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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2015
16. Jahrgang
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1. Art. 16a Abs. 1 GG gewährt jedem politisch Verfolgten, der Zuflucht in der Bundesrepublik Deutschland sucht, unabhängig davon, ob ihm eine Straftat vorgeworfen wird, Asyl und damit auch Schutz vor Auslieferung.
2. In Auslieferungssachen verpflichtet das Asylgrundrecht die Oberlandesgerichte, bei entsprechenden Anhaltspunkten eigenständig und unabhängig von der Entscheidung im Asylverfahren zu prüfen, ob dem Betroffenen im Falle seiner Auslieferung politische Verfolgung droht. Hierzu sind regelmäßig die Akten des Asylverfahrens beizuziehen.
3. Eine Zusicherung des Zielstaates, das Auslieferungsersuchen diene nicht dem Zweck der politischen Verfolgung und die Strafverfolgung werde auf den dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Vorwurf beschränkt,
ist zwar regelmäßig geeignet, Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen. Sie entbindet die Gerichte jedoch nicht von einer Beiziehung der Asylverfahrensakten, weil sich aus diesen Anhaltspunkte dafür ergeben können, dass im Einzelfall trotz der Zusicherung Auslieferungshindernisse bestehen.
4. Es ist verfassungsrechtlich im Grundsatz nicht zu beanstanden, die Auslieferungshaft bereits dann anzuordnen, wenn die Voraussetzungen für eine Auslieferung möglicherweise erfüllt sind, dies jedoch noch nicht abschließend geklärt ist. Die Anordnung und Fortdauer der Auslieferungshaft ist dann allerdings nur solange gerechtfertigt, wie sie – insbesondere angesichts der Schwere des Tatvorwurfs und der bisherigen Dauer des Auslieferungsverfahrens – verhältnismäßig ist.
1. Art. 14 Abs. 1 GG schützt neben dem Bestand einer Eigentumsposition auch deren Nutzung. In dieses Grundrecht kann durch Sicherungsmaßnahmen des strafprozessualen Arrests zur Rückgewinnungshilfe zulässigerweise eingegriffen werden.
2. Soweit das möglicherweise über eine Straftat erlangte Vermögen zu einem Zeitpunkt sichergestellt wird, in dem lediglich ein Tatverdacht besteht, gelten besondere Anforderungen, was die Zumutbarkeit der Sicherungsmaßnahme und das Verfahren zu ihrer Anordnung betrifft. Erforderlich ist eine Abwägung der Eigentumsposition und des Sicherstellungsinteresses, wobei neben dem Interesse des potentiell Geschädigten insbesondere auch das staatliche Interesse an der Abschöpfung inkriminierten Vermögens zu berücksichtigen ist.
3. Bei der Abwägung haben die Gerichte das jeweilige Rechtsschutzbegehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen. Sie müssen die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und ihre rechtliche Auffassung unabhängig von der Exekutive gewinnen und begründen.
4. Diesen Anforderungen ist nicht Genüge getan, wenn ein Gericht in einem Strafverfahren wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen einen dinglichen Arrest zur Sicherung von Ansprüchen des Sozialversicherungsträgers anordnet, ohne selbständig zu ermitteln, aus welchen Gründen der Sozialversicherungsträger noch keinen Beitragsbescheid erlassen hat.
5. Hinsichtlich der Höhe der angeordneten Arrestsumme haben Zinsen und Säumniszuschläge außer Betracht zu bleiben, weil diese nicht „aus der Tat“ des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen erlangt sind, so dass insoweit auch ein Verfall nicht angeordnet werden kann.
1. Das Rechtsschutzbedürfnis für die (verfassungsgerichtliche) Überprüfung einer Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus besteht angesichts des damit verbundenen tiefgreifenden Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht auch dann fort, wenn die angegriffene Entscheidung nicht mehr die aktuelle Grundlage der Unterbringung bildet, weil zwischenzeitlich eine erneute Fortdauerentscheidung ergangen ist.
2. Die von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person, die unter den Grundrechten einen hohen Rang einnimmt, darf nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden, zu denen in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts – einschließlich der Unterbringung eines nicht oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters im psychiatrischen Krankenhaus – zählen.
3. Bei der Prüfung der Aussetzungsreife einer Maßregel ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dadurch Rechnung zu tragen, dass die Sicherungsbelange der Allgemeinheit und der Freiheitsanspruch des Betroffenen einander als wechselseitiges Korrektiv gegenübergestellt und gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist die von dem Täter ausgehende Gefahr zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen.
4. Je länger der Freiheitsentzug andauert, desto strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründungstiefe einer negativen Prognoseentscheidung. Zugleich wächst mit dem stärker werdenden Freiheitseingriff die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte.
