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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2014
15. Jahrgang
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Von Professor Dr. Sabine Swoboda, Ruhr-Universität Bochum
Der Beschluss vom 21. November 2012 über die Verwertbarkeit von im Wege der Rechtshilfe aus dem innereuropäischen Ausland gewonnenen Telefonüberwachungsprotokollen ist ein Schulbeispiel für eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung deutscher Strafverfahrensregelungen. Er überträgt Leitgedanken aus dem Rahmenbeschluss [RB 2008/978/JI]über die Europäische Beweisanordnung (im Folgenden: "RB-EBA")[1] zur Verkehrs-
fähigkeit von Beweisen im Rahmen eines europäischen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts[2] im Wege der Auslegung auf die Regeln zur Beweisverwertung im deutschen Strafverfahrensrecht. Der Beschluss zeigt zugleich, wie allein durch den Austausch eines Richters in einem Senat des Bundesgerichtshofs neue Rechtsprechungsdynamiken entstehen können. Mit der Berufung Henning Radtkes in den 1. Strafsenat des BGH beginnt der Senat, die Leitideen und Grundprinzipien des europäischen Straf- und Strafverfahrensrechts, denen er zuvor eher mit Misstrauen zu begegnen schien,[3] in seine Rechtsprechung zu übertragen.
Der deutsche Gesetzgeber hat den Rahmenbeschluss zur EBA trotz Umsetzungsverpflichtung bis zum 19. Januar 2011[4] noch nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt und wird dies angesichts der weit fortgeschrittenen Verhandlungen über den Erlass einer Richtlinie über eine Europäischen Ermittlungsanordnung ("EEA")[5] auch nicht mehr tun. Durch die auf der Grundlage von Art. 82 I AEUV zu erlassende Richtlinie über eine Europäische Ermittlungsanordnung sollen zahlreiche Rahmenbeschlüsse und vertragliche Rechtshilferegelungen über den Rechtshilfeverkehr mit Beweisen in Strafsachen aus der Zeit vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1.12.2009 ersetzen werden,[6] darunter auch der RB-EBA, der für viele Mitgliedsstaaten einerseits zu wenige Rechtshilfemöglichkeiten im Strafverfahren bot und andererseits das Risiko mit sich brachte, nationale Beschuldigten- und Rechtsschutzstandards zu untergraben.[7] Doch auch ohne innerstaatliche Umsetzung können die europäischen Vorgaben aus dem RB-EBA mit Ablauf der Umsetzungsfrist Einfluss auf das innerstaatliche Recht nehmen. Zu denken ist hier zum einen an den (umstrittenen) Mechanismus der "objektiven Geltung" von Rahmenbeschlüssen,[8] darüber hinaus hat der EUGH aus dem Gebot zur Unionstreue aus Art. 4 III UAbs. 2 und 3 EUV[9] eine Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts abgeleitet.[10] Damit kann auch ein nicht in innerstaatliches Recht umgesetzter Rahmenbeschluss Einfluss auf die Interpretation und Anwendung des deutschen Strafverfahrensrechts nehmen, wenn auch niemals contra legem. Rahmenbeschlüsse entfalten –anders als eine nicht rechtzeitig oder inhaltlich mangelhaft umgesetzte Richtlinie i. S. v. Art. 288 III AEUV – niemals "unmittelbare Wirkung".[11] Sie können
innerstaatliches Recht damit auch nicht "neutralisieren", es also nicht aufgrund eines Anwendungsvorrangs für das europäische Sekundärrecht vollständig verdrängen.[12] Daher endet die Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung an den Grenzen der vom nationalen Recht eröffneten Auslegungs- und Ermessensspielräume.[13] Allerdings haben die nationalen Gerichte beim Ausloten dieser Auslegungsspielräume das gesamte nationale Recht im Auge zu behalten. Es gilt die Anweisung, das nationale Recht bis zur eindeutigen Wortlautgrenze möglichst so anzuwenden, "dass kein dem Rahmenbeschluss widersprechendes Ergebnis erzielt wird."[14] Notfalls muss dafür selbst eine ständige nationale Rechtsprechung neuen unionskonformen Norminterpretationen weichen. Auf die Vorhersehbarkeit der Neuinterpretation für den Betroffenen will die h. M. dabei selbst im Bereich des materiellen Strafrechts keine Rücksicht nehmen.[15] Entscheidend ist allein, dass das Gericht das nationale Recht in einer Art und Weise zur Anwendung bringt, die den EU-Vorgaben effektive Wirksamkeit verleiht. Wie das im Bereich strafprozessualer Beweisverwertungsregelungen geschehen kann, hat der BGH an dem vorliegenden Fall eindrucksvoll, wenn auch methodisch nicht besonders transparent demonstriert.
Die beiden Angeklagten sollen gewerbs- und bandenmäßig zwei Schmuggelfahrten im November 2007 und März 2008 organisiert haben. Laut Anklage hatten sie aus China stammende Zigaretten unversteuert und unverzollt aus dem Hamburger Freihafen in das Bundesgebiet der Bundesrepublik Deutschland schmuggeln lassen, um die Zigaretten später in Tschechien zu veräußern. Die Taten waren bei Zollkontrollen aufgedeckt und die Fahrer der Schmuggelfahrzeuge noch vor Ort verhaftet worden. Während die Fahrer später mühelos wegen Steuerhinterziehung und Schmuggelns gem. §§ 370 I, 373 AO verurteilt werden konnten, fehlte es für den Nachweis der Tatbeteiligung der beiden Angeklagten zunächst an tragfähigen Beweisen. Das Landgericht Hamburg richtete daher im Mai 2009 ein Rechtshilfeersuchen an die Kreisstaatsanwaltschaft Prag, um von dieser die Gesprächsprotokolle von Telefonaten der Angeklagten zu erhalten, die die tschechischen Strafverfolgungsbehörden 2007 und 2008 im Rahmen eines in Tschechien gegen die Angeklagten laufenden Ermittlungsverfahrens vor den Bezirksgerichten Prag 4 und Prag 10 wegen Zigarettenschmuggels gem. § 88 I und II der tschechischen Strafprozessordnung aufgezeichnet hatten. Der Verdacht des Zigarettenschmuggels auf tschechischem Staatsgebiet erhärtete sich in diesen Telefonmitschnitten nicht. Die Prager Verfahren wurden daher später eingestellt. Jedoch belegten die Telefonmitschnitte und die daraus gefertigten Überwachungsprotokolle, dass die Angeklagten die Hamburger Schmuggelfahrten organisiert hatten. Gegen das Vorspielen der aufgezeichneten Telefongespräche und das Verlesen der übersetzten Gesprächsprotokolle in der Hauptverhandlung wandte sich die Verteidigung der Angeklagten mit einer Fairnessrüge gem. Art. 6 I EMRK. Als die Hamburger Staatsanwaltschaft das Rechtshilfeersuchen an die tschechischen Behörden stellte, hätten die Voraussetzungen für die Gewährung bilateraler Rechtshilfe auf der Grundlage von Art. 17 II und V des Vertrags vom 2.2.2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.4.1959 (CZ-ErgV EuRHÜbk)[16] nicht vorgelegen. Art. 17 II, V CZ-Erg EuRHÜbk setzt voraus, dass bei Stellung eines Rechtshilfeersuchens auf Überwachung der Telekommunikation oder auf Herausgabe von Unterlagen, die aus einer Überwachung der Telekommunikation in einem im Hoheitsgebiet des ersuchten Vertragsstaates (hier Tschechien) geführten Strafverfahren herrühren, das ersuchende Gericht entweder eine entsprechende Überwachungsanordnung auf der Grundlage des eigenen Rechts vorlegt oder es eine Erklärung abgibt, dass "die Voraussetzungen der Überwachung vorlägen, wenn eine derartige Maßnahmen im Hoheitsgebiet des ersuchenden Vertragsstaates durchzuführen wäre" (§ 17 II Nr. 1) oder dass zumindest sichergestellt ist, dass "die Überwachung auch nach dem Recht des ersuchten Vertragsstaates angeordnet werden[kann], sofern die Strafverfolgung wegen der dem Ersuchen zu Grunde liegenden Straftat dort durchgeführt werden würde" (§ 17 II Nr. 2).
Im konkreten Fall hatte das LG Hamburg keine entsprechende Überwachungsanordnung auf der Grundlage von § 100a StPO vorgelegt. Auch die nach § 17 II Nr. 1 CZ-Erg EuRHÜbk geforderte Erklärung, dass ein entsprechender Beweis nach deutschem Strafverfahrensrecht erhoben werden könnte, fehlte. Hinzu kam, dass der "gewerbsmäßige, gewaltsame und bandenmäßige Schmuggel" nach § 373 AO erst durch Gesetzesänderung mit Wirkung zum 1.1.2008 in den Katalog der für eine Telefonüberwachung erforderlichen Anlasstaten in § 100a II Nr. 2 lit. b) StPO aufgenommen worden war. Eine entsprechende Überwachungsanordnung wäre also nach deutschem Strafverfahrensrecht im Jahre 2007, als in Tschechien die ersten Telefonmitschnitte angefertigt wurden, noch rechtswidrig gewesen. Was die Rechtmäßigkeit der Anordnungen durch die Bezirksgerichte Prag 4 und 10 auf der Basis des tschechischen Rechts, also § 88 I und II der tschechischen StPO, anging, so hatte das LG Hamburg die Frage der Rechtmäßigkeit gar nicht geprüft. Es war auch unstreitig, dass in Tschechien für die Überwachung eine einschlägige gesetzliche Ge-
setzesgrundlage existierte. Die Verteidigung rügte allerdings, dass die Anordnungen der Prager Bezirksgerichte jeweils den Begründungsanforderungen des tschechischen Rechts nicht genügt hätten. Diese verlangen wenigstens eine kurze Darstellung der den Tatverdacht begründenden Tatsachen und der Beweislage. Im konkreten Fall wären diese Darstellungen zu knapp ausgefallen.
Um die Verurteilung der Angeklagten nach § 373 AO sicherzustellen, musste der BGH die Verwertbarkeit der 2007 und 2008 angefertigten Telefonmitschnitte begründen, auch wenn § 1 7 II, V CZ-Erg EuRHÜbk mit seinen strengen Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Rechtshilfeersuchens auf Herausgabe von Telekommunikationsüberwachungsprotokollen eindeutig individualschützende Komponenten enthält,[17] weswegen eine Missachtung der Norm eigentlich ein Beweisverwertungsverbot nahe legen müsste. Der 1. Senat reizt nun aber die im deutschen Strafverfahrensrecht eröffneten Interpretationsspielräume bis aufs Äußerste dahingehend aus, die Verwertbarkeit der Telefonüberwachungs-aufzeichnungen zu versichern; – und hat damit trotz manch schwer nachzuvollziehender Wendung in der Argumentationskette Recht, denn unionsrechtlich traf das Gericht eine Pflicht, im Interesse der EU für wirksame Strafmaßnahmen zu sorgen.
