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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2014
15. Jahrgang
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1. Selbst wenn ein nationales Gericht eine Verletzung des Art. 6 EMRK durch eine unzulässige Tatprovokation ausdrücklich anerkennt, genügt dies nicht, um die Opfereigenschaft des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 34 EMRK auszuschließen. Das öffentliche Interesse an der Bekämpfung von Straftaten kann die Verwendung von Beweismitteln, die aus einer unzulässigen staatlichen Tatprovokation stammen, nicht rechtfertigen. Ein Strafprozess kann nur fair sein, wenn alle Beweise, die durch eine unzulässige Tatprovokation gewonnen worden sind, aus diesem ausgeschlossen werden oder ein Verfahren angewendet wird, das vergleichbare Ergebnisse nach sich zieht. Jede staatliche Reaktion, die hierhinter zurückfällt, ist keine hinreichende Kompensation der eingetretenen Verletzung des Art. 6 EMRK. Selbst eine erhebliche Milderung der gegenüber dem Beschwerdeführer verhängten Strafe kann nicht als Verfahren betrachtet werden, das zu vergleichbaren Ergebnissen führt. Dies gilt erst Recht, wenn die Milderung nicht durch eine betragsmäßige Bestimmung messbar gestaltet wird.
2. Eine unzulässige Tatprovokation liegt vor, wenn der Staat den Betroffenen zurechenbar beeinflusst, um eine
Tat aufklären und aburteilen zu können, die es anderweitig nicht gegeben hätte.
3. Bei der Prüfung, ob eine Tatprovokation wegen eines bislang mangelnden Tatverdachts (einer mangelnden Tatbereitschaft) unzulässig war, kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem die Polizei an den Betroffenen (erstmals) herantritt. Zu einem Einzelfall der unzulässigen Provokation eines Betroffenen, gegen den kein Tatverdacht bestand, der jedoch früher zu Straftaten bereit war.
1. Wenngleich das Grundgesetz den Staat verpflichtet, Grundrechte des Einzelnen zu schützen, so besteht doch regelmäßig kein grundrechtlich begründeter Anspruch auf eine Strafverfolgung Dritter.
2. Anderes kann allerdings gelten, soweit der Einzelne nicht in der Lage ist, erhebliche Straftaten gegen seine höchstpersönlichen Rechtsgüter – wie insbesondere das Recht auf Leben – abzuwehren und ein Verzicht auf die effektive Verfolgung solcher Taten zu einer Erschütterung des Vertrauens in das Gewaltmonopol des Staates und zu einem allgemeinen Klima der Rechtsunsicherheit und der Gewalt führen kann.
3. Ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf effektive Strafverfolgung kann auch in Betracht kommen, wenn der Vorwurf im Raum steht, dass Amtsträger bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben Straftaten begangen haben oder wenn sich Personen in einem strukturell asymmetrischen Rechtsverhältnis zum Staat befinden und diesem – wie etwa im Maßregel- oder Strafvollzug – eine spezifische Fürsorge- und Obhutspflicht obliegt.
4. Die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur effektiven Strafverfolgung bezieht sich auf das Tätigwerden aller Strafverfolgungsorgane, die zu gewährleisten haben, dass Straftäter für von ihnen verschuldete Verletzungen von Rechtsgütern auch tatsächlich zur Verantwortung gezogen werden. Die Erfüllung der Verpflichtung unterliegt der gerichtlichen Kontrolle und setzt eine detaillierte und vollständige Dokumentation des Ermittlungsverlaufs ebenso voraus wie eine nachvollziehbare Begründung der Einstellungsentscheidungen.
5. Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen decken sich weitgehend mit den Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, die bei der Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes zu berücksichtigen sind. Nach der maßgeblichen Auslegung der EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte müssen die Ermittlungen prompt, umfassend, unvoreingenommen, gründlich und außerdem geeignet sein, zur Identifizierung und Bestrafung der verantwortlichen Person zu führen. Konventionsrechtlich relevant sind Ermittlungsfehler allerdings nur dann, wenn sie den Untersuchungszweck gefährden.