5. Die von einem Untergebrachten ausgehende Gefahr ist nicht in hinreichendem Maße konkretisiert, wenn das Gericht nicht einzelfallbezogen darlegt, welche Art von Straftaten mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad droht. Insoweit sind Ausführungen zum früheren Verhalten des Untergebrachten, zu den von ihm bislang begangenen
Taten, den seit Anordnung der Maßregel eingetretenen Umständen, dem Zustand des Untergebrachten sowie zu seinen künftig zu erwartenden Lebensumständen erforderlich.
6. Die Erwartung schwerer Gewaltdelikte bis hin zu Tötungsdelikten ist nicht hinreichend begründet, wenn sie auf abstrakte Gewaltphantasien des Untergebrachten gestützt wird, die lediglich Prügeleien zum Gegenstand haben, die der Untergebrachte nie umgesetzt und deren Umsetzung er auch nie konkret angedroht hat. Auch eine bloße Bezugnahme auf die (wenngleich schwerwiegenden) Anlasstaten genügt insoweit nicht, wenn diese bereits über 30 Jahre zurückliegen und der Untergebrachte sie als Heranwachsender und unter erheblichem Alkoholeinfluss begangen hat.
7. Die Annahme einer Gefahr künftiger erheblicher Straftaten lässt sich auch nicht unter Bezugnahme auf ein lediglich grenzüberschreitendes Verhalten des Untergebrachten gegenüber einer Mitarbeiterin der Vollzugseinrichtung oder mit dem – zirkelschlüssigen – Hinweis auf eine eingetretene Hospitalisierung des Untergebrachten rechtfertigen.
8. Eine Fortdauerentscheidung genügt den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen schließlich auch dann nicht, wenn sie sich nicht mit einem Sachverständigengutachten auseinandersetzt, in dem einerseits von einer zumindest zweifelhaften Legalprognose und der Möglichkeit einer erneuten Dekompensation ausgegangen, zugleich aber eine akute Rückfallgefahr verneint wird.
1. Die verfassungsrechtliche Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung stellt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen unter einen besonderen grundrechtlichen Schutz. Dieser erstreckt sich auch auf geschäftlich genutzte Räume, die nicht allgemein zugänglich sind.
2. Angesichts des mit einer Durchsuchung verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffs trifft den die Maßnahme anordnenden Richter die Pflicht, durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Grundrechtseingriff messbar und kontrollierbar bleibt.
3. Der Durchsuchungsbeschluss muss bereits aus sich heraus – und nicht nur in Verbindung mit Aktenbestandteilen – verständlich und hinreichend bestimmt sein. Der Schutz der Privatsphäre darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen bleiben.
4. Angesichts dessen ist ein die Durchsuchung der Räume einer GmbH anordnende Beschluss nicht hinreichend bestimmt, wenn unter der angegebenen Anschrift eine GmbH mit dem im Beschluss bezeichneten Namen tatsächlich nicht existiert, wenn dort zugleich jedoch mehrere Unternehmen ansässig sind, deren Name sich teilweise mit der im Beschluss genannten Firmenbezeichnung deckt.
5. In diesem Fall sind alle Unternehmen beschwerdebefugt, die als potentiell von dem Durchsuchungsbeschluss gemeinte Unternehmen anzusehen sind und bei denen der Beschluss eine Durchsuchung nahelegt.
1. Aus Art. 13 Abs. 2 GG folgt für die Gerichte eine Verpflichtung, in Durchsuchungsbeschlüssen den gesetzlichen Tatbestand, auf den sich der Verdacht richtet, zu benennen; denn nur so ist eine – von der Schwere der vorgeworfenen Tat abhänge – vollständige Verhältnismäßigkeitsprüfung gewährleistet.
2. Wenngleich dem Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG auch beruflich genutzte Räume unterfallen, ist bei der Durchsuchung von Geschäftsräumen eine Privatperson nur beschwerdebefugt, soweit die Räumlichkeiten ihrer persönlichen Privatsphäre zuzuordnen sind.
3. Allein aus einer Gesellschafterstellung ergibt sich mit Blick auf Art. 13 GG keine Beschwerdebefugnis, weil die wirtschaftlichen Eigentümer einer Gesellschaft durch die Durchsuchung von Geschäftsräumen in ihrer Privatsphäre regelmäßig nicht tangiert sind.
4. Juristische Personen sind bei einer Durchsuchung ihrer Räumlichkeiten beschwerdebefugt. Allerdings haben sie vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde den Rechtsweg selbst zu erschöpfen; dem ist nicht genügt, wenn lediglich die Gesellschafter einer juristischen Person im eigenen Namen den Beschwerdeweg beschritten haben.