Diesen unionsrechtlichen Hintergrund der Entscheidung erhellt das Gericht freilich nicht. Er sei daher an dieser Stelle offenbart: Ein gewerbs- oder bandenmäßiger Schmuggel gem. § 373 I AO beeinträchtigt immer auch die finanziellen Interessen der EU an der Sicherung ihrer Eigenmittel. Zu den für Waren aus Drittstaaten zu entrichtenden Einfuhrabgaben zählen gem. Art. 44 des gemeinsamen Zollkodex[18] auch die Einfuhrzölle, die laut Art. 1 Nr. 1 des Eigenmittelbeschlusses des Rates Nr. 2007/436/EG wiederum zu den traditionellen Eigenmittel der EU zählen, also direkt in den Unionshaushalt fließen.[19] Wenn der 1. Strafsenat hier also eine effektive innerstaatliche Strafverfolgung nach § 373 AO sicherstellt, dann handelt er in Erfüllung einer mitgliedsstaatlichen Treuepflicht aus Art. 325 II AEUV bzw. Art. 21 des gemeinsamen Zollkodex und auch aus Art. 2 I des Übereinkommens auf Grund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 26.7.1995 ("PIF-Übereinkommen")[20], wonach die EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet sind, die finanziellen Interessen der EU effektiv zu schützen, indem sie für die im Art. 1 I PIF-Übereinkommen sehr weit definierten Betrugstaten zulasten der EG/EU "wirksame, angemessene und abschreckende Strafen" vorsehen.[21] Aus all diesen Rechtsgrundlagen ergab sich für den BGH gleichsam eine "Garantenpflicht", das nationale Recht durch gemeinschaftskonforme Auslegung für den Schutz der (finanziellen) Interessen der EU "zu funktionalisieren".[22] Als Orientierungspunkt für die unionskonforme Durchsetzung der supranationalen Strafverfolgungsinteressen bot sich dabei an, Art. 17 Cz-ErgV EuRHÜbk im Lichte der Vorgaben des seit Januar 2011 im europäischen Raum gültigen Europäischen Rahmenbeschlusses über eine Europäische Beweisanordnung zu interpretieren.
Wie der 1. Strafsenat diese Interpretationsvorgaben für die Auslegung des deutschen Strafverfahrensrechts in der Frage eines Beweisverwertungsverbots aus Art. 17 II, V Cz-ErgV EuRHÜbk nutzbar gemacht hat, wird sogleich Gegenstand der Einzelkritik sein. Vorab aber sei noch positiv angemerkt, dass der 1. Senat die Erfüllung seiner "Garantenpflicht" für die finanziellen Interessen der Union nicht bis zum Äußersten treibt. Er stellt vielmehr klar, dass er die Zulässigkeit der Beweisverwertung nicht nur an den Vorgaben des RB-EBA messen wird, sondern auch an den Mindestbedingungen eines europäischen ordre public.[23] Auch in einem Europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts darf Rechtshilfe nur geleistet werden, wenn dies mit den in Art. 6 EUV verankerten Grundrechtsschutzanforderungen zu vereinbaren ist. Dies ergibt sich zum einen direkt aus Art. 6 I EUV und Art. 51 I Grundrechtecharta, wonach die Union und die Mitgliedsstaaten bei jeder Umsetzung von Gemeinschaftsrecht die Mindestschutzstandards der Charta der Europäischen Grundrechte ("EU-Grundrechtecharta") zu achten haben, die zudem in Art. 6 I UAbs. 1 Hs. 2 EUV in den Rang europäischen Primärrechts erhoben wird und dadurch im Anwendungsbereich des EU-Rechts Geltungsvorrang vor dem nationalem Recht beanspruchen kann. Zum anderen verweisen auch Art. 1 III und Erwägungsgrund 27 RB-EBA auf eine mögliche ordre-public-Grenze, denn hiernach berührt der Rahmenbeschluss die Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte und allgemeinen Rechtsgrundsätze gemäß Art. 6 EUV nicht. Auch die Verpflichtungen der Justizbehörden bei
Anwendung des Rahmenbeschlusses sollen in dieser Hinsicht unberührt bleiben. [24] Allerdings bleibt unklar, ob sich aus einem zwingenden europäischen ordre-public auch Versagungsgründe für die Rechtshilfeleistung in Umsetzung des Rahmenbeschlusses ableiten lassen könnten.[25]
Die Verbindung zwischen der Anwendung von Unionsrecht und der daraus resultierenden Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Achtung der Rechte, Freiheiten und Grundsätze aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 wurde vom EuGH erst vor Kurzem auch für den nicht vollständig vom Unionsrecht determinierten Bereich des innerstaatlichen Rechts bestätigt. Im Urteil "Åkerberg Fransson"[26] stellte der EuGH klar, dass der Begriff der "Durchführung von Unionsrecht" aus Art. 51 I EU-Grundrechtscharta sämtliche "unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen" erfasst. Es seien "keine Fallgestaltungen denkbar, die vom Unionsrecht erfasst würden, ohne dass diese Grundrechte[der Grundrechtecharta] anwendbar wären."[27] Der Anwendungsbereich des Unionsrechts entspricht dadurch dem Anwendungsbereich der durch die Charta garantierten Grundrechte,[28] oder – anders gewendet – überall dort, wo der "Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits eine Anknüpfung an das Unionsrecht aufweist", handeln die Mitgliedsstaaten in der Durchführung von Unionsrecht und sind auch an die Grundrechtecharta gebunden.[29] Die Mitgliedsstaaten haben den europäischen Mindestschutzstandard der Charta damit immer dann zu beachten, wenn sie (i) Gemeinschaftsrecht quasi als "verlängerter Arm" der Union durchführen[30], wobei hiervon jede Form der normativen, administrativen und judikativen Durchführung erfasst wird, insbesondere auch die Umsetzung von Richtlinien oder Rahmenbeschlüssen, einschließlich des auf den eigentlichen (legislativen) Akt der Normumsetzung folgenden Prozesses der Anwendung und Auslegung der nationalen Umsetzungsvorschrift.[31] Eine Durchführung von Unionsrecht wurde vom EuGH ferner bejaht, wenn (ii) die Mitgliedsstaaten mit innerstaatlichen Maßnahmen Grundfreiheiten einzuschränken versuchen[32] Zuletzt (iii) haben die Mitgliedsstaaten die europäischen Mindestschutzvorgaben der Grundrechtecharta immer dann zu beachten, wenn sie ihr nationales Recht in Erfüllung ihrer Loyalitätsverpflichtungen gegenüber der EU für die Durchsetzung von Unionszielen oder zum Schutz von Unionsinteressen zur Anwendung bringen, also in den Fallgestaltungen, in denen das nationale Recht zwar keinen unmittelbaren Bezug zum Unionsrecht aufweist, in denen die anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften aber dennoch maßgeblich, nur eben nicht vollständig durch EU-Recht "determiniert" sind.[33]
Wenn aber der Anwendungsbereich der Grundrechtscharta seit "Åkerberg Fransson" den Anwendungsbereich des gesamten Unionsrechts umfasst und für mitgliedsstaatliche Maßnahmen in allen Bereichen, die vollständig oder auch nur teilweise unionsrechtlich determiniert sind, gilt,[34] so bedeutet das für den vorliegenden Fall, dass der BGH bei der rahmenbeschlusskonformen Auslegung deutscher Strafverfahrensvorschriften auch die Grenzziehungen aus Art. 49 EU-Grundrechtecharta zur Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen und aus dem Gebot der Verfahrensfairness gem. Art. 47 II EU-Grundrechtecharta, der inhaltlich Art. 6 I EMRK[35] entspricht, berücksichtigen muss. Diese Konsequenz hat der 1. Strafsenat dann auch gezogen, als er festhielt, dass auch im Geltungsbereich des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung bei der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (gem. Art. 82 I EUV) eine Unverwertbarkeit von im Ausland erhobenen Beweisen aus grundrechtlichen Erwägungen heraus in Betracht kommt; – so insbesondere, wenn bei der Beweiserhebung völkerrechtlich verbindliche und dem Individualrechtsgüterschutz dienende Garantien nicht gewährleistet wurden (etwa bei einem Verstoß gegen das in Art. 3 EMRK niedergelegte Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung) oder wenn allgemeine
rechtsstaatliche Grundsätze "Im Sinne des ordre public (vgl. § 73 IRG)" missachtet wurden.[36]
Damit macht der 1. Strafsenat zugleich deutlich, dass er an der Schranke eines europäischen ordre public, wie er für die bereits in deutsches Recht umgesetzten EU-Rahmenbeschlüsse in § 73 S. 2 IRG niedergelegt ist, festhalten wird. Dieses Festhalten an § 73 S. 2 IRG ist keine Selbstverständlichkeit, seit der EuGH in den Urteilen "Melloni"[37] und "Radu"[38] zur Auslegung des Rahmenbeschlusses über einen europäischen Haftbefehl[39] die europarechtliche Legitimität des ordre-public-Vorbehalts in § 73 S. 2 IRG in Zweifel gezogen hat.[40] In diesen Urteilen verbindet der EuGH seine Auslegung der innereuropäischen Rechtshilfeinstrumente mit einer fragwürdigen "effet-utile-Argumentation", also einer rein funktional auf die Durchsetzung europäischer Integrationsziele gerichteten Interpretationsweise.[41] Die Mitgliedsstaaten dürften die Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls nur in den Fällen ablehnen, die abschließend in Art. 3, 4 oder 4a des Rahmenbeschlusses über einen Europäischen Haftbefehl aufgezählt sind. Ansonsten dürften die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nur noch an die in Art 5 des Rahmenbeschlusses angeführten Bedingungen knüpfen,[42] die Vollstreckung jedoch nicht unter Verweis auf die Grundrechte, wie sie in Art. 6 EUV verbürgt sind,[43] oder mit dem Hinweis auf ein höheres Schutzniveau des nationalen Verfassungsrechts ablehnen.[44] Dass auch der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl in Erwägungsgrund Nr. 12 und Art. 1 III auf die unberührte Fortgeltung der Grundrechte aus der Europäischen Charta der Grundrechte i. V. m. Art. 6 EUV verweist, berücksichtigt der EuGH nur insoweit, als er die einschlägigen Ablehnungsvorschriften (im konkreten Fall Art. 4a des Rahmenbeschlusses) am Maßstab des Art. 6 EUV i. V. m. Art. 47, 48 II GR-Charta, und damit letztlich am Maßstab des grundrechtlichen Mindestkonsenses der EMRK prüft.[45] Insgesamt leitet der EuGH mit diesem Argumentationsgang nicht nur ein Absenken des grundrechtlichen Schutzniveaus ein,[46] er bahnt auch den Weg für eine Grundrechtsmethodik, die den Inhalt der Grund- und Freiheitsrechte "nach der Maßgabe der politisch befürworteten Europäisierung" bestimmt.[47] Freiheitsrechte werden nur noch unter dem Vorbehalt ihrer Vereinbarkeit mit europäischen Politiken gewährt. Es erstaunt nicht weiter, dass dieses Votum des EuGH auf vehementen Widerstand in der Literatur und in den ersten Entscheidungen von Gerichten der Mitgliedstaaten gestoßen ist.[48] Der vorliegende Beschluss des 1. Strafsenats erging drei Monate vor den EuGH-Urteilen in den Fällen "Melloni" und "Radu", so dass der Rückgriff des Senats auf eine europäische ordre-public-Grenze i. S. v. § 73 S. 2 IRG nicht als offener Widerstand gegen den EuGH interpretiert werden kann. Dennoch deutet sich an, dass der BGH auf eine individualrechtsschützende ordre-public-Schranke im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen auch weiterhin nicht verzichten wird, auch nicht dort, wo die Mitgliedstaaten das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung für den innereuropäischen Beweistransfer sekundärrechtlich ausgestaltet haben.
