegericht unter Berücksichtigung der "Segelhinweise" des EuGH zu befinden habe).[43] Zu Begründung führt die Große Kammer an, dass es angesichts der Schwere der gegen Herrn Ricucci verhängten Kriminalstrafe unverhältnismäßig erscheine, das gegen ihn mit erheblicher Bußgeldandrohung geführte Verwaltungssanktionsverfahren noch fortzuführen.[44] Daran ändere auch der Umstand nichts, dass das italienische Recht eine Regelung vorsehe, wonach eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Geldstrafe (als Erstsanktion) im Falle eines nachfolgenden Bußgeldverfahrens (als Zweitsanktion) nur insoweit vollstreckt werde, wie die Geldstrafe die später verhängte Geldbuße übersteige. Denn damit sei zwar sichergestellt, dass es nicht zu einer Übersanktionierung durch Kumulation von Geldstrafe und Geldbuße komme; es fehle jedoch an einer Regelung, nach der auch im Kriminalstrafverfahren verhängte Freiheitsstrafen im Bußgeldverfahren "angerechnet" bzw. auf sonstige Weise berücksichtigt werden, so dass die Gefahr einer übermäßigen Sanktionierung durch Kumulation von Straf- und Verwaltungssanktionen insgesamt nicht ausgeräumt sei.[45]
Wie die Rechtssache "Garlsson Real Estate u.a." standen auch die verbundenen Vorabentscheidungsverfahren "Di Puma" und "Zecca" im Zusammenhang mit Bußgeldverfahren der italienischen Finanzmarktaufsichtsbehörde CONSOB, die gegen die Beschuldigten Herrn Di Puma und Herrn Zecca wegen des Vorwurfs des Insiderhandels geführt wurden. Wie der Beschuldigte in "Garlsson Real Estate u.a." beriefen sich auch Herr Di Puma und Herr Zecca im Rahmen des Bußgeldverfahrens in der Revisionsinstanz vor dem Corte suprema di cassazione auf ein
bereits in derselben Sache ergangenes, rechtskräftiges Strafurteil, mit dem sie jedoch – anders als in der "Garlsson Real Estate"-Konstellation – nicht wegen Insiderhandels verurteilt, sondern von diesem Vorwurf freigesprochen worden waren.[46] Vor diesem Hintergrund legte der Corte suprema di cassazione dem EuGH die Fragen zur Vorabentscheidung vor,
In Bezug auf die erste Vorlagefrage verweist der EuGH zunächst auf den bereits in früheren Urteilen aufgestellten Rechtssatz, wonach es das Unionsrecht nur in Ausnahmefällen erfordere, von der Anwendung nationaler Verfahrensvorschriften, aufgrund derer eine Gerichtsentscheidung Rechtskraft erlangt, zu Gunsten des effet utile abzusehen.[48] Ein solcher Ausnahmefall liege hinsichtlich der italienischen Vorschrift, die anordnet, dass die Rechtskraft eines Strafurteils die Einleitung oder Weiterführung eines Bußgeldverfahrens in derselben Sache sperrt, nicht vor. Insbesondere habe die Bußgeldbehörde CONSOB die Möglichkeit gehabt, sich in dem Strafverfahren aktiv zu beteiligen und dabei sicherzustellen, dass die von ihr an die Strafjustiz übermittelten Beweise im Strafverfahren Berücksichtigung finden.[49] Im Ergebnis sei die italienische Rechtslage daher mit dem aus Art. 14 Abs. 1 RL 2003/6 folgenden Gebot zur wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Ahndung von Marktmissbrauchsdelikten vereinbar.[50]
Hinsichtlich der zweiten Vorlagefrage wiederholt das Gericht dann im Wesentlichen seine Argumentation aus "Garlsson Real Estate u.a." und kommt in diesem Fahrwasser zu dem Ergebnis, dass Art. 50 GRC wohl – auch hier betont der EuGH wieder den Entscheidungsspielraum des vorlegenden Gerichts – verletzt sei, wenn das gegen Herrn Di Puma und Herr Zecca geführte Bußgeldverfahren weitergeführt werde, obwohl in derselben Sache eine rechtskräftige Aburteilung vorliege. Dass es sich bei dieser Aburteilung – anders als in "Garlsson Real Estate u.a." – um einen Freispruch handele, sei dabei unerheblich.[51]
Dem Vorabentscheidungsverfahren in der Sache "Menci" lag ein italienisches Verwaltungsverfahren zugrunde, in dessen Rahmen Herrn Menci vorgeworfen wurde, die fristgerechte Abführung von Mehrwertsteuer i.H.v. 282.495,76 EUR unterlassen zu haben. Das Verfahren endete mit einer Entscheidung der italienischen Finanzverwaltung, wonach Herr Menci neben der nachträglichen Abführung der geschuldeten Mehrwertsteuer einen Steueraufschlag i.H.v. von 30 % der Steuerschuld (= 84.748,74 EUR) als Verwaltungssanktion zu begleichen habe. Nachdem diese Entscheidung rechtskräftig geworden war, wurde gegen Herrn Menci wegen desselben Sachverhalts ein Steuerstrafverfahren eingeleitet. Das für das Strafverfahren zuständige Tribunale di Bergamo legte die Sache daraufhin dem EuGH zur Klärung der Frage vor, ob Art. 50 GRC der Durchführung eines Kriminalstrafverfahrens entgegenstehe, wenn der Beschuldigte in derselben Sache bereits mit einer rechtskräftigen Verwaltungssanktion belegt wurde.