6. Der grundrechtlich und konventionsrechtlich begründete Anspruch auf sorgfältige und effektive Ermittlungen steht – vermittelt über Art. 6 Abs. 1 GG – auch den Eltern eines zu Tode gekommenen Menschen zu.
7. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Schiffsarzt des Bundeswehr-Segelschulschiffs „Gorch Fock“ wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung einer Offiziersanwärterin ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, nachdem anhand der Einstellungsentscheidungen erkennbar ist, dass die Ermittlungen gewissenhaft durchgeführt worden sind und dass sich dabei keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen hinreichenden Tatverdacht ergeben haben.
1. Aus dem Schuldgrundsatz, der seine Grundlage im Gebot der Achtung der Menschenwürde sowie in Art. 2 Abs. 1 GG und im Rechtsstaatsprinzip findet, folgt für die Strafgerichte das Gebot schuldangemessenen Strafens im Einzelfall. Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen.
2. Bei Unterlassungsdauerdelikten müssen die Gerichte nach einer ersten Verurteilung klären, ob der Angeklagte durch das weitere Unterlassen einer von ihm geforderten Handlung erneut schuldhaft Unrecht verwirklicht hat. Der bloße Verweis auf eine „Zäsurwirkung“ der vorausgegangenen Verurteilung genügt hierbei nicht, weil damit die Voraussetzung für die weitere Verurteilung wegen einer vermeintlich neuen Tat vom Staat selbst geschaffen würde.
3. Eine weitere Verurteilung ist jedoch ohne Verstoß gegen das Schuldprinzip möglich, wenn festgestellt wird, dass der Verurteilte nicht allein sein Nichthandeln fortgesetzt, sondern einen neuen, von dem ersten qualitativ verschiedenen – weil die erste Verurteilung außer Acht lassenden – Tatentschluss gefasst hat. Aus einer einmal erfolgten Verurteilung folgt kein Freibrief für straffreies, obgleich strafbewehrtes zukünftiges Verhalten.
4. Ist ein Ausländer, der seiner Auskunftspflicht zu Identität und Staatsangehörigkeit nicht nachgekommen war, deshalb strafrechtlich verurteilt worden, so ist es einer erneuten Sanktionierung zugänglich, wenn er nach der Verurteilung gegenüber dem zuständigen Sachbearbeiter des Ausländeramts ausdrücklich erklärt, er sei weiter nicht bereit, an der Identitätsfeststellung mitzuwirken und so zeigt, dass er einen neuen Tatentschlusses gefasst hat.
1. Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Allerdings kann die Gewährung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich davon abhängig gemacht werden, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint.
2. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Daher dürfen im Prozesskostenhilfeverfahren die Anforderungen an den Vortrag der Beteiligten nicht überspannt und grundsätzlich keine strittigen Rechts- oder Tatsachenfragen geklärt werden.
3. Begehrt ein Strafgefangener Prozesskostenhilfe für eine Amtshaftungsklage wegen menschenunwürdiger Haftunterbringung und trägt er dabei in einer durch Beweiserhebung nachprüfbaren Weise vor, wann er abschlägig beschiedene Verlegungsanträge gestellt habe, um eine menschenwürdige Unterbringung zu erreichen, so überspannt das Zivilgericht die Anforderungen an die Substantiierung seines Vortrags, wenn es verlangt, er hätte zusätzlich die Bediensteten der Vollzugsanstalt benennen müssen, bei denen er die Verlegungsanträge gestellt hat.
4. Das Zivilgericht nimmt das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens in unzulässiger Weise vorweg, wenn es die fehlenden Erfolgsaussichten einer Amtshaftungsklage auf die Erwägung stützt, aus anderen Verfahren sei eine hohe Fluktuation in der betreffenden Justizvollzugsanstalt mit der Folge (vorübergehend) frei werdender Einzelhafträume bekannt, so dass es dem Antragsteller zumutbar gewesen sei, einen Antrag nach §§ 109 ff. StVollzG zu stellen, um seine Verlegung zu erreichen.