Die Begründung zum Beschluss vom 21.12.2012 mutet sehr kompliziert an. Die Dreh- und Angelpunkte der Argumentation und damit die einzelnen Auslegungs-
schritte lassen sich jedoch gut nachvollziehen, sobald man die Zielvorgaben kennt, an denen sich die Argumentation ausrichtet. Zielvorgabe ist dabei nichts anderes als eben der Rahmenbeschlusses über eine Europäische Beweisanordnung[RB 2008/978/JI], denn der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung gebietet in Bezug auf Rahmenbeschlüsse, die im Rahmen von Titel VI des Vertrags über die Europäische Union in früherer Fassung ergangen sind, dass ein Gericht eines Mitgliedstaates die Auslegung seines nationalen Rechts so weit wie möglich an "Wortlaut und Zweck des Rahmenbeschlusses" orientiert, um das mit dem Rahmenbeschluss angestrebte Integrationsergebnis zu erreichen. Nur mit einer größtmöglichen Annäherung an die Leitvorgaben des Rahmenbeschlusses kann der Mitgliedstaat die mit der (einstimmigen) Annahme des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 II lit. b) EUV in der Fassung des Vertrags von Nizza übernommenen Kooperationsverpflichtungen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit erfüllen.[49] Er muss sicherstellen, dass seine nationalen Normen bis zur Grenze einer Auslegung contra legem bzw. im strafrechtlichen Bereich bis zur Grenze des Gesetzlichkeitsprinzips und im Strafverfahren der Grenze der Verfahrensfairness gem. Art. 6 I EMRK "so angewandt werden[können], dass ein Ergebnis erzielt wird, das mit dem durch den Rahmenbeschluss angestrebten Ergebnis vereinbar ist."[50]
Das bedeutet, dass hier zunächst der Regelungsinhalt des Rahmenbeschlusses über eine Europäische Beweisanordnung vorgestellt werden muss, um dann im Anschluss die Argumentationsschritte des 1. Strafsenats darauf zu überprüfen, ob sie diesen Vorgaben effektive Wirkung verleihen, ob sie nicht vielleicht an manchen Stellen sogar unnötigerweise (zulasten des Beschuldigten) über die Anforderungen des Rahmenbeschlusses hinausgreifen, ob die Wortlautgrenze beachtet ist, die die Grenze des nationalen Ermessensspielraums markiert und damit auch die absolute Grenze für eine rahmenbeschlusskonforme Interpretation des nationalen Rechts anzeigt; und ob hier, in einem Fall, in dem es um ein Strafverfahren geht, auch trotz der Neuinterpretation des innerstaatlichen Rechts insgesamt die Mindestbedingungen an ein faires Strafverfahren eingehalten sind, wie sie sich aus Art. 6 EMRK und Art. 47 II EU-Grundrechtecharta i. V. m. Art. 6 I EUV ergeben.
Die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafverfahren ist eine Maßnahmen zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, der wiederum als Eckstein einer justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen in der Europäischen Union durch den Europäischen Rat von Tampere im Oktober 1999 beschlossen wurde.[51] Die Idee einer vereinfachten Rechtshilfe in Beweissachen geht auf Überlegungen im Haager Programm des Europäischen Rates zur Stärkung von Freiheit Sicherheit und Recht in der Europäischen Union vom 4. und 5. November 2004[52] zurück, wonach zur Entstehung und Stärkung eines Europäischen Rechtsraumes neben Maßnahmen zur Bildung des gegenseitigen Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit der jeweils anderen mitgliedstaatlichen Rechtsordnung auch forciert darauf hinzuwirken ist, dass bestehende rechtliche Hindernisse in der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen abgebaut und Ermittlungen nicht nur, aber insbesondere in grenzüberschreitende Fällen besser koordiniert und konzentriert werden.[53] Das Maßnahmenprogramm sah hierfür auch Rechtsakte betreffend die gegenseitige Anerkennung von (gerichtlichen) Entscheidungen in Bezug auf die Erhebung und Zulässigkeit von Beweismitteln vor.[54] Der RB-EBA umfasst die Rechtshilfe hinsichtlich bereits vorhandener Sachbeweise wie Gegenstände, Schriftstücke oder Daten, Protokolle von Aussagen, Vernehmungen und Anhörungen.[55] Ermittlungsmaßnahmen, Vernehmungen und Untersuchungen, die noch vorgenommen werden müssen, sind gem. Art. 4 II RB-EBA bewusst aus dem Regelungsbereich des Rahmenbeschlusses ausgeklammert worden. Die Rechtshilfe in Bezug auf solche in die Zukunft gerichteten Strafverfolgungsmaßnahmen wird frühestens mit der momentan diskutierten Richtlinie über eine Europäische Ermittlungsanordnung auf der Grundlage von Art. 82 I AEUV in geltendes Recht gegossen werden.[56]
Der Rahmenbeschlusses entwickelt die Idee einer "Europäischen Beweisanordnung", das ist, einer "von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats erlassenen justiziellen Entscheidung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten aus einem anderen Mitgliedstaat" (Art. 1 I RB-EBA), wenn der "Anordnungsstaat", gemeint ist der Staat, in dem die Beweisanordnung erlassen wurde, diese Beweise in einem nationalen Strafverfahren, Ordnungswidrigkeitsverfahren oder einem anderen Verfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften benötigt (Art. 1 I, 5 RB-EBA). Der Mitgliedstaat, an den die Europäische Beweisanordnung gerichtet
ist, ist gem. Art. 1 II RB-EBA verpflichtet, die Anordnung "nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses", d. h. unverzüglich und vor allem ohne weitere Bedingung oder Formalität (Art. 11 I RB-EBA) und damit ohne vorangehende Bewilligung zu vollstrecken,[57] sofern die Anordnung in Inhalt und Form den Vorgaben des Rahmenbeschlusses genügt und keiner der in Art. 13 und Art. 14 RB-EBA aufgezählten Versagungsgründe vorliegt. Allenfalls darf die Anerkennung oder Vollstreckung der Europäischen Beweisanordnung noch aufgrund der in Art. 16 RB-EBA genannten Gründe aufgeschoben werden.
Versagt werden kann die Vollstreckung gem. Art. 13 I RB-EBA, wenn (a) die Vollstreckung dem Verbot wiederholter Strafverfolgung (ne bis in idem) zuwiderlaufen würde, (b) die Straftat oder Zuwiderhandlung, wegen der die Europäische Beweisanordnung vom Anordnungsstaat erlassen worden ist, im Vollstreckungsstaat keine Straftat darstellt und keiner der in Art. 14 II RB-EBA abschließend aufgezählten Kriminalitätsbereiche berührt ist, oder wenn (c) die zur Vollstreckung der Beweisanordnung notwendige Maßnahme im Vollstreckungsstaat gar nicht zur Verfügung steht. Dabei ist zu beachten, dass die Mitgliedstaaten durch Art. 11 III (i) RB-EBA verpflichtet werden sicherzustellen, dass "alle Maßnahmen, die in einem ähnlich gelagerten innerstaatlichen Fall im Vollstreckungsstaat verfügbar wären, auch für den Zweck der Vollstreckung der Europäischen Beweisanordnung verfügbar sind". In den in Art. 14 II RB-EBA aufgezählten Kriminalitätsbereichen, in denen sogar auf das sonst für die Leistung von Rechtshilfe zentrale Erfordernis beidseitiger Strafbarkeit verzichtet wird, müssen die Mitgliedstaaten die für die Vollstreckung der Europäischen Beweisanordnung notwendigen Ermittlungsmaßnahmen – einschließlich Durchsuchung und Beschlagnahme – sogar selbst dann zur Verfügung halten, wenn diese Maßnahmen im innerstaatlichen Recht für entsprechende Fälle nicht zur Verfügung stehen. Versagt werden kann die Vollstreckung einer Europäischen Beweisanordnung ansonsten, (d) wenn "nach dem Recht des Vollstreckungsstaates Immunitäten oder Vorrechte bestehen, die es unmöglich machen, die Europäische Beweisanordnung zu vollstrecken" (Art. 13 I lit. d RB-EBA); oder (e) wenn die Europäische Beweisanordnung nicht durch einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt erlassen worden ist und auch eine vom Vollstreckungsstaat verlangte Bestätigung der Beweisanordnung durch eine solche zuständige Behörde des Anordnungsstaats nicht erfolgt (Art. 13 I lit. e i. V. m. Art. 11 IV, V RB-EBA). Weitere Versagungsgründe betreffen Mängel der Form (Art. 13 I lit. h RB-EBA), in der die Europäische Beweisanordnung zu erlassen ist, ferner die Gefährdung wesentlicher nationaler Sicherheitsinteresse bzw. eine mögliche Beeinträchtigung von Informationsquellen oder nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Vollstreckungsstaates (Art. 13 I lit. g RB-EBA) und Fälle, in denen die Strafverfolgungsbehörden des Vollstreckungsstaates vorrangig strafverfolgungsbefugt sind, weil die Straftat ganz oder zu einem wesentlichen Teil auf dem Territorium des Vollstreckungsstaates begangen worden ist, oder wenn die Tat zwar nicht im eigenen Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaates begangen wurde, der Tatort aber jedenfalls auch außerhalb des Hoheitsgebiets des Anordnungsstaates lag und das Recht des Vollstreckungsstaats die strafrechtliche Verfolgung solcher Auslandstaten nicht zulässt (Art. 13 I lit. f RB-EBA).