In seiner Entscheidungsbegründung stellt der EuGH zunächst im Fahrwasser der insoweit mittlerweile gefestigten "Åkerberg Fransson"-Rechtsprechung fest, dass sowohl das gegen Herrn Menci geführte italienische Verwaltungssanktions- als auch das gegen ihn geführte Steuerstrafverfahren wegen des Vorwurfs der Mehrwertsteuerhinterziehung eine "Durchführung von Unionsrecht" i.S.v. Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC darstelle und der Anwendungsbereich der EU-Grundrechtecharta mithin eröffnet sei.[52]
Im nächsten Schritt legt die Große Kammer sodann unter Anwendung der "Engel"-Kriterien dar, dass es dazu neigt, nicht nur das italienische Steuerstrafverfahren gegen Herrn Menci, sondern auch den gegen Herrn Menci verhängten Steueraufschlag angesichts seiner zumindest auch repressiven Zielsetzung sowie seiner (potentiellen) Höhe als "strafrechtliche" Sanktion i.S.v. Art. 50 GRC anzusehen.[53]
Nachdem der EuGH sodann feststellt, dass das gegen Herrn Menci geführte Steuerstrafverfahren "dieselbe Tat" i.S.v. Art. 50 GRC betraf, wegen der auch der Steuerzu-
schlag gegen ihn rechtskräftig verhängt wurde,[54] nimmt das Gericht – wie auch schon in den Entscheidungen "Garlsson Real Estate u.a." und "Di Puma" bzw. "Zecca" – auch im Fall "Menci" einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 50 GRC an. Anders als in den anderen Entscheidungen kommt der EuGH hier jedoch (unter erneutem Verweis auf den Einschätzungsspielraum des Vorlagegerichts) zu dem Ergebnis, dass der Eingriff gerechtfertigt und die mehrfache Verfolgung des Herrn Menci unionsrechtskonform sei.[55] Dies wird zu einem damit begründet, dass die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens nach rechtskräftigem Abschluss eines Verwaltungssanktionsverfahrens in derselben Sache nur bei besonders schwerwiegenden Steuerstraftaten möglich sei.[56] Ferner – und das ist m.E. entscheidend – sehe das italienische Recht eine Regelung vor, die die Aussetzung der Vollstreckung der rechtskräftigen Verwaltungssanktion während eines neu eingeleiteten oder fortgeführten Strafverfahrens in derselben Sache vorsieht und die Vollstreckung der Verwaltungssanktion im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung ganz verhindert.[57]
Festzustellen ist zunächst, dass der EuGH die hier eingangs kritisch gewürdigte Rechtsprechung des EGMR ("A. and B. v. Norway" et. al.)[58] nur einmal (und dann eher beiläufig) erwähnt, um festzustellen, dass die von ihm vorgenommene Auslegung von Art. 50 GRC den nach Art. 52 Abs. 3 GRC erforderlichen Mindestschutz auf dem Niveau der EMRK nicht unterschreitet.[59] Daraus lässt sich auch eingedenk der Vorsicht, die wegen der (sogleich noch näher zu behandelnden) Unschärfe der Entscheidungsgründe des EuGH geboten ist, schlussfolgern, dass der EuGH den Art. 50 GRC mit einem höheren Schutzniveau ausstatten will, als der EGMR es durch Art. 4 des 7. ZP zur EMRK gewährt.[60] Dies entspricht im Wesentlichen auch der vom Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona in seinen Schlussanträgen vorgeschlagenen Stoßrichtung[61] und ist aus meiner Sicht zu begrüßen.
Zuzustimmen ist dem EuGH auch hinsichtlich der grundsätzlichen Einschätzung, dass Art. 50 GRC nicht für alle Sanktionsformen beliebiger Schwere uneingeschränkt gelten kann, sondern dass ein abgestufter ne-bis-in-idem-Schutz entwickelt werden muss. Dies ist auch in der deutschen Rechtordnung nicht anders: Hier gilt das in Art. 103 Abs. 3 GG enthaltene Mehrfachverfolgungsverbot im innerstaatlichen Bereich zwar absolut, jedoch wird ihm herrschend nur ein enger Anwendungsbereich eingeräumt, der lediglich Kriminalstrafen i.e.S. erfasst.[62] Gleichzeitig ist anerkannt, dass es sich bei Art. 103 Abs. 3 GG lediglich um eine besonders strikte Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes handelt, der in Bezug auf Mehrfachverfolgungen durch das Prinzip der Rechtssicherheit sowie der materiellen Gerechtigkeit flankiert wird.[63] Diese Prinzipien legen dem Staat auch außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 103 Abs. 3 GG eine besondere Rechtfertigungslast auf, wenn er auf Grund desselben Sachverhalts mehrfach in die Rechte des Einzelnen eingreifen will; sie verbieten einen mehrfachen staatlichen Zugriff aber nicht per se. Der Gesetzgeber hat versucht, dem durch die Schaffung abgestufter Regelungen wie z.B. im § 56 Abs. 4 OWiG oder in den §§ 84, 86 OWiG Rechnung zu tragen.[64]
Der EuGH steht nun vor der Aufgabe, aus Art. 50 GRC ein vergleichbares abgestuftes Schutzsystem mit unionsweiter Geltung zu entwickeln oder zumindest zu umreißen. Die besondere Herausforderung liegt dabei darin, dass ein Verharren in der grobschlächtigen Binarität der Parameter "Absolutes Verfolgungshindernis" / "Gar kein Verfolgungshindernis" angesichts der Weite der "Engel"-Kriterien einerseits offenkundig sachwidrig wäre. Andererseits darf das Kind aber auch nicht – wie es der EGMR mit seiner Rechtsprechungswende hin zu "A. and B. v. Norway" getan hat – durch eine Überkompensation des "Engel"-Ansatzes mit dem Bade ausgeschüttet werden.
