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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2014
15. Jahrgang
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1. Die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe seine Angriffshandlungen gegen „Repräsentanten des Staats“ gerichtet, die hierzu „keinerlei Anlass“ gegeben hatten, ist rechtsfehlerhaft, wenn die betroffenen Polizeibeamten dem Angeklagten jedenfalls insoweit einen „Anlass“ gegeben hatten, als sie ihn unter Einsatz unmittelbaren Zwangs abgedrängt haben. Zudem darf der Umstand, dass es keinen berechtigten oder sonst verständlichen Anlass für einen Messereinsatz zulasten der Beteiligten eines Polizeieinsatzes gab, dem Angeklagten nicht zur Strafschärfung entgegengehalten werden, weil es sich dabei um eine strafschärfende Berücksichtigung des bloßen Fehlens eines strafmildernden Umstands handelt.
2. Der Umstand, dass ein Täter „grundlos“ gegen das Tatopfer vorgeht oder dass das Opfer dem Täter „keinerlei Anlass“ für die Tat geboten hat, darf grundsätzlich nicht strafschärfend berücksichtigt werden.
3. Die strafschärfende Erwägung, dass sich die Angriffe gegen „Repräsentanten des Staates“ richteten, ist im Blick auf das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) bei einem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nicht unbedenklich. Sie lässt besorgen, dass das Tatgericht den Umstand, dass es sich bei den Geschädigten um Polizeibeamte handelte, noch einmal zu Lasten des Angeklagten eingestellt hat, obgleich schon der Tatbestand des § 113 StGB eine gegen einen Amtsträger der Bundesrepublik gerichtete Handlung voraussetzt. Im Übrigen lässt sich kaum annehmen, Gewalttätigkeiten, die im Rahmen eines (schweren) Landfriedensbruchs gegen Unbeteiligte oder sonstige Dritte begangen werden, verwirklichten eine „geringere“ Schuld als Gewalt gegen Polizeibeamte.
4. Die revisionsrichterliche Überprüfung der Strafzumessung hat sich am sachlichen Gehalt der Ausführungen des Tatgerichts und nicht an dessen – möglicherweise missverständlichen oder sonst unzureichenden – Formulierungen zu orientieren (BGHSt 34, 345, 349 f.).
5. Auch wenn sich ein Angehöriger der Menschenmenge des § 125 StGB zu dem Zeitpunkt, an dem er Regelbeispiel verwirklicht, räumlich von der Gruppe entfernt hatte, kann er weiter Teil der Menschenmenge sein und die Tat „mit vereinten Kräften“ begehen. Maßgebend für die Beurteilung, ob es sich bei einem Angriff um eine Einzelaktion eines Täters oder aber um eine „mit vereinten Kräften“ „aus einer Menschenmenge“ heraus begangene Gewalttätigkeit handelt, ist, ob die konkret ausgeführte Gewalttätigkeit von der in der gewaltbereiten Menge vorhandenen Grundstimmung und zustimmenden Haltung getragen wird. So kann es auch liegen, wenn durch das Vorrücken der Polizeikette von einer zuvor kompakten Menge Kleingruppen abgespalten haben.
6. Die Subsidiaritätsklausel des § 125 StGB greift auch dann ein, wenn ein besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs nach § 125a StGB vorliegt. Maßstab für den vorzunehmenden Vergleich ist dann aber der Straf-
rahmen der als Strafzumessungsregel ausgestalteten Bestimmung des § 125a Satz 1 StGB, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren androht. Bei dann übereinstimmenden Strafrahmen des § 125a Satz 1 StGB und des § 224 Abs. 1 StGB steht die Subsidiaritätsklausel der Tateinheit nicht entgegen.
1. Sagt der Angeklagte zu einem nicht festgestellten weiteren Tatvorwurf möglicherweise die Unwahrheit, kann dies nicht die schuldmindernde Einräumung des gegenständlichen Tatvorwurfs relativieren, der mit den konkret von der möglichen Lüge betroffenen Sachverhalten in keinem Zusammenhang steht.
2. Einem Angeklagten darf in der Strafzumessung nicht vorgeworfen werden, dass er nur zu einem Teil des Vorwurfs ein „Geständnis“ abgelegt habe.
Scheitert eine nach § 55 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollständig vollstreckt wurde und daher keine Zäsurwirkung mehr entfalten kann, so erfordert eine darin liegende Härte einen angemessenen Ausgleich (st. Rspr.). An einer solchen Härte fehlt es, wenn der Wegfall der Zäsur die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe mit der Freiheitsstrafe aus einer weiteren Vorverurteilung ermöglicht, die den Angeklagten nicht beschwert oder sogar begünstigt.
Nach ständiger Rechtsprechung ist in den Fällen, in denen das Gesetz bei einer Straftat einen minder schweren Fall vorsieht und im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 StGB gegeben ist, bei der Strafrahmenwahl vorrangig zu prüfen ist, ob ein minder schwerer Fall vorliegt (vgl. BGH NStZ 2012, 271, 272). Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrunds gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen.
Einer nach einer abgeurteilten Tat ergangenen und noch nicht erledigten früheren rechtskräftigen Verurteilung zu einer Geldstrafe kommt auch dann eine Zäsurwirkung zu, wenn diese Geldstrafe in Anwendung von § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB gesondert bestehen bleiben soll (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 170).