Die aufgezählten Versagungsgründe sind fakultativ, d. h. auch die Mitgliedstaaten müssen sie bei der Umsetzung in ihr nationales Recht nicht verbindlich machen.[58] Außerdem sind die Versagungsgründe im Rahmenbeschluss bewusst eng gefasst. Welche menschenrechtlichen Erwägungen über die genannten Gründe hinaus ausnahmsweise ebenfalls zur Ablehnung der Vollstreckung einer Europäischen Beweisanordnung führen dürfen, ist bislang nicht geklärt. Die bereits genannten Urteile des EuGH "Melloni"[59] und "Radu"[60] zum Europäischen Haftbefehl lassen ohnehin befürchten, dass der EuGH den Verweis aus Art. 1 III und Erwägungsgrund 27 RB-EBA auf eine mögliche ordre-public-Grenze unter Rückbezug auf die Grundrechte der Europäischen Grundrechtscharter und die allgemeinen Rechtsgrundsätze aus Art. 6 EUV ignorieren [61] und stattdessen zu der Aussage kommen wird, dass die Versagungsgründe im RB-EBA gezielt abschließend formuliert wurden, damit ein beschleunigtes und erleichtertes System der Rechtshilfe in Strafsachen auf der Basis des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung entsteht. Kurzum, es ist zu erwarten, dass der EuGH wieder einmal den Integrationszielen der EU Vorrang vor individuellen Beschuldigtenschutzrechten gewähren wird.[62]
Im Rahmenbeschluss ausdrücklich ausgeschlossen ist jedenfalls ein Prüfungsrecht des Vollstreckungsstaates, ob denn der Anordnungsstaat selbst den angeforderten Beweis auf der Grundlage seines eigenen nationalen Verfahrensrechts hätte erheben können, wenn er das Beweismittel in seinem Hoheitsgebiet vorgefunden hätte. Dies prüft gem. Art. 7 S. 2 RB-EBA allein die zum Erlass der Beweisanordnung zuständige Stelle des Anordnungsstaates. Immerhin aber wird der Anordnungsstaat in Art. 7 S. 1 RB-EBA ausdrücklich in die Pflicht genommen sicherzustellen, dass die Erlangung der angeforderten Beweismittel für das im eigenen Hoheitsgebiet geführte Straf- oder Verwaltungsverfahren notwendig ist und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis steht (Art. 7 S. 1 lit. a RB-EBA), und dass die Beweise in einem vergleichbaren Fall dann, wenn sie im Hoheitsgebiet des Anordnungsstaats verfügbar wären, ebenfalls hätten erhoben werden können – gegebenenfalls auch durch andere zulässige Ermittlungsmaßnahmen (Art. 7 S. 1 lit. b RB-EBA). Mit dieser Verpflichtung versuchen die Autoren des Rahmenbeschlusses der Gefahr einer Ab-
senkung der innerstaatlichen Beschuldigtenschutzstandards durch gezieltes forum shopping der Ermittlungsbehörden zu begegnen, etwa in den Fällen, in denen Ermittler zum Zwecke der Beweisgewinnung gezielt auf niedrigerschwellige ausländische Beweiserhebungsvorschriften zurückgreifen, um die so (im Ausland rechtmäßig) gewonnenen Beweise ohne Rücksichtig auf die eigenen höherschwelligen Beweiserhebungsstandards in das innerstaatliche Strafverfahren zu "transferieren".[63] Art. 7 S. 1 RB-EBA enthält daher eine Selbstverpflichtung aller Mitgliedstaaten, auf eine Europäische Beweisanordnung nur zurückzugreifen, wenn auch die innerstaatlichen Beweiserhebungsregeln eine entsprechende Beweisgewinnung gestatten würden. Für die Einhaltung dieser Selbstverpflichtung garantiert jedoch nur der Anordnungsstaat. Dem Vollstreckungsstaat bleibt eine Prüfung, ob das Gericht des Anordnungsstaates die eigenen Verfahrensstandards beachtet hat, verwehrt. Hier zeigt sich deutlich die grundsätzlich souveränitätsschonende Wirkung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung.[64] Die Staaten bleiben autonom, ihre Straf- und Strafverfahrensordnung nach eigenen Bedürfnissen und Traditionen auszugestalten und für die Rechtsstaatlichkeit der so gestalteten Rechtsordnung auch allein Verantwortung zu übernehmen. Um aber gleichzeitig eine effektive und zügige Rechtshilfe in einem europäischen Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts sicherzustellen, muss sich jeder Mitgliedstaat im Gegenzug verpflichten, die justiziellen Entscheidungen des anderen Mitgliedstaates ungeprüft zu akzeptieren und zu vollstrecken. Insoweit werden die klassischen Souveränitätsrechte dann doch eingeschränkt.[65]
Dass der Vollstreckungsstaat die Vollstreckung der Beweisanordnung nicht mit der Behauptung verweigern kann, der Anordnungsstaat habe gegen eigenes Verfahrensrecht verstoßen, beseitigt aber natürlich nicht die Schwierigkeiten, die aus dieser erweiterten "Verkehrsfähigkeit" von Beweisen ergeben. Der "Import" von Beweisen aus einer Strafrechtsordnung in ein möglicherweise völlig anders geartetes Strafverfahrenssystem eines anderen Mitgliedstaates muss vielmehr nahezu zwangsläufig zu Brüchen bei den Beschuldigtenschutzstandards führen.[66] Einschnitte in die Beschuldigtenrechte sind dabei insbesondere dann zu erwarten, wenn der Vollstreckungsstaat nur niedrigschwellige Anforderungen an einen strafprozessualen Ermittlungseingriff stellt, wobei er die daraus resultierende Benachteiligung des Beschuldigten innerhalb seines Rechtssystems normalerweise durch strengere Beweisverwertungsvorgaben im Stadium der Hauptverhandlung ausgleicht, während umgekehrt der Anordnungsstaat hohe rechtliche Hürden für Ermittlungseingriffe vorsieht, er dann aber grundsätzlich sämtliche Beweise, die unter Beachtung dieser hohen Schwellenanforderungen gewonnen wurden, ohne weitere Prüfung zur Verwertung in der Hauptverhandlung zulässt.[67] Mithilfe einer Europäischen Beweisanordnung lassen sich nun die strengen Beweiserhebungsvorschriften des Anordnungsstaates umgehen, ohne dass der Beschuldigte zum Ausgleich hierfür von den strengen Beweisverwertungsregeln des Vollstreckungsstaates profitieren[68] oder effektiv gegen die Beweiserhebung nach den laxeren Vorschriften des Vollstreckungsstaates vorgehen könnte.[69] Zwar sieht Art. 18 I RB-EBA vor, dass die Mitgliedstaaten Rechtsbehelfe gegen die Anerkennung und Vollstreckung einer Europäischen Beweisanordnung durch den Vollstreckungsstaat bereitstellen, doch beschränken sich die Anfechtungsbefugnisse des Beschuldigten inhaltlich auf das Prüfungsprogramm des Vollstreckungsstaates gem. Art. 11 RB-EBA. Für die sachlichen Gründe, warum die Europäische Ermittlungsanordnung erlassen wurde, ob das angeforderte Beweismittel überhaupt für das Strafverfahren im Anordnungsverfahren notwendig ist und ob der Anordnungsstaat selbst die nötigen rechtlichen Befugnisse zu einer Beweiserhebung gehabt hätte, wenn er auf das Beweismittel in seinem eigenen Hoheitsgebiet hätte zugreifen können, also für das gesamte Prüfungsprogramm aus Art. 7 RB-EBA, muss der Vollstreckungsstaat keine Verantwortung übernehmen. Die sachlichen Gründe für den Erlass der Beweisanordnung können gem. Art. 18 II S. 1 RB-EBA daher auch nur vor einem Gericht des Anordnungsstaates zur Überprüfung gestellt werden.[70] Dieser "gespaltene" Rechtsschutz ist für den Beschuldigten mit erheblich erhöhtem Aufwand verbunden.[71] Außerdem wird die Verteidigung selbst dann, wenn sie sofort gegen den Erlass einer Europäischen Beweisanordnung im Anordnungsstaat vorgeht, die Vollstreckung der Beweisanordnung kaum verhindern können.[72] Die Ermittlungsbehörden des Anordnungsstaates werden also zumindest zwischenzeitlich das (rechtswidrig) importierte Beweismittel als Ausgangspunkt für weitere Ermittlungen gegen den Beschuldigten nutzen können.