Ein grundsätzliches Problem der hier behandelten Urteile liegt zunächst darin, dass der EuGH seine Entscheidungen jeweils mit Spezifika des Einzelfalls begründet, ohne dabei deutlich zu machen, welche abstrakt-generelle Bedeutung dem jeweils herangezogenen Kriterium beikommt. Der gebetsmühlenartig wiederholte Hinweis der EuGH, die Anwendung aller von ihm angeführten Teilkriterien unterliege letztlich der Wertungskompetenz der nationalen Gerichte, für die der EuGH lediglich Orientie-
rungspunkte liefere, tut sein Übriges, um den Entscheidungen an Präzision zu nehmen.[65]
Als Beispiel für diesen Befund sei auf die Entscheidung "Garlsson Real Estate u.a." verwiesen: Hier lässt der EuGH – wie unter II. 1. b) dargelegt – zunächst die begrüßenswerte Auffassung durchschimmern, dass eine rechtskräftige Aburteilung im Rahmen eines Kriminalstrafverfahrens die Einleitung oder Weiterführung eines Bußgeldverfahrens wegen derselben Tat vor dem Hintergrund von Art. 50 GRC ausschließt. Im weiteren Verlauf begründet das Gericht diese Position aber (unter anderem) mit dem Hinweis, dass das italienische Recht im konkret vorliegenden Fall zwar eine Regelung vorsehe, wonach eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Geldstrafe im Falle eines nachfolgenden Bußgeldverfahrens nur insoweit vollstreckt werde, wie die Geldstrafe den Betrag der später verhängten Geldbuße übersteige, eine entsprechende Regelung zur Berücksichtigung von Freiheitsstrafen jedoch fehle.[66] Im Dunkeln bleibt dabei, welches Gewicht der EuGH der fehlenden Berücksichtigungsmöglichkeit von Freiheitsstrafen im Bußgeldverfahren bei der Bewertung des gesamten Doppelverfolgungsvorgangs einräumt: Wäre es vor dem Hintergrund von Art. 50 GRC zulässig, ein Bußgeldverfahren trotz strafrechtlicher Aburteilung in derselben Sache einzuleiten oder fortzuführen, solange das einschlägige Bußgeldrecht eine Regelung vorsieht, wonach im Rahmen einer Zweitsanktionsentscheidung auch bereits zuvor verhängte Freiheitsstrafen berücksichtigt werden müssten? Wie müsste eine solche Regelung zur Berücksichtigung von zuvor verhängten Freiheitsstrafen im Bußgeldverfahren konkret aussehen? Oder hat der EuGH diesen Aspekt nur zur zusätzlichen Absicherung seiner Argumentation erwähnt und steht – was zu wünschen wäre – eigentlich unabhängig davon auf dem Standpunkt, dass ein rechtskräftiges Strafurteil in jedem Fall die Verhängung von hohen Bußgeldern in derselben Sache ausschließt?
Raum für Spekulation lässt ferner die Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen "Di Puma" und "Zecca". Auch hier fällt der Blick zunächst auf die begrüßenswerte Aussage des EuGH, dass nicht nur eine Verurteilung, sondern auch ein Freispruch in einem Kriminalstrafverfahren die Einleitung oder Fortführung eines Bußgeldverfahren in derselben Sache sperrt.[67] Dies entspricht der deutschen Rechtslage, wonach § 84 Abs. 1 Alt. 2 OWiG es bei tateinheitlichem Zusammenfallen von Straftat und Ordnungswidrigkeit ausschließt, die Tat nach einer strafrechtlichen Aburteilung durch ein Strafgericht noch als Ordnungswidrigkeit zu verfolgen. Dadurch entstehen auch dann keine Sanktionslücken, wenn im Strafverfahren nur deshalb ein Freispruch ergeht, weil bestimmte Tatbestandsmerkmale nicht nachgewiesen werden können, die für die Anwendung des Straftatbestandes, nicht aber für die Anwendung des OWi-Tatbestandes benötigt werden.[68] Denn in diesem Fall hätte das Strafgericht gem. § 82 OWiG die Möglichkeit, noch im Strafverfahren selbst (also ohne Mitwirkung einer Bußgeldbehörde) auf ein Bußgeld zu erkennen. Aus den Feststellungen des EuGH geht nicht hervor, ob in Italien eine ähnliche Rechtslage wie in Deutschland herrscht. Unklar ist auch, aus welchen Gründen Herr Di Puma freigesprochen wurde. Es stellt sich deshalb die Frage, ob Art. 50 GRC die Durchführung eines Bußgeldverfahrens nach einem rechtskräftigen Freispruch in derselben Sache auch dann sperren würde, wenn der Freispruch allein auf strafrechtspezifischen Gründen beruhen würde und die Voraussetzungen für die Verhängung eines Bußgeldes eigentlich vorgelegen hätten, das Strafgericht jedoch keine Kompetenz zur Verhängung des Bußgeldes hatte, weil dies z.B. allein in der Zuständigkeit einer bestimmten Verwaltungsbehörde liegt.[69]
