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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2014
15. Jahrgang
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Am 15. August 2014 ist Gerhard Fezer im Alter von 75 Jahren nach längerer schwerer Krankheit in Hamburg verstorben. Die deutsche Strafprozessrechtswissenschaft verliert mit ihm einen der klarsten und profiliertesten Analytiker des Strafrechtsverfahrensrechts und seiner (Fehl-)Entwicklungen in der Strafrechtspraxis. Ihrer Fortentwicklung resp. kritischen Begleitung hatte sich Gerhard Fezer von Beginn an ganz verschrieben und seine Schaffenskraft in heute kaum noch anzutreffender Weise dem Strafprozessrecht gewidmet.
Nach Aufnahme eines Studiums der klassischen und deutschen Philologie in Tübingen 1958, wechselte er 1961 getrieben vom Wunsch nach einem auch in der Lebenswirklichkeit sinnstiftenden Studium zur Rechtswissenschaft. Auf die Erste Juristische Staatsprüfung im Jahr 1965 folgte die Zweite Juristische Staatsprüfung im Jahr 1968. Sein Interesse an der Wirklichkeit des Rechts führte ihn 1968 zunächst als Richter an das Landgericht Tübingen, bevor er ab 1969 als Assistent bei Jürgen Baumann tätig wurde und die Arbeit an seiner Dissertationsschrift zur "Funktion der mündlichen Verhandlung im Zivilprozeß und im Strafprozeß" aufnahm. Nach der Promotion zum Dr. iur. wechselte Gerhard Fezer 1971 als Staatsanwalt wieder in die Rechtspflege und wurde an das Bundesministerium der Justiz nach Bonn abgeordnet. Dort konnte er sich bereits dem zentralen Thema seines Wirkens zuwenden: der Fortentwicklung des Rechtsmittelrechts. Unterstützt durch ein Habilitationsstipendium der DFG schuf er 1972 und 1973 mit einer Abhandlung über "Möglichkeiten einer Reform der Rechtsmittel in Strafsachen" ein Standardwerk zum Revisionsrecht, das im Jahre 1974 von der Universität Tübingen als Habilitationsschrift angenommen wurde. Ihr Stellenwert ist in der Fachöffentlichkeit vor dem Hintergrund von Absprachenpraxis und massiver Umformung des Revisionsrechts durch den BGH gerade in jüngerer Zeit noch deutlicher wahrgenommen worden, was wohl nur wenigen Habilitationsschriften vergönnt ist.
Nach einer Zeit als Universitätsdozent in Tübingen folgte Gerhard Fezer 1976 einem Ruf auf eine Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Münster. 1978 erreichte ihn ein weiterer Ruf, der ihn auf eine Ordentliche Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht an die Universität Hamburg führte, wo er bis zu seiner Emeritierung tätig blieb. Zusätzlich fungierte Gerhard Fezer während dieser Zeit auch als Richter im 1. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg und verwirklichte damit sein Credo, Strafrechtswissenschaft und Justizpraxis kritisch-konstruktiv miteinander zu verbinden, in eigener Person. Einen zwischenzeitlichen weiteren Ruf im Jahre 1983, der Gerhard Fezer eine Rückkehr an seine alma mater ermöglicht hätte, lehnte er zugunsten seiner neuen Wahlheimat ab. Profitiert haben davon nicht zuletzt dutzende Semester Hamburger Studierender, denen Gerhard Fezer auf sachlich-nüchterne, aber stets mit trockenem geistreichem Humor versetzte Weise die Welt des Strafrechts näher brachte. Die hohe Popularität des Strafrechts in Hamburg ließ sich gerade auch mit der Tätigkeit Gerhard Fezers erklären. Egal in welche Rechtsbereiche es die Studierenden am Ende verschlug, die Veranstaltungen zum Strafrecht und insbesondere zum Strafprozessrecht blieben den meisten als Glanzpunkte im häufig zu grauen Universitätsalltag im Gedächtnis.
Wie seine Forschungsarbeiten war auch seine Herangehensweise als Dozent von großer dogmatisch-systematischer Schärfe und Klarheit geprägt. Sein Den-
ken war frei vom Glauben an amorphe Meta-Theorien, dafür aber fest verankert in klaren liberal-rechtsstaatlichen Grundsätzen. Ihre Wertigkeit und Schutzbedürftigkeit unter den Zwängen des Justizalltags vermittelte er nachhaltig seinen Studierenden ebenso wie seinen Assistenten. Auch in seinen wissenschaftlichen Schriften trat er stets moderat und vornehm im Ton, aber in der Sache unbeirrbar und entschieden für ein liberal-rechtsstaatliches Strafprozessrechtsdenken ein, das weder übertriebenem Individualismus noch einem (kaschierten) Funktionalismus huldigte und darüber die schiere Notwendigkeit einer klar strukturierten und verlässlichen Selbstbeschränkung bei der staatlicher Herrschaftsausübung in der Strafrechtspflege zu vergessen drohte.
Dieses Grundverständnis hat Gerhard Fezer auch mehreren Generationen von wissenschaftlichen Assistentinnen und Assistenten vermittelt. Die ohnehin missverständliche und von ihm stets leicht irritiert abgelehnte Metapher der wissenschaftlichen "Schule" soll in diesem Zusammenhang aber bewusst vermieden werden. Es ging Gerhard Fezer darum, junge Menschen zu eigenständigem Denken zu befähigen, das natürlich von einem freiheitlich-rechtsstaatlichen Geist beseelt sein sollte, aber auf jegliche Form einer schulartigen Einübung eigener Theorien und Konzepte verzichtete. Vorgelebt wurde auch eine beispielhafte wissenschaftliche Ethik und Gründlichkeit, die für alle diejenigen, die Gerhard Fezer beruflich in die Wissenschaft gefolgt sind, maßstabsbildend war und bis heute prägend ist.
Seinen Idealen und zentralen wissenschaftlichen Themen ist Gerhard Fezer bis zuletzt ebenso treu geblieben wie seinem bevorzugten Format der Anmerkung, die er – wie schon von vielen Weggefährten vermerkt worden ist – virtuos zum Einsatz brachte, um penibel sezierend die gerichtlichen Begründungen auf ihre äußere und innere Überzeugungskraft abzuklopfen und ggfs. Friktionen mit Grundkonzepten und gewachsenen Instituten des Strafprozessrechts aufzuzeigen. In seiner kritisch-konstruktiven Grundhaltung sah Gerhard Fezer sich zuletzt ob der zunehmend hermetischen Selbstgenügsamkeit der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch spürbar desillusioniert. Aber gerade in dieser praxissensiblen Wächterrolle in allen Bereichen des Verfahrens- und Beweisrechts fehlt Gerhard Fezer uns heute besonders.
Frank Meyer, Zürich