Der RB-EBA versucht diese "Patchwork"[73]-Problematik zwar dadurch abzumildern, dass er den Vollstreckungs-
staat über Art. 12 S. 1 RB-EBA verpflichtet, neben den eigenen Verfahrensvorschriften (es gilt das Prinzip locus regit actum) auch die von der Anordnungsbehörde ausdrücklich angegebenen Formvorschriften und Verfahren einzuhalten, sofern nicht wesentliche Rechtsgrundsätze des Vollstreckungsstaates oder Vorschriften des Rahmenbeschlusses entgegenstehen.[74] Außerdem muss die Vollstreckungsbehörde die Anordnungsbehörde (nicht jedoch den Beschuldigten)[75] sofort über etwaige Rechtsverstöße gegen eigenes oder fremdes vorgegebenes Verfahrensrecht bei der Beweiserhebung unterrichten (Art. 17 II Nr. 1 lit. b und lit. c RB-EBA). Allerdings weist das Patchwork-System auch trotz dieser Vorstöße zu mehr Transparenz und Homogenität in der Beweiserhebung zahlreiche Bruchstellen zulasten des Beschuldigten auf. So ist zu beachten, dass bereits die Vorentscheidung nach Art. 7 S. 1 lit. a EB-RBA, ob die Erlangung des ausländischen Beweises für das im eigenen Hoheitsgebiet geführte Straf- oder Verwaltungsverfahren notwendig ist und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis steht, von jedem Mitgliedsstaat nach anderen Verhältnismäßigkeitsmaßstäben und nach anderen Verhältnismäßigkeitsbegriffen entschieden wird.[76] So mag z. B. ein Mitgliedstaat keine besonders hohen Anforderungen an den "Tatverdacht" stellen, auf den er in seiner Rechtsordnung normalerweise einen Durchsuchungsanordnung stützt, oder er mag für solche grundrechtsintensiven Ermittlungseingriffe eine eher zurückgenommene Prüfung der Verhältnismäßigkeit ausreichen lassen. Deutsche Gerichte jedoch sind verfassungsrechtlich (Art. 13 I GG i. V. m. Art. 105 I StPO) in der Pflicht, den Erlass von Durchsuchungsanordnungen auf Fälle zu beschränken, in denen die Verdachtsgründe für eine Straftat, "über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen".[77] Außerdem muss eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen.[78] Kurzum, aus dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung folgen beliebige Möglichkeiten, strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen in einem Mitgliedstaat über den anschließenden "Export" des so gewonnenen Beweismittels in einen anderen Mitgliedsstaat mit dessen Verfahrens- und Verwertungsregeln zu kombinieren, ohne dass die Gerichte dabei Rücksicht auf elementare Beschuldigtenrechte oder andere verfassungsrechtliche Grundprinzipien der einzelnen Mitgliedstaaten nehmen müssten.[79] Eine Lösung für diese aus der "freien Verkehrsfähigkeit" strafprozessualer Beweise resultierenden Schwierigkeiten ist noch nicht in Sicht. Erst langsam beginnt die EU, gemeinsame Regeln für die Zulässigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten und über die Rechte von Beschuldigten und Opfern bzw. für sonstige spezifische Bereiche des Strafverfahrens zu entwickeln.[80] Immerhin hat sie mit Art. 82 II AEUV hierfür die notwendigen Gesetzgebungsbefugnisse erhalten.[81]
Außerdem wird über Art. 7 RB-EBA nur sichergestellt, dass der Anordnungsstaat im Zeitpunkt des Erlasses der Beweisanordnung über die notwendigen Rechtsgrundlagen für eine hypothetische Beweiserhebung im eigenen Hoheitsgebiet verfügt. Es ist nicht notwendig, dass die Beweiserhebung auch schon zu dem Zeitpunkt zulässig gewesen wäre, zu dem der Beweis durch die Ermittlungsbehörden des Vollstreckungsstaates für eigene Zwecke gewonnen wurde. Der Anordnungsstaat kann sich also über die Europäische Beweisanordnung Beweise "importieren", die er zu dem Zeitpunkt, da die Beweise im Ausland gewonnen wurden, tatsächlich selbst gar nicht hätte erheben dürfen. Er verleiht seinen erst nachträglich geschaffenen Beweiserhebungsvorschriften gleichsam "rückwirkende" Geltung. Das mag nun nach der gängigen Auslegung des Rückwirkungsverbots kein rechtsstaatliches Problem zu sein. Das Rückwirkungsverbot soll für strafprozessuale Normen gerade nicht gelten, sofern die Verfahrensnorm keine strafbarkeitsbezogene Wirkung zeigt, die zeitgleich mit der Begehung der Straftat notwendigerweise vorliegen müsste.[82] Dennoch zeigt sich gerade an diesem Beispiel der Rückwirkung strafprozessualer Eingriffsbefugnisse deutlich, wie sich über die beliebige Übertragbarkeit von Beweisen aus
einer mitgliedstaatlichen Rechtsordnung in eine andere die eigenen innerstaatlichen Verfahrensschutzstandards umgehen lassen; – und genau das ist im Schmuggelfall des 1. Strafsenats geschehen.
In der Entscheidung des 1. Senats lassen sich nunmehr zahlreiche Begründungselemente problemlos als Leitprinzipien des Rahmenbeschlusses über eine Europäische Beweisanordnung identifizieren.
a. So sollen laut dem 1. Senat reine Formfehler des Rechtshilfeersuchens, konkret die fehlende Erklärung gem. Art. 17 II Nr. 1 CZ-Erg EuRHÜbk, dass "die Voraussetzungen der Überwachung vorlägen, wenn eine derartige Maßnahmen im Hoheitsgebiet des ersuchenden Vertragsstaates durchzuführen wäre", nicht zwingend zur Unverwertbarkeit der übermittelten Telefonüberwachungsaufzeichnungen und -protokolle führen. Zwar dürfe der andere EU-Mitgliedstaat die angefragte Beweisübermittlung aufgrund des Formfehlers ablehnen, der ersuchte Staat habe aber ein Ermessen dies zu tun, ohne dass der Beschuldigte hierauf Einfluss nehmen oder gar Rechtsbehelfe gegen die Übermittlung des Beweises trotz des Formmangels einlegen könnte.[83] Im Parallelfall des Erlasses einer Europäischen Beweisanordnung würden solche Formmängel dem Vollstreckungsstaat auch nur erlauben, einen Versagungsgrund nach Art. 13 I lit. h RB-EBA geltend zu machen, ohne dass der Staat diesen Grund zwingend geltend machen müsste.
Für den Beschuldigten bleibt also nur, gegen die Verwertung des unter Verstoß gegen Art. 17 II, V Cz-Erg EuRHÜbk gewonnenen Beweises im ersuchenden Staat vorzugehen. Dann aber nicht mit einer Formmängelrüge, sondern nur mit dem Vortrag, dass die von Art. 17 II, V Cz-Erg EuRHÜbk mit geschützten sachlichen Voraussetzungen für ein Rechtshilfeersuchen nicht vorlagen, weil der ersuchende Staat eine entsprechende Beweiserhebung auf der Basis der eigenen Rechtsgrundlagen gar nicht hätte durchführen können. Er hätte den aus dem gesetzlichen Verbot solcher Eingriffe zulasten des Verdächtigen erwachsenen Beschuldigtenschutz damit auch nicht durch Ausweichen auf die Ermittlungsbefugnisse eines anderen EU-Mitgliedstaates umgehen dürfen. Kurzum, die Rüge würde das forum shopping des zu den Ermittlungseingriffen selbst nicht befugten und nun deswegen auf fremde Beweise zurückgreifenden Staates anprangern. Der Akt der Beweisübermittlung wäre hier jedoch nicht unmittelbar Anfechtungsgegenstand. Vielmehr würde es darum gehen zu zeigen, dass sich im Zusammenhang mit einzelnen individualschützenden Normen des Rechtshilferechts ein Beweisverwertungsverbot aus der inländischen Rechtsordnung des ersuchenden Staats ergibt.[84]
b. Auch soweit der 1. Senat erklärt, dass er nicht befugt sei zu prüfen, ob "die Überwachung auch nach dem Recht des ersuchten Vertragsstaates angeordnet werden[könnte], sofern die Strafverfolgung wegen der dem Ersuchen zu Grunde liegenden Straftat dort durchgeführt werden würde" (so Art. 17 II Nr. 2 Cz-Erg EuRHÜbk), weil die Vornahme einer solchen Prüfung eine Verletzung der Souveränität des ersuchten Staates darstellen würde,[85] wird der Rückgriff auf das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung deutlich. Es gilt die souveränitätsschonende Variante des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung, wie sie im RB-EBA umgesetzt worden ist. Beide Staaten bleiben autonom in Bezug auf Ausgestaltung, Auslegung und Anwendung ihrer eigenen Rechtsordnung, jedoch muss der ersuchte Staat dem Rechtshilfeersuchen dann, wenn die zwischen den Staaten vereinbarten formellen Rechtshilfevoraussetzungen erfüllt sind, Folge leisten. Umgekehrt muss der ersuchende Staat die fremde justizielle Entscheidung bzw. den auf der Grundlage dieser Entscheidung gewonnenen Beweis ungeprüft übernehmen; – zumindest ist ihm untersagt, die justizielle Entscheidung des anderen Mitgliedstaates am Maßstab des fremden Verfahrensrechts auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Die Verantwortung dafür, dass die Beweiserhebung auf dem eigenen Hoheitsgebiet rechtmäßig erfolgt ist, übernimmt allein der jeweils beweiserhebende Staat. Allerdings wird man aus Art. 17 I lit. b) und c) RB-EBA herauslesen können, dass Verstöße gegen das Recht des beweiserhebenden Staates/des Vollstreckungsstaates im Zuge der Vollstreckung eines Rechtshilfeersuchens/einer Europäischen Beweisanordnung dem ersuchenden/anordnenden Staat mitzuteilen und nach erfolgter Mitteilung dann auch vor dessen Gerichten bei der Prüfung eines potentiellen Beweisverwertungsverbots oder eines Fairnessverstoßes zu beachten sind. Gleiches gilt, wenn der Vollstreckungsstaat die Nichteinhaltung der ausdrücklich nach Art. 12 RB-EBA durch den Anordnungsstaat vorgegebenen Formvorschriften und Verfahren meldet. Leider findet sich in Art. 17 I RB-EBA keine Aussage dazu, was gilt, wenn die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaates den fraglichen strafprozessualen Beweise rechtswidrig in ihren Besitz gebracht hat und nun aufgefordert wird, diesen Beweis an den Anordnungsstaat herauszugeben. Art. 17 I RB-EBA statuiert in diesem Fall nicht einmal eine Informationspflicht. Allerdings wird man aus Art. 1 III RB-EBA und der darin enthaltenen Verweisung auf die EU-Grundrechtecharta und die allgemeinen Rechtsgrundsätze gemäß Art. 6 EUV herauslesen können, dass ein solcher im Vollstreckungsstaat ursprünglich rechtswidrig erhobener Beweise entweder schon gar nicht an den Anordnungsstaat übermittelt werden darf, weil er noch vor der Übermittlung aus Beschuldigtenschutzgründen entweder vernichtet oder dem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden muss, mit der Folge, dass der Vollstreckungsbefehl der Europäischen Beweisanordnung leerläuft, oder dass der Vollstreckungsstaat den Anordnungsstaat bei Übermittlung des Beweises zumindest in Analogie zu Art. 17 I RB-EBA über die Rechtsverstöße bei der Beweisgewinnung informieren muss. Eine solche Informationen würde dann im Anordnungsstaat in die Prüfung eines Beweisverwertungsverbots bzw. in die notwendige Gesamt-
abwägung über die Frage einer Verfahrensfairness gem. Art. 47 II EU-Grundrechtecharta und Art. 6 EMRK mit einfließen.[86] Im konkreten Schmuggelfall aber hatte die Tschechische Republik keine entsprechende Mitteilung gemacht. Der Vorwurf, dass die tschechischen Gerichtsentscheidungen nach tschechischem Recht nicht ausreichend begründet worden wären, stammte allein von der Verteidigung und war deswegen nicht weiter prüfungsrelevant.