Kritikwürdig ist schließlich die Entscheidung des EuGH in der Sache "Menci", soweit das Gericht es dort für mit Art. 50 GRC vereinbar hält, nach dem rechtskräftigen Abschluss eines behördlichen (!) Bußgeldverfahrens dieselbe Sache noch einmal kriminalstrafrechtlich zu verfolgen, wenn rechtlich sichergestellt ist, dass die Geldbuße im Kriminalstrafverfahren angerechnet wird bzw. ihre Vollstreckung im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung unterbleibt.[70] Diese Auslegung von Art. 50 GRC entspricht der deutschen Rechtslage, wonach eine behördliche Bußgeldentscheidung ausweislich von § 84 Abs. 1 Alt. 1 OWiG keine Sperrwirkung für eine weitere strafrechtliche Verfolgung derselben Tat entfaltet, der behördliche Bußgeldbescheid jedoch gem. § 86 Abs. 1 OWiG aufgehoben wird, soweit der Betroffene später wegen derselben Handlung in einem Strafverfahren verurteilt wird oder – falls eine Verurteilung unterbleibt – die Feststellungen des Strafgerichts dem Bußgeldbescheid jedenfalls entgegenstehen. Diese Lösung ist jedoch problematisch, weil sie den Charakter des Art. 50 GRC als Mehrfachverfolgungsverbot unterminiert,[71] dessen Schutzbereich nicht erst im Fall einer mehrfachen Sanktionsvollstreckung eingreift, sondern bereits dann betroffen ist, wenn eine Person wegen derselben Tat mehreren konsekutiven Sanktionsverfahren – seien sie behördlicher oder gerichtlicher Natur – ausgesetzt wird.[72] Zu hoffen bleibt deshalb, dass der EuGH wenigstens dann ein Verfahrenshindernis gem. Art. 50 GRC angenommen hätte, wenn die Bußgeldentscheidung als Erstsanktion im Fall "Menci" durch ein Strafgericht verhängt
worden wäre.[73] Denn jedenfalls in dieser Konstellation wäre eine Ungleichbehandlung von Geldstrafe und Geldbuße aus der Perspektive von Art. 50 GRC nicht mehr zu rechtfertigen und würde den Kerngedanken der "Engel"-Rechtsprechung zuwiderlaufen, wonach beide Sanktionstypen bei faktischer Betrachtung in weiten Teilen des Wirtschafts- und Steuerstraf- und -sanktionsrechts nur die Etikettierung unterscheidet.
Mit seinen Entscheidungen in den Rechtssachen "Garlsson Real Estate u.a.", "Di Puma" und "Zecca" sowie "Menci" hat der EuGH sich erstmals tiefergehend mit der Frage befasst, inwieweit das Mehrfachverfolgungsverbot aus Art. 50 GRC in seiner innerstaatlichen Dimension auf Sanktionen anwendbar ist, die aus Perspektive des betroffenen Mitgliedstaats nicht zum Kriminalstrafrecht i.e.S. zählen. Eine grundsätzliche Klärung der damit zusammenhängenden Rechtsfragen hat das Gericht dabei allerdings gescheut und sich stattdessen bei der Beantwortung der ihm vorgelegten Vorlagefragen vor allem auf die jeweiligen Spezifika des Einzelfalles gestützt, ohne dabei einen abstrakt-generellen Bewertungsmaßstab herauszuarbeiten oder zumindest deutlich zu machen, welches Gewicht den herangezogenen Wertungskriterien jeweils zukommt. Zusätzliche Unschärfe erhalten die Judikate durch den Umstand, dass der EuGH den nationalen Gerichten einen betont weiten Entscheidungsspielraum bei der Beantwortung der Frage einräumt, wann ein Verstoß gegen Art. 50 GRC vorliegt.
Festhalten lässt sich daher vorerst nur, dass der EuGH davon abgesehen hat, die vom EGMR im Rahmen der "A and B v. Norway"-Rechtsprechung entwickelten umfassenden Einschränkungsmöglichkeiten des ne-bis-in-idem-Schutzes auf die Auslegung von Art. 50 GRC zu übertragen. Stattdessen weist er – was aus meiner Sicht zu begrüßen ist – Art. 50 GRC ein höheres Schutzniveau zu, als es der EGMR für Art. 4 des 7 ZP zur EMRK vorsieht.
Als gesichert darf ferner gelten, dass eine rechtskräftige kriminalstrafrechtliche Aburteilung (und sei es auch ein Freispruch!) im Regelfall die Einleitung oder Weiterführung eines Bußgeldverfahrens in derselben Sache sperrt. Eine Ausnahme könnte (dies geht aus der insofern einschlägigen Entscheidung "Garlsson Real Estate u.a." nicht deutlich hervor) aber gelten, wenn für das Bußgeldverfahren Regelungen zur Anrechnung bzw. Berücksichtigung aller im Kriminalstrafverfahren verhängten Sanktionen (d.h. Geld- und Freiheitsstrafe!) vorgesehen sind. Unklar bleibt, ob ein Freispruch im Kriminalstrafverfahren die Einleitung oder Weiterführung eines Bußgeldverfahrens in derselben Sache auch dann sperrt, wenn die kriminalstrafrechtliche Verurteilung lediglich an strafrechtsspezifischen Gründen gescheitert ist und die Verhängung eines Bußgelds wegen derselben Tat schon im Strafverfahren nur deshalb unterblieb, weil das Kriminalgericht dazu (anders als in Deutschland nach § 82 OWiG) keine Kompetenz hatte.
In der umgekehrten Konstellation (= Erstsanktion Bußgeld, Zweitsanktion Kriminalstrafe) sperrt – auch das lässt sich festhalten – ein rechtskräftiges behördliches (!) Bußgeld nach Auffassung des EuGH jedenfalls dann nicht die Einleitung oder Weiterführung eines Kriminalstrafverfahrens wegen derselben Tat, wenn rechtlich sichergestellt ist, dass die Geldbuße während des laufenden Kriminalstrafverfahrens nicht vollstreckt wird und ihre Vollstreckung im Fall einer strafrechtlichen Verurteilung ganz unterbleibt. Diese der geltenden Rechtslage in Deutschland (vgl. § 84 Abs. 1 Alt. 1 OWiG) entsprechende Positionierung ist bedauerlich, weil sie den Charakter des Art. 50 GRC als Mehrfachverfolgungsverbot unterminiert, dessen Schutzbereich nicht erst im Falle der mehrfachen Sanktionsvollstreckung, sondern bereits dann betroffen ist, wenn eine Person wegen derselben Tat mehreren konsekutiven Sanktionsverfahren ausgesetzt wird. Davon abgesehen ist festzuhalten, dass der EuGH nicht über die Behandlung von gerichtlichen Bußgeldentscheidungen entschieden hat – richtigerweise wäre jedenfalls hier von einer umfassenden, auch das Kriminalstrafrecht erfassenden Sperrwirkung nach Art. 50 GRC auszugehen. Dasselbe gilt für ein Zusammentreffen von behördlichen Bußgeldentscheidungen mit weiteren Bußgeldverfahren anderer Behörden – auch hier ist Art. 50 GRC mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine behördliche Erstsanktion weitere nicht-kriminalstrafrechtliche Verfolgungsmaßnahmen in derselben Sache sperrt.
Neben den bereits erwähnten Leerstellen in den Entscheidungen zu den Rechtssachen "Garlsson Real Estate u.a.", "Di Puma" und "Zecca" sowie "Menci" wirft der hier behandelte Themenkomplex des Zusammentreffens von Kriminalstrafe und anderen Sanktionstypen wegen derselben Tat schließlich noch weitere Folgeprobleme auf, die der EuGH mangels entsprechender Vorlagefragen nicht zu behandeln hatte, die aber praktisch bedeutsam sind. Das betrifft beispielsweise die spätestens seit dem massiven Ausbau von "Naming & shaming"-Kompetenzen im Marktmissbrauchsrecht durch das 1. und 2. FiMaNoG[74] virulent gewordene Frage, inwieweit Art. 50 GRC auf Sanktionen nicht-finanzieller Art anzuwenden ist.[75] Klärungsbedürftig ist ferner, inwieweit sich die hier besprochenen, zur innerstaatlichen Dimension von Art. 50 GRC ergangenen Urteile auf das transnationale ne-bis-in-idem-Prinzip gem. Art. 50 GRC i.V.m. Art. 54 SDÜ übertragen lassen. Diese Thematik ist von besonderer Brisanz, weil sich die Koordination einer Vielzahl von Strafverfolgungs- und sonstiger Sanktionsbehörden über Ländergrenzen hinweg noch schwieriger gestaltet als im nationalen Kontext. Die daraus resultierende (und angesichts prominenter Negativ-Beispiele nicht unbegründete[76]) Furcht, einzelne mitgliedstaatliche
Behörden könnten durch vorschnelle Sanktionsentscheidungen einen unionsweiten Sanktionsverbrauch i.S.v. Art. 50 GRC i.V.m. Art. 54 SDÜ erzeugen, führt in der Praxis nicht selten dazu, dass die einzelnen nationalen Behörden Ermittlungsergebnisse bewusst für sich behalten, um so unsachgemäße Verfahrensabschlüsse im EU-Ausland zu verhindern. Dies birgt im Ergebnis das Risiko einer Lähmung grenzüberschreitender Verfolgungszusammenarbeit und konterkariert damit den politischen Leitgedanken eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.
[1] ECLI:EU:C:2018:193 = HRRS 2018 Nr. 373 m. Anm. Nolte/Schwaab, jurisPR-Compl 2/2018 Anm. 4.
[2] ECLI:EU:C:2018:192 = HRRS 2018 Nr. 374 m. Anm. Nolte/Schwaab, jurisPR-Compl 2/2018 Anm. 3.
[3] ECLI:EU:C:2018:197 = HRRS 2018 Nr. 372.
[4] Zu den unterschiedlichen Dimensionen des ne-bis-in-idem-Prinzips i.S.v. Art. 50 GRC s. F. Meyer HRRS 2014, 270 und Eser, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 4. Aufl. 2014, Art. 50 Rn. 6 ff.
[5] ECLI:EU:C:2012:319 – "Bonda".
[6] ECLI:EU:C:2013:105 = HRRS 2013 Nr. 335 – "Åkerberg Fransson".
[7] Leitentscheidung "Engel v. Netherlands", Urt. v. 25.8.1987 – Nr. 9912/82.
[8] ECLI:EU:C:2012:319, Rn. 37 – "Bonda" (ausdrückliche Referenzierung der "Engel"- und der "Zolotoukhine"-Entscheidung des EGMR); ECLI:EU:C:2013:105, Rn. 35 = HRRS 2013 Nr. 335 – "Åkerberg Fransson" (Bezugnahme auf die genannte Passage der "Bonda"-Entscheidung).