c. Deutlich an Art. 7 S. 2 RB-EBA orientiert sich der BGH ferner bei seiner Argumentation, dass es ausreichen würde, wenn der um Rechtshilfe ersuchende Staat wenigstens in dem Zeitpunkt, in dem ein Gericht das Rechtshilfeersuchen stellt, über hinreichend eigene strafprozessuale Eingriffsbefugnisse verfügt, damit die hypothetische Prüfung, ob der ersuchende Staat das Beweismittel ebenfalls hätte rechtmäßig erlangen können, wenn es sich in seinem Hoheitsgebiet befunden hätte, positiv ausfällt.[87] Damit war es im vorliegenden Fall völlig ausreichend, dass § 373 AO in dem Zeitpunkt, in dem das LG Hamburg sein Rechtshilfeersuchen an die Tschechische Republik richtete, zu den Katalogtaten des § 100a I, II Nr. 2 lit. b StPO zählte. Eine rückwirkende Anwendung strafprozessualer Normen verstößt grundsätzlich nicht gegen das Gesetzlichkeitsprinzip. Nach geltender Lehre und Rechtsprechung ist bei sich "im Verlaufe eines anhängigen Strafverfahrens ändernden Vorschriften" immer nur "die neue Rechtslage maßgebend".[88] Ferner erinnert der 1. Senat an den Parallelfall der Übertragung von Beweisen und Akteninhalten aus einem innerstaatlichen Strafverfahren in ein anderes innerstaatliches Strafverfahren, wie er in § 477 II S. 2 StPO normiert ist. § 477 II S. 2 StPO formuliert für diese Transferfälle die Voraussetzung, dass bei einer Maßnahme, die nach dem geltenden Verfahrensrecht nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig ist (im Schmuggelfall war das die Telefonüberwachung gem. § 100a I i. V. m. II Nr. 2 lit. b StPO), "die auf Grund einer solchen Maßnahme erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren" zwar verwertet werden dürfen, jedoch "nur zur Aufklärung solcher Straftaten (…), zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen." Für die hypothetische Prüfung, ob denn der vorgenommene Grundrechtseingriff (z. B. eine Telefonüberwachung gem. § 100a I, II StPO) auch zur Aufklärung der gegenwärtig abzuurteilenden Tat zulässig gewesen wäre, kommt es aber nur auf die zum Verwendungs- bzw. Verwertungszeitpunkt geltende Rechtslage an, also auf den Zeitpunkt, in dem ein Gericht die Entscheidung fällt, den bereits existierenden Beweis aus dem einen Strafverfahren in ein anderes zu transferieren.[89]
Damit lässt sich der Argumentationsgang des 1. Senats wie folgt zusammenfassen: Es ist zwar grundsätzlich möglich, aus Verstößen gegen rechtshilferechtliche Bestimmungen (hier Art. 17 II Nr. 1, V Cz-Erg EuRHÜbk) ein innerstaatliches Beweisverwertungsverbot für den im Wege der Rechtshilfe übermittelten strafprozessualen Beweis abzuleiten, jedoch ist zu beachten, dass in einem Strafverfahren, in dem es auch um die finanziellen Interessen der EU geht, nur solche Verstöße gegen Rechtshilfenormen zu einem Beweisverwertungsverbot führen dürfen, die auch dann beachtlich wären, wenn die justizielle Zusammenarbeit in diesem Verfahren nach den Vorgaben des (seit 2011 objektiv geltenden) Rahmenbeschlusses über eine Europäische Beweisanordnung erfolgt wäre.
Seit Ablauf der für den Rahmenbeschluss vorgesehenen Umsetzungsfrist zum 19. Januar 2011 unterliegen die deutschen Strafgerichte der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung, der sie bis an die Grenze der vom nationalen Recht eröffneten Auslegungs- und Ermessensspielräume nachkommen müssen.[90] Das bedeutet, sie müssen die im nationalen Recht eröffneten Auslegungsspielräume so weit ausloten, dass sie – notfalls unter Rückgriff auf das gesamte nationale Recht – Ergebnisse erzielen, die den Zielen des Rahmenbeschlusses entsprechen.[91] Der 1. Senat hätte diese (richtige) Vorgehensweise allerdings noch deutlicher herausstellen können. Er hätte nicht nur auf Art. 82 I EUV, sondern direkt auf den RB-EBA als Orientierungsmaßstab hinweisen sollen, da dessen inhaltliche Vorgaben die Auslegungsziele definieren. Aber auch ungeachtet dieses Mangels an methodischer Transparenz kann man für die Entscheidung dankbar sein. Sie lässt hoffen, dass der BGH auch weiterhin bei der Anwendung europäischen Rechts auf eine Gegenkontrolle am Maßstab des europäischen ordre public nicht verzichten wird. Je mehr die Beschuldigtenschutzstandards im europäischen Raum unter die Räder geraten, desto ermutigender ist es zu sehen, dass jedenfalls die nationalen Gerichte an einem Minimum an Beschuldigtenschutzrechten festhalten wollen.
[*] Veröffentlicht unter HRRS 2013 Nr. 314; teilweise abgedruckt in NStZ 2013, 596.
[1] Rahmenbeschluss 2008/978/JI des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen, ABlEU L 350, S. 72; die Rechtsgrundlage war damals Art. 31, 34 II lit. b) EUV a. F.; zu den Rechtswirkungen von Rahmenbeschlüssen nach früherer Rechtslage allgemein Schönberg ZaöRV 67 (2007), 1107 ff.
[2] Dieser Programmsatz der EU ist heute ausführlich in Art. 3 II EUV und Art. 4 II lit. j), 67 I AEUV niedergelegt; zu seinen Inhalten s. Brodowski Jura 2013, 492 f.
[3] Misstrauen anstelle von Vertrauen in die Effizienz und Rechtsstaatlichkeit anderer europäischer Verfahrensordnungen, wie es der Grundsatz der "gegenseitigen Anerkennung" gem. Art. 67, 82 I AEUV voraussetzt, findet sich beispielsweise in der Entscheidung BGHSt 56, 11 = HRRS 2010 Nr. 1053 (dort para. 16 f.) zur Auslegung von Art. 50 der im Vertrag von Lissabon enthaltene Charta der Grundrechte, in der der 1. Senat mit einer sehr fragwürdigen, aus Art. 52 I GRC abgeleiteten Schrankenkonstruktion die Auslegung von Art. 50 GRC an die Wortlautgrenze des weit enger gefassten Art. 54 Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) binden will; ähnl. zuvor schon Burchard/Brodowski StraFo 2010, 179, 184; dem BGH folgt die Entscheidung LG Aachen, StV 2010, 237; BGH BeckRS 2010, 30899; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 6. Auflage (2013), § 10 Rn. 70; Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Auflage (2012), § 13 Rn. 39; Ambos, Internationales Strafrecht, 3. Auflage (2011), § 10 Rn. 119; Hackner NStZ 2011, 425, 429; Kretschmer, J., ZAR 2011, 384, 387; zu Recht abl. Böse GA 2011, 504, 505 ff., ders., ZIS 2010, 607, 612; Reichling, StV 2010, 237, 238; Zöller, Krey-FS, 2010, S. 501, 518 ff.; Swoboda JICJ 9 (2011), 243, 266 f.; Radtke NStZ 2012, 479, 481; Schomburg/Suominen-Picht NJW 2012, 1190, 1191 f.; Merkel/Scheinfeld ZIS 2012, 206, 209 ff.; Nestler HRRS 2013, 337, 343 f.; schon vor Erlass des Urteils auch Heger, ZIS 2009, 406, 408.
[4] Art. 23 I des Rahmenbeschlusses über die Europäische Beweisanordnung (Fn. 1).
[5] Vgl. die letzte Entwurfsfassung im Ratsdokument Nr. 18918/11 vom 21.12.2011 der "Initiative des Königreichs Belgien, der Republik Bulgarien, der Republik Estland, des Königreichs Spanien, der Republik Österreich, der Republik Slowenien und des Königreichs Schweden für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen"; zur Entwicklung des Entwurfstexts im Rat s. die Dokumentation der Vorschläge und Entwürfe auf der Seite von eurocrim, Tübingen, unter http://db.eurocrim.org/db/de/vorgang/242/.
[6] Vgl. Ziff. 15 der Präambel und Art. 29 I und II des Richtlinienentwurfs über eine Europäische Ermittlungsanordnung (Fn. 4); Ahlbrecht StV 2013, 114 (115).
[7] So die überwiegende Kritik aus der Literatur, s. Esser, Roxin-FS, 2011, S. 1497, 1501 ff., 1505 f., 1508; Stefanopoulos JR 2011, 54, 57; Krüssmann StraFo 2008, 458, 461 f.; Ahlbrecht NStZ 2006, 70, 74 f.; speziell zum Unterlaufen von Beweisverwertungsverboten in den einzelnen mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen Bendler StV 2003, 133, 135; Heine, Die Rechtsstellung des Beschuldigten im Rahmen der Europäisierung des Strafverfahrens, 2008, S. 135, 139 ff.
[8] Umstr., abl. Lorenzmeier ZIS 2006, 567, 577 f.; zur Übersicht über den Meinungsstand zur damaligen Rechtslage auf der Basis von Art. 34 EUV a. F. noch Wasmeier in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EG-Kommentar, 6. Auflage (2004),, Art. 34 Rn. 11 f.
[9] In diesem Fall begründet sich die Loyalitätspflicht zudem aus der speziellen Ausprägung des Loyalitätsgebots in Art. 325 II AEUV und aus Art. 2 I PIF-Übereinkommen mit dem Gebot an die Mitgliedsstaaten, Betrügereien zulasten der finanziellen Interessen der Union mit effektiven Maßnahme zu bekämpfen; vgl. zur Pflicht, wirksame, verhältnismäßige und hinreichend abschreckende Sanktionen zum Schutz von Gemeinschaftsinteressen zu schaffen; dazu EuGH (Griechischer Mais), NJW 1990, 2245 (2246), ausführlich Hecker (Fn. 3) § 7 Rn. 27.
[10] EuGH, Rs. 105/03 (Pupino), Slg. 2005, S. I-5285 Rn. 34, 43 ff. = HRRS 2006 Nr. 1 (dort Rz. 50, 59 ff.) = EuZW 2005, 433 (Rn. 34 , 43 ff.; Hecker (Fn. 3) § 10 Rn. 1 m. w. N.: "bedeutsamster Europäisierungsfaktor"; Rönnau/Wegner GA 2013, 561 (562).