[9] Instruktiv zur "Engel"-Rechtsprechung des EGMR Grabenwarter/Pabel, in: EMRK/GG-Konkordanzkommentar, 3. Aufl. 2013, Kap. 14 Rn. 21 ff. sowie Gaede, Fairness als Teilhabe, 2007, S. 166 ff.
[10] ECLI:EU:C:2013:105, Rn. 35 – "Åkerberg Fransson"; ECLI:EU:C:2012:319, Rn. 37 – "Bonda".
[11] Von den unzähligen zu dieser Frage ergangenen Entscheidungen sollen hier aus jüngerer Zeit nur die folgenden Judikate genannt werden: EGMR, Urt. v. 14.1.2014 (4. Sektion) – 32042/11 – "Muslija v. Bosnia and Herzegovina" (Geldbuße iHv umgerechnet ca. 77 EUR wegen eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung, wobei das maßgebliche bosnisch-herzegowinische Gesetz es allerdings auch zugelassen hätte, gegen den Betroffenen eine Freiheitsentziehung von bis zu 60 Tagen anzuordnen); Urt. v. 18.10.2011 (1. Sektion) – 53785/09 – "Tomasović v. Croatia" (Geldbuße i.H.v. umgerechnet ca. 206 EUR wegen Drogenbesitzes; das einschlägige kroatische Gesetz hätte die Verhängung einer Geldbuße von bis zu umgerechnet ca. 2700 EUR erlaubt, sah jedoch nicht die Möglichkeit vor, eine Freiheitsentziehung anzuordnen); Urt. v. 16.6.2009 (4. Sektion) – 13079/03 – "Ruotsalainen v. Finland" (Geldbuße i.H.v. umgerechnet ca. 121 EUR für einen steuerrechtlichen Verstoß als Erstsanktion und Steueraufschlag i.H.v. umgerechnet ca. 10.000 EUR als Zweitsanktion; das einschlägige finnische Gesetz sah jeweils nicht die Möglichkeit vor, eine Freiheitsentziehung anzuordnen).
[12] EGMR, Urt. v. 4.3.2014 (2. Sektion) – 18640/10 – "Grande Stevens vs. Italy".
[13] EGMR, Urt. v. 4.3.2014 (2. Sektion) – 18640/10, § 229.
[14] Es handelt sich um die Entscheidungen mit Aktenzeichen 11828/11 – "Nykänen v. Finland", 35232/11 – "Pirttimäki v. Finland", 758/11 – "Häkkä v. Finland" und 37394/11 – "Glantz v. Finland".
[15] Stellvertretend für alle der in Fn. 14 genannten Entscheidungen sei insofern nur auf EGMR, Urt. 20.5.2014 (4. Sektion) – 11828/11, §§ 38 ff. – "Nykänen v. Finland" verwiesen.
[16] Erneut pars pro proto EGMR, Urt. 20.5.2014 (4. Sektion) – 11828/11, §§ 50 ff. – "Nykänen v. Finland". Der Gedanke, dass eine Mehrfachsanktion nicht gegen das ne-bis-in-idem-Prinzip verstößt, wenn zwischen den Sanktionen eine hinreichende sachliche und zeitliche Verbindung besteht, findet sich der Sache nach auch schon in den Entscheidungen EGMR, Beschl. v. 30.5.2000 (2. Sektion) – 31982/96 – "R.T. vs. Switzerland" und EGMR, Beschl. v. 13.12.2005 (2. Sektion) – 73661/01 – "Nilsson v. Sweden", wurde in weiteren Entscheidungen des EGMR zu Art. 4 des 7. ZP zur EMRK aber nicht mehr aufgegriffen. Gleichwohl tut die Kammer der 4. Sektion in den in Fn. 14 genannten Entscheidungen so, als handele es sich dabei um ständige Rechtsprechung des EGMR.
[17] Vgl. etwa EGMR, Urt. v. 27.1.2015 (4. Sektion) – 17039/13, § 53 – "Rinas v. Finland", Urt. v. 10.2.015 (4. Sektion) – 53753/12, § 44 – "Kiiveri v. Finland", Urt. v. 10.2.2015 (4. Sektion) – 53197/13, § 48 – "Österlund v. Finland" sowie Urt. v. 17.2.2015 – 41604/11, § 42 – "Boman v. Finland". Bemerkenswert ist, dass die 1. Sektion des EGMR das Kriterium der "sufficiently close connection in substance and in time" auch nach den Impulsen durch die 4. Sektion zunächst nicht aufgriff und weiter im Fahrwasser von "Grande Stevenson" entschied, s. etwa EGMR, Urt. v. 30.4.2015 (1. Sektion) – 3453/12 u.a. – "Kapetanios and others vs. Greece" sowie EGMR, Urt. v. 9.6.2016 – 66602/09 u. 71879/12 – "Sismanidis and Sitaridis v. Greece”; vgl. jetzt aber EGMR, Urt. v. 18.6.2017 (1. Sektion) – 22007/11, § 49 ff. – "Jóhannesson and Others v. Iceland”.
[18] EGMR, Urt. v. 15.11.2016 (Große Kammer) – 24130/11 und 29758/11 mit zu Recht ablehnendem, sehr lesenswerten Sondervotum von Pinto de Albuquerque und kritischer Anmerkung von Staffler ÖJZ 2017, 64 ff.
[19] Vgl. EGMR, Urt. v. 15.11.2016 (Große Kammer) – 24130/11 und 29758/11, § 118.
[20] S. insbesondere §§ 47 ff. des Sondervotums.
[21] Insofern kritisch auch Staffler ÖJZ 2017, 64 ff.
[22] ECLI:EU:C:2017:667, Rn. 53 ff., 63 ff.
[23] Vgl. Clifford Lexology v. 4.10.2017, online abrufbar unter http://t1p.de/3hmw; Simonato European Law Blog v. 15.11.2017, online abrufbar unter http://t1p.de/1mr4; Rönnau/Wegner, in: Veil/Meyer/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Marktmissbrauchsrecht, 2018, § 29 Rn. 25.
[24] Vgl. ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 18 f. = HRRS 2018 Nr. 373.
[25] Neben der hier im Fokus stehenden Vorlagefrage bat das Vorlagegericht den EuGH in "Garlsson Real Estate u.a." außerdem um Klärung, ob Art. 50 GRC zum unmittelbar anwendbaren Unionsrecht zähle. Im Fahrwasser seiner ständigen Rechtsprechung seit ECLI:EU:C:1963:1 – "Van Gend & Loos", wonach Bestimmungen des Primärrechts dann individuelle Rechte begründen, wenn sie klare und unbedingte Verpflichtungen für die Organe der EU oder die Mitgliedstaaten enthalten, deren Anwendung keine weiteren Umsetzungsakte mehr erfordern und keinen Ermessenspielraum für ihre Anwendung einräumen, hat der EuGH diese Frage – nicht überraschend und zurecht – bejaht (ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 64 ff. = HRRS 2018 Nr. 373).
[26] Für einen sanktionsspezifischen Überblick über die Reform des EU-Marktmissbrauchsrechts s. Rönnau/Wegner, in: Veil/Meyer/Rönnau (Fn. 23 ), § 29 Rn. 1 ff. Als Nachfolgevorschriften für den mittlerweile außer Kraft getretenen Art. 14 Abs. 1 RL 2003/6 sind nach neuen Recht die Artt. 30 f. VO (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission (ABl. Nr. L 173 S. 1) anzusehen, die durch die neu eingeführten, spezifisch strafrechtlichen Pönalisierungsgebote des Art. 7 (auch i.V.m. Art. 9) der RL 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie) (ABl. Nr. L 173 S. 179) ergänzt werden.
[27] Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (ABl. Nr. L 96 S. 16).
[28] Zu dieser sog. unionsrechtlichen "Mindesttrias" ausführlich Wegner, in: Broemel/Krell/Muthorst/Prütting (Hrsg.), Prozessrecht in nationaler, europäischer und globaler Perspektive, 2017, S. 139 ff.
[29] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 21-27 = HRRS 2018 Nr. 373. Der EuGH bewegt sich insofern konsequent im Fahrwasser seiner Rechtsprechung seit ECLI:EU:C:2013:105 = HRRS 2013 Nr. 335 – "Åkerberg Fransson" (dazu einführend Wegner HRRS 2013, 126 ff.); für eine Anwendbarkeit der GRC auf Straf- und Sanktionsverfahren nach neuem Marktmissbrauchsrecht s. Gaede wistra 2017, 41, 46 f., Brand/Hotz ZIP 2017, 1450, 1454, Möllers/Herz JZ 2017, 445, 449 f. und Rönnau/Wegner, in: Veil/Meyer/Rönnau (Fn. 23 ), § 29 Rn. 17.
[30] S. dazu bereits o. unter I.
[31] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 28 = HRRS 2018 Nr. 373 unter Verweis auf ECLI:EU:C:2012:319, Rn. 37 – "Bonda" und ECLI:EU:C:2013:105, Rn. 35 = HRRS 2013 Nr. 335 – "Åkerberg Fransson".
[32] ECLI:EU:C:2013:105, Rn. 36 f. = HRRS 2013 Nr. 335 – "Åkerberg Fransson".
[33] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 29 = HRRS 2018 Nr. 373.
[34] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 30 = HRRS 2018 Nr. 373.
[35] Näher zu den einschlägigen italienischen Normen ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 6 f. = HRRS 2018 Nr. 373.
[36] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 30 ff. = HRRS 2018 Nr. 373.
[37] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 36-41 = HRRS 2018 Nr. 373.
[38] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 42-45 = HRRS 2018 Nr. 373.
[39] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 46 = HRRS 2018 Nr. 373.
[40] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 51 = HRRS 2018 Nr. 373.
[41] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 55, 57 = HRRS 2018 Nr. 373.
[42] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 56 = HRRS 2018 Nr. 373.
[43] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 59, 61 ff. = HRRS 2018 Nr. 373.
[44] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 59 ff. = HRRS 2018 Nr. 373.
[45] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 60 = HRRS 2018 Nr. 373.
[46] Aus welchen Gründen der Freispruch erfolgte, geht aus der Sachverhaltsschilderung des EuGH nicht hervor.
[47] Zu Art. 14 Abs. 1 RL 2003/6, der dort enthaltenden Sanktionsverpflichtung der Mitgliedstaaten sowie dem zwischenzeitlich reformierten EU-Marktmissbrauchsrecht s. bereits o. II. 1. b).
[48] ECLI:EU:C:2018:192, Rn. 31 = HRRS 2018 Nr. 374 mit Verweis auf ECLI:EU:C:2014:2067, Rn. 58 f. – "Impresa Pizzarotti" und ECLI:EU:C:2015:662, Rn. 28 f. – "Târşia"; näher dazu A. Schneider, EuR 2017, 433, 438.