[11] Lorenzmeier ZIS 2006, 567, 577 m. w. N.; dass Rahmenbeschlüsse keine "unmittelbare Wirksamkeit" entfalten wird abgeleitet aus dem in der Urfassung von Art. 34 II lit. b) S. 2 EUV in der Fassung des Vertrags von Amsterdam, ABlEU 1997/C 340, S. 145 v. 10.11.1994, enthaltenen Zusatz: " Sie[Rahmenbeschlüsse] sind nicht unmittelbar wirksam"; dazu auch v. Unger NVwZ 2006, 46; Schönberger ZaöRV 67 (2007), 1107, 1126; auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon behalten die früheren Rahmenbeschlüsse ihre Geltung, um dann nach Ablauf einer fünfjährigen Übergangszeit in das Unionsrechts, hier dann in den Geltungsbereich der Sekundärakte auf der Grundlage des Art. 82 I AEUV überführt zu werden; Art. 9, 10 I des Protokolls Nr. 36 über Übergangsbestimmungen, AblEU C 115 vom 9.5.2008, S. 322, 325 f.; Satzger (Fn. 3) § 10 Rn. 27; OLG München StV 2013, 710, 711.
[12] Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5, Wirkungen und Rechtsschutz (2010), Rn. 1070.
[13] EuGH-Pupino (Fn. 10) Rn. 47; v. Unger NVwZ 2006, 46, 47 f.
[14] EuGH-Pupino (Fn. 10) Rn. 47; Rönnau/Wegner GA 2013, 561, 563.
[15] Satzger (Fn. 3) § 9 Rn. 94 f. m. w. N.; Hecker (Fn. 3) § 10 Rn. 60; Ambos (Fn. 3) § 11 Rn. 50; Anwendungsbeispiel bei Heger HRRS 2012, 211, 213 f. zur Auslegung der §§ 324 ff. StGB a. F. nach Inkrafttreten der Umweltstrafrechts-Richtlinie 2008/99/EG; krit. aber Rönnau/Wegner GA 2013, 561, 563, Fn. 16.
[16] Umgesetzt in nationales Recht durch Gesetz vom 13.7.2001, BGBL II, 733.
[17] So auch der BGH 1 StR 310/12, Beschluss v. 12.11.2012, HRRS 2013 Nr. 314 Rz. 25.
[18] Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex); AblEU L 151, S. 1 vom 3.6.2008.
[19] AblEU 2007 L 163/17; der Beschluss des Tates ist noch bis Ende 2013 gültig; zum System der Eigenmittel der EU s. allgemein Art. 310, 311 AEUV.
[20] AblEG 1995 Nr. C 316 v. 27.11.1995, S. 49 ff.; umgesetzt durch Gesetz in BT-Drs. 13/10425, S. 11; KOM (2008) 77 endg. Vom 14.2.2002; dazu Gaede, K., Der Steuerbetrug (2014), S. 213 ff. (im Erscheinen).
[21] Aufgrund der extrem weiten Betrugsdefinition in Art. 1 I PIF-Übereinkommen zählen hierzu nicht nur der klassische Betrug i. S. v. § 263 I StGB, sondern auch betrugsverwandte Delikte wie die Steuerhinterziehung i. S. v. § 370 I Nr. 1 und Nr. 2 AO oder Schmuggeltaten nach § 373 AO umfassen; zur Systematik der "Deliktsfamilie des Betrugs" s. ausführlich Gaede, K., Der Steuerbetrug, 2014, S. 222 ff., zur Steuerhinterziehung S. 239 ff. (im Erscheinen).
[22] Zur "Garantenstellung" der Mitgliedsstaaten s. Hecker (Fn. 3) § 7 Rn. 27.
[23] EuGh, Rs. C-361/10 (Åkerberg Fransson), JZ 2013, 613 (614) Rn. 21, m. Anm. Dannecker = HRRS 2013 Nr. 335 (dort Rz. 46); s. auch Wegner HRRS 2013, 126, 127; Nestler HRRS 2013, 337, 340 ff.; Winter NZA 2013, 473.
[24] Kotzurek ZIS 2006, 123, 136 f.; Stefanopoulos JR 2011, 54, 58.
[25] Krit. insoweit Krüssmann StraFo 2008, 458, 461; zu den faktischen Schwierigkeiten, ordre-public-Verstöße aus der knappen Begründung einer Europäischen Beweisanordnung überhaupt zu erkennen Roger GA 2010, 26, 37; Esser, Roxin-FS, 2011, S. 1497, 1502; zu den (letztlich erfolglosen) Vorschlägen, entsprechende Ablehnungsgründe in die Richtlinie über eine Europäische Ermittlungsanordnung einzufügen; Zimmermann/Glaser/Motz EuCLR 2011, S. 56, 79.
[26] EuGH-Åkerberg Fransson (Fn. 23) Rn. 21.
[27] EuGH-Åkerberg Fransson (Fn. 23) Rn. 21; Wegner HRRS 2013, 126, 127; s. zuvor bereits auch EuGH, Slg. 1989 (Wachauf), I-2633 (2638) Rn. 19.
[28] EuGH, Slg. 1991 (ERT), I-2925 (2964) Rn. 42 ff.; krit. Huber, P., EuR 2008 Heft 2, 0190; Wegner HRRS 2013, 126, 127.
[29] EuGH, Rs. C-457/09 (Chartry), BeckRS 2011, 80351 Rn. 25; Jarass NVwZ 2012, 457, 459; mit Anwendungsbeispielen aus dem Bereich des unionsbeeinflussten Strafrechts Nestler HRRS 2013, 337, 341 f.
[30] Wegner HRRS 2013, 126, 127.
[31] Jarass NVwZ 2012, 457, 459; unter Verweis auf EuGH, Rs. C-144/04 (Mangold), Slg. 2005, I-9981, NJW 2005, 3695 (3697) Rn. 51; s. auch EuGH, Slg. 1996 (Strafverfahren gegen X), I-06609 Rn. 2, 25; Beispiele aus dem Bereich des Strafrechts bei Nestler HRRS 2013, 337, 341 ff.
[32] Jarass NVwZ 2012, 457, 459; Wegner HRRS 2013, 126, 128.
[33] EuGH-Åkerberg Fransson (Fn. 23) m. Anm. Dannecker; zur Erinnerung: im vorliegenden Fall ergab sich die Determinierung der Sanktionierungspflicht daraus, dass die Bundesrepublik mit der Strafverfolgung nach § 373 AO zugleich ihren Treuepflichten zum Schutz der finanziellen Interessen der EU aus Art. 21 I i. V. m. Art. 44 der Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex), ABlEU L 2008, 145 v. 4.6.2008, S. 1, sowie aus Art. 2 I PIF-Übereinkommen nachkommt.
[34] Insges. krit. zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Grundrechtecharta durch eine so "holzschnittartige Begründung" Rönnau/Wegner GA 2013, 561, 570 m. w. N.; Dannecker JZ 2013, 616, 618; Ladenburger, in: Tettinger/Stern (Hrsg.), EU-Grundrechtecharta, Art. 51 Rn. 45; Weiß EuZW 2013, 287, 288; Rabe NJW 2013, 1407, 1408.
[35] Streinz , in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV-Kommentar, 2. Auflage (2012), Art. 47 GR-Charta Rn. 2, 11; Foltz, in: Vedder/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Handkommentar (2012), Art. 47 GR-Charta Rn. 8.
[36] BGH 1 StR 310/12, v. 12.11.2012, HRRS 2013 Nr. 314 Rz. 38.
[37] EuGH C 399/11 – Urteil vom 26. Februar 2013 (Stefano Melloni v. Ministerio Fiscal), NJW 2013, 1215 = HRRS 2013 Nr. 223= EUZW 2013, 305 m. krit. Bespr. Gaede NJW 2013, 1279; Rönnau/Wegner GA 2013, 561, 572; Tinsley, EuCLR 2012, 338 ff. s. auch Satzger (Fn. 3) § 10 Rn. 26.
[38] EuGH C 396/11 – Urteil vom 29. Januar 2013 (Radu), NJW 2013, 1145 = HRRS 2013 Nr. 198; krit. Bespr. Gaede NJW 2013, 1279; Brodowski HRRS 2013, 54; Rönnau/Wegner GA 2013, 561, 572.
[39] Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten[2002/584/JI], ABlEG L 190 v. 18.7.2002, S. 1; zu Art. 4a s. Rahmenbeschluss des Rates zur Änderung der Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/JI und 2008/947/JI, zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist[2009/299/JI]vom 26. Februar 2009; ABlEU L 81 v. 27.3.2009, S. 24.
[40] So das Fazit von Brodowski HRRS 2013, 54, 56; ebenso OLG München StV 2013, 710, 711; Satzger (Fn. 3) § 10 Rn. 26.
[41] Gaede NJW 2013, 1279, 1280: Der EuGH stellt in Melloni die Grundrechte der EU und die EMRK unter den Vorbehalt, dass ihre Auslegung den Abreden der Mitgliedstaaten und dem EU-Sekundärrecht nicht widerstreiten dürfen.
[42] EuGH C 399/11 – Urteil vom 26. Februar 2013 (Stefano Melloni v. Ministerio Fiscal), HRRS 2013 Nr. 223 Rz. 79 ff., EuGH C 396/11 – Urteil vom 29. Januar 2013 (Radu), HRRS 2013 Nr. 198 Rz. 72; krit. Brodowski HRRS 2013, 54, 55.
[43] EuGH C 399/11 – Urteil vom 26. Februar 2013 (Stefano Melloni v. Ministerio Fiscal), HRRS 2013 Nr. 223 Rz. 98; implizit auch EuGH C 396/11 – Urteil vom 29. Januar 2013 (Radu), NJW 2013, 1145 Rz. 38, 40 f.
[44] EuGH C 399/11 – Urteil vom 26. Februar 2013 (Stefano Melloni v. Ministerio Fiscal), HRRS 2013, Nr. 223 Rz. 57 ff.: im Hintergrund dieser Entscheidung steht die (von Rechtsexperten einhellig abgelehnte) Überzeugung, die europäischen Rechtsordnungen seien ohnehin aufgrund ihrer gemeinsamen kulturellen und rechtsphilosophischen Geschichte und der menschenrechtsvereinheitlichenden Rechtsprechung des EGMR hinreichend kohärent und damit auch ohne besondere Einschnitte bei den Beschuldigtenschutzstandards miteinander kompatibel; dazu Erbežnik, EuCLR 2012, 3 (6 ff.).
[45] EuGH C 399/11 – Urteil vom 26. Februar 2013 (Stefano Melloni v. Ministerio Fiscal), HRRS 2013 Nr. 223 Rz. 86, 93 ff.
[46] Rönnau/Wegner GA 2013, 561, 573 ff.
[47] Gaede NJW 2013, 279, 280.