[49] ECLI:EU:C:2018:192, Rn. 33 = HRRS 2018 Nr. 374.
[50] ECLI:EU:C:2018:192, Rn. 34 ff. = HRRS 2018 Nr. 374.
[51] ECLI:EU:C:2018:192, Rn. 38 ff. = HRRS 2018 Nr. 374.
[52] ECLI:EU:C:2018:197, Rn. 18-21 = HRRS 2018 Nr. 372 unter Verweis auf ECLI:EU:C:2013:105, Rn. 27 = HRRS 2013 Nr. 335 – "Åkerberg Fransson" und ECLI:EU:C:2017:264, Rn. 16 – "Orsi und Baldetti"; s. dazu ergänzend auch ECLI:EU:C:2015:555, Rn. 36-38 = HRRS 2015 Nr. 1007 – "Taricco" sowie ECLI:EU:C:2017:936, Rn. 30 – "M.A.S. and M.B.".
[53] ECLI:EU:C:2018:197, Rn. 26-33 = HRRS 2018 Nr. 372.
[54] ECLI:EU:C:2018:197, Rn. 34-39 = HRRS 2018 Nr. 372.
[55] ECLI:EU:C:2018:197, Rn. 40 ff. = HRRS 2018 Nr. 372.
[56] ECLI:EU:C:2018:197, Rn. 54 = HRRS 2018 Nr. 372.
[57] ECLI:EU:C:2018:197, Rn. 56 = HRRS 2018 Nr. 372.
[58] Dazu ausführlich bereits o. unter I.
[59] ECLI:EU:C:2018:197, Rn. 61 = HRRS 2018 Nr. 372 – "Menci".
[60] Mit dieser Interpretation auch Ulpre, DRS v. 27.4.2018, online abrufbar unter http://t1p.de/mmi1.
[61] ECLI:EU:C:2017:669, Rn. 73 – Schlussanträge "Di Puma" und "Zecca"; ECLI:EU:C:2017:667, Rn. 69 – Schlussanträge "Menci"; ECLI:EU:C:2017:668, Rn. 71 – Schlussanträge "Garlsson Real Estate u.a.".
[62] Ganz h.M., s. nur Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Ls-Bl-Slg., 81. EL September 2017, Art. 103 GG Rn. 286 ff. m.w.N.
[63] Näher Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Fn. 62 ), Art. 103 GG Rn. 276 ff. m. zahlr. N.
[64] Für weitere Beispiele s. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Fn. 62 ), Art. 103 GG Rn. 279 f.
[65] Diese Tendenz war speziell in Bezug auf die Anwendung von Art. 50 GRC bereits im "Åkerberg Fransson"-Urteil angelegt, vgl. dazu Wegner HRRS 2013, 126, 130 f.
[66] ECLI:EU:C:2018:193, Rn. 60 = HRRS 2018 Nr. 373; s. dazu bereits o. II. 1. b).
[67] S. o. II. 2. b).
[68] Als Beispiel hierfür kann das Tatbestandsmerkmal der "Marktpreiseinwirkung" genannt werden, das zur Erfüllung des Straftatbestands der Marktmanipulation gem. § 119 Abs. 1 WpHG vorliegen muss, von den Ordnungswidrigkeiten gem. § 120 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 15 Nr. 2 WpHG aber nicht vorausgesetzt wird.
[69] Auf diese "Lücken"-Problematik weist Ulpre (DRS v. 27.4.2018, online abrufbar unter http://t1p.de/mmi1) hin.
[70] S. o. II 3. b).
[71] Statt vieler Jarass, GRC, 3. Aufl. 2016, Art. 50 GRC Rn. 8 m.w.N.
[72] Die deutsche Rechtslage nach §§ 84 Abs. 1 Alt. 1, 86 Abs. 1 OWiG unter diesem Gesichtspunkt kritisierend Rönnau/Wegner, in: Veil/Meyer/Rönnau (Fn. 23 ), § 29 Rn. 24.
[73] Nach deutschem Recht würde sich eine solche Sperrwirkung aus § 84 Abs. 2 OWiG ergeben.
[74] Rönnau/Wegner, in: Veil/Meyer/Rönnau (Fn. 23 ), § 30 Rn. 1 f.
[75] Speziell zur Rechtskraftwirkung von "shame sanctions" Rönnau/Wegner, in: Veil/Meyer/Rönnau (Fn. 23 ), § 30 Rn. 44 ff.
[76] Mit Entscheidung vom 8. August 2016 hat die italienische Wettbewerbsbehörde AGCM gegen die Volkswagen AG sowie deren italienische Tochter Volkswagen Group Italia S.p.A. als Gesamtschuldner ein Bußgeld i.H.v. 5 Millionen EUR wegen Normverstößen im Zusammenhang mit dem sog. "Abgas-Skandal" verhängt. Eine kursorische Durchsicht des dabei zugrunde gelegten Sachverhalts (vgl. dazu die unter http://t1p.de/q5ru online abrufbare Begründung des Bußgeldbescheids) lässt die These nicht abwegig erscheinen, dass weite Teile der unionsweit gegen die Volkswagen AG geführten Verbandssanktionsverfahren (etwa nach § 30 OWiG in Deutschland) durch die Rechtskraft der Entscheidung der AGCM wegen Art. 50 GRC i.V.m. Art. 54 SDÜ gesperrt sind.