[48] An § 73 S. 2 IRG hält beispielsweise das OLG München, StV 2013, 710, 711 fest; zur Unverzichtbarkeit eines europäischen ordre public im Rahmen der innereuropäischen Rechtshilfe s. zuvor bereits Vogel, in: Grützner/Pötz/Kreß/Grotz (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, 29. Lfg. (2012), § 73 Rn. 131: "verfassungsrechtlich nahe liegende, wenn nicht gar gebotene Grenze".
[49] EuGH-Pupino (Fn. 10) Rn. 43.
[50] EuGH-Pupino (Fn. 10) Rn. 44, 47, 60.
[51] Zur Genese des Prinzips der "gegenseitigen Anerkennung", das ursprünglich für den Bereich der wirtschaftlichen Grundfreiheiten des Unionsrechts als "Herkunftslandprinzip" im Rahmen des freien Warenverkehrs (Art. 34 ff. AEUV) entwickelt und von dort als "Eckstein" in den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit übertragen worden ist s. Hecker (Fn. 3) § 12 Rn. 51, 59 f.; Kotzurek ZIS 2006, 123 ff.; Taupiac-Nouvel EuCLR 2012, 236.
[52] ABlEU C 53/1 v. 3.3.2005.
[53] Erwägung Nr. 3.3 des Haager Programms des Europäischen Rates zur Stärkung von Freiheit Sicherheit und Recht in der Europäischen Union.
[54] Erwägung Nr. 3.3.1 des Haager Programms des Europäischen Rates zur Stärkung von Freiheit Sicherheit und Recht in der Europäischen Union.
[55] Erwägungsgrund Nr. 7 und Art. 4 RB-EBA.
[56] Vgl. die letzte Entwurfsfassung im Ratsdokument Nr. 18918/11 vom 21.12.2011 der "Initiative des Königreichs Belgien, der Republik Bulgarien, der Republik Estland, des Königreichs Spanien, der Republik Österreich, der Republik Slowenien und des Königreichs Schweden für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen"; zur Entwicklung des Entwurfstexts im Rat s. die Dokumentation der Vorschläge und Entwürfe auf der Seite von eurocrim, Tübingen, unter http://db.eurocrim.org/db/de/vorgang/242/.
[57] Das ist die entscheidende Neuerung gegenüber den bereits zuvor existierenden Rechtshilfemöglichkeiten auf der Basis des EuRHÜbk v. 29.5.2000, AblEU 2000, Nr. C 197, S. 1; dazu Hecker (Fn. 3) § 12 Rn. 11.
[58] Roger GA 2010, 27, 39; Krüssmann StraFo 2008, 458, 461.
[59] S. Fn. 37.
[60] S. Fn. 38.
[61] So bereits Krüssmann StraFo 2008, 458, 461.
[62] Vgl. die Aussagen zum Europäischen Haftbefehl in EuGH C 399/11 – Urteil vom 26. Februar 2013 (Stefano Melloni v. Ministerio Fiscal), HRRS 2013 Nr. 223 Rz. 103 f.; EuGH C 396/11 – Urteil vom 29. Januar 2013 (Radu), HRRS 2013 Nr. 198 Rz. 72; m. abl. Anm. Gaede NJW 2013, 1279, 1280.
[63] Zu dieser Gefahr generell Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV – Kommentar, 4. Auflage (2011), Rn. 5; Satzger (Fn. 3) § 10 Rn. 23; Kotzurek ZIS 2006, 123, 129 f.; zur Europäischen Ermittlungsanordnung Zimmermann/ Glaser/Motz EuCLR 2011, 56, 73; Heydenreich StraFo 2012, 439, 441.
[64] Oder zumindest wird er im Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung (s. Fn. 1) in dieser Form souveränitätsschonend interpretiert; Taupiac-Nouvel EuCLR 2012, 236, 238.
[65] Zimmermann/Glaser/Motz EuCLR 2011, 56, 61.
[66] Hecker (Fn. 3) § 12 Rn. 61; Roger GA 2010 26, 29; zur Europäischen Beweisanordnung Zimmermann/Glaser/ Motz EuCLR 2011, 56, 72; Heydenreich StraFo 2012, 439, 440.
[67] Satzger (Fn. 3) § 10 Rn. 23; zur Europäischen Ermittlungsanordnung Zimmermann/Glaser/Motz EuCLR 2011, 56, 72 f.; Heydenreich StraFo 2012, 439, 441.
[68] Mit Beispielen Hecker (Fn. 3) § 12 Rn. 61 ff.; Roger GA 2010 26, 31 f.; Zimmermann/Glaser/Motz EuCLR 2011, 56, 72 f.
[69] Zur Problematik des Rechtsschutzes s. Esser, Roxin-FS, 2011, S. 1497, 1505; Roger GA 2010, 27, 30, 40 ff.; Satzger (Fn. 3) § 10 Rn. 23.
[70] Roger GA 2010, 27, 40 f.
[71] Esser, Roxin-FS, 2011, S. 1497, 1505.
[72] Gemäß Art. 18 VI RB-EBA kann der Vollstreckungsstaat zwar bei Einlegung eins Rechtsbehelfs (sowohl im Vollstreckungs- als auch im Anordnungsstaat) die Übermittlung des Beweises nach seinem Ermessen aussetzen, doch sieht der Rahmenbeschluss an keiner Stelle vor, dass der Anordnungsstaat den Vollstreckungsstaat über einen im Anordnungsstaat eingelegten Rechtsbehelf informieren muss. Art. 18 IV S. 1 RB-EBA verpflichtet nur zur Unterrichtung des Anordnungsstaates über einen im Vollstreckungsstaat eingelegten Rechtsbehelf; Roger GA 2010, 27, 42.
[73] Zimmermann/Glaser/Motz EuCLR, 2011, 56, 72.
[74] Insoweit erfolgt eine Annäherung an das Prinzip forum regit actum für das Vollstreckungsverfahren; s Kotzurek ZIS 2006, 123, 131, 134; Roger GA 2010 26, 36; Satzger (Fn. 3) § 10 Rn. 38.
[75] Krit. Krüssmann StraFo 2008, 458, 462; von einer Übermittlung des rechtswidrig gewonnenen Beweises darf der Vollstreckungsstaat in diesen Fällen auch nicht absehen, wohl weil die Autoren des Rahmenbeschlusses angesichts der großzügigen Fair-Trial-Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK die Chance sahen, die aus der Verwertung der rechtswidrig erlangten Indizien entstehenden Nachteile für den Beschuldigten durch andere Verfahrenssicherungen auszugleichen; s. Krüssmann, ebenda, S. 462.
[76] Vgl. Ahlbrecht StV 2013, 114, 116 bezogen auf die geplante Richtlinie über eine Europäische Ermittlungsanordnung.
[77] BVerfGE 44, 353, 371 f.; 115, 166, 197 f. = HRRS 2006 Nr. 235 Rz. 118; BVerfG StV 2009, 453 = HRRS 2009 Nr. 463; Esser, Roxin-FS, 2011, S. 1497, 1501 f.
[78] BVerfG StV 2009, 453 = HRRS 2009 Nr. 463; Esser, Roxin-FS, 2011, S. 1497, 1502.
[79] Hecker (Fn. 3) § 12 Rn. 64; Heydenreich StraFo 2012, 439, 440 f.; Erbežnik EuCLR 2012, 3, 5 f.
[80] Zu weiteren Lösungswegen, die aber alle noch nicht beschritten worden sind, s. Hecker (Fn. 3) § 12 Rn. 66 ff.; s. auch den Vorschlag für einen neuen Versagungsgrund bei Erbežnik EuCLR 2012, 3, 18 f.; zu den Vorschlägen des Manifests zum Europäischen Strafverfahrensrecht s. ZIS 2013, 412; Satzger/Zimmermann ZIS 2013, 406, insbes. 410.
[81] Zimmermann/Glaser/Motz EuCLR 2011, 56, 64 f.; zu den notwendigen Maßnahmen s. Ahlbrecht StV 2012, 491; speziell zur Europäischen Ermittlungsanordnung Heydenreich StraFo 2012, 439, 442 f. Einzelheiten zu Art. 82 II AEUV bei Satzger (Fn. 3) § 10 Rn. 53 ff.; auf der Basis dieser Rechtsgrundlage wurden immerhin im Oktober 2010 und im Mai 2012 die Richtlinien über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren, RiL 2010/64/EU v. 20.10.2010, AblEU L 280 v. 26.10.2010, S. 1, und die Richtlinie über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren erlassen, RiL 2012/13/EU v. 22.4.2012, AblEU L 142 v. 1.6.2012, S. 1; harmonisierende Regelungen über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand und zur Prozesskostenhilfe stehen aber noch aus; s. Vorschlag über eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates KOM (2011) 326; zum Beratungsstand Ahlbrecht NStZ 2013, 114, 118; Blackstock EuCLR 2012, 20, 29 ff.
[82] Jäger nennt hier beispielsweise Verjährungsnormen; Jäger GA 2006, 615, 627 f., wobei die ganz h. M. aber auch eine rückwirkende Änderung von Verjährungsnormen für unproblematisch hält, solange nur die Verjährungsfrist verlängert oder die Verjährung rückwirkend ganz aufgehoben wird; s. BGH NStZ 2006 32, 33.
[83] BGH 1 StR 310/12, Beschluss v. 12.11.2012, HRRS 2013 Nr. 314 Rz. 27.
[84] BGH 1 StR 310/12, Beschluss v. 12.11.2012, HRRS 2013 Nr. 314 Rz. 22.
[85] BGH 1 StR 310/12, Beschluss v. 12.11.2012, HRRS 2013 Nr. 314 Rz. 33 f.
[86] BGH 1 StR 310/12, Beschluss v. 12.11.2012, HRRS 2013 Nr. 314 Rz. 29; zur Beachtung des ordre public s. ferner BGH 1 StR 310/12, Beschluss v. 12.11.2012, HRRS 2013 Nr. 314 Rz. 38.
[87] BGH 1 StR 310/12, Beschluss v. 12.11.2012, HRRS 2013 Nr. 314 Rz. 45.
[88] BGH 1 StR 310/12, Beschluss v. 12.11.2012, HRRS 2013 Nr. 314 Rz. 45; unter Verweis auf BGHSt 22, 321, 325; 46, 310, 317 ff.; 53, 64, 67 f. = HRRS 2009 Nr. 143 Rz. 13.
[89] Vgl. BGHSt 53, 64, 67 f. = HRRS 2009 Nr. 143 Rz. 13 f.
[90] EuGH-Pupino (Fn. 10) Rn. 47; v. Unger NVwZ 2006, 46, 47 f.
[91] EuGH-Pupino (Fn. 10) Rn. 47; Rönnau/Wegner GA 2013, 561, 563.